Abgleiten in “Allmachtsphantasien”

Prof. Dr. Martin Jehne. Foto: ak

Herr Prof. Jehne, Sie sind Sprecher des Historikertages…

Moment, das stimmt so nicht ganz. Ich bin Sprecher des Ortskommitees, das den Historikertag veranstaltet. Den Historikertag richtet der Verband aus - und der ist auch für alle Inhalte zuständig, die Sektionsthemen, das Logo, etc. Das Ortskommitee übernimmt die Organisation am Veranstaltungsort, den Kontakt mit den Institutionen, die Infrastruktur, eben alles was zur faktischen Ausführung gehört.

Ist ein so großer geisteswissenschaftlicher Kongress an einer Technischen Universität die erste Ungleichheit?

Nein! Wir sind keine technische Uni, wir heißen bloß so. Die TU Dresden hat eine starke technisch–naturwissenschaftlich Tradition, die auch gepflegt wird – wogegen nichts zu sagen ist. Nur löst der Name TU leicht die Assoziation aus, es gebe nur Technik- und Naturwissenschaften. Und das trifft nicht zu. Seit der Erneuerung nach der Wiedervereinigung haben wir in Dresden leistungsfähige und akzeptierte Geistes- und Sozialwissenschaften. Die TU ist eine Volluniversität und betont dies auch. Die Geisteswissenschaften sind hier ja auch nicht nur Hilfsarbeiter, in dem Sinne dass wir Abrundungsangebote machen und Geschlechterstereotypen bedienen. Getreu dem Motto: Wir haben hier Ingenieurswissenschaften, was in erster Linie junge Männer studieren, die haben Freundinnen, also brauchen wir auch ein Institut für Germanistik. So ist es ja eben nicht. Wir betreiben hier anerkannte Forschung und bilden konkurrenzfähige Absolventen und wissenschaftlichen Nachwuchs aus.

Wenn sie abwägen, wie war das Verhältnis von Stress und Vorfreude auf dieses Großereignis?

Ich denke der Umgang ist eine sehr persönliche Sache. Bei mir ist es nicht so direkt die Tatsache dass ich 60 Stunden in der Woche für den Historikertag arbeite. Die Zusammenarbeit mit Herrn Dr. Fäßler ist hervorragend, so dass sich die Aufregung in den rein organisatorischen Dingen für mich in erträglichen Grenzen hält. Zumal es meinem Arbeitsstil entspricht, darauf zu vertrauen, dass die Leute im Team selbständig gute Arbeit leisten. Aber dort wo es Probleme gibt, oder geben könnte, bin ich als Sprecher zuständig. Dafür trage ich dann die Verantwortung und halte den Kopf hin. Der Teil, bei dem man ernsthaft etwas in den Sand setzen kann, ist der Kongress selbst. Ich gebe zu, wenn es jetzt schon der Abend des 3. Oktober wäre und damit alles schon vorbei, würde ich hier entspannter sitzen. Aber das Wichtigste ist, dass man sich sicher ist, alles Menschenmögliche getan zu haben um den Kongress störungsfrei über die Bühne zu bringen. Man kann sowieso nie alles voraussehen. Aber Herr Fässler und unser Team haben sehr umsichtige Arbeit geleistet und wir sind hervorragend vorbereitet. Das einzige was mir im Moment noch schlaflose Nächte bereitet, ist die Tatsache, dass mein Vortrag noch nicht ganz fertig ist.

Gab es Momente, in dem der Adrenalinspiegel steil gestiegen ist?

An eine richtige Schrecksekunde kann ich mich nicht erinnern. Aber es gab eine Phase in der nicht gesichert war, dass wir das nötige Geld für zusammen bekommen. Am Ende hat alles gut funktioniert, denn uns ist viel Solidarität und Unterstützung aus anderen Fachbereichen gewährt worden. Durch den Kollegen Hufenbach (Prof. Werner Hufenbach, Institutsdirektor des Instituts für Leichtbaus und Kuststofftechnik) ist uns sehr konkrete Hilfe und Unterstützung bei den anstehenden Problemen gewährt worden. Er hatte doch noch bessere Kontakte zu Unternehmen und Wirtschaft, die wir durch seine Vermittlung nutzen konnten. Womit wir auch ein Beispiel haben, das für Ihre zweite Frage relevant ist. Wir Geisteswissenschaftler sind hier aus den Ingenieurwissenschaften großzügig unterstützt worden, was eine wunderbare Erfahrung von Solidarität unter den Fächergruppen gewesen ist. In solchen Momenten merkt man, dass wir eine Universität sind.
Ein paar kleinere Fehlsteuerungen gab es natürlich immer mal. Es gab eine nicht gut terminierte Pressekonferenz, auf der nichts los war. Das passiert. Daran sollte man sich nicht allzu lange festhalten. Immerhin verkaufen wir hier ein super Produkt, mit prominenter Beteiligung

Wie war die Abstimmung mit den Verbänden? Gab es Unstimmigkeiten?

Der Vorsitzende, Prof. Funke, ist auch Althistoriker und ein Freund von mir. Ständiger Telefonkontakt war problemlos möglich. Was im Nachhinein etwas problematisch werden und noch etwas Arbeit bereiten wird, sind die Abrechnungsmodalitäten und einige Steuerfragen. Dadurch, dass die ganze Veranstaltung ja von Leuten organisiert wird, die auf diesem Gebiet eigentlich Laien sind, ist das eine oder andere steuertechnisch nicht optimal gelaufen. Es ist wichtig, diese Erfahrungen an die Organisatoren des nächsten Historikertags weiterzugeben. Wir werden am Ende einen Bericht erstellen, in dem unter Anderem steht, was man hätte besser machen können. Ich hoffe, dass sich der Verband in Zukunft ein wenig professionalisiert. Es wäre mehr Kontinuität von Nöten. Der Kongress wird mit jedem Mal größer und internationaler. So sind inzwischen auch viele internationale Verlage bei der Verlagsausstellung vertreten. Diese positiven Tendenzen machen aber auch eine, zumindest zum Teil, feste Organisation notwendig. Z.B. durch eine Geschäftsstelle, in der die Erkenntnisse vergangener Historikertage gesammelt werden können. Man muss ja nicht jedes mal das Rad neu erfinden.

Wie bewerten sie die Abkehr von der klassischen Epocheneinteilung?

Das war der Wunsch des Vorstandes und des Ausschusses des Verbandes, besonders des Vorsitzenden Peter Funke. Die Grundidee dahinter ist ja ganz einfach. Der Historikertag eröffnet die Möglichkeit interdisziplinär zu arbeiten, wenn man die Spezialisierungen als einzelne Disziplinen sehen möchte. Hier muss die Zusammenarbeit gefördert und eine Plattform zum Austausch geboten werden. Bei den klassischen Strukturen gab es immer ein gewisses Wahrnehmungsproblem. Wenn es nur ein oder zwei Sektionen zur, sagen wir mal mittelalterlichen Geschichte gab, war das Geschrei gleich groß. „Die mittelalterliche Geschichte stirbt aus!“ Dass aber noch weitere Mittelalterexperten in den interdisziplinären Sektionen ihre Vorträge gehalten haben, wurde nicht wahrgenommen. Und solche Sektionen hat es ja auf vorherigen Historikertagen schon in nicht ganz geringer Zahl gegeben. Die neue Einteilung ist also lediglich die Konsequenz aus dem was schon seit Jahren praktiziert wird.

Partnerland Tschechien. Welche Bedeutung hat die Wahl eines Partnerlandes?

Ich finde es eine gute Idee, um zu zeigen, dass der Deutsche Historikertag keine rein deutsche Sache bleiben soll. Außerdem bietet das Partnerland den Referierenden zusätzlich zum Rahmenthema ein weiteres Feld, zu dem sie sich Gedanken machen können. Bislang ist immer eine Nachbarregion gewählt worden. Was, zugegeben, schwierig wird, wenn der Historikertag mal in Göttingen stattfindet. In unserem Fall war uns der Generalkonsul der Tschechischen Republik in Dresden, Tomáš Podivínský eine große Hilfe. Er hat unsere Sache zu der seinen gemacht, uns jede Menge Tipps und Informationen gegeben und uns regelrecht beraten. Auch hat er eigene Kontakte für unser Vorhaben genutzt. So haben wir jetzt mit Minister Svoboda einen sehr prominenten Redner aus dem Partnerland auf unserer Festveranstaltung. Auch die Zusammenarbeit mit den tschechischen Kollegen funktioniert sehr gut.

Was wird die TU Dresden von diesem Großereignis mitnehmen?

Nun, wir als Institut für Geschichte an der TU Dresden zeigen, dass wir uns als ein leistungsfähiges Institut etabliert haben. Uns gibt es jetzt seit gut 15 Jahren an der TU und wir können mit diesem spektakulären Kongress, der ein breites Medienecho findet, sichtbar nach außen tragen, dass wir uns mit unserer alltäglichen Arbeit in Lehre und Forschung eine gewisse Anerkennung verdient haben. Die Uni führt den Historikern Deutschlands und der Welt vor, dass sie nicht nur über ein höchst funktionales, sondern auch schönes Hörsaalzentrum verfügt und vor allem in der Lage ist, eine solch große Veranstaltung zu stemmen. Und dass die Geschichtswissenschaft eine gute Reputation in der Gesellschaft hat, sieht man schon daran, dass immerhin unser Staatsoberhaupt die Eröffnungserde hält, was bei weitem nicht jede Fach-Community erreicht.

Zum Abschluss bitte ich sie uns noch eine kleine Anekdote zum Besten zu geben, einen Moment in dem sie mal richtig herzhaft Lachen konnten.

(lacht) Jetzt. Aber das so zu beantworten ist schwer. Wir haben viel gelacht, ohne lachen wäre die Belastung gar nicht auszuhalten gewesen. Ich bin als ein Mensch bekannt, der viel und gerne lacht. Und ich würde sagen, dass wir bei den 120, eher mehr, Meetings, die Herr Fässler und Herr Müller und ich in den letzten zwei Jahren gehabt haben, bei jedem, nun vielleicht bei fast jedem, herzhaft gelacht haben. Da war immer ein wenig Ironie, ein Abgleiten in kleine „Allmachtsphantasien“, um den kleinen Ärger und die Fülle leicht nerviger Details zu kompensieren, ehe man wieder in die tägliche Arbeit zurückschwenkte.

Herr Prof. Jehne, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

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