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Dresdens unbekannten Toten ein Gesicht geben

Prof. Dr. Rolf-Dieter Müller Foto: cm

Vom 13. bis 15. Februar 1945 wurde Dresden von der schlimmsten Katastrophe in der Stadtgeschichte heimgesucht. Bis heute sind in der Literatur äußerst gegensätzliche Opferzahlen bei der Auseinandersetzung mit den Luftkriegsereignissen  zu finden. Aus diesem Grund berief der Dresdner Oberbürgermeister 2004 eine Historikerkommission ein, die eine genaue Opferzahl ermitteln sollte. Auf einer Pressekonferenz und einer Podiumsdiskussion des Historikertages wurde nun ein Zwischenbericht abgeliefert.

Nach akribischen Rechnungen entkräftete die Historikerkommission die Schwankungen der Zahlen zwischen 20.000 und 500.000 getöteten Menschen in den Bombennächten: Von 18.000 Menschen, die während der Luftangriffe ihr Leben verloren, sind die persönlichen Daten mittlerweile bekannt. Die Forscher gehen jedoch davon aus, dass sich die Zahl bis zum endgültigen Abschluss der Arbeiten im nächsten Jahr auf maximal 25.000 Menschen erhöhen wird.

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Zwischen Orient und Okzident

Das Thema des Historikertages “Ungleichheiten” wurde in der heutigen Sektion “Transkulturelle Vergleiche zwischen Ost und West” in Bezug auf die beiden Religionen Christentum und Islam sowie deren kulturelle Verschiedenheit hin diskutiert.

Das Programm wurde eingeleitet durch Wolfram Drews (Köln, Bonn), dessen Publikation mit dem Titel “Die Karolinger und die Abbasiden von Bagdad” (Berlin 2009) zu Beginn kurz angerissen und daraufhin die Herrscherdynastien und Legitimationsstrategien im frühen Mittelalter vorgestellt wurden. Gerade die Herrschaftslegitimation Karls des Großen im Karolingerreich bezeugt eindrucksvoll das sakral legitimierte Herrschertum sowie die enge Beziehung zwischen Papsttum und Kaiser im 8. Jahrhundert. Im Morgenland des 9. Jahrhunderts versuchten die Kalifen dasselbe umzusetzen, doch aufgrund fehlender normativer Religionsformen scheiterte ihr Vorhaben.

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Abgleiten in “Allmachtsphantasien”

Prof. Dr. Martin Jehne. Foto: ak

Herr Prof. Jehne, Sie sind Sprecher des Historikertages…

Moment, das stimmt so nicht ganz. Ich bin Sprecher des Ortskommitees, das den Historikertag veranstaltet. Den Historikertag richtet der Verband aus - und der ist auch für alle Inhalte zuständig, die Sektionsthemen, das Logo, etc. Das Ortskommitee übernimmt die Organisation am Veranstaltungsort, den Kontakt mit den Institutionen, die Infrastruktur, eben alles was zur faktischen Ausführung gehört.

Ist ein so großer geisteswissenschaftlicher Kongress an einer Technischen Universität die erste Ungleichheit?

Nein! Wir sind keine technische Uni, wir heißen bloß so. Die TU Dresden hat eine starke technisch–naturwissenschaftlich Tradition, die auch gepflegt wird – wogegen nichts zu sagen ist. Nur löst der Name TU leicht die Assoziation aus, es gebe nur Technik- und Naturwissenschaften. Und das trifft nicht zu. Seit der Erneuerung nach der Wiedervereinigung haben wir in Dresden leistungsfähige und akzeptierte Geistes- und Sozialwissenschaften. Die TU ist eine Volluniversität und betont dies auch. Die Geisteswissenschaften sind hier ja auch nicht nur Hilfsarbeiter, in dem Sinne dass wir Abrundungsangebote machen und Geschlechterstereotypen bedienen. Getreu dem Motto: Wir haben hier Ingenieurswissenschaften, was in erster Linie junge Männer studieren, die haben Freundinnen, also brauchen wir auch ein Institut für Germanistik. So ist es ja eben nicht. Wir betreiben hier anerkannte Forschung und bilden konkurrenzfähige Absolventen und wissenschaftlichen Nachwuchs aus.

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Mittelalterliche Bauern im HSZ

Was versteht man unter Erbpacht? Was ist ein Fastnachtshuhn? Und wo findet man eine Gugel? Diese Fragen wurden unter anderem in dem ersten Schülervortrag “Grundherrschaft und bäuerliche Lebensbedingungen im Mittelalter” beantwortet. Die Darbietung von Arnd Reitemeier sollte den Schülern ab Klasse 10 ein Thema näher bringen, welches seiner Meinung nach in der Schule häufig vernachlässigt, beziehungsweise in der Oberstufe gar nicht mehr behandelt wird. Gleichzeitig kritisierte Reitemeier das meist veraltete Wissen in den Schulbüchern.

Arnd Reitemeier unter mittelalterlichen Bauern. Foto: ak

Kritik an seinem Vortrag selbst ist allerdings ganz und gar nicht anzumerken. Unterstützt wurden seine verständlichen Ausführungen von vier Studenten der Universität Kiel. Zwei von ihnen trugen dem Mittelalter entsprechende Kleidung und machten mit ihren kurzen Dialogen die Lebensverhältnisse der damaligen Zeit greifbar.

Leider nahmen nur sehr wenige Schulen das Angebot, am Schülervortrag teilzunehmen wahr - der Hörsaal 03 war nicht einmal zur Hälfte gefüllt. Anders das “St.-Afra-Gymnasium” aus Dresdens Nachbarstadt Meißen, welches den Historikertag als Exkursionsmöglichkeit nutzt. Richard, ein Zehntklässler dieser Schuleinrichtung, verrät: “Ich habe mich der Exkursion aus Eigeninteresse angeschlossen. Mir gefällt das Fach Geschichte und ich werde es als Leistungskurs wählen. Vielleicht studiere ich später etwas in dieser Richtung. Der heutige Vortrag wird mir in positiver Erinnerung bleiben.” Bleibt zu hoffen, dass auch der morgige Schülervortrag (“Liegt Australien in Europa”, 2. Oktober 2008, 13.15–14.00 Uhr, HS 03) so erfreulich aufgenommen wird, dann vielleicht mit etwas mehr Beteiligung.

Weltverstehen vermitteln

Wer schon immermal einen Hörsaal voller nickender Geschichtslehrer sehen wollte, hatte heute vormittag die Gelegenheit dazu. Unter dem Motto “Kompetenzorientierung im Geschichtsunterricht” hatten sich für die Größe des Raumes viel zu viele Interessenten versammelt, um dem “schillernden, schwer zu fassenden Begriff Kompetenz” zu Leibe zu rücken. Man saß auf Fensterbänken und Treppen oder stand. Das Publikum, selbst Teil des Phänomens, wunderte sich, dass dieses doch eher spröde Thema so viele (andere) Neugierige anzieht.

Das erste Referat von Roland Wolf aus Tübingen drehte sich erwartungsgemäß darum, Kompetenz zu definieren, einzelne Bestandteile herauszufilten und Modelle zu finden. Herauskristallisiert hat sich der Begriff “Weltverstehen”, das dem Schüler vermittelt werden sollte. Nützlich darum, weil in Zeiten exponentiell wachsender Wissensmengen und zunehmender Spezialisierung kein verlässlicher Begriff von Allgemeinbildung mehr gefunden werden kann. Das Verstehen der Welt ermöglicht es dem Schüler, sich bei Bedarf aus vorhandenem Material - in der Historik eben die Quellen - selbstständig Wissen zu erarbeiten.

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Brauchen wir eine neue deutsche Meistererzählung? - Perspektiven aus der frühen Neuzeit

Prof. Dr. Johannes Burkhardt. Foto: cp

Der Raum 103 im Hörsaalzentrum der TU Dresden war mehr als gut besucht als die Vorträge zum obigen Thema heute morgen um 9.15 Uhr begannen.
Unter Leitung von Johannes Burkhardt (Augsburg) ging es um die deutsche Geschichtsdarstellung bzw. Deutung derer im Verlauf. Als “Meistererzählung” wird allgemein in der Geschichtswissenschaft eben diese Deutung bezeichnet, die leitend wird, für eine bestimmte Epoche oder den gesamten in ihr vereinigten Zeitraum.
Wie Johannes Burkhardt einleitend äußerte, gäbe es unlängst eine Vielzahl von Erzählungen über die “Geschichte der Deutschen”. Eben diese Geschichte der Deutschen, wie sie zum Beispiel im großen Magazin Stern veröffentlicht und dargestellt wurde sei laut Burkhardt jedoch gerade zu eine “grotesk gewordene Meistererzählung”.
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Asymmetrien als Synonym für Ungleichheiten

Prof. Dr. Martina Schattkowsky und Dr. Uwe Tresp Foto: cm

Nur langsam füllte sich der Raum 101 des Hörsaalzentrums, in dem heute Vormittag die Sektion „Asymmetrien in Gegenwart und Vergangenheit – Deutsche und Tschechen als ungleiche Nachbarn?“ stattfand. Dabei waren Asymmetrien nur ein Synonym für Ungleichheiten. In den ersten beiden Vorträgen zu den möglichen und viel diskutierten Ursprüngen der kulturellen und letztlich auch sozialen Verschiedenheiten sprachen Dr. Uwe Tresp von der Uni Leipzig und Prof. Dr. Martina Schattkowsky, die Leiterin des Bereiches Geschichte am Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde e. V.

Die Ausführungen der beiden Wissenschaftler besaßen jeweils verschiedene Ansätze. Während Dr. Tresp versuchte, anhand der dynastischen Verhältnisse die Rolle der Kurfürstentümer Sachsen und Böhmen zueinander näher zu beleuchten, bezog sich Frau Prof. Schattkowsky weitestgehend auf agrarpolitische Aspekte, die zu der Bildung von Ungleichheiten beitrugen.

Dass die noch heute bestehenden Unterschiede zwischen Deutschen und Tschechen auf die Geschichte der beiden Länder zurückzuführen ist, machten die Beiträge der Wissenschaftler deutlich.

“Die Irren sind immer die Anderen”

Im Rahmen der Sektion „Dis/ability in history – Behinderung in der Geschichte“ berichtete Cornelia Brink von den so genannten „Irrenreformen“ um 1900. Bei diesen Reformen traten hauptsächlich männliche Patienten von Heilanstalten an die Öffentlichkeit um zu beweisen, dass sie fälschlicherweise eingewiesen wurden. Sie versuchten, mit den „Irrenbroschüren“ ihre Normalität anhand von banalen Alltagsberichten zu beweisen. Doch was ist „normal“? Und ist zu viel Normalität nicht auch schon wieder unnormal, krankhaft? Brink erläuterte, dass die Patienten zwangsläufig in die Falle getappt waren, ihre krankhafte Normalität öffentlich zu bekennen. Sicherlich wurde nicht immer der gewünschte Effekt, nämlich „normal zu sein“ erreicht.

Auch in den 1970er Jahren gingen Patienten erneut an die Öffentlichkeit. Bekanntheit erlangten vor allem die von Ernst Klee geführten Gespräche mit Insassen der Frankfurter Nervenklinik. Drei Gespräche unter dem Motto „Kranke Seele“ wurden am 3. Dezember 1976 im Hörfunk ausgestrahlt. Hier beklagten die Patienten vor allem die mangelnde Therapiebetreuung. Ihre Forderung war, dass die Ärzte ihrem Versprechen nach Heilung nachkommen. Die Ärzte hingehen taten diese Forderung leichthin als Konsumstreben ab.

Diese Frankfurter Gespräche stießen auf breites Interesse in der Öffentlichkeit. Denn letztlich sagten die Patienten, die nie namentlich erwähnt wurden: „Ich bin krank, dass ist normal. Die gesellschaftlichen Anforderungen haben mich krank gemacht. Ich brauche Hilfe“.

Diese Erkenntnis eröffnete einen neuen Blickwinkel.

Brinks anschaulicher Vortrag macht deutlich, dass es sich nicht nur um ein interessantes Forschungsgebiet handelt, sondern auch, dass es nicht genug im Fokus der historischen Wissenschaften steht. Das Potential ist enorm, sich diesem Thema kultur- und sozialhistorisch anzunähren.

Eindrücke aus "dis/ability in history", Fotos: pd

Historikerkuscheln in Bus und Bahn

"Gruppenkuscheln". Foto: bw

Scheinbar ist nicht ganz Dresden auf den 47. Deutschen Historikertag vorbereitet. Die Dresdner Verkehrsbetriebe (DVB) jedenfalls sind es nicht. Wer heute morgen den Weg zum Hörsaalzentrum mit den Öffentlichen angetreten hat, dem ist sicher trotz der geringen Temperaturen nicht kalt gewesen. Großes Gedränge, wenig Platz und kaum Atmungsfreiheit sowie die daraus resultierenden Verspätungen erinnert die dresdner Universitätsangehörigen schon jetzt an das bald beginnende Wintersemester und die stets überfüllten Unibusse. Unseren Gästen dürfte diese Erfahrung jedoch neu gewesen sein. Besonders die Linien 72 und 76, welche zwischen den Haltestellen Hauptbahnhof und Technische Universität verkehren, waren proppevoll. Leider wurden von der DVB auch zu den Stoßzeiten nicht mehr Fahrzeuge eingesetzt.

Wer dem Historikerkuscheln entkommen will, dem bleibt nur: Beine in die Hand nehmen und den 15minütigen Weg zu Fuß zurücklegen.

Kongresszeitung erschienen

Kongresszeitung erschienenFreudige Überraschung und ein wenig Verwunderung auf vielen Gesichtern von Kongressteilnehmern: Ist das nicht ein Bild vom gestrigen Abend ganz vorne auf der Zeitung, die ihnen zu Beginn des ersten offiziellen Tages ausgehändigt wurde?

Ist es, ist es! 3.000 Exemplare der “Ungleich-Seiten”, vierfarbig und auf 16 Hochglanz-Seiten ein wenig edler als eine normale Zeitung anzusehen, waren pünktlich um acht Uhr angeliefert worden. Dafür hatten Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Doku-Seminars, die auch das Weblog hier gestalten, bis spät in die Nacht und das Team der Druckerei Thieme in Meißen durch die Nacht hindurch gearbeitet.

“Die Zeitung zum 47. Deutschen Historikertag soll vielen Ansprüchen genügen und eine Kongresszeitung von Format, Aussagekraft und möglichst fundiertem Journalismus sein. Ob uns das gelungen ist, können Sie nun beurteilen, wenn Sie das Produkt unserer Bemühungen zu Beginn des Historikertages pünktlich und druckfrisch lesen. Auf diesen 16 Ungleich-Seiten wollen wir Sie informieren, über Hintergründe berichten und nicht zuletzt auch unterhalten.” schreibt Bianca Pahl im Editorial der Zeitung (die es komplett natürlich auch hier als PDF zum Download gibt).

Dass die Ungleich-Seiten überhaupt entstehen konnten, ist auch Verdienst der Studentenstiftung Dresden, die im Rahmen ihrer Aktion Leerstuhl es 16 Studentinnen und Studenten ermöglicht hatte, unter fachkundiger Anleitung des erfahrenen Journalisten Ulrich van Stipriaan an einem Dokumentationsseminar zum Historikertag aktiv teilzunehmen und die Veranstaltung medial zu begleiten. Die SeminarteilnehmerInnen betreiben dieses Weblog, sie haben die Zeitung erstellt und werden eine Abschlussdokumentation zum Kongress schreiben und gestalten.