Weltverstehen vermitteln

Wer schon immermal einen Hörsaal voller nickender Geschichtslehrer sehen wollte, hatte heute vormittag die Gelegenheit dazu. Unter dem Motto “Kompetenzorientierung im Geschichtsunterricht” hatten sich für die Größe des Raumes viel zu viele Interessenten versammelt, um dem “schillernden, schwer zu fassenden Begriff Kompetenz” zu Leibe zu rücken. Man saß auf Fensterbänken und Treppen oder stand. Das Publikum, selbst Teil des Phänomens, wunderte sich, dass dieses doch eher spröde Thema so viele (andere) Neugierige anzieht.

Das erste Referat von Roland Wolf aus Tübingen drehte sich erwartungsgemäß darum, Kompetenz zu definieren, einzelne Bestandteile herauszufilten und Modelle zu finden. Herauskristallisiert hat sich der Begriff “Weltverstehen”, das dem Schüler vermittelt werden sollte. Nützlich darum, weil in Zeiten exponentiell wachsender Wissensmengen und zunehmender Spezialisierung kein verlässlicher Begriff von Allgemeinbildung mehr gefunden werden kann. Das Verstehen der Welt ermöglicht es dem Schüler, sich bei Bedarf aus vorhandenem Material - in der Historik eben die Quellen - selbstständig Wissen zu erarbeiten.

Die Vermittlung dieser doch sehr umfassenden Kompetenz ist allerdings schwierig. Es wurden verschiedene Unterrichtsmodelle vorgestellt. Für die meisten Lacher sorgte dabei der kurzfristig eingesprungene Albert Logtenberg aus den Niederlanden. Dass fast alle seinem in Englisch gehaltenen Vortrag über das Herauskitzeln von Fragen aus dem Schüler folgen konnten, ließ sich dem häufigen Nicken des Publikums entnehmen.

Auch die anschließenden Diskussionen, teils auf Englisch, teils auf Deutsch geführt, erwiesen sich als sehr fruchtbar für die Sektion. Hervor stach eine Lehrerin aus Hannover, deren Klasse beinahe ausschließlich aus Schülern mit Migrationshintergrund besteht. Sie erzählte, dass die vorgestellten Modelle für ihre Schüler höchstwahrscheinlich viel zu kompliziert seien. Kulturell bedingt brächten viele Schüler völlig andere Rollenmodelle als Hintergrundwissen mit, hätten aber im Vergleich zu deutschen Schülern viel weniger historisches Vorwissen, beispielsweise aus Bilderbüchern. Andrea Kimmi aus Tübingen schlug daraufhin vor, sich in diesem Falle doch eher grundschuldidaktischer Strategien zu bedienen. Ein sehr eindrucksvolles Beispiel dafür, wie unterschiedlich Klassenverbände sein können. Kompetenzvermittlung ist wünschenswert, braucht aber eine Basis aus Vorwissen und Auffassungsgabe der Schüler, die nicht immer gegeben ist.

Die Sektion “Kompetenzvermittlung im Geschichtsunterricht” brachte für Nichtlehrer viele Einblicke in ein Gebiet, dass allgemein doch eher als Langweilig gilt. Dass es auch vielen anwesenden Lehrern gefallen hat, verdeutlichen vielleicht diese am Ende aufgeschnappten Zitate: “Sehr spannend.” “Das wäre was für ein Kompaktseminar.” “Hast du alles mitgeschrieben? Ich kopier mir das dann mal.”

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