September
Überblick
(Gerhard Fouquet, Sven Rabeler, Kiel) Gerhard
Überblick
(Gerhard Fouquet, Sven Rabeler, Kiel)
Gerhard Fouquet, Sven Rabeler, Kiel:
Einführung
Christian Hagen, Kiel:
Christliche und jüdische Darlehensverträge im Konstanzer Ammanngerichtsbuch (1423–1434)
Tanja Skambraks, Mannheim:
Zwischen Kooperation und Konkurrenz. Jüdische Pfandleihe und Monti di Pietà in Italien
Alfred Haverkamp, Trier:
Kommentar I
David Schnur, Trier:
Jüdische Wirtschaftspraxis im spätmittelalterlichen Frankfurt – Strukturen innerstädtischer Geld- und Pfandleihe im 14. Jahrhundert
Gabriela Signori, Konstanz:
Gelihen geltz. Formen und Funktionen christlicher Geldleihe im 15. Jahrhundert
Hans-Jörg Gilomen, Zürich:
Kommentar II
Abstracts (scroll down for English version)
„Glaubensfragen“ berühren ganz unmittelbar ökonomische Probleme, wird die wirtschaftliche Ratio jedweder Zeit doch vielfältig geprägt und beeinflusst von Prognosen und Spekulationen, von Annahmen, Überzeugungen und Ängsten, all dies im Rahmen kultureller Muster und ethischer Bezüge. Vor allem auf der Mikroebene, welche die Akteure, ihre Verflechtungen und die Bedingungen ihres Handelns in den Blick nimmt, hat die Forschung der letzten Jahre diese Themen unter Aspekten wie ‚moral economy‘ oder vertrauensbasierten Netzwerken verstärkt in den Blick genommen. Besonders plastisch treten die angesprochenen Phänomene im Zusammenhang mit Kreditmärkten hervor, denn der auf Treu und Glauben beruhende Kredit stellt wortwörtlich eine „Glaubensfrage“ dar. Zudem ist die Geschichte des Kredits im Mittelalter auch in die Geschichte der christlich-jüdischen Beziehungen eingeschrieben. Davon ausgehend, befasst sich die Sektion mit christlichem und jüdischem Kleinkredit in spätmittelalterlichen Städten. Im Mittelpunkt stehen die Beziehungen zwischen Gläubigern und Schuldnern, die damit verknüpften Praktiken der Vergabe und Absicherung von Krediten und die daraus resultierenden mikroökonomischen Strukturen örtlicher Kapitalmärkte. Inwieweit konkurrierten oder koexistierten christliche und jüdische Geldhändler, welchen Regelungen und Restriktionen unterlagen sie? Welche Gruppen potentieller Schuldner wurden jeweils angesprochen? Wer nutzte überhaupt das Instrument des Kleinkredits, welche Rolle spielten dabei ökonomische Ressourcen und soziale Positionen, wie fügten sich Darlehen in das Haushalten der klein(er)en Leute ein? Welche Bedeutung kam dabei der städtischen Schriftlichkeit zu, etwa in Gestalt der Stadtbücher? Inwiefern konnten Aspekte einer ‚moral economy‘ zum Tragen kommen? Wie prägte der stets latente, nicht selten aggressiv aufbrechende, in seinen alltäglichen Wirkungen aber nicht immer leicht abzuschätzende Antijudaismus Entwicklung und Ausgestaltung von Kreditmärkten?
Christian Hagen, Kiel:
Christliche und jüdische Darlehensverträge im Konstanzer Ammanngerichtsbuch (1423–1434)
Das Konstanzer Ammanngerichtsbuch besitzt als wertvolle wirtschaftshistorische Quelle seit der auszugsweisen Veröffentlichung durch Hektor Ammann (1949/1952) einige Bekanntheit. Im Rahmen des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekts „Gläubiger und Schuldner: Christliche und jüdische Darlehensmärkte in deutschen Städten des Spätmittelalters“ wird die Originalquelle im Hinblick auf die enthaltenen Kreditgeschäfte analysiert. Die zentrale Fragestellung richtet sich auf das Verhältnis und die funktionalen Wechselbeziehungen zwischen christlichem und jüdischem Kredit.
Zahlreiche Einträge belegen die weit verbreitete Kreditierung der Waren durch Produzenten oder Händler. Ließ der Schuldner die Zahlungsfrist verstreichen, griff das Instrument der Schadennahme, wobei der Gläubiger die Summe zu Lasten des Schuldners bei einem jüdischen Kreditgeber aufnehmen konnte. Der weitere jüdische Kredit bestand vor allem aus kleinen Darlehensgeschäften, größere Transaktionen bildeten die Ausnahme. Die Konstanzer Ratsbeschlüsse lassen erkennen, dass die jüdischen Geldverleiher geradezu gedrängt wurden, das Segment des kurzfristigen Pfandkredits abzudecken. Die Beteiligung von Christen an den Darlehensgeschäften versuchte der Rat hingegen zu reduzieren, wie bereits das Konstanzer Wuchergesetz von 1383 nahelegt: Es reglementierte nicht nur die jüdische Geldleihe, sondern richtete sich gegen alle Bürger, die pfenninge umb pfenning uff merung usslihend, und verbot darüber hinaus die Kapitalanlage bei Juden, d.h. die christliche Partizipation am jüdischen Wuchergeschäft. Da die Abfassung des Gerichtsbuchs auch in die Zeit der erneuten Ausweisung der Juden aus Konstanz (1432) fällt, stellt sich zudem die Frage nach der Substitution der jüdischen Kredite. Bildeten diese auch in Konstanz nur noch einen verzichtbaren „Nischenmarkt“ (Hans-Jörg Gilomen), während die bedeutenden Kredittransaktionen auf dem Rentenmarkt stattfanden?
Tanja Skambraks, Mannheim:
Zwischen Kooperation und Konkurrenz. Jüdische Pfandleihe und Monti di Pietà in Italien
Der Vortrag geht der Frage nach, inwieweit die Gründung und schlagartige Ausbreitung der Monti di Pietà (als christliche Pfandleihhäuser) seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts in Italien die Stellung der jüdischen Pfandleiher veränderte. Anhand von Fallstudien zu Rom, Perugia und Florenz wird das vielschichtige und durchaus komplexe Verhältnis der Juden und der von den Franziskanern maßgeblich protegierten Monti analysiert. Dabei wird der Vortrag sowohl auf die Diskursebene um Wucher und Zins am Beispiel franziskanischer Predigten und päpstlicher Erlasse in der Gründungsphase der Monti eingehen als auch die Praxis der Geldleihe und Kleinkredite in den genannten Städten anhand von Rechnungsbüchern und lokalen Regulierungserlassen näher beleuchten – diese weist eher auf ein wechselvolles Verhältnis zwischen Konkurrenz und Kooperation christlicher und jüdischer Pfandleihe hin.
David Schnur, Trier:
Jüdische Wirtschaftspraxis im spätmittelalterlichen Frankfurt – Strukturen innerstädtischer Geld- und Pfandleihe im 14. Jahrhundert
Der Beitrag widmet sich am Beispiel der Reichs- und Messestadt Frankfurt den komplexen Wirtschaftsbeziehungen zwischen jüdischen Geld- und Pfandleihern und christlichen Handwerkern. Eine eingehende Analyse der tatsächlichen Kreditbeziehungen zwischen diesen Gruppen im städtischen Alltag fehlt bislang, obgleich besonders die ältere Forschung nicht nur eine judenfeindliche Einstellung christlicher Handwerker postuliert, sondern deren Ursachen auch vielfach in den wirtschaftlichen Beziehungen verortet hat.
Die Untersuchung fußt auf den reichhaltigen Frankfurter Schöffengerichtsbüchern, die mit ihren mehr als 10.000 Judenbelegen zwischen 1330 und 1400 gerade den alltäglichen jüdischen Kleinkredit dokumentieren. Im ersten Schritt wird nach den einzelnen Gewerken gefragt, die als Judenschuldner nachgewiesen sind, sowie nach der Häufigkeit ihrer Inanspruchnahme jüdischer Geldgeber. Danach stehen die Kredite selbst im Zentrum der Analysen: Welche Summen sind belegt? Lassen sich Rückschlüsse auf die jeweiligen Hintergründe der Kreditaufnahmen ziehen? Sind berufsspezifische Besonderheiten zu beobachten und gegebenenfalls welche? Können längerfristige Beziehungen ausgemacht werden, die über größere Zeiträume hinweg stabil bleiben?
Die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Handwerkern und Juden waren keineswegs nur einseitig wirksam: Im spätmittelalterlichen Frankfurt sind auch Juden nachzuweisen, die bei christlichen Handwerkern verschuldet waren. In diesen Fällen ist ebenfalls nach den Hintergründen und Modalitäten der Kredite zu fragen. Auf struktureller Ebene wird zudem versucht, Unterschiede zwischen der ersten und der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts herauszuarbeiten, die auf Veränderungen in den Geschäftsmodellen nach dem Pogrom von 1349 verweisen könnten, wie sie zuletzt etwa für den Bereich der Immobilienkredite nachgewiesen wurden.
Gabriela Signori, Konstanz:
Gelihen geltz. Formen und Funktionen christlicher Geldleihe im 15. Jahrhundert
Dass Christen Christen und Juden Juden kein Geld gegen Zins verleihen sollten, ist bekannt. Die Vermutung, dass das Verbot weder die einen noch die anderen davon abhielt, es trotzdem zu tun, erscheint mit Blick auf die wachsende Ökonomisierung der spätmittelalterlichen „Welt“ plausibel. Von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen, befassen sich die meisten Studien jedoch nicht mit den Geldgeschäften unter „Glaubensbrüdern“, sondern konzentrieren sich einseitig auf den Geldverleih zwischen Juden und Christen, was nicht ganz wertfrei ist, wie Gregory B. Milton in seinem 2006 erschienenen Beitrag ‚Christian and Jewish Lenders: Religious Identity and the Extension of Credit‘ kritisiert. Auf diesen Geldverleih von Christen an Christen fokussiert der Beitrag, der die Bestände des Basler Gerichtsarchivs (die Serien B–K) auf der Suche nach „geliehenem Geld“ durchkämmt, insbesondere die Serie C der Konfesssate, der öffentlich vor Gericht abgelegten Schuldbekenntnisse. „Geliehenes Geld“ wird in den spätmittelalterlichen Gerichtsbüchern (nicht nur in Basel) von anderen Geldschulden unterschieden. Was genau damit gemeint ist, ist dennoch schwer zu bestimmen. Denn allfällige Zinsen werden in den Gerichtseinträgen, die von Schulden handeln, nie vermerkt. Bestenfalls wird präzisiert, die Rückzahlung habe samt „Kosten“ zu erfolgen, die aus dem Geschäft resultierten. Das aber müssen nicht zwangsläufig Zinsen sein.
Abstracts (English version)
“Matters of faith” directly concern economic problems, because in various ways the economic rationale of every period is characterised and influenced by forecasts and speculations, by assumptions, convictions and anxieties, all of this connected with cultural patterns and ethical references. Particularly at micro level, focussing on players and agents, their networks and the conditions of their actions, research has been dealing with these topics with regard to aspects like ‘moral economy’ or networks based on mutual trust in recent years. These phenomena are especially visible in the context of credit markets, as credit rested upon good faith is literally a “matter of faith”. Furthermore, the history of credit in the Middle Ages is connected with the history of Christian-Jewish relations. On this basis, the section will deal with Christian and Jewish small-scale credit in late medieval towns, focussing on the relations between creditors and debtors, the linked practices of providing and securing loans, and the resulting microeconomic structures of local capital markets. To what extent did Christian and Jewish money traders compete or coexist with each other, to which regulations and restrictions were they subjected? Which groups of potential debtors did they address? Who actually used small-scale credits, of which importance were economic resources and social positions, what did loans mean for the economy of more or less little people? Which function had municipal records in this field, e.g. the town books? Did aspects of a ‘moral economy’ take effect? How did anti-Judaism, constantly latent and not rarely occurring in an aggressive way, but not always easy to estimate concerning everyday impacts, shape the development and structure of credit markets?
Christian Hagen, Kiel:
Christian and Jewish Credit in the Court Book of Constance (1423–1434)
The court book (Ammanngerichtsbuch) of Constance is known as a valuable source for medieval economic history, especially since Hektor Ammann published parts of it in 1949/1952. Within the scope of the research project “Creditors and Debtors: Christian and Jewish Credit in Late Medieval German Towns”, funded by the Deutsche Forschungsgemeinschaft, the original source is studied particularly with regard to all forms of credit. The main goal is to analyse the relationship and functional interaction between Christian and Jewish credit.
Many of the entries found in the court book document the sale of goods via credit. In case the debtors did not pay within the agreed period, the creditors could resort to the device of Schadennahme, i.e. they got the sum from a third person, for example a Jewish money lender, who could therefore charge a higher interest rate at the debtor’s expanse. Other Jewish credit appears mainly in the shape of short-term lending on pawn, in fact mainly for small sums with greater transactions being exceptions. The rulings of the Constance city council suggest that Jewish money lenders were urged to cover exactly this demand of short-term credit. In contrast, the council tried to reduce Christian participation in all loan transactions as the local law against usury from 1383 suggests: It regulated the interest rates for Jewish money lenders but also restricted any interest earnings for all Christian citizens. Lending money to Jewish money lenders, thus participating in usury, was prohibited in particular. Since the court book was used during a period when the Jews were once more banished by the city authorities (1432), it remains to be seen how this is reflected in the book. It also raises the question if the Jewish credit was already so insignificant compared to other forms of loan (“Nischenmarkt”, Hans-Jörg Gilomen) that its substitution did not pose a problem.
Tanja Skambraks, Mannheim:
Between Cooperation and Concurrence. Jewish Pawnbroking and Monti di Pietà in Italy
The paper will tackle the question on how the foundation and rise of the Monti di Pietà (as Christian pawnbroking institutions) changed the position of Jewish moneylenders in Italy from the second half of the 15th century on. By analysing source material from Rome, Perugia and Florence, it will focus on the complex relationship between Jews and the Monti, the latter being essentially protected by the Franciscan Order. In a first step, the presentation will focus on the discourse on usury and interest visible in Franciscan sermons and papal tracts from the late 15th century. Secondly, it will deal with the practices of pawnbroking and small-scale credit in these cities visible in account books and local regulative texts – pointing at the multifaceted relationship of Jewish and Christian pawnbroking institutions between concurrence and cooperation.
David Schnur, Trier:
Jewish Economic Practices in Late Medieval Frankfurt – Structures of Urban Moneylending and Pawnbroking in the Fourteenth Century
This paper addresses the complex economic relations between Jewish moneylenders and pawnbrokers, on the one hand, and Christian craftsmen, on the other, in the imperial borough and trading emporium of Frankfurt am Main. A detailed analysis of the actual credit relationships between these groups has never been offered; although previous scholars have generally taken the anti-Jewish attitude of Christian craftsmen for granted and often explained that attitude by reference to economic relations.
The investigation is based on the rich documentation in the court books of the Frankfurt town judges, with more than 10,000 references to the Jews from the period from 1330 to 1400. They offer particular insights into the day-to-day practice of Jewish small credit. In a first step, we will survey in what branches the craftsmen worked who resorted to Jewish credit, and how often they did so. Following this, the loans as such will be analysed: What sums were involved? Can anything be said about the circumstances in which they were borrowed? Did the various trades require specific forms? Can we observe relationships that remained stable over a long period of time?
Economic relationships between craftsmen and Jews by no means worked in just one direction. In late medieval Frankfurt, Jews, too, can be found indebted to Christian craftspeople. These cases require equally close attention as regards the occasions and contractual details.
On the structural level, we will search for differences between the first and second halves of the fourteenth century, indicating possible changes in Jewish economic strategies following the pogrom of 1349. Such changes were recently identified in the field of real-estate credit.
Gabriela Signori, Konstanz:
Gelihen geltz. Forms and Functions of Christian Money Lending in the Fifteenth Century
It is well known that no Christian might lend money to another Christian against interest and no Jew to another Jew. The assumption that this interdiction prevented neither the ones nor the others from doing so appears plausible regarding the growing economisation of the late medieval “world”. With few exceptions most studies do not deal with credit among fellow believers but concentrate on money lending between Jews and Christians. As Gregory P. Milton points out in his article ‘Christian and Jewish Lenders: Religious Identity and the Extension of Credit‘, published in 2006, this is not entirely neutral. The paper focusses on money lending between Christians and is based on the search for “lended money” in the collections of the Basel court archives (series B–K), especially in the series C of the Konfessate, i.e. the public recognizances of debts given in court. In late medieval court books (not only in Basel) “lended money” is distinguished from other forms of debts. However, it is difficult to define its exact meaning because interest is never mentioned in the entries dealing with debts. At best, it is specified that the repayment must include the “costs” resulting from the transaction. Yet, these do not necessarily have to be interest.
Zeit
(Mittwoch) 9:00 - 12:00
Ort
H-Hörsaal H
Hauptgebäude
Überblick
(Joachim von Puttkamer, Jena) Włodzimierz Borodziej,
Überblick
(Joachim von Puttkamer, Jena)
Włodzimierz Borodziej, Warschau/Jena, Maciej Górny, Warschau:
Einleitung: Der Krieg nach dem Kriege – Politische Visionen und Gewalt im Osteuropäischen Bürgerkrieg
Robert Gerwarth, Dublin:
Zwischen Restauration und Faschismus. Rechte paramilitärische Gewalt nach dem Ersten Weltkrieg
Jochen Böhler, Jena:
Jenseits von Nationalstaat und Revolution. Gesinnung und Gewalt regulärer Streitkräfte gegen Zivilisten in Ostmitteleuropa, 1918–1921
Christopher Gilley, Hamburg:
Glaube an den allukrainischen/allrussischen Aufstand. Narrative der Verzweiflung im Russischen Bürgerkrieg
Patrick Houlihan, Chicago:
Katholizismus und der Große Krieg. Religion und Alltag in Ostmitteleuropa nach dem Ersten Weltkrieg
Wolfgang Knöbl, Hamburg, Jörn Leonhard, Freiburg:
Kommentar: Gesinnung und Gewalt im Osteuropäischen Bürgerkrieg
Joachim von Puttkammer, Jena:
Moderation
Abstracts (scroll down for English version)
Jochen Böhler, Jena:
Jenseits von Nationalstaat und Revolution. Gesinnung und Gewalt regulärer Streitkräfte gegen Zivilisten in Ostmitteleuropa, 1918 – 1921
In Ostmitteleuropa bedeutete das offizielle Ende des Ersten Weltkrieges 1918 nicht das Ende der Gewalt. Die Niederlage der Mittelmächte und der Untergang des Zarenreiches mündeten vielmehr in einem Osteuropäischen Bürgerkrieg, in dessen Verlauf sich die Nachfolgestaaten der Imperien konstituierten und die neuen Grenzverläufe in der Region untereinander ausfochten. Die Rote Armee, nationale Streitkräfte und paramilitärische Einheiten verübten dabei zahlreiche Gräueltaten gegen Zivilisten und Kriegsgefangene.
Mit Ausnahme von einigen wenigen Pogromen gegen polnische Juden, die auch seinerzeit international für Aufsehen sorgten, sind die Hintergründe dieser Gewalttaten bisher kaum erforscht worden. Ganz offenbar spielten bei Übergriffen gegen Juden, „Bolschewisten“ und „Konterrevolutionäre“ Weltbild, Glaube und Überzeugung der Täter – Antisemitismus, revolutionäres Fieber oder ein ultrakonservatives Weltbild – eine entscheidende Rolle. Doch bei ethnisch motivierter Gewalt, wie sie etwa Polen gegen Ukrainer oder Ukrainer gegen Polen im polnisch-ukrainischen Konflikt 1918/19 anwandten, ist die Frage der Motivation nicht so einfach zu beantworten.
Der Vortrag sucht daher nach Gründen für Gewalt gegen Unbeteiligte in Ostmitteleuropa zwischen 1918 und 1921 auch unterhalb der Ebene politischer Utopien und Ideologien. Monolithische Erklärungsversuche führen hier nicht weiter: Bei den Übergriffen kam vielmehr zumeist ein ganzes Bündel ideologischer und situativer Faktoren zum Tragen, wie es die Gewaltforschung zum Zweiten Weltkrieg bereits detailliert herausgearbeitet hat. Deren Ansätze sollen für die hier dargelegten Fallbeispiele fruchtbar gemacht werden.
Robert Gerwarth, Dublin:
Zwischen Restauration und Faschismus. Rechte paramilitärische Gewalt nach dem Ersten Weltkrieg
Für die Wahrnehmung des „Bolschewismus“ durch seine Gegner auf der ganzen Welt spielte Gewalt eine zentrale Rolle. Sie war zugleich integraler Bestandteil ihrer “Antworten” auf die Bedrohung, selbst in Ländern, in denen eine kommunistische Revolution unwahrscheinlich war. Der russische Bürgerkrieg mit seinen mindestens 3,5 Millionen Toten war äußerst brutal, aber die Gerüchte über den Bolschewismus, die sich in Windeseile verbreiteten und nach Westen ausbreiteten, stellten dies noch in den Schatten: Geschichten von einer auf den Kopf gestellten öffentlichen Ordnung, von einem nie endenden Kreislauf von Verbrechen und Strafe inmitten des allgegenwärtigen moralischen Zusammenbruchs inmitten einer der ehemaligen europäischen Großmächte. „Westliche“ Werte, Glaubensmuster und Kultur, so schien es, waren in Gefahr.
Angesichts solcher Berichte aus Russland überrascht es nicht, dass die westlichen Medien sich gegenseitig darin überboten, möglich düstere Bilder der bolschewistischen Führung und ihren Unterstützern zu zeichnen. Die Apokalypse hatte plötzlich einen neuen Namen: „Russischen Bedingungen“ wurde zum stehenden Begriff, der eine Umkehrung aller moralischen Werte des „Westens“ zu beschreiben sollte. Politische Plakate der Rechten malten buchstäblich den Bolschewismus als Dämon oder Skelett mit blutigem Dolch zwischen den Zähnen an die Wand. Variationen dieses Plakat erschienen nicht nur in Frankreich und Deutschland, sondern auch in Polen und Ungarn.
Nicht unähnlich der Situation im späten achtzehnten Jahrhundert, als Europas herrschende Eliten entsetzt einen jakobinischen „apokalyptischen“ Krieg befürchteten, nahmen viele Europäer nach 1917 an, dass der Bolschewismus sich ausbreiten würde, um den Rest der alten Welt zu „infizieren“. Zwangsmobilisierung und die Einleitung von Maßnahmen gegen die wahrgenommen Bedrohung waren die Folge. Ultrakonservative militante Milieus vor allem in Mitteleuropa waren überzeugt, dass angesichts der Gefahr einer „bolschewistischen Ansteckung“ die Anwendung rücksichtsloser Gewalt gerechtfertigt war. Der Vortrag beschreibt und analysiert verschiedene Formen antibolschewistischer Gewalt und ihre Rechtfertigung in ganz Europa nach 1917.
Patrick J. Houlihan, Oxford:
Katholizismus und der Große Krieg. Religion und Alltag in Ostmitteleuropa nach dem Ersten Weltkrieg
Die katholische Religion bestimmte die Herzen und Geister vieler Glaubenden während und nach dem Großen Krieg. In der Säkularisierungstheorie und im literarischen Modernismus wurzelnde kulturelle Konventionen verschleiern die quirligen religiös motivierten Prozesse auf dem Mittel- und Osteuropäischen Kriegsschauplatz, die weit über den 11. November 1918 hinaus nachwirkten. In dieser von der Historiographie weitgehend vernachlässigten Gegend stellten Katholiken bäuerlicher Herkunft die Mehrheit der historischen Akteure, geprägt von vielfältigen religiös verankerten Erfahrungen. Ihre religiöser Alltag während des Krieges macht es schwierig, das kulturelle Erbe des Großen Krieges in Standarderzählungen abzuhandeln.
Den engen nationalen Rahmen sprengend, beschäftigt sich der Vortrag mit einer länderübergreifenden katholischen Alltagserfahrung von Krieg und Revolution in Mittel- und Osteuropa und eröffnet damit neue Perspektiven auf scheinbare altbekannte Themen wie die Dolchstoß-Legende, den Völkerfrühling in Osteuropa und die bolschewistische Revolution von 1917 bis 1921. Er stützt sich auf Archivrecherchen aus dem Alltag historischer Akteure jenseits der Erzählungen von Bischöfen und Geistlichen über einen “gerechten Krieg”, indem er auch die Lebensgeschichten, Gedankenwelten und Weltbilder von Soldaten, Frauen und Kindern mit einbezieht. Er richtet den Blick gleich auf mehrere (persönliche, lokale, nationale, imperiale, grenzüberschreitende) Alltagsebenen in der unmittelbaren Zwischenkriegszeit von 1918 bis 1922, insbesondere auf Seiten der “Kriegsverlierer” in Ost-Mitteleuropa, und hebt damit Kontinuitäten und Änderungen hervor, mit sowohl heilender als auch zerstörerischer Wirkung in den Nachfolgestaaten der deutschen und österreichisch-ungarischen Kaiserreiche. So untersucht der Vortrag religiöse Tradition in einem Brennpunkt der Geschichte des Zwanzigsten Jahrhunderts, um zu einem besseren Verständnis europaweiten religiösen Lebens in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg beizutragen.
Christopher Gilley, Hamburg:
Glaube an den allukrainischen/allrussischen Aufstand. Narrative der Verzweiflung im Russischen Bürgerkrieg
Waren die russischen Bauern politisch? Verteidigten sie lediglich ihre örtlichen und materiellen Interessen oder verfolgten sie weitergereichende ideologische Ziele? Das war lange Zeit eine der zentralen Fragen, die Historiker der Russischen Revolution und des Bürgerkrieges umtrieben. Neuere Arbeiten über die russischen Bauern nach 1917 heben hervor, dass diese mehr wollten als Land: sie hofften, engagierte Bürger innerhalb des neuen Staates zu werden. Zugleich haben in jüngster Zeit deutsche Historiker den Stellenwert politischer Ideen im Zusammenhang mit gewaltsamen Bauernaufständen heruntergespielt. Die Partisanen vergossen Blut, um innerhalb eines sozialen Gewaltraumes zu überleben und die Oberhand zu gewinnen.
Der Vortrag will diese unterschiedlichen Ansätze zusammenbringen, indem er aufzeigt, welche Narrative russische und ukrainische Bauern entwarfen, um ihren Kampf gegen vielerlei Akteure im Russischen Bürgerkrieg zu legitimieren. Die Aufständischen verbreiteten diese Narrative nicht nur in Broschüren, Flugblättern und Zeitungen, sondern auch in Liedern, Kostümen und Fotografien. Die Narrative beschrieben, wie die Bauern sich selber sahen; sie markierten die Gegner der Bauern, ihre missliche Lage und deren mögliche Abhilfe. Dabei übernahmen sie die Sprache der nationalen und sozialistischen Utopien der verschiedenen Konfliktparteien. Ein verbindendes Element war der Glaube an einen allukrainischen oder allrussischen Aufstand, in dessen Verlauf die Bolschewisten entmachtet würden. Dieser Glaube diente den Aufständischen sich und anderen gegenüber als Rechtfertigung, warum sie selbst in hoffnungsloser Lage den Kampf nicht aufgaben. Aus dieser Perspektive waren die politischen Ansichten der aufständischen Bauern eine Reaktion auf die Bedingungen des Bürgerkrieges. Sie waren oftmals lediglich zweckgebunden, doch bedeutet das nicht, dass sie für die Handlungen der Aufständischen keine Rolle spielten.
Der Vortrag untersucht diese Narrative anhand der Grigor’ev-Erhebung in der Ukraine und des Bauernaufstandes in Tambow/Russland.
Włodzimierz Borodziej, Warschau/Jena und Maciej Górny, Warschau:
Der Krieg nach dem Kriege – Politische Visionen und Gewalt im Osteuropäischen Bürgerkrieg
Im November 1918 war Europa überfüllt mit Erlösungsideen verschiedener Provenienz und Alters. Manche stammten aus dem Schatzkasten des Nationalgedankens des 19. Jahrhunderts, einige gewannen erst infolge des Großen Kriegs an Attraktivität. Alle bemühten sich, das Trauma eines nun offenbar sinnlosen Krieges durch Zukunftsentwürfe zu bewältigen. 1986 skizzierte Tibor Hajdu ein Tableau, das die in Ostmittel- und Südosteuropa häufigsten Varianten zu systematisieren versuchte: Dieser Teil des Kontinents sei etwa zur gleichen Zeit Schauplatz miteinander verwobener pazifistischer, sozialistischer, bäuerlicher und nationaler Revolutionen gewesen.
Die Thesen Hajdus bilden der Ausganspunkt des Impulsreferats. Dieser Ansatz steht in einem bewussten Widerspruch zu den traditionellen, nationalen Narrativen, die sich vor allem auf den eigenen Kampf um die Unabhängigkeit oder auf die transnationalen Gemeinsamkeiten der sozialen Revolutionen konzentrierten. Die Härten des Krieges an der Front, des hungernden Hinterlandes und der degradierenden Besatzung schufen eine Art offenen Raum für ganzheitliche Visionen, die den nunmehr zu Staatsbürgern aufgestiegenen, bisherigen Untertanen der Imperien erfolgreich eine grundsätzliche Wende ihrer Biographien versprachen. Dies fiel zusammen mit der Erfahrung von Gewalt als einem – nach vier Jahren Ausnahmezustand selbstverständlichen – legitimen Mittel der Austragung jeglicher Konflikte, die nach 1918 aus den dominierenden antiimperialen und revolutionären Strömungen resultierten.
Im Mittelpunkt dieses Beitrags stehen Fragen, die eine traditionelle politische und Ideengeschichte mit Gewaltforschung zum Ersten Weltkrieg verbinden. Der ostmitteleuropäische Bürgerkrieg ist ohne diese Verknüpfung nicht zu verstehen.
Abstracts (English version)
Jochen Böhler, Jena:
Beyond the Nation State and Revolution: Sentiments and Violence of the Regular Armed Forces Against Civilians in Central and Eastern Europe, 1918 – 1921
In Central and Eastern Europe, the official end of the First World War in 1918 did not mark the end of violence. Rather, the defeat of the Central Powers and the downfall of Tsarist Russia resulted in an East European civil war, during which the successor states of empires emerged, fighting against one another along the new frontiers of the region. The Red Army, national armed forces and paramilitary units committed numerous atrocities against civilians and prisoners of war.
With the exception of a few pogroms against Polish Jews, which at that time caused an international stir, the background of these acts of violence has barely been explored. Quite obviously, attacks against Jews, „Bolsheviks“ and „counterrevolutionaries“ were largely motivated by the worldview, beliefs and convictions of the perpetrators: anti-Semitism, revolutionary fever or an ultra-conservative worldview. But in the case of inter-ethnic violence in the Polish-Ukrainian conflict of 1918/19 – Poles against Ukrainians and Ukrainians against Poles – the question of motivation is difficult to answer.
This paper, therefore, looks for the roots of violence against innocent bystanders in Central and Eastern Europe in 1918–1921 and further explores beneath the surface of political utopias and ideologies. Monolithic explanations are not getting us any further; rather, as research on violence in the context of the Second World War has shown in detail, such violations took place in a setting defined by ideological and situational factors. As such, these approaches shall be adapted to the case studies presented here.
Robert Gerwarth, Dublin:
Between Restoration and Fascism: Right-Wing Paramilitary Violence After the First World War
Violence was central to how “Bolshevism” was perceived by its opponents across the globe and integral to the response with which it was met even in countries in which a Communist revolution was unlikely. The Russian civil war was obviously very brutal, with at least 3.5 million people killed, but the rumours about Bolshevism that flourished and drifted westwards were even worse: stories of a social order turned upside down, of a never-ending cycle of atrocities and retribution amidst moral collapse in what had previously been one of the Great Powers of Europe. “Western” values, belief patterns, and culture, so it seemed, was in jeopardy.
Unsurprisingly, given the nature of reports emanating from Russia, the Western media competed in painting the bleakest possible image of the Bolshevik leadership and their supporters. The apocalypse suddenly had a new name: ‘Russian conditions’, a term commonly used to describe an inversion of all moral values of “the West”. Political posters of the right began to portray Bolshevism as a spectral or skeletal figure with a bloody dagger clamped between its teeth. Variations of this poster appeared not only in France and Germany, but also in Poland and Hungary.
Not dissimilar to the situation in the late eighteenth century when Europe’s horrified ruling elites feared a Jacobin “apocalyptic” war, many Europeans after 1917 assumed that Bolshevism would spread to “infect” the rest of the old world, prompting violent mobilization and action against the perceived menace. Ultra-conservative militant milieus in especially Central Europe were convinced that against the danger of a “Bolshevik contagion”, the application of ruthless violence was justified. This paper will describe and analyse different forms of anti-Bolshevik violence and their justification throughout Europe after 1917.
Patrick J. Houlihan, Oxford:
Catholicism and the Great War: Religion and Everyday Life in Eastern Europe after the First World War
The Catholic religion was a major factor in the hearts and minds of believers during and after the Great War. Cultural conventions grounded in secularization theory and literary modernism obscure the effervescence of the religiously motivated action that took place in Central and Eastern Europe, with legacies that continued long after 11 November 1918. In these historiographically underrepresented regions, Catholic believers from rural backgrounds were the majority of historical actors with a variety of religiously based experiences. Their religious everyday lives during war and revolution complicate the standard narratives of the Great War’s cultural legacy.
Transcending narrow national frameworks, this paper examines a transnational everyday Catholic experience of war and revolution across Central and Eastern Europe, offering new perspectives on such traditional themes as the “stab-in-the-back” myth, the “springtime of nations” in Eastern Europe, and the Bolshevik Revolutions of 1917–1921. This paper draws on archival research from the everyday lives of historical actors beyond the “just-war” narratives of bishops and clergy, incorporating the life stories, thought-worlds, and worldviews of soldiers as well as women and children. By looking at everyday life on multiple levels (personal, local, national, imperial, transnational) in the immediate interwar period from 1918–1922, especially from powers that „lost“ the war in East Central Europe, this paper stresses continuities as well as changes: with both healing and destructive effects in the successor states of the German and Austro-Hungarian empires. Thus, this paper critiques religious tradition at a focal point of twentieth-century history, leading to a better understanding of pan-European religious life in the aftermath of the Great War.
Christopher Gilley, Hamburg:
Faith in the All-Ukrainian / All-Russian Uprising: The Narrative of Despair in the Russian Civil War
Were the Russian peasants political? Did they only seek to defend their local and material interests or did they have broader ideological goals? This has long been one of the central questions posed by historians of the Russian Revolution and Civil Wars. Recent studies of the Russian peasantry after 1917 have sought to emphasise that peasants wanted more than just land: they hoped to become active citizens within the new state. At the same time, recent German-language accounts of peasant insurgent violence have downplayed the role of political ideas. The partisans’ bloodletting was a means of surviving and prospering within a social space dominated by violence.
This paper seeks to reconcile the differing approaches by examining how Russian and Ukrainian peasants constructed narratives to legitimise their insurgencies against the various warring parties of the Russian Civil Wars. The insurgents projected these narratives not only through brochures, leaflets and newspapers, but also in songs, costumes and photographs. The narratives described how the peasants viewed themselves; they identified the peasants’ enemies, set out their grievances and vaguely suggested possible remedies. They adopted the language of the nationalist and socialist projects proclaimed by the various sides of the conflict. One common element was the faith in an all-Russian or all-Ukrainian uprising that would sweep the Bolsheviks from power. This belief served to help the insurgents explain to themselves and others why they continued to fight even in hopeless conditions. Viewed from this perspective, the political views of the peasant partisans were responses to the conditions of the Civil Wars. They often only had an instrumental purpose, but that does not mean that they were incidental to the insurgents’ activity.
This paper investigates these narratives by looking at cases from the Hryhor’iev rising in Ukraine to the Tambov rebellion in Russia.
Włodzimierz Borodziej, Warschau/Jena und Maciej Górny, Warschau:
The War After the War – Political Visions and Violence in the Eastern European Civil War
In November 1918, Europe was overflowing with ideas of redemption that had their root in various origins and ages. Some stemmed from the treasure chest of nineteenth century ideas of nationalism while others only gained attraction in the course of the Great War. All of these attempts aimed at dealing with the trauma of a war – a war that had apparently become senseless – by formulating visions for the future. At roughly the same time, this part of the continent was a venue for interwoven pacifist, socialist, peasant and national revolutions. Based on these notions, Tibor Hajdu sketched a tableau in 1986 which attempted to systematize the most common variations in these visions of the future in Central and Southeastern Europe.
Hajdu‘s theses form the starting point of this opening paper. This approach stands in conscious opposition to traditional, national narratives that focused mainly on their own struggle for independence or on the transnational commonalities of social revolutions. The hardships of war at the front, the starving hinterland and the degrading occupation, created a sort of open space for holistic visions that promised a fundamental change in the biographies of the new-fledged citizens and former subjects of the empires. This coincided with the experience of violence – almost self-evident after four years of a state of emergency – as a legitimate means for dealing with any conflicts stirred up by the dominant anti-imperial and revolutionary currents after 1918.
This paper focuses on questions that combine a traditional, political and intellectual history with research on violence in the First World War. Without such a link, the Central European Civil War cannot be understood.
Überblick
(Eva Schlotheuber, Düsseldorf, Clemens Rehm,
Überblick
(Eva Schlotheuber, Düsseldorf, Clemens Rehm, Stuttgart)
Bettina Joergens, Duisburg, Nicola Wurthmann, Marburg:
Archive
Christoph Mackert, Leipzig, Claudia Fabian, München:
Handschriftenzentren
Lena Vosding, Andreas Kistner, Düsseldorf:
Netzwerk Grundwissenschaften
Andrea Stieldorf, Bonn Jürgen Wolf, Marburg:
Wissenschaftliche Forschung
Abstract
Die Sektion schließt sich inhaltlich an die Aufforderung des VHD an, den kommenden Historikertag in Hamburg für eine Selbstreflexion über die Grundlagen des Faches zu nutzen. Die Kompetenz, schriftliche und materielle Originalquellen vergangener Zeiten entschlüsseln und für die eigene Fragestellungen fruchtbar machen zu können, ist die Grundvoraussetzung für die Arbeit aller historisch ausgerichteten Disziplinen. Die Fähigkeit zur adäquaten Erschließung und Quellenkritik der Originalüberlieferung markiert einen wesentlichen Unterschied zwischen Geschichtsinteresse und Forschung. Für die Vermittlung dieser Kompetenzen sind die Historischen Grundwissenschaften zuständig, die heute aus der deutschen Hochschullandschaft zu verschwinden drohen. Jenseits der Erschließung vormoderner Quellen sind jedoch mit der Zeitgeschichtsforschung neue Herausforderungen entstanden, für die profunde Kenntnisse der Medien- und Quellenkritik zentral sind. Dazu gehören die statistische Vermessung der Gesellschaft, visuelle, auditive und audiovisuelle Quellen sowie digitalisierte Massenquellen (etwa Zeitungen), die besondere Kompetenzen der Methodenkritik erfordern. Zudem ist die Geschichtswissenschaft nicht mehr in erster Linie national zentriert und die zunehmend globale Orientierung erfordert eine Quellenanalyse, die über die klassischen Aktenformate weit hinaus reicht. Ein nennenswerter Teil der für die historische Forschung und fachspezifische Informationssysteme bereitgestellten Gelder wird dementsprechend für Digitalisierungsvorhaben und moderne Verwaltungssysteme der Digitalisate aufgewendet, was grundsätzlich sehr zu begrüßen ist. Nur läuft diese sinnvolle Investition wissenschaftlich ins Leere und kann ihr Potential nicht entfalten, wenn die wissenschaftliche Community sukzessive die Fähigkeit verliert, dieses immense und zunehmend besser zugängliche kulturelle Erbe adäquat zu erschließen und für die eigene Forschung fruchtbar zu machen.
Die „digitale Wende“ erfordert somit erweiterte und vertiefte Kompetenzen sowohl der klassischen Quellenkritik als auch der Medienkritik. Die Entgrenzung des Zugangs zu historischen Originalquellen durch Digitalisierung und Open Access muss mit einer wachsenden Kompetenz der heutigen und zukünftigen Nutzerinnen und Nutzer einhergehen. Nur so können wissenschaftliche Standards nachhaltig gewahrt werden und die Forschungsergebnisse international standhalten. Diese Kompetenzen zu vermitteln, gehört zu den genuinen Aufgaben der universitären Ausbildung der Geschichtswissenschaften. Mit der augenblicklichen Ausstattung der historischen Institute oder Seminare ist diese gewachsene und im Prozess der digitalen Wende aktuelle dringliche Aufgabe aber nicht zu leisten. Diese Sektion möchte die Situation aus verschiedenen Perspektiven, nämlich der bestandhaltenden Institutionen (Bibliotheken und Archive) sowie der Wissenschaft und des Nachwuchses darstellen sowie mögliche Lösungswege diskutieren.
Problematik aus Sicht der Archive
In der digitalen Welt erfährt der Umgang mit historischem Material einen radikalen Wandel. Zum einen werden Bilder und Dateien räumlich und zeitlich unbegrenzt verfügbar gemacht. Zum anderen ist es jeder Person möglich, eigenständig Informationen ins Netz zu stellen. Darüber hinaus verändert im digitalen Zeitalter – was weniger bekannt ist – auch das übernommene Archivgut seine Erscheinungsformen und Aussagewerte.
Angesichts dieser Situation erhalten die schon von jeher zentralen archivischen Kategorien ‚Ordnung‘ und ‚Struktur‘ neue Relevanz für die Interpretation historischen Materials. Zur quellenkritischen Interpretation der ‚Quellen von morgen‘ wird es darüber hinaus wichtig, sich mit den Prozessen der Entstehung von Informationen in modernen Verwaltungen vertraut zu machen. Archivarinnen und Archivare tragen daher mit ihren archivwissenschaftlichen Fachkenntnissen zur aktuellen Diskussion über Grundwissenschaften bei.
Problematik aus Sicht der Bibliotheken
Die historischen Quellenbestände in den wissenschaftlichen Bibliotheken werden von einer weiterhin archivzentrierten Geschichtswissenschaft zu wenig wahrgenommen und genutzt. Gleichzeitig erweitert sich durch die digitale Wende das Angebot und die Zugänglichkeit zu diesen Quellen dramatisch. Die DFG-Pilotphase Handschriftendigitalisierung, aber auch die DFG-geförderten Digitalisierungsprogramme für Alte Drucke sind hier Meilensteine. Jüngst angestoßen wurde der Aufbau eines neuen zentralen Handschriftenportals, das einen wichtigen Beitrag zu einer virtuelle Forschungsumgebung für das Handschriftenerbe leisten wird. Den wissenschaftlichen Nachwuchs für diese Angebote zu sensibilisieren und die Nutzerbedürfnisse der neuen Forschergenerationen adäquat bei Erschließung und Präsentation zu bedienen, ist eine wichtige infrastrukturelle Aufgabe der Bibliotheken. Auf der anderen Seite bedarf es intensivierter Qualifizierungsmaßnahmen der universitären Ausbildung, damit Kompetenzen wie paläographische oder kodikologische Kenntnisse sowie Arbeitstechniken der Digital Humanities vertieft erworben und die Angebote der Bibliotheken adäquat genutzt werden können. Auch für die Qualifizierung künftigen Bibliothekspersonals ist dies von zentraler Bedeutung.
Problematik aus Sicht des wissenschaftlichen Nachwuchses
Ein Erfahrungsaustausch des wissenschaftlichen Nachwuchses (Anf. Des Jahres 2015 an der LMU) hat gezeigt, dass die Möglichkeit, die Qualifikationsarbeiten auf der Basis nicht edierte Quellen zu schreiben, unmittelbar mit der Qualität der universitären Ausbildung zusammenhängt. Ebenso wurde deutlich, dass die Vermittlung dieser Fähigkeiten inzwischen sehr vom Standort und / oder von der Lehre engagierter Einzelpersonen abhängt. Der wissenschaftliche Nachwuchs erkennt aus seiner Perspektive die veränderte Situation bzw. die Mängel mit besonderer Schärfe. Die in München aus der Taufe gehobene Initiative eines Nachwuchsnetzwerkes ‚Historische Grundwissenschaften‘ möchte hier ansetzen und speziell dem graduierten Nachwuchs an deutschen Forschungseinrichtungen eine Stimme geben.
Problematik aus Sicht der Wissenschaft
Für die Wissenschaft sind die Originalquellen die Basis jeder Erkenntnis. Selbst komplexe Vorstellungswelten, Forschungsthesen und Theoriegebäude verlangen immer wieder danach, auf die materialen Grundlagen zurückgeführt zu werden. Diese Quellengrundlagen eines Tages nicht mehr verstehen, nicht mehr lesen zu können, oder gar sie überhaupt nicht mehr zu (er)kennen, würde den Verlust des wissenschaftlichen Zugangs bedeuten – mit erheblichen Folgen auch für die Forschungen der Nachbardisziplinen. Die grundwissenschaftliche Forschung sieht sich einem zunehmenden Rechtfertigungsdruck auch innerhalb der Fächer Geschichte und Germanistik (Altgermanistik) ausgesetzt; dies macht sich beispielsweise bei Stellen(wieder)besetzungen und Drittmittelanträgen bemerkbar. Dem kann nur entgegengewirkt werden, indem die inhaltlichen und methodischen Stärken der grundwissenschaftlichen Disziplinen offensiv vertreten werden. Die Problematik des Verlusts von Kompetenzen soll sowohl aus der Sicht des Fachs (AG Grundwissenschaften) also auch aus Sicht der benachbarten Philologien (Germanistik) in den möglichen Perspektiven bzw. (negativen) Konsequenzen analysiert und diskutiert werden.
Zeit
(Mittwoch) 9:00 - 11:00
Ort
HWF-121
Hauptgebäude Westflügel
MIT21SEP9:00- 12:00Geschichtsglauben/ Belief in History9:00 - 12:00 PHIL-C
Überblick
(Christoph Dartmann, Hamburg, Kaja Harter-Uibopuu,
Überblick
(Christoph Dartmann, Hamburg, Kaja Harter-Uibopuu, Hamburg)
Christoph Dartmann, Hamburg:
Einführung
Vinay Lal, Los Angeles:
World History and History in the World: Some Dissenting and Futurist Thoughts on Studying the Past
Kaja Harter-Uibopuu, Hamburg:
(Re-)Konstruktionen von Geschichte in der griechischen Polis
Christoph Marx, Duisburg-Essen:
Die Siedler von Ophir. Geschichtsmythen und Legitimationsideologien in Rhodesien (Zimbabwe)
Christoph Dartmann, Hamburg:
Politik und Wissenschaft während der Etablierung einer universitären Mittelalterhistorie
Angelika Schaser, Hamburg:
»Voraussetzunglose Geschichtswissenschaft« und »katholische Geschichtsschreibung« zu Beginn des 20. Jahrhunderts
Achim Landwehr, Düsseldorf:
Kommentar
Zeit
(Mittwoch) 9:00 - 12:00
Ort
PHIL-C
Philosophenturm
Überblick
Joint Session VHD, Indian Council
Überblick
Joint Session VHD, Indian Council for Historical Research, Indian History Congress
Round table
– Ishrat Alam, Aligarh
– Ravindram Gopinath, Neu Delhi
– Arun Kumar Bandopadhyaya, Kalkutta
– Andreas Gestrich, London
– Harriet Rudolph, Regensburg
– Herman Kulke, Kiel
– Lutz Raphael, Trier
– Y. Sudershan Rao, Neu-Delhi
– Narayan Rao, Neu-Delhi
– Ishwar Sharan Vishwakarma, Gorakhpur
Welcome speech: Y. Sudershan Rao, Neu Delhi; Martin Schulze Wessel, München
Moderation: Andreas Eckert, Berlin
Zeit
(Mittwoch) 9:00 - 12:00
Ort
H-Hörsaal M
Hauptgebäude
Überblick
Joint Session VHD, German Book
Überblick
Joint Session VHD, German Book Office, Börsenverein des Deutschen Buchhandels
Podiumsdiskussion:
Moderation: Nora Hilgert, VHD
Detlef Felken, C. H. BECK
Tanja Hommen, S. Fischer
Thedel von Wallmoden, Wallstein
Indira Chandresekhar, Tulika Books
Sunandan Roy Chowdhury, Sampark
Mandira Sen, Stree/Samya
Zeit
(Mittwoch) 9:00 - 11:00
Ort
H-Hörsaal J
Hauptgebäude
Überblick
(Dorothea Weltecke, Konstanz) Sina Rauschenbach, Potsdam: Narratives
Überblick
(Dorothea Weltecke, Konstanz)
Sina Rauschenbach, Potsdam:
Narratives of Violence: Jewish Chronicles in the Aftermath of the Expulsion from Spain (1492)
Nora Berend, Cambridge:
Triggers of Violence: Disrupted Equilibrium in Medieval Hungary
Zara Pogossian, Rom:
Rhetoric of Violence vs. Accommodation and Competition for Territory Control: The Case of IX c. Vaspurakan (Armenia)
Alexandra Cuffel, Bochum:
Violence by Pen and Rumor: Muslim Accusations of Dhimmi Oppression and Alliance and their Use by Christians and Jews, 12th–14th centuries
Dorothea Weltecke, Konstanz:
Comparing Acts of Religious Violence between Medieval Christian and Muslim societies
Abstracts (scroll down for English version):
Glaubensfragen sind unter anderem Fragen nach religiöser Gewalt. Welche Faktoren befördern das Zusammenleben unterschiedlicher Religionen und welche führen zur religiösen Gewalt? Die Gegenwart hat diese Frage in ungeahnter Härte wieder aufgeworfen. Diese Sektion möchte historische Tiefenschärfe bieten, indem sie den Blick auf unterschiedliche religionsplurale Regionen des Mittelalters und ihre Formen von Koexistenz und religiöser Gewalt im inneren und äußeren lenkt.
In den vergangenen Jahren hat sich die transreligiöse Forschung im Bereich des europäischen und des asiatischen Mittelalters sehr lebhaft entwickelt. Es geht nicht mehr um den Nachweis, dass religiöse Pluralität diese Regionen im Mittelalter geprägt hat. Auch ist inzwischen unbestreitbar, dass überall ein Wechsel zwischen relativer Balance im Zusammenleben der religiösen Gruppen und wiederkehrenden Wellen von Gewalt bestand. Diese Konjunkturen sind ein Aspekt der für die mittelalterlichen Jahrhunderte typischen Konstellationen religiöser Pluralität. Diese waren intern durch Machtkonfigurationen strukturiert, in denen Religion Herrschaft begründete und, neben anderen, eine Kategorie rechtlicher, sozialer und ökonomischer Ungleichheit war. Nach außen begründete Religion spezifische Formen von Kriegshandlungen. Die interreligiösen Beziehungen haben die religiösen Traditionen des eurasischen Raums miteinander verflochten und sie deshalb auch diachron gemeinsamen Dynamiken unterworfen.
Die Sektion verfolgt in diesem Rahmen zwei Ziele: Zum einen werden in Detailstudien bedeutender religionspluraler Regionen von der Iberischen Halbinsel bis zum Vorderen Orient und zum Kaukasus die Mechanismen in ihren je spezifischen Formen untersucht. Auf der anderen Seite werden regionale Ergebnisse miteinander verbunden und auf ihre Verallgemeinerbarkeit überprüft, um die übergreifende Modellbildung für die diachron typischen Formen religiöser Pluralität im Mittelalter voranzutreiben.
Die Arbeitsgebiete der fünf Rednerinnen sind wissenschaftsorganisatorisch in unterschiedlichen Disziplinen (Mediävistik, Orientalistik, Judaistik, Armenologie etc.) angesiedelt.
Sina Rauschenbach, Potsdam:
Narrative der Gewalt: Jüdische Chroniken nach den Vertreibungen und Zwangstaufen der iberischen Juden (1492-98)
Seit der Veröffentlichung von Yosef Hayim Yerushalmis „Zahkhor“ (1982) diskutieren Historikerinnen und Historiker über Zäsuren in der jüdischen Historiographiegeschichte und den Stellenwert jüdischer Chroniken, die nach den Vertreibungen und Zwangstaufen der iberischen Juden (1492-1498) verfasst wurden. Meinungsverschiedenheiten bestehen vor allem darüber, wie und ab wann zwischen ‚mittelalterlichen‘ und ‚modernen‘ Formen jüdischer Erinnerung zu unterscheiden sei. Darstellungen wie Salomon ibn Vergas „Shevet Yehuda“ (Das Zepter von Jehuda, 16. Jh.) fanden zusätzlich wegen ihrer ‚säkularen‘ Perspektiven und ihrer Tendenz, jüdische Verfolgungsgeschichte weniger mit religiösen, denn mit politischen und sozialen Argumenten zu erklären, Beachtung. Dennoch fehlen selbst im Falle von „Shevet Yehuda“ Studien, die sich allgemein den Narrativen von Gewalt und den erzählerischen Nuancen widmen, mit denen im selben Buch Verfolgungen in unterschiedlichen historischen und geographischen Kontexten beschrieben werden. In meinem Vortrag nutze ich „Shevet Yehuda“ und ähnliche Chroniken, um zu analysieren, wie sich Juden im 16. Jahrhundert an Konstellationen, Täter, Opfer und Folgen von Gewaltausbrüchen in der jüdischen Diaspora zwischen Antike und dem Mittelalter erinnerten und wie in diesem Zusammenhang Koexistenz und Verfolgung, soziale Brüche und Gewaltspiralen interpretiert wurden. Dabei geht es im Falle Ibn Vergas auch um die schwierige Frage jüdischer Mitschuld an anti-jüdischen Vorurteilen und Gewaltausbrüchen. Autoren, die neben Ibn Verga in den Blick genommen werden, sind Elijah Capsali, Joseph ha-Cohen, David Gans und Samuel Usque.
Nora Berend, Cambridge:
Auslöser von Gewalt: Gestörtes Gleichgewicht im mittelalterlichen Ungarn
Dieser Beitrag soll die Auslöser, die die Koexistenz von verschiedenen religiösen Gruppen störten, untersuchen. Gemeinschaften, die für einige Zeit friedlich nebeneinander gelebt hatten, waren plötzlich nicht mehr dazu in der Lage. Was löste die zunehmende Gewalt einer Gruppe gegen die andere aus? Was waren die Umstände und Einflüsse, die diese Feindseligkeit erzeugten? Der Beitrag behandelt unterschiedliche Fälle, die religiöse Minderheiten aus dem Königreich Ungarn vom elften bis zum fünfzehnten Jahrhundert betrafen. Die Mehrheit der Bevölkerung im Königreich war katholisch während orthodoxe Christen, Juden, Muslime und Steppennomaden zu der numerischen Minderheit gehörten. Ziele der von Katholiken ausgeübten Gewalt waren nicht nur abweichende religiöse Gemeinschaften, sondern auch Gruppen, die sich durch Sprache und Herkunft unterschieden, wie beispielsweise deutsche Immigranten. Die Akteure, die sich an den Gewaltakten beteiligten, konnten aus unterschiedlichen Gruppen wie der einfachen Bevölkerung oder dem Adel entstammen. Dieser Beitrag konzentriert sich auf die Frage der in den Quellen dargestellten agency und der Motivation.
Zara Pogossian, Rom:
Rhetoriken der Gewalt oder der Annäherung und der Konkurrenzkampf um territoriale Herrschaft. Das Beispiel Vaspurakans (Armenien) im neunten Jahrhundert
Dieser Beitrag soll die Lage in der Provinz Vaspurakan im armenischen Großraum in der zweiten Hälfte des neunten Jahrhunderts untersuchen. Ich werde zunächst die jeweiligen Rhetoriken der Gewalt beziehungsweise der Annäherung, wie sie in den Quellen des neunten Jahrhunderts aus dieser Region belegt sind, aufzeigen und zwar gegenüber islamischen Herrschern unterschiedlicher politischer Bedeutung, d.h. lokalen Emiren oder dem abbasidisches Kalif. Die zu analysierenden Quellen schließen Historiographie, Hagiographie und Kolophone ein und ermöglichen somit unterschiedliche Blickrichtungen auf dieselben Probleme. Ich werde versuchen ein Bild davon zu zeichnen, wie Gewalt gegen Muslime in Fällen lokaler politischer Konkurrenz und dem Kampf um territoriale Herrschaft auftrat. Die Autoren der Quellen sind versöhnlicher, wenn sie die Herrscher im Zentrum des abbasidischen Kalifats – Samarra – behandeln. Meine Hypothese ist, dass wir hier anstatt „religiöser Polemiken“ um ihrer selbst Willen Beispiele politischen Wettkampfes beobachten, in dem Entscheidungen zwischen Gewalt oder Annäherung nach politische Interessen gefällt werden.
Alexandra Cuffel, Bochum:
Gewalt durch Feder und Gerücht: Muslimische Vorwürfe der Unterdrückung und Verbündung der Dhimmis mit Feinden sowie deren Nutzung durch Christen und Juden, 12.-14. Jahrhundert
Schon in der Zeit der Abbassiden hatten Muslimen einige christliche Gemeinschaften, die nahe der Grenze oder in umstrittenen Gebieten wohnten, umgesiedelt oder strenge Maßnahmen gegen sie initiiert, weil sie vorgeblich die Bereitschaft der Christen fürchteten, sich mit anderen Christen oder nicht-muslimischen Mächten zu verbünden. Durch die Kreuzzüge wurde diese Furcht ausgeprägter und spiegelte teilweise die tatsächliche Hoffnung einiger lateinischer Christen auf eine Allianz mit „östlichen“ Christen wider, seien sie koptisch, äthiopisch oder Angehörigen anderer Konfessionen. Dieser Beitrag analysiert die Auswirkungen dieser Hoffnungen und Gerüchte auf muslimische Polemik und Politik. Diese war häufig mit der Kritik verbunden, dass Dhimmis (oft Kopten), zuviel Regierungsmacht innehätten und diese Macht benutzten, um Muslimen zu unterdrücken und zu verfolgen. Zahlreiche polemische Traktate, Fatwas oder ganze Bücher, wie zum Beispiel Ibn Qayyim al-Jawziyas Akham ahl al-Dhimmah, wurden der Beschreibung des angemessenen Status und des korrekten Verhaltens religiöser Minderheiten unter islamischer Herrschaft im Kontrast zur Gegenwart gewidmet. Juden und Christen, die sich dieser muslimischen Ängste bewusst waren, versuchten diese zu nutzen, um die muslimischen Autoritäten dazu zu bewegen gegen Mitglieder anderer Dhimmi-Gemeinschaften Maßnahmen zu ergreifen. Dies taten sie entweder, weil bestimmte Personen Probleme für eine oder mehrere konkurrierende Dhimmi-Gemeinschaften verursachten, oder weil sie hofften, aus dem Machtvakuum, welches aus dem Untergang eines mächtigen Nicht-Muslims resultierte, zu profitieren. Die Aktivitäten bezog sich auch auf Christen oder Juden außerhalb des eigentlichen muslimischen Herrschaftsgebietes. Im zwölften Jahrhundert nutzte der koptische Patriarch Gabriel die muslimische Angst vor der Macht der Äthiopier um den fatimidischen Kalif zu überzeugen, die von Gabriel befürwortete Kirchenpolitik und nicht die Forderungen der Äthiopier umzusetzen. Später jedoch verursachte die wachsende Angst der Muslime und ihre Kenntnis der Bestrebungen der lateinischen Christen, sich mit den Äthiopiern zu verbünden, zunehmende Belastungen für die Kopten. Manipulation der muslimischen Ängste gegen andere Christen oder andere Dhimmis führte manchmal dazu, dass die betrefffende Gruppe bevorzugt wurde. Auf der anderen Seite befeuerte diese Aktionen auch Pogrome, Hinrichtungen und den Verdacht der Muslime, dass Dhimmis, obwohl sie keine direkte Gewalt gegen Muslime ausübten, ihre Ziele als Beamte und geheime Verbündete der Feinde der Muslime verfolgten. Das Ziel des Beitrags ist die Untersuchung der Verbindung zwischen echter und imaginierter Gewalt zwischen Muslimen und Dhimmis, und deren Auswirkungen auf die Beziehungen der verschiedenen Gemeinschaften der Dhimmis.
Dorothea Weltecke, Konstanz:
Religiöse Gewaltakte von mittelalterlichen christlichen und muslimischen Gesellschaften vergleichen
Religiöse Gewalt ist heutzutage in den öffentlichen Debatten sehr präsent. In den Geisteswissenschaften ist Gewalt in unterschiedlichen Disziplinen bereits intensiv untersucht worden. Die von den Religionswissenschaften entwickelten Großtheorien betrachten Religion als Ursache für Gewalt, während sozialwissenschaftliche Theorien dies häufig nicht tun. Historiker haben religiöse Gewaltakte detailliert untersucht, aber diskutieren gewöhnlich die soziologischen Gewalttheorien nicht. Deshalb gibt es überraschenderweise keine systematische Geschichte religiöser Gewalt. Doch wäre ein genuin historischen Beitrag zu der Debatte über religiöse Gewalt möglich und wie würde dieser aussehen?
Als einen ersten Versuch die Frage zu beantworten, soll mittelalterliche religiöse Gewalt mit Blick auf neuere Studien diskutiert werden. Obwohl das Mittelalter emblematisch für religiöse Gewalt geworden ist und viele Ereignisse bereits seit über einem Jahrhundert intensiv untersucht werden, wurden nur wenige Versuche unternommen diese vergleichend und im Bezug zu aktuellen methodologischen Entwicklungen zu betrachten. Allgemeine Begrifflichkeiten wie „das Christentum“ oder „der Islam“ dominieren die Forschung, in der häufig das lateinische Christentum einer diachronisch und geographisch undifferenzierten Vorstellung von „Islam“ gegenübergestellt wird. Der Stand der Forschung über religiöse Gewaltakte gegen Minderheiten in christlichen und islamischen Gebieten ist sehr disparat. Mit Blick auf die aktuellen Herausforderungen wird der Beitrag neue Wege für die vergleichende Erforschung der religiösen Gewalt zwischen Osten und Westen aufzeigen.
Abstracts (English version):
Religious Violence and Precarious Equilibrium: Transcultural Studies from the Iberian Peninsula to the Caucasus
Questions of faith are also questions of religious violence. Which factors benefit the coexistence of different religions and which lead to religious violence? The present has brought these questions back into the fore with previously unimagined force. The section offers depth regarding historical answers by shedding light on different multireligious regions in the Middle Ages and the types of coexistence and religious violence encountered both in and outside of these communities.
Transreligious research regarding the Middle Ages in Europe and Asia has experienced a fairly vivacious development in recent years. Proving that religious plurality shaped these areas in the Middle Ages is no longer the point. The pervasive alternation of comparatively balanced coexistence of different religious communities and reoccuring surges of violence is also indisputable now. These developments are an element of the typical configurations of religious plurality in the Middle Ages. These were internally shaped by structures of power, in which rule was based on religion and in which religion served as a factor of legal, social and economical inequality. In relation to other communities religion could justify specific types of war. Interreligious relations intertwined the religious traditions of the Eurasian region, which were therefore diachronically subjected to the same dynamics.
In this context, the section aims has two objectives: On the one hand, detailed studies of the specific configurations of these mechanisms in important, mulitreligious regions from the Iberian peninsula to the Caucasus will be presented. On the other hand, the outcome of these regional studies will be combined on a more abstract level and tested in order to develop generic models of the diachronically specific forms of religious diversity in the Middle Ages.
The fields of study of the five speakers belong to different disciplines such as medieval, Middle Easter, Jewish or Armenian studies.
Sina Rauschenbach, Potsdam:
„Narratives of Violence: Jewish Chronicles in the Aftermath of the Expulsion from Spain (1492)“
Since the publication of Yosef Hayim Yerushalmi’s “Zakhor” (1982), scholars have been in intense discussions over the status of Jewish post-expulsion chronicles within the history of Jewish memory and historiography. One of these scholars’ main goals has been to distinguish between “medieval” and “modern” forms of Jewish memory and thought. Chronicles such as Salomon ibn Verga’s “Shevet Yehuda” (The Sceptre of Judah, 16th century) have also been in the spotlight for their supposed secularizing tendencies as well as their obvious shift from religious to social and political interpretations of the history of the Jews. However, even in the case of “Shevet Yehuda,” little effort has been made to analyze narratives of violence and what their manner of portrayal might reveal about contemporary attitudes towards the different historical and geographical contexts they describe. In my paper, I will refer to “Shevet Yehuda” and similar chronicles to reveal sixteenth-century ways of remembering situations, actors, victims and outcomes of violent outbreaks in the course of Jewish Diaspora history in both Antiquity and in the Middle Ages. Special attention will be paid to descriptions of co-existence and persecution, social ruptures and spirals of violence. I will also explore the difficult question of supposed Jewish contributions to anti-Jewish prejudice and victimisation. Apart from Ibn Verga, the authors to be discussed will be Elijah Capsali, Joseph ha-Cohen, David Gans, and Samuel Usque.
Nora Berend, Cambridge:
Triggers of Violence: Disrupted Equilibrium in Medieval Hungary
This paper will investigate the triggers that disrupted the coexistence of divergent religious groups. Communities that lived side by side for some time were suddenly no longer able to continue their peaceful coexistence. What led to escalating violence by one community against the other? What were the conditions and factors that created hostility? The paper will consider a range of cases affecting religious minorities from the kingdom of Hungary, from the eleventh to the fifteenth century. The majority population in the kingdom was Catholic, while minorities included Orthodox Christians, Jews, Muslims, and steppe nomads. Targets of violence by Catholics included not only divergent religious communities, but others defined by language and origin, such as German immigrants. Actors who participated in violence varied from commoners to high-ranking nobles. The paper will focus closely on questions of agency and motivation as depicted in the medieval sources.
Zara Pogossian, Rom:
Rhetoric of Violence vs Accommodation and Competition for Territory Control: the Case of IX c. Vaspurakan (Armenia)
This paper will explore the situation in the Province of Vaspurakan in Greater Armenia in the second half of the IX c. I will first present the rhetoric of violence or accommodation that appears in IX century sources from the region with respect to Islamic rulers of various political importance, i.e. local emirs vs the Abbasid Caliph.
The sources to be treated include historiography, hagiography and colophons, thus, allowing a diverse view on the same issues. I will attempt to sketch a picture of how violence against Muslims appears in cases when we are dealing with local power politics and competition for territory control. Often, however, when discussing the rulers at the center of the Abbasid Caliphate — Samarra — the sources are more accommodating. My hypothesis is that rather than „religious polemic“ for its own sake we are here witnessing an example of political competition where violence vs accommodation seem to follow general political concerns.
Alexandra Cuffel, Bochum:
Violence by Pen and Rumor: Muslim Accusations of Dhimmi Oppression and Alliance and their Use by Christians and Jews, 12th -14th Centuries
Already in the Abbasid period, Muslims occasionally relocated or instigated harsh policies against Christian communities living near border or disputed areas, seemingly for fear of Christians’ potential willingness to ally with Christian or other non-Muslim powers. With the crusades, this fear became more pronounced, and reflected in part, the very real hope on the part of some Latin Christians of an alliance with Eastern Christians, whether Coptic, Ethiopian or other. What this paper will examine is the impact of these hopes and rumors on Muslim anti-Christian polemic and policies, coupled with increasing criticism by Muslims that dhimmis, most often, though not always, Coptic Christians, wielded too much governmental power and used their positions to oppress or do “violence” to Muslims. Numerous polemical tractates, fatwas, or entire books, such as Ibn Qayyim al-Jawziya’s Akham ahl al-Dhimmah, were dedicated to describing the proper status and behavior of religious minorities under Muslim rule in contrast to the current state of affairs, in addition to comments in Muslim chronicles. Jewish and Christian communities, aware of these Muslim concerns, used them in their attempts to manipulate Muslim authorities to act against members of other dhimmi communities to displace them, either because the individuals in question were causing problems for one or more competing dhimmi communities, or simply in hopes of benefiting from the power vacuum which would ensue if the powerful non-Muslim who was in power, were cast down. This strategy extended to Christians and Jews outside the direct rule of Muslims. In the twelfth century, the Coptic patriarch Gabriel used Muslim fears of Ethiopian power over Muslims to convince the Fatimid caliph to favor the church policy Gabriel preferred over the requests of the Ethiopians. Later however, increased Muslim fears and awareness of Latin aspirations for an alliance with the Ethiopians caused increase pressure on the Coptic community. Inter-dhimmi or inter-Christian manipulations of Muslim fears sometimes resulted in policies favoring those who engaged in this strategy, however, it also fueled outbreaks of mob-violence, executions, and Muslim suspicion that dhimmi, while not engaging in direct violence against Muslims, achieved the same ends by their pens as governmental officials and secret allies of Muslim enemies. Part of the aim of this paper will be to explore the relationship between real and imagined violence between dhimmis and Muslims, and the impact of both on relations between different dhimmi communities.
Dorothea Weltecke, Konstanz:
„Comparing Acts of Religious Violence between Medieval Christian and Muslim societies
Religious violence is very present in today’s public debates. In the humanities, violence has been studied intensively in different disciplines. The megatheories developed by the religious studies often assume religion as a cause of violence, while sociological theories in general do not. Historians have studied acts of religious violence in various ways, but do not usually discuss the contradicting theoretical strands or develop their own methodological approach. Surprisingly, therefore, there is no proper history of religious violence. Could there be a genuine historical contribution to the debate on religious violence and what would it look like?
In a first attempt to answer this question, medieval religious violence will be discussed in the light of recent sociological studies. While the Middle Ages are emblematic for their religious violence and many events have been studied at great depth for over a century, few attempts have been made to study it in a comparative manner or taking account current methodological developments. Generic terms like “Christianity” or “Islam” dominate the research, mostly designating “Latin Christianity” as opposed to some diachronically and geographically undifferentiated notion of “Islam”. The state of research on violent acts against minorities is very uneven regarding Christian versus Muslim ruled areas. Regarding the discussion of present challenges, the paper will present some avenues for future research in comparing religious violence between East and West.
Überblick
(Jürgen Kocka, Berlin) Jürgen Kocka, Berlin: Einleitung,
Überblick
(Jürgen Kocka, Berlin)
Jürgen Kocka, Berlin:
Einleitung, Schlussdiskussion
Ute Deichmann, Köln:
Der Beginn deutsch-israelischer Zusammenarbeit in den Naturwissenschaften – Motive, Erfolge, moralische Kosten und Hintergedanken
Jürgen Renn/Thomas Steinhauser, Berlin:
Wendepunkte der deutsch-israelischen Kooperation in den Naturwissenschaften
Gabriel Motzkin/Yfaat Weiss, Jerusalem:
Wissensexport als Außenpolitik: zur Rolle der Geisteswissenschaften in den deutsch-israelischen Beziehungen
Jenny Hestermann, Frankfurt am Main:
Fördern auf Augenhöhe? Die Rolle der Stiftungen in der deutsch-israelischen geisteswissenschaftlichen Kooperation
Abstract:
Allgemeine Zeitgeschichte und Wissenschaftsgeschichte enger zu verzahnen ist ein wichtiges Desiderat der Forschung. Dazu soll die Sektion beitragen. Wie wirkten Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft bei den belasteten Neuanfängen in den Beziehungen zwischen der BRD und Israel seit den1950er Jahren zusammen? Üblicherweise wird angenommen, dass die Naturwissenschaften dabei die Rolle eines „Eisbrechers“ spielten, dessen sich die Politik bediente. Trifft diese Sichtweise zu? Was bedeutete die politisch-wissenschaftliche Zusammenarbeit für die Weichenstellungen, die Form und vielleicht auch die Inhalte der wissenschaftlichen Arbeit, zunächst in den Natur- und Technik-, bald auch in den Geisteswissenschaften? Wie beeinflussten sich die Entwicklungen in den Natur- und den Geisteswissenschaften gegenseitig? Wie abhängig war, wie unabhängig blieb Wissenschaft? Welche Rolle spielten die Öffentlichkeiten und nicht-staatliche Organisationen wie Stiftungen und die Max Planck- Gesellschaft?
Derzeit sind Forschungen zu dieser Thematik im Gange: in Jerusalem (Franz Rosenzweig Minerva Forschungszentrum, Van Leer Institut), in Beer-Sheva (Ben Gurion Universität), in Frankfurt (Fritz Bauer-Institut) und in Berlin (im Zusammenhang eines Forschungsprogramms zur Geschichte der MPG am MPI für Wissenschaftsgeschichte). Die Sektion soll Zwischenergebnisse darstellen, miteinander in Beziehung setzen und das Thema der kritischen Diskussion öffnen.
Im ersten Beitrag (Deichmann) wird der Beginn der deutsch-israelischen Kooperationen in den Naturwissenschaften genauer untersucht. Welche Motive und Absichten standen hinter den frühen naturwissenschaftlichen Beziehungen? Die von wenigen Wissenschaftlern initiierte Kooperation, die bald politische Unterstützung fand, führte innerhalb weniger Jahre zu einer groß angelegten Zusammenarbeit. Diese basierte z.T. auf stilisierten und unzutreffenden Vorstellungen über die angebliche Distanz deutscher Wissenschaftler und von Institutionen wie der Kaiser Wilhelm-Gesellschaft gegenüber dem Nationalsozialismus. Die naturwissenschaftliche Zusammenarbeit entwickelte sich von einer vor allem politisch und materiell motivierten in eine inhaltlich fundierte und kooperative Forschung mit hohem wissenschaftlichen Standard.
Im zweiten Beitrag (Renn/Steinhauser) werden verschiedene Phasen der bilateralen naturwissenschaftlichen Projekte vom Ende der 1950er bis in die 1980er Jahre identifiziert. Aus institutionell und fachlich sehr begrenzten Anfängen entwickelte sich schrittweise ein stabiles, vielfältiges Kooperationsnetzwerk. Wie wirkten politische und wissenschaftliche Faktoren zusammen? Blieb das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Politik stabil oder gab es Veränderungen? Welche Rolle spielten dabei das Wissen über die Ereignisse von Gestern und der Glaube an die Möglichkeiten von Morgen?
Im Vergleich zu den Naturwissenschaften setzte die bilaterale Kooperation in den Geisteswissenschaften später ein. Im Zuge der Ausarbeitung von Richtlinien für Beziehungen mit Deutschland in den Sektoren Bildung und Kultur war es noch in den frühen 1960er Jahren zu heftigen Auseinandersetzungen in der israelischen Knesset und zur Verabschiedung von Bestimmungen gekommen, die eine Zusammenarbeit mit Deutschland auf diesem Gebiet nur in sehr beschränktem Maße zuließen. Wie konnte trotzdem spätestens zu Anfang der 1970er Jahre auch eine erhebliche deutsch-israelische Forschungskooperation in den Geisteswissenschaften zustande kommen, vor allem in den Fächern Germanistik und Geschichte? Welches waren die treibenden Kräfte und die maßgeblichen Akteure, welches die Hindernisse und Einschränkungen – mit welchem Ergebnis und mit welchen Auswirkungen, nicht nur, aber auch für die Wissenschaften und Wissenschaftler? Damit befassen sich der dritte und vierte Beitrag.
Der dritte Beitrag (Motzkin/Weiss) richtet sein Interesse auf die deutsch-israelischen Kulturbeziehungen, auf Strategien der deutschen und der israelischen Wissenschaftspolitik sowie auf Reaktionen in der öffentlichen Meinung besonders Israels. Dazu werden die Situationen an der Hebräischen Universität in Jerusalem und der Universität Haifa als konkrete Beispiele kurz skizziert, wo deutsche intellektuelle Traditionen stark waren. Es wird untersucht, aus welchen Gründen die Wirkung der Kooperation mit der deutschen Geschichtswissenschaft in Israel bedeutender war als die mit der Germanistik. In welchem Verhältnis standen israelischen Erwartungen und deutsche auswärtige Kulturpolitik? Hat diese die Kulturlandschaft Israels beeinflusst und wenn ja, wie?
Der vierte Beitrag (Hestermann) beschäftigt sich mit den Bedingungen und Förderungspolitiken der staatlichen wie privaten deutschen Stiftungen, die am Aufbau der geisteswissenschaftlichen Kooperation mit Israel seit den späten 1960er Jahren beteiligt waren. Er geht der Frage nach, wie die von deutscher Seite gewährte Finanzierung von Forschungen in Germanistik und Geschichtswissenschaft die Entstehung wissenschaftlicher Netzwerke zwischen Israel und Deutschland beeinflusste. Welche Erwartungen und Motive standen am Anfang der Förderungspolitik und von wem wurde diese maßgeblich geleitet? Wie wandelte sich beispielsweise die politische Agenda der Minerva-Stiftung im Lauf der Jahrzehnte? Welches waren die institutionellen Hintergründe, Interessen und Erwartungen des früheren BMFT (später BMBF), des Außenministeriums, der DFG sowie des DAAD?
Ziel der Sektion ist es, eine kritische Bestandsaufnahme der Geschichte der deutsch- israelischen Wissenschaftsbeziehungen vorzunehmen, mit Schwerpunkt auf der Zeit bis in die 1970er Jahre aber perspektivisch darüber hinaus. Es geht um Wissenschaftsgeschichte als Zeitgeschichte.
Zeit
(Mittwoch) 9:00 - 11:00
Ort
H-Hörsaal C
Hauptgebäude
Überblick
(Annette Schmiedchen, Berlin) Annette Schmiedchen, Berlin: Einführung Katrin
Überblick
(Annette Schmiedchen, Berlin)
Annette Schmiedchen, Berlin:
Einführung
Katrin Einicke, Halle:
Stiftungspraxis in Indien: Normative Grundlagen und persönliche Motivation der Akteure
Walter Slaje, Halle:
Religiöse Konkurrenz zwischen Buddhismus, Hinduismus und Islam im mittelalterlichen Kaschmir
Ignacio Sánchez, Warwick:
Endowment Practices, Asceticism and Religious Scrupulosity in Medieval Islam
Zachary Chitwood, Berlin:
Zur Frage der ostchristlichen Konfession von Stiftern, Begünstigten und Umgebungsgesellschaft in Byzanz
Gury Schneider-Ludorff, Neuendettelsau:
Kritik und Neudeutung des Stiftungswesens in der Reformationszeit und seine Bedeutung für die Profilierung eines konfessionellen Selbstverständnisses in den Reichsstädten und Territorien des 16. Jahrhunderts
Abstract (scroll down for English version):
In dieser Sektion soll der Frage nachgegangen werden, in welchem Verhältnis die religiösen Bekenntnisse von Stiftern und Stiftungsbegünstigten zueinander standen und welche Rolle die Glaubensrichtung der sie umgebenden Gesellschaft für mittelalterliche Stiftungstraditionen spielte.
Im mittelalterlichen Indien war eine gewisse Ambivalenz zwischen der postulierten religiösen Affiliation königlicher Stifter und den Glaubenstraditionen, denen die von ihnen begünstigten Institutionen und Personen angehörten, keinesfalls untypisch. Herrscher streuten in der Regel ihre Zuwendungen an Brahmanen, hinduistische Tempel, buddhistische Klöster und / oder jinistische Institutionen. Dieses Phänomen wird oft mit herrscherlicher Toleranz bzw. damit erklärt, daß die Übergänge zwischen verschiedenen religiösen Gruppen im vorislamischen Indien fluider als im monotheistischen Westen gewesen seien. Es spricht jedoch einiges dafür, daß Könige und Fürsten bei der Vergabe von Stiftungen zum Unterhalt religiöser Institutionen und Personen als eine Art Amtsträger agierten und den verschiedenen Glaubensvorstellungen ihrer multireligiösen Umwelt Rechnung zu tragen hatten.
Deutlicher waren die Zäsuren zwischen den Konfessionen in den muslimischen, christlichen und jüdischen Stiftungstraditionen. Muslimische Rechtsgelehrte des 9. Jahrhunderts erlaubten auch Juden und Christen, waqf-artige Stiftungen zu gründen, vorausgesetzt, daß die gesamte Gesellschaft und nicht nur ihre jeweilige Glaubensgemeinschaft vom gestifteten Vermögen profitierte. Im Verlaufe der Reconquista kam es dann jedoch zu Einschränkungen: Islamische Rechtsgelehrte formulierten massive Einwände gegen Stiftungen für Kirchen, Klöster und Synagogen; der waqf wurde eng mit der Praxis des ǧihād verbunden. In Byzanz ebenso wie unter einigen mittelalterlichen muslimischen Herrschern ist nachweisbar, daß Stiftungen auch für die Missionierung benutzt wurden. Andererseits belegen religiöse Stiftungen nicht nur eine starke interreligiöse, sondern auch innerreligiöse Konkurrenz.
Abstract (English version):
„Medieval Endowments – A Matter of Faith? India and the Rest of the Premodern World“
In this panel the relations between the religious leanings of donors and donees will be investigated, as well as the role which the religious beliefs of the surrounding societies played in the medieval endowment traditions.
A certain ambivalence between the proclaimed religious affiliations of royal donors on the one hand, and the religions followed by the institutions and individuals those donors favoured on the other hand, was not unusual for endowment practices in medieval India. In general, Indian rulers tended to distribute their religious grants amongst Brahmanical priests, Hindu temples, Buddhist monasteries, and / or Jaina institutions. This phenomenon has been often explained as regal tolerance, or with the undeniable fact that the transitions between different religious groups were more fluid in pre-Islamic India than in the monotheistic West. There is, however, evidence which indicates that imperial rulers and even subordinate kings acted as official representatives of the empire or kingdom when they made endowments in order to support religious institutions or individuals, and that they also had to take into consideration their multi-religious environment.
Far more clear were the distinctions of the different faiths in the medieval Muslim, Christian, and Jewish endowment traditions. 9th-century experts on Islamic law permitted also Jews and Christians to create waqf-like endowments, under the condition that the whole society, and not only their respective communities, profited from the assets or capital thus granted. But during the reconquista, experts on Islamic law expressed strong objections against endowments in favour of churches, monasteries, or synagogues; the institution of waqf became very closely linked to the practice of ǧihād. In the Byzantine Empire and under some medieval Muslim rulers, religious grants were also used for missionary purposes. However, endowment records testify that there existed not only a strong inter-religious, but also intra-religious competition.
Zeit
(Mittwoch) 9:00 - 12:00
Ort
PHIL-D
Philosophenturm
Überblick
(Christian Wendt, Berlin, Neville Morley,
Überblick
(Christian Wendt, Berlin, Neville Morley, Bristol)
Christian Wendt, Berlin:
Glauben an und bei Thukydides
Neville Morley, Bristol:
Belief in an Unhistorical Thucydides
Liisi Keedus, Helsinki:
O ye of different faith—Leo Strauss and his school
Uwe Walter, Bielefeld:
Kommentar
Abstracts (scroll down for English version):
Die Kategorie des Glaubens ist aus der Selbstdefinition der Historiker und Historikerinnen gestrichen – Nachprüfbares oder im Mindesten plausibel zu Machendes, bestenfalls auf der Basis einer breiten Datensammlung, soll die Arbeit am historischen Sujet abgrenzen von einer bloßen informierten Meinungsäußerung, vom Dilettieren.
Wie aber steht es mit dem Glauben an Instanzen oder Personen, denen Glaubwürdigkeit beigemessen wird, etwa an das Renommee einer Koryphäe, das unanfechtbar geglaubte Referenzwerk, die treffendste methodische Schule?
Am Beispiel des Thukydides und seiner Rezeption soll diese Frage exemplarisch gestellt werden: Wie gelingt es, einem fernen Autor ein derartiges Maß an Glaubwürdigkeit zuzusprechen, dass man an ihn glauben kann wie an eine quasi unanfechtbare Instanz? Und daraus leitet sich die Frage ab: Wieviel Glauben oder auch Glauben-Wollen steckt in der Überzeugungskraft eines historischen Arguments?
Christian Wendt, Berlin, behandelt das Moment des Glaubens oder der Überzeugung bei Thukydides selbst, um anhand dessen die Konstruktion von Glaubwürdigkeit in bezug auf den athenischen Autor als Mechanismus zu hinterfragen.
Neville Morley, Bristol, geht dem Phänomen auf den Grund, wie es dazu kam, daß ein als Musterhistoriker wahrgenommener Autor in anderem Kontext zu nahezu unanfechtbarer Glaubwürdigkeit gelangen konnte, wie also der Transfer des Thukydides von der Geschichts- zur Politik- und Sozialwissenschaft zu erklären ist.
Liisi Keedus, York, setzt sich mit der Rezeption des Thukydides bei Leo Strauss auseinander und problematisiert die Glaubwürdigkeit des Interpreten, der einen besonderen Zugang zu einem selbst als glaubwürdig verstandenen Urtext genießt, seine Autorität dementsprechend doppelt konstruiert.
Uwe Walter, Bielefeld, wird diese Denkanstöße kommentieren und erweitern. Denn dem gewählten Beispiel zum Trotz soll es nicht allein um Thukydides und sein Nachleben gehen, sondern eine geschichtstheoretische, auch experimentelle Perspektive eingenommen werden.
Abstract (English version):
The category of ‚belief‘ is excluded from the self-definition of historians; the verifiable, or at the very least the plausible, preferably on the basis of a broad range of data, should distinguish work on the historical subject from a simple expression of informed opinion, from dilettantism.
But what about belief in authorities, or persons to whom credibility is attached, such as the reputation of a genius, the automatically believed reference work, or the most perceptive methodological school?
This question can be illustrated through the example of Thucydides: how is it possible to grant an ancient author such a degree of credibility that one can believe in him as an almost unquestionable authority? And this also raises the question: How much belief, or wish to believe, is contained in the persuasive power of a historical argument?
Christian Wendt, Berlin, explores the moment of belief or conviction in Thucydides himself, as the basis for questioning the construction of credibility in relation to the Athenian author.
Neville Morley, Bristol, gets to the bottom of the phenomenon whereby an author perceived as a model historian can attain in a quite different context an almost unchallenged authority, as in the case of the transfer of Thucydides from history to political and social science.
Liisi Keedus, York, deals with the reception of Thucydides by Leo Strauss, and problematizes the credibility of the interpreter, who enjoys special access to an original text understood as being itself credible, and thus doubly establishes his authority.
Uwe Walter, Bielefeld, will comment and expand on these ideas, since these issues concern not only Thucydides and his reception, but engage with a historical-theoretical, even experimental perspective.
Zeit
(Mittwoch) 9:00 - 11:00
Ort
HWF-221
Hauptgebäude Westflügel
Überblick
(Birgit Schäbler, Erfurt) Birgit Schäbler, Erfurt: Ernest
Überblick
(Birgit Schäbler, Erfurt)
Birgit Schäbler, Erfurt:
Ernest Renan, the Muslims and the Islamization of Modernity
Angelika Neuwirth, Berlin:
Scared by History? »The Unthought in Islamic Thought«
Umar Ryad, Utrecht:
Salafism in Egypt in the 1920s–1930s: Between Elitism and Populism
Leif Stenberg, Lund:
History and the Islamization of Science
Abstract:
It has been a „matter of faith“ within European scholarship, especially in the 19th century, the century which has been classified as one that “transformed the world”, that „Islam“ was not and could not be „modern“. It is one of the ironies of history that at a time when scholars in Europe denied Middle Easterners and Islam thus access to what they defined as modernity, those scholars formulated their own answers to the challenges posed by the century in an ongoing debate with Europe. “Europe” here is Western Europe, specifically France, England and Germany, in a “hyperreal” sense (Dipesh Chakrabarty).
While Europe set out to conquer the globe, European societies themselves grappled with the effects which rapid change, acceleration of all walks of life and the colonial expansion, despite all the triumphalism that accompanied it, brought with them. In this situation, scholars were claiming science and “true scholarship” for Europe alone, hailing them as markers of modernity, devaluating “traditional”, i.e. historical forms of knowledge. European scholars especially in what were to become the humanities, Geisteswissenschaften, were absorbed with the „perfection of the human mind“. This noble aim implied a discovery of the “origins” and bases of the Occident and Christianity. In the process of finding and authenticating one’s own self it became important to differentiate Europe, the Occident, from its others, especially its closest neighbour and longstanding rival, the Orient and Islam. History and philology, especially Oriental philologies overlapped in this endeavor. In the process of defining the Occident „scientifically“, the Orient and Islam had to be analyzed equally „scientifically“. It is in the second half of the 19th and the first half of the 20th century that the interaction within these spheres of knowledge on the one hand and between Europe and the Muslim East on the other hand engendered processes and developments the effects of which we are still witnessing today.
For in the same time span elites in the Middle East were heavily preoccupied with very similar questions, yet under different auspices. They too were examining their „origins“, in order to find out the reasons why they had lost their ground vis-à-vis Europe. Their soul-searching in the face of European superiority in many cases went along, on the one hand, with accepting 19th century
(negative) European notions about the state of the art of all kinds of knowledge and its traditions in Muslim lands. This devaluation of their own history and traditions led to the essentialization of Islam that we are seeing today. On the other hand, European forms of knowledge were devaluated, too, in the eyes of Muslim modernists who positioned themselves flatly against “Europe” and its history, also in Islamic terms. In this sense modern Islam was formulated in an interaction and entanglement with Europe – as a part of global modernity. This panel seeks to untie some of the strands of this knot.
One important aspect is the immense impact on the valorization of the Qur’an’s authority which was implied in these movements. Rediscovering a sort of Enlightenment thought in the text of the Qur’an the 19th and early 20th century reformers declared the Qur’an a “rationalist text”. Severed from its exegetic tradition accumulated over centuries the Qur’an emerged as the sole authority in matters even of mundane problems. Isolated from the other monotheistic traditions of Judaism and Christianity (ahl al-kitab), the Qur’an appeared as the absolute New – completely remote from its milieu of genesis in late antiquity. Vexed by the thus emerging tendency toward fundamentalism, today’s “newthinkers” try to de-tabooize the historical dimension, “unthought in Islamic thought” (Arkoun).
The arguments of the Muslim modernists of the late 19th century became a fault-line in the 1920s- 1930s, especially after the abolishment of the Caliphate. The early “elitist” (Salafi) ideas were politically radicalized and turned into populist discourses that addressed Muslim sentiments around such issues as atheism, Christian mission, sectarianism, and “moral corruption” in Muslim society. In this respect, what we are seeing today is still a polarization of these strands of thought, which are, however, historically young.
When it comes to contemporary Muslims discussing from an Islamic perspective the need to “islamize science”, they are reluctant to refer to what can be described as the history of ideas of their own discourse. So what is the role and function of history in contemporary discourse, and what are the motivations and justifications of current ideas about the “true” relationship between Islam and modern science?
Zeit
(Mittwoch) 9:00 - 11:00
Ort
Phil A
Philosophenturm
Überblick
(Barbara Potthast, Köln, Nina Schneider,
Überblick
(Barbara Potthast, Köln, Nina Schneider, Köln)
Silke Strickrodt, London:
Sticken für die christliche Mission: Mustertücher als Quelle für die Erfahrungswelten afrikanischer Kinder in Sierra Leone, 1820er–1840er
Katharina Stornig, Mainz:
Die Kindheit des Sklaven/der Sklavin: Repräsentationen ostafrikanischer Sklavenkinder in christlichen Medien im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert
Barbara Potthast, Köln:
Die Repräsentation von Kindern und Jugendlichen im Paraguaykrieg (1864/5–1870)
Vanessa Höse, Köln:
Gefährlich und gefährdet: Straßenkinder im Fokus der argentinischen Magazinpresse, 1900–1920
Nina Schneider, Köln:
Die fotografische Repräsentation von Kinderarbeit in Brasilien im frühen 20. Jahrhundert
Abstracts:
Silke Strickrodt, Birmingham:
Sticken für die christliche Mission: Mustertücher als Quelle für die Erfahrungswelten afrikanischer Kinder in Sierra Leone, 1820er-1840er
Der Vortrag diskutiert die Repräsentation von Kindern durch christliche Missionsgesellschaften in der britische Kolonie Sierra Leone in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Im Mittelpunkt stehen dabei Mustertücher, die von afrikanischen Mädchen in Missionsschulen angefertigt und von den Missionaren an Unterstützer/innen der Mission in Großbritannien geschickt wurden. Diese Tücher sollten Zeugnis von der Lernfähigkeit der Kinder und der erfolgreichen Arbeit der Missionare geben. Als direkte, von afrikanischen Kindern stammende Quellen sind die Tücher einzigartig, doch was können solche materielle Quellen oder „Textil-Dokumente“ über die Erfahrungs- und Lebenswelten dieser Kinder in den Missionsschulen aussagen? Im Vortrag werden der Entstehungskontext wie die Nutzungsgeschichte dieser Tücher untersucht, wobei der Instrumentalisierung von Kindern für Werbezwecke durch die Missionare im Kontext der Neubewertung von Kindheit in Europa in dieser Zeit besondere Aufmerksamkeit gilt.
Katharina Stornig, Mainz:
Die Kindheit des Sklaven/der Sklavin: Repräsentationen ostafrikanischer Sklavenkinder in christlichen Medien im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert
Der Vortrag von Katharina Stornig analysiert die Repräsentation von Sklavenkindern aus dem nordöstlichen Afrika in deutschsprachigen Missionszeitschriften des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Seit der Jahrhundertmitte propagierten vor allem katholische Gruppen die Expansion der Missionstätigkeit im Inneren Afrikas mit Verweis auf beides, die Rettung von Seelen und die Befreiung von Körpern aus Sklaverei und Sklavenhandel. Dabei standen insbesondere Kinder im Zentrum der Argumentation: Die missionarischen Werbeschriften fokussierten häufig auf Sklavenkinder, die sie zum einen als unschuldige Opfer grausamer Erwachsener und zum anderen als besonders empfänglich für die christliche Unterweisung repräsentierten. Die Missionen druckten und verbreiteten zahlreiche Berichte aus Afrika, mittels welchen sie die Schicksale von Sklavenkindern für eine deutsche Öffentlichkeit glaubwürdig darstellen und um finanzielle Unterstützung werben wollten. Dabei handelt es sich nicht nur um gedruckte (Kurz-)Biografien, Augenzeugenberichte, Fotos und literarische Erzählungen von Sklavenkindheiten, sondern vereinzelt auch um (vermeintliche) Selbstzeugnisse, Kindheitserinnerungen und Briefe ehemaliger Sklaven und Sklavinnen. Der Vortrag setzt hier an. Im Rahmen einer kritischen Auseinandersetzung mit ausgewählten Zeitschriften („Jahresbericht des Vereins zur Unterstützung der armen Negerkinder“, „Das Negerkind“, „Echo aus Afrika“), sollen deren Möglichkeiten und Grenzen als historische Quellen diskutiert werden. Es wird argumentiert, dass Teile dieser Zeitschriften – trotz ihrem propagandistischen und oft stereotypen Charakter – auch wertvolle Einblicke in die Leben und Erfahrungen einer bislang von der Geschichtswissenschaft nur wenig beachteten Gruppe von Kindern in außereuropäischen Gesellschaften erlauben.
Barbara Potthast, Köln:
Die Repräsentation von Kindern und Jugendlichen im Paraguaykrieg (1864/5-1870)
Während des sog. Paraguay- oder Tripel Allianz Krieges (1864/5 – 1870), des blutigsten Krieges in Lateinamerika im 19. Jh., wurden auf paraguayischer Seite in den letzten beiden Kriegsjahren Kinder und Jugendliche eingezogen. Um der Gegenseite über die Schwäche und Dezimierung des paraguayischen Heeres zu täuschen, kämpften Kindersoldaten in einer der letzten Verteidigungsschlachten mit angeklebten Bärten. Bereits während des Krieges entbrannte in der Propaganda sowohl der Alliierten als auch der Paraguayer eine Debatte über den Einsatz von Kindersoldaten, die zur Untermauerung der jeweiligen politischen Positionen diente. Der Vortrag wird diese Debatte anhand von Zeitungsmeldungen, Bildmaterial sowie Memoiren nachzeichnen.
Vanessa Höse, Köln:
Gefährlich und gefährdet: Straßenkinder im Fokus der argentinischen Magazinpresse, 1900-1920
Im Kontext von Urbanisierung, Masseneinwanderung und Sozialer Frage zu Beginn des 20. Jahrhunderts widmete sich die argentinische Presse extensiv Fällen von Straßenkindern, Familiendramen, Waisenkindern, Kinderarbeit und straffälligen Kindern im städtischen Raum. Insbesondere Fragen der Delinquenz, Internierung und Reformierbarkeit von Kindern und Jugendlichen geriet in den Fokus der Bildpresse. Kinder wurden dabei zu einer Projektionsfläche für die gesellschaftlichen Umbrüche und Probleme der urbanen Gegenwart, über die sich Diskurse von Ökonomie, Pädagogik, Famile, Geschlecht, Kriminalistik und Hygiene entfalteten.
Der Vortrag wird vor allem auf bildanalytischer Ebene zeigen, wie über die Frage der Kindheit defizitäre Familienverhältnisse problematisiert, die Rolle von Wohlfahrtorganisationen evaluiert und letztlich die Notwendigkeit eines fürsorglichen Staats behauptet und durchgesetzt werden konnte. Die Problematisierung von Kindern und Jugendlichen aufgrund sozialer Prekarität und deviantem Verhalten gewann dadurch im argentinischen Magazinjournalismus biopolitischen Charakter und wurde zum Fluchtpunkt von Debatten um die Verfasstheit der Nation.
Nina Schneider, Köln:
Die fotografische Repräsentation von Kinderarbeit in Brasilien im frühen 20. Jahrhundert
Der Beitrag diskutiert fotografische Repräsentation von Kinderarbeit Ende des 19. Anfang des 20. Jahrhunderts in Brasilien. Kinderarbeit war in Brasilien lange Zeit kein gesellschaftlich relevantes Thema. Erst in den 1970er Jahren formierten sich erste soziale Bewegungen gegen Kinderarbeit. Bis heute fehlen detaillierte Forschungen, wie viele Kinder zur Jahrhundertwende arbeiteten, um welche Altersgruppen es sich handelte und in welchen Sektoren sie eingesetzt wurden. Unerforscht ist zudem, ob bestimmte Tätigkeiten Kindern einer bestimmten sozialen oder ethnischen Gruppe bzw. einem Geschlecht zugeteilt wurden. Der Beitrag zeigt die Schwierigkeit auf, geeignete Quellen über Kinderarbeit zu finden und geht der Frage nach: Inwieweit kann Fotomaterial die historische Forschungslücke schließen insbesondere wenn wenig (oder keine) weitere Quellen zur Triangulierung vorliegen? Was sind Vor- und Nachteile von Bildquellen, speziell inwiefern erhellt oder verdeckt die fotografische Darstellung die Handlungsmacht von Kindern? Fotos, so die Hypothese, haben nicht nur das Potenzial, zu einer mehrstimmigeren Geschichtsschreibung beizutragen, sondern helfen, anachronistische moralische Bewertungen kritisch zu reflektieren und zu differenzierteren Ergebnissen zu gelangen. So zeigen Fotos aus verschiedenen Archiven in Rio und Sao Paulo, dass die Arbeitsbedingungen sehr stark variierten und dass, obgleich Kinder häufig physisch ausgebeutet wurden, sie Ausbildungen erhielten die mit einer Lehre vergleichbar sind. Das Fotomaterial hilft somit Fragen aufzuwerfen und Ambivalenzen aufzuzeigen, welche bestmöglich durch weitere Quellen eindeutiger geklärt werden können.
Zeit
(Mittwoch) 9:00 - 11:00
Ort
Phil-E
Philosophenturm
Überblick
(Lisa Dittrich, München) Lisa Dittrich, München: Einführung Lisa
Überblick
(Lisa Dittrich, München)
Lisa Dittrich, München:
Einführung
Lisa Dittrich, München:
Europäischer Antiklerikalismus zwischen Säkularisierung und religiöser Suche
Martin Baumeister, Rom:
Sakralisierung der Politik und Politisierung der Religion in den europäischen Faschismen: Eine Historisierung des Konzepts der »politischen Religion«
Helena Tóth, Bamberg:
Religion als Ritual: Namensweihen in der DDR und in Ungarn
Lucian Hölscher, Bochum:
Säkularität zwischen Inkarnationstheologie und Religionsverachtung – die Großkirchen in der Nachkriegszeit
Siegfried Weichlein, Fribourg:
Kommentar
Abstracts (scroll down for English version)
Religion ist eine umstrittene Kategorie. Wissenschaftliche Diskussionen verschiedenster Disziplinen drehen sich bis heute darum, wie sie als Analysekonzept zu fassen sei. In historischen und zeitgenössischen Glaubensdebatten war und ist der Begriff umkämpft. Er wandelte sich im 19. und 20. Jahrhundert grundlegend und der bis heute gültige universale Religionsbegriff entstand erst in diesem Zeitraum. Zugleich entwickelte sich das Konzept der Säkularisierung. Eine methodische Auseinandersetzung mit Religion und ihrem Gegenpol Säkularisierung als Analysekategorien öffnet einen Raum, darüber nachzudenken, wie religiöse Phänomene im 19. und 20. Jahrhundert beschrieben werden können, und kann Anregungen für die jüngsten Debatten über die Charakterisierung der Religionsgeschichte dieser Epoche bieten.
Die Säkularisierungsthese sowie die Gegenthese der Persistenz der Religion bestimmten jahrzehntelang die Diskussion. Der Glaubenskampf um beide Meistererzählungen scheint aber zu schwinden. Die empirische Gültigkeit von Säkularisierungstendenzen ist zumindest im Europa des 19. und 20. Jahrhunderts nicht von der Hand zu weisen trotz der weiter bestehenden Wirkmächtigkeit von Religion. Diese Erkenntnis schafft Raum für nuanciertere Interpretationen, die beide Tendenzen zugleich in den Blick nehmen und das Verhältnis von Religion und Säkularität, von Sakralem und Profanem ins Zentrum des Interesses stellen. Anknüpfend an diese Debatten wird das geplante Panel den Begriff Religion und seinen Gegenpart Säkularisierung als Analysekategorien in den Mittelpunkt rücken und fragen, wie religiöse Phänomene in ihrer Pluralität im Zeitalter der Säkularisierung analysiert werden können. In der Zusammenschau verschiedener empirischer Beispiele aus unterschiedlichen Ländern und politischen Regimen soll das Panel eine Zwischenbilanz zu bestehenden Untersuchungskonzepten ziehen und dazu beitragen, das Verhältnis von Religion und Säkularisierung im 19. und 20. Jahrhundert weiter zu erhellen.
Lisa Dittrich, München:
Europäischer Antiklerikalismus zwischen Säkularisierung und religiöser Suche
Die Schwierigkeit religiöse Phänomene im Kontext von Säkularisierung adäquat zu beschreiben stellt sich geradezu paradigmatisch im Fall des Antiklerikalismus. Antiklerikale stritten im Europa des 19. Jahrhunderts für Säkularisierung. Säkularisierung war hier kein automatischer Prozess der Moderne, sondern ein erkämpftes oder zu erkämpfendes Modell für Staat und Gesellschaft, in dem Kirchen und Religion eine geringere Rolle spielen sollten. Zugleich war der Antiklerikalismus, wie anhand von Beispielen aus Frankreich, Deutschland und Spanien deutlich wird, nicht antireligiös oder areligiös, sondern in ihm manifestierte sich konfessionsübergreifend auch eine Suche nach neuen Konzepten von Religion und Sakralisierungstendenzen. Damit erweist sich der Antiklerikalismus als Teil der Pluralisierung des religiösen Feldes.
Ausgehend von diesen Befunden zeigt der Beitrag in methodischer Hinsicht, dass nur ein flexibler Umgang mit den Begriffen Säkularisierung und Religion es ermöglicht, der Dynamik des Phänomens gerecht zu werden. Denn in den Kulturkämpfen selbst wurden beide Konzepte diskutiert. Darüber hinaus verdeutlicht der Beitrag die Notwendigkeit einer doppelten Perspektive. Im Falle historischer Phänomene, die wie der Antiklerikalismus am Rande der etablierten Religionsgemeinschaften angesiedelt waren, müssen einerseits die Selbstwahrnehmung der Zeitgenossen berücksichtigt und damit die Begriffe Religion und Säkularisierung historisiert werden. Anderseits kann nur mittels eines analytischen Zugriffs die Übernahme religiöser Traditionsbeständen nachgewiesen werden.
Martin Baumeister, Rom:
Sakralisierung der Politik und Politisierung der Religion in den europäischen Faschismen – Eine Historisierung des Konzepts der Politischen Religion
Der bis heute einflussreiche klassische, von Zeitgenossen geprägte Begriff der „politischen Religion“ der totalitären Regime des 20. Jahrhunderts gründet auf einer eindimensionalen Säkularisierungsvorstellung, wonach die schwindende Bindekraft der überkommenen Religionen Raum geschaffen habe für eine Sakralisierung und Divinisierung säkularer Ordnungen wie Nation, Rasse und Klasse. Aktuelle Forschungen betonen dagegen die komplexen, widersprüchlichen Verschränkungen von Religion und Politik unter den fraglichen Regimen. Im Vortrag werden die Überlagerungen und Amalgamierungen, aber auch die Konkurrenz und Gegensätze zwischen „neuer“ Politik und tradierter Religion bzw. Kirche ausgehend vom Verhältnis zwischen dem italienischen Faschismus als Prototyp einer neuartigen Ideologie und Bewegung und dem Katholizismus mit vergleichenden Ausblicken auf den Nationalsozialismus und die iberischen Diktaturen analysiert und dabei die Unschärfe und widersprüchliche Vieldeutigkeit religiöser Semantiken in den zeitgenössischen Deutungskämpfen herausgearbeitet. Die Konjunktur der „politische Religion“ ist ein wichtiger Indikator nicht für den Bedeutungsverlust, sondern vielmehr für die wachsende Virulenz des Religiösen als Deutungs- und Legitimationskategorie unter dem Vorzeichen des Faschismus.
Heléna Tóth, Bamberg:
Religion als Ritual: Namensweihen in der DDR und in Ungarn
Als die Parteifunktionäre und die Mitglieder des kulturellen Establishments im sozialistischen Ost- und Mitteleuropa Ende der 1950er Jahre begannen, über die Einführung sozialistischer rites de passage nachzudenken, sahen sie sich mit verschiedenen Dilemmata konfrontiert. Auch wenn der Sozialismus bereits „real existieren“ sollte, bestanden weiterhin blinde Flecken im alltäglichen Leben, die nicht von der sozialistischen Kultur durchdrungen waren. Insbesondere die Kirchen hatten ihren Einfluss auf die rites de passage bewahren können: Taufe, Hochzeit und Beerdigung.
Sozialistische Staaten hatten in der Nachkriegszeit mit Religion als Institution gerungen. Nun setzten sie sich in einer neuen Phase des sogenannten „Kampfes zwischen den religiösen und säkularen Weltanschauungen“ mit Religion als Ritual auseinander. Man könnte argumentieren, dass die Parteifunktionäre jetzt erst gezwungen waren, sich damit zu beschäftigen, was Religion eigentlich leistet und wie. Ausgehend von Reden zu Namensweihen in Ungarn und der DDR widmet sich der Vortrag des von mir als „Schwellenproblem“ bezeichneten Phänomens. Während im christlichen Ritus die Taufe die Aufnahme der Person in die Gemeinschaft der Kirche markiert, kämpften die sozialistischen Ritualexperten darum, den Namensweihen einen vergleichbaren Sinn zu geben. Taufen sind in ihrer grundlegenden Bedeutung selbstverständlich rites de passage (von einem Status zum anderen). Die sozialistischen Ritualexperten mussten dagegen eine andere Schwelle für das neue Ritual erfinden, da die Babys als Staatsbürger eigentlich bereits mit ihrer Geburt Mitglieder der politischen Gemeinschaft waren.
Durch den vergleichenden Blick auf die unterschiedlichen Lösungen der Ritualexperten für das Schwellenproblem in Ungarn und der DDR wird die Vielfältigkeit der sozialistischen Kulturen verdeutlicht und die unterschiedlichen Funktionen der scheinbar gleichen Riten in den verschiedenen Staaten gezeigt. Darüber hinaus lädt das „Schwellenproblem“ dazu ein, grundsätzlich über die analytische Kategorie des Rituals nachzudenken. Aufbauend auf der Theorie des Rituals der Interaktion von Erving Goffmann und Peter A. Winns Theorie des rechtlichen Rituals schlägt der Vortrag eine dynamische Definition von Ritualen vor, welche uns erlaubt, sozialistische rites de passage als mehr zu denken als eine schlichte Ersetzung religiöser Rituale und zwar als ein konstitutiver Teil einer spezifischen politischen Kultur.
Lucian Hölscher, Bochum:
Säkularität zwischen Inkarnationstheologie und Religionsverachtung – die deutschen Großkirchen in der Nachkriegszeit
Die Bedeutung des Begriffs der ‚Religion’ ist in den modernen westlichen Gesellschaften bekanntlich nicht nur umstritten – Er ist sogar in sich widersprüchlich angelegt: D. h. positive Religionsbegriffe (die die Existenz des Göttlichen voraussetzen) schließen negative Religionsbegriffe (die die Existenz eines Göttlichen leugnen) in sich ein und umgekehrt. Beide sehen sich dadurch einem steten Bewährungsdruck gegenüber der je anderen Seite ausgesetzt.
Das Konzept der ‚Säkularisierung’, das in den letzten Jahrzehnten wegen seiner Vieldeutigkeit vielfach kritisiert worden ist, eignet sich wie kein anderes zur Vermittlung zwischen beiden Seiten und zur Aufnahme der Vielfalt religiöser Bezüge zwischen religiöser Tradition und moderner Gesellschaft. Es ist deshalb als analytische Grundkategorie zur Beschreibung moderner Gesellschaften unverzichtbar.
Die christlichen Kirchen haben in Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg einen vielseitigen Säkularisierungsprozess durchlaufen: Mitgliedschaft und Teilnahme an kirchlichen Riten waren insgesamt rückläufig, die Gottesbilder und dogmatischen Positionen haben sich pluralisiert, kirchliche Gruppen und Repräsentanten haben aber auch an gesellschaftlichem Ansehen und Einfluss gewonnen. Diesem ambivalenten Befund Rechnung zu tragen, stellt die Zeitgeschichte vor neue Herausforderungen.
Abstracts (English version)
Religion – a Contested Category. Empirical and Theoretical Approaches for its Use in the Era of Secularization
Religion is a controversial category. Different scientific disciplines discuss to this day how to conceive this analytical concept. In historical and contemporary debates on faith the term was always and is still disputed. During the 19th and 20th century it fundamentally changed, as the universal concept of religion was born during this period. At the same time, the concept of secularization was developed. An analysis of the analytical categories of religion and its other, secularization, opens up a space to think about how to describe religious phenomena in the 19th and 20th century and it can be a stimulus for the most recent debates about the characterization of the history of religion in this époque.
During decades the thesis of secularization and its counter narrative about the persistence of religion marked these debates. But the battle over these two master narratives seems to come to an end. At least in Europe of the 19th and 20th century the empirical validity of secularization cannot be questioned despite of the persistent power of religion. This acknowledgement gives room for nuanced interpretations, which take into account both tendencies and ask for the relation between religion and secularity, between the sacred and the profane. Taking these discussions as a starting point, the panel focuses on religion and secularization as analytical categories, asking how to analyse religious phenomena in their plurality in the age of secularization. In a survey of different empirical examples of several countries and political regimes, the panel aims at drawing an interim balance on existing methodical concepts, helping to clarify the relationship between religion and secularization in the 19th and 20th century.
Lisa Dittrich, München:
European Anticlericalism between Secularization and the Search for New Concepts of Religion
The case of anticlericalism shows in a paradigmatic way the difficulties describing religious phenomena in the context of secularization in an adequate manner. Anticlericals struggled in Europe during the 19th century for secularization. The Secularization was, in this case, not an automatic process of modernity, but it has to be conceptualized as the anticlerical model of state and society, where churches and religion played a minor role. At the same time, anticlericalism was not antireligious or areligious, as shown in examples of France, Germany and Spain. A search for new concepts of religion and tendencies towards a sacralization were also manifest in the anticlerical critic across the confessional divisions. Therefore, anticlericalism proves to be part of the pluralization of the religious field.
In a methodological perspective the paper will argue, that only a flexible use of the terms of secularization and religion can grasp the dynamic of the phenomena, as the both concepts were discussed in the culture wars themselves. Moreover, the religious meaning of anticlericalism has to be analyzed by a twofold perspective. In cases of historical phenomena, which were situated at the edge of the established religious denominations like anticlericalism, it is necessary to reflect the self-conception of the contemporaries on the one hand, therewith historicizing the concepts of religion and secularization. On the other hand the adoption of religious traditions can only be detected with an analytical approach.
Martin Baumeister, Rome:
Sacralization of Politics and Politicization of Religion in European Fascism – A Historization of the Concept of Political Religion
The concept of „political religion“ as coined by contemporaries of the totalitarian regimes of the 20th century continues to be used in historical analysis. It is based on a one-dimensional idea of secularization, claiming that due to the dwindling power of religion there was an increasing sacralisation and divinization of secular notions such as nation, race or class. Current research, however, underlines the complex and contradictory entanglements of religion and politics in the totalitarian regimes. The paper analyses the intersections and the amalgamation as well as the concurrence and conflicts between the “new” politics and traditional religions and churches. Firstly, it focuses on the case of Italian fascism as a prototype of a new ideology and social movement and its relationship with Catholicism; secondly, it draws some comparisons with National Socialism and the Iberian dictatorships, pointing out the blurred and ambiguous character of religious semantics in contemporary debates. The raise of “political religions” is understood as an important indicator not for the decreasing force of religion but for the increasing significance of the religious as an ideological battleground and a means for legitimization under the auspices of fascism.
Heléna Tóth, Bamberg:
Religion as Ritual: Name Giving Ceremony in the GDR and Hungary
When party officials and members of the cultural establishment across socialist Eastern and Central Europe started thinking about introducing socialist rites of passage in the late 1950s, they faced several dilemmas. Although socialism should have been already established (real and existing), several aspects of everyday life still remained blind spots from the point of view of socialist culture. Notably, Churches retained their hold on rites of passage: baptism, weddings and funerals.
Socialist states had already confronted religion as an institution in the aftermath of the Second World War. Now, in a new wave of the so-called struggle “between the religious and secular world views,” they faced religion as ritual. One could well argue that it was only at the end of the 1950s that party officials were forced to think systematically about what religion actually does and, more importantly, how it does it. The paper takes the scripts of name giving ceremonies in Hungary and the GDR as starting point to think about a phenomenon I term the “threshold problem.” While in Christianity, baptism marks the acceptance of a person into the Church, socialist ritual experts struggled to fill the name giving ceremony a similar meaning. Baptism clearly functioned as a “rite of passage” (from one state to another), but socialist ritual experts had to invent a new threshold for the new ritual. After all, babies automatically gained membership in the body politic upon birth as citizens of the state.
Looking comparatively at the different solutions East German and Hungarian ritual experts developed for the “threshold problem” reveals the broad variety of socialist culture(s) and also the vastly different functions seemingly similar rituals fulfilled in different states. Furthermore, the “threshold problem” invites a fundamental rethinking of ritual as an analytical category. Building on Erving Goffman’s theory of “rituals of interaction” and Peter A. Winn’s theory of legal rituals, the paper suggests a dynamic definition for rituals, which enables us to consider socialist rites of passage as more than mere substitutions for religious rituals, but as constitutive parts of a particular political culture.
Lucian Hölscher, Bochum:
Secularism between Theology of Incarnation and Disdain of Religion – the German Volkskirchen in Post-War-Era
The significance of the concept of „religion“ is not only disputed in the modern Western world, but the term is contradictory in itself: Positive notions of religion which imply the existence of the divine comprehend at the same time negative notions which deny the existence of the divine and vice versa. Thus, both concepts have to be legitimized continuously in opposition to the other.
The concept of “secularization” has been widely criticised in the last decades for its ambiguity. Nevertheless, it is more suited than any other category to mediate between the two notions of religion and to reflect the variety of religious references between religious traditions and modern society. Therefore secularization is an essential category to describe modern societies.
Since the Second World War German Christian churches have passed a versatile process of secularization. On the one hand church membership and the participation in church rites were generally decreasing and the ideas of God as well as dogmatic positions were multiplied. On the other hand certain groups of the churches and their representatives have gained in reputation and influence. It is a challenge for contemporary history to do justice to this ambivalent picture.
Überblick
(Peter Haslinger, Marburg/Gießen, Christoph Schäfer, Trier) Podiumsdiskussion - Mareike König, Paris - Christoph Schäfer,Trier - Karoline Döring, Innsbruck - Joachim Berger, Mainz - Charlotte Jahnz, Bonn - Annalena Schmidt, Bautzen - Simone Lässig, Washington
Überblick
(Peter Haslinger, Marburg/Gießen, Christoph Schäfer, Trier)
Podiumsdiskussion
– Mareike König, Paris
– Christoph Schäfer,Trier
– Karoline Döring, Innsbruck
– Joachim Berger, Mainz
– Charlotte Jahnz, Bonn
– Annalena Schmidt, Bautzen
– Simone Lässig, Washington
Zeit
(Mittwoch) 11:15 - 13:15
Ort
HWF-121
Hauptgebäude Westflügel
MIT21SEP11:15- 13:15Indien und wir/ India and Us11:15 - 13:15 PHIL-E
Überblick
(Wolfgang Geiger, Frankfurt/M.) Wolfgang Geiger, Frankfurt/M.: Indien
Überblick
(Wolfgang Geiger, Frankfurt/M.)
Wolfgang Geiger, Frankfurt/M.:
Indien und Europa – eine interkulturelle Beziehung seit mehr als 2000 Jahren. Themen und curriculare Anknüpfungspunkte
Gita Dharampal-Frick, Heidelberg:
Der britische Kolonialismus in Indien und das ‚Endspiel‘ des British Raj
Rafael Klöber, Heidelberg:
Hippies, Yoga, Terrorismus. Religion in Indien aus historischer und globaler Perspektive
Abstracts (scroll down for English version):
Wolfgang Geiger, Frankfurt/M.:
Indien und Europa – eine interkulturelle Beziehung seit mehr als 2000 Jahren. Themen und curriculare Anknüpfungspunkte
Antike griechische Quellen beschreiben Indien als ein Land von Goldreichtum und Baumwolle, aus der man Kleidung macht, sie erwähnen Pfeffer und andere Gewürze sowie das Indigo. Damit sind bereits die wesentlichen Dinge genannt, die einerseits Phantasie und Habgier der Europäer beflügelten, Gegenstand des Handels und später Ziel der kolonialen Eroberung waren.
Der Beitrag gibt einen Abriss über die wichtigsten Etappen und Aspekte der interkulturellen Beziehung zwischen Indien und Europa bzw. dem Mittelmeerraum von der Antike bis in die Neuzeit und zeigt dabei Verknüpfungen zur Einbindung dieser Thematik in den Unterricht im Sinne eines „inneren Curriculums“ auf.
Gita Dharampal-Frick, Heidelberg:
Der britische Kolonialismus in Indien und das ‚Endspiel‘ des British Raj
Die britische Kolonialherrschaft auf dem indischen Subkontinent erstreckte sich über annähernd 200 Jahre von 1757 bis 1947. Der Beitrag wird die Prozesse der Kolonialisierung und Entkolonialisierung vor der Frage verhandeln, wie der indische Subkontinent mit relativ wenig personellem Aufwand beherrscht werden konnte und wieso dies schließlich in der Mitte des 20. Jahrhunderts scheiterte. Insbesondere die Produktion von kolonialem Wissen und sein Zusammenwirken mit kolonialen Machtstrukturen sollen beleuchtet werden, wobei auch die vielschichtigen Verflechtungen von indischen und europäischen Akteuren in diesen Prozessen näher hinterfragt werden.
Rafael Klöber, Heidelberg:
Hippies, Yoga, Terrorismus. Religion in Indien aus historischer und globaler Perspektive
Indien gilt als Land von Mystik und Religion sowie als Ursprungsort von Weltreligionen wie Hinduismus und Buddhismus. Zudem gibt es große muslimische, sikhistische und christliche Minderheiten. Der Vortrag fragt, wann und wie Indien zum religiös verklärten Land wurde. Seit dem 19. Jh. handelt es sich bei „(Welt)Religion“ um eine globale Debatte, die im Kontext von Orientalismus/Kolonialismus von Indern und Europäern geführt wurde. Indische Religionsgeschichte ist eine klassische Vernetzungsgeschichte. Gegenwärtige Ansichten sind diesen Diskursen geschuldet und prägen das indische Recht, das Zusammenleben von Religionsgemeinschaften und das Bild Indiens bis heute.
Abstracts (English version):
Wolfgang Geiger, Frankfurt/M.:
India and Europe – a Cross-Cultural Relationship for More than 2000 Years. Subjects and Links to the Curriculum
Ancient Greek sources describe India as a country with plenty of gold, and cotton from which clothes are made, they mention pepper and other spices as well as the indigo. This listing contains already the essential things which, being objects of commerce and later on target of colonial conquest, fired the imagination and the greed of the Europeans.
The lecture outlines main steps and aspects of the cross-cultural relationship between India and Europe, respectively the Mediterranean, from antiquity to modern times, while pointing out links for the integration of this subject into history lessons, in the sense of an “inner curriculum”.
Gita Dharampal-Frick, Heidelberg:
British Colonialism in India and the British Raj’s ‚End Game‘
British colonial rule in India lasted for almost 200 years from 1757 to 1947. This paper will discuss processes of colonization and de-colonization while shedding light on the question why the British were able to hold the Indian subcontinent with relatively little European manpower and how they failed to continue to do so in the middle of the 20th century. The production of colonial knowledge and its entanglements with colonial power structures will be interrogated as well as the various collaborations between Indian and European actors in these processes.
Rafael Klöber, Heidelberg:
Hippies, Yoga, Terrorism. Religion in India from a Historical and Global Perspective
India appears as a land of mysticism and religion, as well as the place of origin of world-religions like Hinduism and Buddhism. Furthermore, it is home to considerable Muslim, Sikh and Christian minorities. The talk will raise the question of when and why India became this kind of romanticized place. In the face of orientalism/colonialism, „(world-)religion“ can be considered as a global debate fueled by Europeans and Indians alike since the 19th century. Therefore, history of religion in India should be understood as an entangled history. Contemporary conceptions are fruits of this discourses and are still shaping Indian law, communal life and India’s image up until today.
Überblick
(Sebastian Gehrig, Oxford, Ned Richardson-Little,
Überblick
(Sebastian Gehrig, Oxford, Ned Richardson-Little, Exeter)
Katharina Kunter, Göttingen:
Säkularisierungskitt und Antikriegswaffe? Christentum und Menschenrechte nach 1945
Ned Richardson-Little, Exeter:
Das Scheitern der Sozialistischen Menschenrechte
Sebastian Gehrig, Oxford:
Der Kampf um das menschenfreundlichere System: Menschenrechte, das geteilte Deutschland und die Vereinten Nationen nach 1945
Fabian Klose, Mainz:
Zur Idee der Humanitären Intervention im Zeichen des Kalten Krieges, 1945–1989
Annette Weinke, Jena:
Kommentar
Abstract (scroll down for English version):
Menschenrechte und internationale Rechtsnormen haben seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs in ihrer gesellschaftlichen Legitimitätskraft einen nie dagewesenen Einfluss erlangt. Mit dem Ende des Kalten Kriegs hat Menschenrechtsrhetorik und internationales Recht nochmals an Deutungskraft gewonnen. Gleichzeitig sind die rechtsphilosophischen, ideologischen und religiösen Grundlagen, aus welchen Menschenrechtskonzeptionen entstanden sind, seit jeher heftig umstritten geblieben. Durch die Formulierung von Menschenrechten in säkularer und juristischer Sprache sind die Ursprünge heutiger Menschenrechtsrhetorik zugleich öffentlich weitgehend in Vergessenheit geraten. Neuere Untersuchungen haben ideologische Konflikte um widerstreitende Menschenrechtsideen, die Idee der humanitären Intervention und den Einfluss der Kirchen sowie religiös und politisch motivierten Menschenrechtsaktivismus in den Mittelpunkt gestellt. Wie entwickelten sich sozialistische Menschenrechtskonzepte entgegen liberal-demokratischer Rechtsstaatsideen? Welche Rolle spielten die Kirchen, christliche Gruppen und Bewegungen in der Etablierung von Menschenrechtsvorstellungen in West und Ost? Wie wurden konkurrierende Menschenrechtskonzeptionen von Staaten und sozialen Bewegungen politisch instrumentalisiert? Wurde die sogenannte Menschenrechtsrevolution der 1970er Jahre mehr durch Dritte-Welt-Befreiungsbewegungen an deutsche und europäische Debatten herangetragen als dass sie im westlichen Kontext entstand? Und schließlich: inwiefern wurden Debatten um Menschenrechte mehr durch Glaubens- und politische Überzeugungsfragen als juristische Konzepte strukturiert und geprägt? Die vier Vorträge fragen nach der politischen und religiösen Inanspruchnahme von Menschenrechtsideen und internationalen Rechtsnormen. Diese Sektion begreift Menschenrechte daher als diskursiven Rahmen, in welchem ideologische und religiöse Konflikte um Deutungshoheiten in der Zeit des Kalten Kriegs ausgetragen wurden.
Abstract (English version):
Human rights and international law garnered increasing popularity since the end of the Second World War. Since the end of the Cold War, the language of human rights has reached unprecedented social and political legitimacy. At the same time, however, the religious, legal, and ideological origins of competing ideas of human rights fell into oblivion. The secular and legal language of today’s human rights debates has helped obscuring their conflict-ridden history. Recent scholarship has thus emphasised the role of ideological conflicts, church and religious activism, and social movements in the emergence of human rights as a political language and part of international law. How did socialist human rights concepts develop alongside and in conflict with liberal-democratic ideas? What was the role of the churches, religious groups and activists in the negotiation of human rights language? How were human rights politically employed and by whom? Was the so-called human rights revolution of the 1970s much more triggered by Third World liberation ideology and decolonisation movements than Western governments? And finally: Did religious and ideological beliefs structure the evolution of human rights language and international law much more than legal thought? This section explores human rights concepts, their political language, and religious and ideological roots as an integral part of the Cold War in Germany and beyond.
Zeit
(Mittwoch) 11:15 - 13:15
Ort
H-Hörsaal C
Hauptgebäude
Überblick
(Deutsch-Ukrainische Historikerkommission) Die Schlucht von Babyn
Überblick
(Deutsch-Ukrainische Historikerkommission)
Die Schlucht von Babyn Jar war im September 1941 der Schauplatz der größten einzelnen Mordaktion an jüdischen Männern, Frauen und Kindern im Zweiten Weltkrieg, die unter der Verantwortung des Heeres der Wehrmacht durchgeführt wurde. Babyn Jar wurde nach dem Krieg Gegenstand der juristischen Aufarbeitung und des Gedenkens. In Deutschland ist in der jüngeren Vergangenehit vor allem Katja Petrowskajas Text „Vielleicht Esther“ (2013) bekannt geworden, in dem sie die Erschießung ihrer jüdischen Urgroßmutter 1941 in Kiew thematisiert.
Auf dem Historikertag soll es 75 Jahre nach dem Massaker um die jüdischen, ukrainischen und deutschen Erinnerungen an Babyn Jar gehen.
Round table:
– Guido Hausmann, Regensburg
– Yaroslav Hrytsak, Lwiw
– Vladyslav Hrynevych, Kiew
– Martin Schulze Wessel, München
– Igor Shchupak, Dnipro
– Kai Struve, Halle an der Saale
– Anna Veronika Wendland, Marburg
Zeit
(Mittwoch) 11:15 - 13:15
Ort
H-Hörsaal J
Hauptgebäude
Überblick
(Steffen Diefenbach, Konstanz, Kai Trampedach,
Überblick
(Steffen Diefenbach, Konstanz, Kai Trampedach, Heidelberg)
Kai Trampedach, Heidelberg:
Einführung
Ludwig Meier, Heidelberg:
Die heiligen Männer und der rechte Glaube
Steffen Diefenbach, Konstanz:
Askese und Amt. Die Quellen bischöflicher Autorität im West-Ost-Vergleich
Sebastian Schmidt-Hofner, Tübingen:
Die Heiligen und das Recht von Staat und Kirche in der Spätantike
Kai Trampedach, Steffen Diefenbach:
Fazit und Schlussdiskussion
Abstract (scroll down for English version):
Die – im Weberschen Sinne – charismatische Autorität der asketischen Heiligen konnte traditionale Formen der Herrschaftsbildung im staatlichen und kirchlichen Bereich des spätantiken Römischen Reichs herausfordern. In unserer Sektion geht es darum, diese Herausforderungen institutioneller Ordnung sichtbar zu machen und die Frage nach normativen, medialen und performativen Strategien der Einbindung asketischer Autorität durch staatliche und kirchliche Strukturen zu stellen. Im Sinne dieser übergreifenden Fragestellung ist auch das thematische Spektrum der geplanten vier Vorträge bewusst weit gefasst. Nach einer kurzen Einführung der beiden Organisatoren in das Thema der Sektion wird Kai Trampedach zunächst das ambivalente Verhältnis von Asketen und spätantiken Kaisern in den Blick nehmen. Dabei wird er zeigen , in welcher Weise Asketen Druck auf das politische Zentrum entfalten konnten und wie sich die Kaiser ihrerseits gezielt mit Heiligen Männern umgaben, um in den kirchenpolitischen Auseinandersetzungen des 5. und 6. Jh.s Rechtgläubigkeit zu demonstrieren und die religiösen Loyalitäten der Bevölkerung an sich zu binden. In Fortführung dieser Fragestellung wird Ludwig Meier die Rolle beleuchten, die Asketen für die Formierung von konkurrierenden Orthodoxien und kirchlicher Identitäten in der provinzialen Bevölkerung spielten. Da die Heiligen starken Einfluss auf verschiedene Segmente der Gesellschaft ausübten, trugen sie im 6. Jh. einerseits wesentlich zur Ausbildung der Kirchen des syrisch – orientalischen Christentums bei – andererseits standen sie dabei in einer fragilen und spannungsgeladenen Beziehung zu den Bischöfen, die durch ihre Weihegewalt einen entscheidenden Beitrag zum Aufbau alternativer Kirchenstrukturen leisteten. Die Relation von Bischöfen und asketischer Autorität steht auch im Zentrum der Überlegungen von Steffen Diefenbach. Ihn beschäftigt die Frage, warum es nur im Westen des römischen Reichs zu einer effektiven Integration asketischer Autorität in das Bischofsamt gekommen ist, während im Osten Askese und Amt dauerhaft divergierende P ole religiöser Autorität blieben. Als eine wesentliche Voraussetzung für diese Entwicklung ist die Prägung des Bischofsamtes durch hohe Aristokraten anzusehen, die erfolgreich eine Verbindung von Askese und Amt propagierten und damit eine Vorstellung episkopaler Autorität entwickelten, die im Kern nicht auf amtlichen Vollmachten, sondern auf bischöflicher Heiligkeit basierte. Diese Hypothese soll mit Blick auf die anders gearteten Verhältnisse im Osten des Reichs überprüft und weiterentwickelt werden. Abschließend geht S e bas ti an S c hmi dt – Ho f ne r als Experte für die spätantike Rechtskultur der Frage nach, in welchem Maße Heilige Männer der Kontrolle und Regulierung durch die Gesetzgebung unterworfen wurden. Der übergreifenden Fragestellung entsprechend, wird se in besonderes Augenmerk vor allem auf den Parallelen und Interferenzen zwischen ziviler und kirchlicher Gesetzgebung liegen, um zu überprüfen, ob staatliche und kirchliche Institutionen auf ähnliche Herausforderungen reagierten und analoge, komplementäre oder eben auch divergierende Integrationsstrategien entwickelten . Die Sektion soll nach einer Diskussion mit einem Fazit der beiden Sektionsleiter schließen.
Abstract (English version):
Ascetic holy men wielded a charismatic authority – in Max Weber’s sense of the term – that could challenge forms and institutions of traditional authority in the Later Roman Empire, civil as well as ecclesiastical. Our section aims at uncovering these challenges of institutional order and exploring the normative, medial and performative strategies applied by civil and ecclesiastical authorities in order to control this charism atic potential. The four talks of this section will tackle this complex topic from different perspectives. After a short introduction by the two organizers Kai Trampedach will discuss the ambivalent relationship between ascetics and emperors. He will exp lore under which conditions ascetics were able to put pressure on the political centre and how the emperors reacted to this challenge by surrounding themselves with holy men, in order to demonstrate orthodoxy and win the loyalties of the population in eccl esiastical conflicts. In a similar way Ludwig Meier will focus on the influence of ascetics in forming othodoxies und ecclesiastical identities on the level of local populations. Since holy men exerted a profound influence on different parts of society t he y played on the one hand a crucial role for the making of different churches in Syriac Christianity. On the other hand this frequently involved rivalries and tensions with bishops who, due to their sacramental dut ies and ordinations, decisively promoted th e establishment of alternative ecclesiastical structures. The relationship between bishops and ascetic authority also figures prominently in Steffen Diefenbach’ s discussion of different forms of episcopal authority in the later Roman Empire. His starting point is the question why only in the western part of the Empire the bishops achieved an effective integration of ascetic authority whereas in the East asceticism and episcopal office tended to remain two different sources of religious authority. The weste rn development seems to depend on a successful moulding of the episcopal office by high aristocrats, who propagated an idea of the bishop’s authority, which emphasized personal holiness, not pragmatic competence. This hypothesis shall be put to the test an d further developed with regard to the different situation in the Eastern part of the Empire. In his final talk Sebastian Schmidt-Hofner discusses the question, to which extent holy men were controlled and regulated by legislative power. He will especially focus on parallels and interferences between civil and ecclesiastical legislation in order to examine, in how far comparable challenges were met by divergent or complementary strategies employed by civil and ecclesiastical authorities. The panel will end with a final discussion and concluding remarks of the two organizers.
Überblick
(Frank Bajohr, München/Hamburg, Andrea Löw,
Überblick
(Frank Bajohr, München/Hamburg, Andrea Löw, München)
Frank Bajohr, München/Hamburg, Andrea Löw, München:
Einführung und Moderation
Susanne Hohle, Heidelberg:
Apostel einer jüdischen Weltverschwörung: Die Internationale der Antisemiten
Dagmar Pöpping, München:
Zeugen der Vernichtung. Die Kriegspfarrer der Wehrmacht und die Shoah an der Ostfront 1941–1945
Beate Meyer, Hamburg:
Konversion – ein Rettungsanker vor der Verfolgung?
Carlos Haas, München/Washington:
Zwischen Identitätskonstruktion und Deutungsressource: Zur Funktion von Glauben und Religion in den Gettos Warschau und Litzmannstadt
Doris Bergen, Toronto:
Kommentar
Zeit
(Mittwoch) 15:00 - 18:00
Ort
Phil A
Philosophenturm
MIT21SEP15:00- 18:00New Muslim Communities in Europe, 1918–194515:00 - 18:00 HOF-221
Überblick
(Marc David Baer, London) Mehdi Sajid,
Überblick
(Marc David Baer, London)
Mehdi Sajid, Utrecht:
Rethinking Islam Beyond the Nationalist Realm— Muslims in Inter-war Berlin and the Beginnings of Modern European Islam
Umar Ryad, Utrecht:
The Interaction Between the Ahmadiyya (India), Salafiyya and European Converts in the Interwar Period
Marc David Baer, London:
Protestant Islam in Weimar Germany: Hugo Marcus and »The Message of the Holy Prophet Muhammad to Europe«
David Motadel, Cambridge:
The Entangled Histories of Muslims, Jews and Jewish Converts to Islam in German-Occupied Paris
Marjan Wardaki, Los Angeles:
Political Activism and Transnational Ties in Weimar Germany: The First Afghan Community in Germany
Abstract:
The proposed panel responds directly to the call for papers relating to “Matters of Faith,” collaboration with India, and the recognition that historians have adopted a transnational methodology. The five papers of the proposed panel explore the first Muslim communities in post-World-War-I Europe, situating their history in the context of the history of Islam in Europe, conversion to Islam, the history of relations between Christians, Jews, and Muslims, and the connected histories of South and Central Asia, the Middle East, and Europe.
The panel’s first paper, Dr. Mehdi Sajid, “Rethinking Islam Beyond the Nationalist Realm – Muslims in interwar Berlin and the beginnings of modern European Islam,” takes as its starting point the fact that in today’s Germany the public associates the beginnings of the Muslim presence in the country with the immigration of Turkish and North African guest workers after 1945. That Muslims had been living in Germany and participating in its socio-cultural and political life for more than half a century before the coming of the later migrants seems to be known to only to few experts and interested parties. But the historical reality was more complex and diverse. In his presentation Dr. Sajid will address a set of questions, in order to highlight the historical importance of Muslim life in Germany from 1919 to 1945: What did the Muslim presence in Germany after World War I look like? Which Muslim trends were represented and how did they interact with German society? What were the positions of the German authorities in the Weimar Republic and later in Nazi-Germany towards these Muslims? Finally, why should they be considered as the “real” pioneers of Islam in Germany? Studying and re-discovering this unique Muslim European episode can in many ways contribute to putting the ongoing debate about the place of Islam and Muslims in Germany into perspective.
The panel’s second paper will be given by Associate Professor Umar Ryad, and is entitled, “Mediators: European Converts and Muslim Sectarianism in Inter-war Europe.” Within the context of “spreading the message” in Europe, different sectarian disputes emerged among Muslims in their new European environments. Some Muslims, especially European converts, promoted a universal Muslim community over sectarian differences. European converts played a prominent transcultural role in the development of modern Islamic thought, bridging historically and geographically established divisions within the Muslim community, which they as newcomers did not inherit. Whereas many of them maintained connections with the British-India based Ahmadiyya missions in Europe, they were also present in the debates in Salafi reformist pan-Islamic circles in Egypt. By focusing on two Muslim Salafi magazines in Egypt—Al-Manar by Muhammad Rashid Rida (1865-1935), and al-Fath by Rida’s contemporary, the Syrian writer and activist Muhibb al-Din al-Khatib (1886-1969), the paper emphasizes that although Salafi writers attacked Ahmadiyya doctrine, they praised their missionary work in Europe. The many disputes finally led to a deterioration in their relations by the mid-1930s. Many converts left the Ahmadiyya missions and established their own organizations and societies protesting the Ahmadiyya’s refusal to recant their beliefs. The paper shows that although the conflict between the Salafiyya and Ahmadiyya was uncompromising, European converts served as new engaging figures unconsciously creating a certain commonality and religious hybridity between these contending Muslim branches. In the end, they all had one goal in common, making Islam relevant in Europe.
The third paper, Professor Marc David Baer, “Protestant Islam in Weimar Germany: Hugo Marcus and ‘The Message of the Holy Prophet Muhammad to Europe’” explores the Islam envisioned in the extensive writings of one of the most prominent of German converts to the Ahmadiyya, the Jewish poet, philosopher, and political activist Hugo Marcus (1880-1966). Rather than an “Eastern” Islam, Marcus’s understanding of that religion is a surprisingly Eurocentric and even Germanic one. Islam is not only the religion of the German past, Marcus claims, but also, given its faith in the intellect and in progress, the religion of the future. Marcus’s ideas do not figure in the historiography of Weimar Germany. Primarily this is because while many of the new political notions of the future that Weimar writers contemplated have been explored, scholars have paid less attention to the spiritual and religious utopias envisioned in the 1920s. This paper engages with the question of German responses to the rupture of World War I and the realm of imagined political possibilities in Weimar Germany by focusing on one such utopia overlooked in historiography, the German-Islamic synthesis as advocated by Hugo Marcus.
The panel’s fourth paper is Dr. David Motadel, “The entangled histories of Muslims,
Jews and Jewish converts to Islam in occupied Paris.” When German troops marched into the French capital in 1940, they encountered a significant minority of Jews from Bukhara, Iran, and Afghanistan. These Jews lived in the same religiously mixed émigré milieu as Muslims from these countries. As the Germans began rounding up the Jews of Paris, members of these Jewish communities tried to portray themselves as a Muslim minority, which descended from Jews who had converted to Islam in the early nineteenth century. They received active help from a number of Muslims in Paris who testified that they were part of the Islamic community. The most important of these interventions was made by the Iranian consul. The case of these non-European Jewish groups led to a heated debate about their status in Berlin. In the end, the Jewish communities were classified as Muslim and survived the Holocaust. The paper interweaves the history of these communities with broader questions about religious minorities and the politics of religion under Nazi occupation. Drawing on previously unknown documents from German, Iranian, Israeli, French, and Swiss archives, the paper will make a contribution to the entangled history of Muslims and Jews in Europe’s “Age of Extremes.”
The panel’s fifth paper, Marjan Wardaki, “Political Activism and Transnational Ties in Weimar Germany: The First Afghan Community in Germany,” explores the transational links of Muslims in Germany and Central Asia. In 1933 the popular German newspaper, Berliner Tageblatt, reported the assassination of Sirdar Muhammed Azziz Khan, the Afghan envoy to Berlin, sent by his brother, the Afghan king, Mohammed Nadir Shah. According to Gestapo records, the assassin, a young German-educated Afghan, Syed Kemal, confessed to the murder and claimed Azziz Khan and his brother, the new King, had sold Afghanistan to the British. Roughly four months later, as King Nadir Shah was visiting the graduation ceremony at the German-founded Amani school in Kabul, one of the students, a supporter of the previous King, assassinated him. To understand the motives around these political activities, Ms. Wardaki’s paper traces wider social and political networks that informed the actions of these Muslim students during the period from 1920 to 1935, as well as to examine the everyday entanglements that resulted from closer diplomatic relations between Germany and Afghanistan. Taking advantage of the production of diasporic literature, the circulation of ideas and the movement of goods through trading families around both large commercial areas such as Bombay, Hamburg, and more smaller locales, this paper will highlight the ways in which the first Afghan community in Germany navigated legal and social restrictions, and made sense of its wider function within a changing global political context. The method employed in this paper utilizes global and microhistorical study. A microhistorical focus has the advantage of uncovering forms of mediated networks and relations within which Afghan actors functioned vis-à-vis their changing roles within the larger political and social context.
Überblick
(Helge Schroeder, VGD) Helge Schroeder, Franziska
Überblick
(Helge Schroeder, VGD)
Helge Schroeder, Franziska Frisch, Hamburg:
Einführung: Stellenwert und Herausforderungen der deutsch-jüdischen Geschichte in einer Gesellschaft im Umbruch
Martin Liepach, Frankfurt:
Wie wird die deutsch-jüdische Geschichte in aktuellen Schulgeschichtsbüchern dargestellt? Was könnte verbessert werden? Ergebnisse einer Untersuchung des Pädagogischen Zentrums Fritz-Bauer-Institut & Jüdisches Museum Frankfurt
Deborah Hartmann, Jerusalem:
Jerusalem – Die Geschichte der Shoa immer wieder neu vermitteln? Initiativen, Projekte und Herausforderungen für die Bildungsarbeit der Internationalen Schule für Holocaust-Studien (ISHS) von YadVashem/Jerusalem
Frauke Steinhäuser, Hamburg:
»Stolpersteine« – Lernanlässe zu jüdischem Leben
Silke Urbanski, Hamburg:
Jüdische Geschichte in einem »Digitalen Geschichtsbuch«?
Carmen Smiatacz, Hamburg:
Projektlernen am Beispiel des Schülerprojekts Geschichtomat – Historisches Lernen mit digitalen Nebenwirkungen
Stephanie Fleischer, Hamburg:
Projektarbeiten zur jüdischen Geschichte als individuelle Förderung: Ein Staatsarchiv als außerschulischer Lernort
Abstracts:
Seit etwa 2000 Jahren leben Juden im Gebiet des heutigen Deutschland. Bis ins 20. Jahrhundert hinein waren sie die größte nichtchristliche religiöse Minderheit im Land. Das Zusammenleben gestaltete sich oft friedlich, immer wieder kam es aber zu Diskriminierungen, zu Verfolgung und Mord, bis hin zum furchtbaren Zivilisationsbruch des Holocaust. Dem stehen aber auch Phasen des fruchtbaren Austauschs zwischen der jüdischen und der nichtjüdischen Bevölkerung gegenüber. Die spannungsreiche, wechselvolle Geschichte des Zusammenlebens bietet viele lohnende Themen für den Geschichtsunterricht, wirft aber auch viele Fragen auf. Einen besonderen Stellenwert hat naturgemäß die Geschichte des Holocaust. Dieses wichtige Thema kann indes heute nicht mehr in der gleichen Weise unterrichtet werden, wie das seit den 1970er-Jahren geschah. Zum einen stehen die Zeitzeugen kaum mehr zur Verfügung. Zum anderen fühlen immer größere Teile unserer Schülerschaft keine persönliche Betroffenheit mehr, entweder weil sie in den Familien keine persönlichen Berichte mehr erhalten können oder aufgrund eines Migrationshintergrundes. Viele Lehrerinnen und Lehrer werden von ihren Schülerinnen und Schülern daher mit der Frage konfrontiert: Was geht mich das an?
Hinzu kommt, dass aufgrund der Dominanz des Holocaust Juden in der Schule fast ausschließlich als Opfer vorkommen. Das Alltagsleben und die Leistungen jüdischer Menschen innerhalb der Gesellschaft bleiben somit zumeist ausgeblendet, eine zeitgemäße, differenzierte Arbeit an der Geschichte des Zusammenlebens in Deutschland findet so nicht statt.
Zugleich werden durch die aktuellen Entwicklung auch Glaubensfragen wieder aufgeworfen – die in Teilen der Gesellschaft zu beobachtende Re-Religiösierung scheint auch alte religiöse oder religiös-scheinbegründete Konflikte neu zu beleben: Gibt es einen neuen Antisemitismus, der auch wieder religiöse Wurzeln hat?
Helge Schröder, Hamburg, Franziska Frisch, Hamburg:
Stellenwert und Herausforderungen der deutsch-jüdischen Geschichte in einer Gesellschaft im Umbruch
In der Sektion sollen die in der Sektionsbeschreibung skizzierten Fragen und Herausforderungen am Beispiel konkreter Unterrichtsbeispiele bearbeitet und diskutiert werden. Bei der Auswahl der Beispiele wurde insbesondere auf konkrete neue Ansätze, insbesondere in Verbindung mit den Möglichkeiten und Chancen neuer Medien, zurückgegriffen. Ein weiteres Auswahlkriterium ergab sich aus der Herausforderung des Geschichtsunterrichts durch die zunehmende Etablierung eines Zwei-Säulen-Modells aus dem Gymnasium und eine nicht-gymnasiale, aber das Abitur ermöglichende Schulform: Welche Unterrichtsansätze eignen sich für die jeweiligen Schülergruppen? Wie kann insbesondere mit der besonderen Heterogenität an den nicht gymnasialen Schulformen umgegangen werden? Wie stellen sich die Herausforderungen und Chancen durch die Zuwanderung nach Deutschland dar?
Insgesamt zeigen sich somit klare Chancen, den Schülern die direkte Relevanz der Beschäftigung mit der deutsch-jüdischen Geschichte nahe zu bringen:
- Der regionale Bezug, das heißt die Beschäftigung mit Ereignissen in der Nähe des Lebensortes der Schüler
- Der personale Bezug, das heißt die Beschäftigung mit einzelnen Schicksalen, die den Schülern eine emotionale Nähe ebenso wie ein Fremdverstehen ermöglichen
- Die Attraktivität der Beschäftigung mit einer Minderheit, die lange Zeit um Integration und Selbstbehauptung bemüht war, mit teilweise großen Erfolgen.
Martin Liepach, Frankfurt:
Wie wird die deutsch-jüdische Geschichte in aktuellen Schulgeschichtsbüchern dargestellt? Was könnte verbessert werden? Ergebnisse einer Untersuchung des Pädagogischen Zentrums Fritz-Bauer-Institut & Jüdisches Museum Frankfurt
Der Referent untersucht die Repräsentation jüdischer Geschichte in den Lehreinheiten von der Antike bis hin zur Zeit der Bundesrepublik und zwar sowohl im Hinblick auf historische-inhaltliche Einordnungen und Interpretationen als auch unter vermittlungsproblematischen Aspekt. Dass jüdische Geschichte trotz eines mehrfach geforderten Perspektivwechsels meist als Verfolgungs- und Opfergeschichte erzählt wird, ist ein wesentlicher Befund. Die Analyseergebnisse geben auch Aufschluss über die geschichtskulturelle Wahrnehmung von Juden und der gemeinsamen christlich-jüdischen Geschichte.
Deborah Hartmann, Jerusalem:
Die Geschichte der Shoa immer wieder neu vermitteln? Inititativen, Projekte und Herausforderungen für die Bildungsarbeit der Internationalen Schule für Holocaust-Studien (ISHS) von YadVashem/Jerusalem
Die deutschsprachige Bildungsabteilung der Gedenkstätte Yad Vashem (Jerusalem) hat sich in den letzten Jahren intensiv mit der Frage beschäftigt, inwiefern die Shoah auch für nachfolgende Generationen von Bedeutung ist. Insbesondere wird die Frage diskutiert, weshalb sich Jugendliche weltweit überhaupt mit der Geschichte des Nationalsozialismus auseinandersetzen sollten und welche Rolle das Geschichtsverständnis der Lernenden spielt.
Frauke Steinhäuser, Hamburg:
„Stolpersteine“ – Lernanlässe zu jüdischem Leben
Die meisten der in Gehwege eingelassenen „Stolpersteine“ aus Messing erinnern an von den Nationalsozialisten ermordete Jüdinnen und Juden. Zahlreiche zu den Opfern verfasste Biografien bieten differenzierte Lernzugänge – auch für heterogene Lerngruppen.
Silke Urbanski, Hamburg:
Jüdische Geschichte in einem „Digitalen Geschichtsbuch“ ?
In Hamburg entsteht derzeit ein digitales Geschichtsbuch, das ein vertiefendes, auf regionale Beispiele orientiertes, Geschichtslernen ermöglichen soll. Welche neuen Zugänge und Lernchancen ergeben sich damit für die jüdische Geschichte? An einem ausgewählten Beispiel soll gezeigt werden, wie Unterrichtsvorbereitung und schülergesteuertes Arbeiten mit dieser Website funktionieren – und welche Chancen sich für die Beschäftigung mit der deutsch-jüdischen Geschichte ergeben – nicht nur für die Regionalgeschichte.
Carmen Smiatacz, Hamburg:
Projektlernen am Beispiel des Schülerprojekts Geschichtomat – Historisches Lernen mit digitalen Nebenwirkungen
Wie kann jüdische Geschichte und Kultur jugendgerecht vermittelt werden? Auf welche Weise lässt sich Vergangenheit und Gegenwart des Judentums vor Ort zu entdecken und für andere erfahrbar machen? Wie können Schicksale von Jüdinnen und Juden jenseits stereotyper Opfernarrative erzählt werden? Eine mögliche Antwort bietet das Schülerprojekt Geschichtomat: Schülerinnen und Schüler gehen im Rahmen von Projektwochen in ihrem Stadtteil auf Spurensuche und halten die Ergebnisse ihrer Recherchen in Form von Videos, Fotos und Texten in einem digitalen Stadtplan fest. Das Projekt bietet neben der inhaltlichen Auseinandersetzung eine aktive Schulung der Medienkompetenz und ist für Jugendliche von der Förderschule bis zum Gymnasium geeignet.
Stephanie Fleischer, Hamburg:
Projektarbeiten zur jüdischen Geschichte als individuelle Förderung: Ein Staatsarchiv als außerschulischer Lernort
Der Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten, Präsentationsleistungen in der Oberstufe und Referate in der Mittelstufe bieten die Gelegenheit, Schüler individuell nach ihren jeweiligen Interessen zu fördern und so zu besonderen Leistungen zu motivieren. Die jüdische Geschichte in Hamburg bietet dazu zahlreiche Zugänge der biographischen Forschung, die sich nicht allein auf die NS-Zeit beschränkt, auch wenn Schüler der Zeitspanne zwischen Machtergreifung und Deportation mit besonderer Empathie begegnen. Erforscht wurden dabei u.a. Biographien des Reeders Albert Ballin, des Oberrabbiners Joseph Carlebach oder der Künstlerin Anita Reé.
Zeit
(Mittwoch) 15:15 - 18:00
Ort
Audimax I
Auditorium Maximum
Überblick
(Robert Kretzschmar, Stuttgart/Tübingen, Rainer Hering,
Überblick
(Robert Kretzschmar, Stuttgart/Tübingen, Rainer Hering, Kiel)
Robert Kretzschmar, Stuttgart/Tübingen:
Einführung
Gerald Maier und Christina Wolf, Stuttgart:
Das Archivportal-D und die Deutsche Digitale Bibliothek. Neue übergreifende Recherchemöglichkeiten nach Quellen für die historische Forschung
Matthias Razum, Karlsruhe:
Tear down this wall – Offene Schnittstellen für die vernetzte Forschung
Michael Hollmann, Koblenz:
Angebote des Bundesarchivs im Netz
Stefan Kuppe, Udo Schäfer, Hamburg:
Das Transparenzportal Hamburg – Open Government Data als Angebot auch an die historische Forschung
Rainer Hering, Kiel:
Präsenz durch Publikationen. Open-Access-Publishing als Angebot der Archive
Rüdiger Hohls, Berlin:
Statement aus der Sicht der historischen Forschung
Abstracts (scroll down for English version)
Welche Angebote der Archive stehen heute der historischen Forschung im Netz zur Verfügung, um nach Archivgut zu recherchieren? Inwieweit sind Informationen zu Archivgut abrufbar und in welchem Umfang sind die Archivalien selbst digitalisiert? Welche Möglichkeiten bestehen für die Weiterverwendung der Daten und Digitalisate? Welche Strategien verfolgen die Archive bei der online-Stellung von Informationen zu Archivgut und Digitalisaten? Welche Anforderungen sollten dabei aus der Sicht der Forschung Beachtung finden? Diese Fragen stehen im Vordergrund der Sektion, die den Dialog zwischen den Archiven und der historischen Forschung fördern soll. Neben der reinen Information zielt die Sektion vorrangig auf eine wechselseitige Sensibilisierung für Bedarfe und Möglichkeiten.
Im September 2014 wurde das Archivportal-D innerhalb der Deutschen Digitalen Bibliothek (DDB) freigeschaltet, das dazu eingerichtet ist, aus allen Archiven Deutschlands Informationen zu Archivgut zusammenzuführen und spartenübergreifend mit Metadaten und Digitalisaten anderer Kulturinstitutionen – insbesondere der Bibliotheken und Museen – zu vernetzen. Die Konferenz der Leiterinnen und Leiter der Archivverwaltungen des Bundes und der Länder (KLA) hat 2015 ein Positionspapier verabschiedet, demzufolge sich das Archivportal-D zu d e m zentralen Nachweisinstrument für Archivgut in Deutschland und Nukleus einer in der nächsten Zeit konsequent auszugestaltenden Portallandschaft entwickeln soll. Was damit gemeint ist, wird in der Sektion erläutert. Auf dieser Grundlage werden sodann aktuelle Angebote des Bundesarchivs, des Staatsarchivs Hamburg und des online-Publishing vorgestellt.
Die Referate greifen ineinander und werden jeweils unmittelbar im Anschluss diskutiert. Das abschließende Statement erfolgt aus der Sicht der historischen Forschung und soll in eine umfassende Abschlussdiskussion einmünden.
Christina Wolf, Gerald Maier, Stuttgart:
Das Archivportal-D und die Deutsche Digitale Bibliothek. Neue übergreifende Recherchemöglichkeiten nach Quellen für die historische Forschung
Noch vor wenigen Jahren gestaltete sich die Recherche nach Archivgut im Internet als sehr mühsam: Meistens erforderte sie den Besuch individueller Webseiten einzelner Archive; die stellenweise vorhandenen gemeinsamen Angebote mehrerer Einrichtungen waren i.d.R. auf regionale oder themenspezifische Zugänge beschränkt. Die Handhabung der Recherchesysteme erwies sich zudem häufig als wenig intuitiv oder doch zumindest sehr heterogen. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass wissenschaftliche Nutzer/innen, Fördergremien und die Archivwelt selbst schon seit den frühen 2000er Jahren die Entwicklung eines Archivportals auf nationaler Ebene erwarteten und forderten.
Dieses Vorhaben wurde ab Oktober 2012 mit Förderung der Deutschen Forschungsgemeinschaft und in enger Verbindung mit der Deutschen Digitalen Bibliothek (DDB) verwirklicht: Das Archivportal-D (www.archivportal-d.de) steht seit Herbst 2014 für die öffentliche und kostenfreie Nutzung zur Verfügung. Damit existiert erstmals ein zentraler, deutschlandweiter Zugangspunkt zu archivischen Erschließungsleistungen und digitalisierten Archivalien. Das deutsche Archivportal bietet historisch Forschenden und allen Interessierten eine Plattform für die Recherche nach fachgerecht aufbereiteten Informationen zu deutschen Archiven, deren Beständen, Findmitteln und Archivgut. Es ist sowohl technisch als auch organisatorisch eng mit der spartenübergreifenden Deutschen Digitalen Bibliothek verknüpft, woraus sich Synergien und Vorteile für Anwender/innen ebenso wie für beteiligte Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen ergeben. Mit derzeit mehr als 11 Millionen Datensätze von über 80 Archiven und Adressangaben von über 600 Institutionen (Stand: Januar 2016) steht im Archivportal-D inzwischen eine wertvolle Datenbasis für Forschung und Wissenschaft bereit, die beständig erweitert wird.
Der Beitrag stellt zunächst die Genese und Zielsetzungen des Archivportals-D vor. Eingehend werden dann die Portaloberfläche und Recherchefunktionalitäten erläutert. Des Weiteren wird ein Ausblick auf die zukünftigen Herausforderungen und Entwicklungen im Bereich des Archivportals-D und der Deutschen Digitalen Bibliothek gegeben und dargestellt, wie sich beide Angebote in die Landschaft bestehender Online-Portale einfügen und welche Chancen die angestrebte enge Vernetzung eröffnet.
Matthias Razum, Karlsruhe:
Tear down this wall – Offene Schnittstellen für die vernetzte Forschung
Die tiefgreifende Transformation der Wissenschaft durch deren fortschreitende Digitalisierung betrifft auch die Geisteswissenschaften. Der sich etablierende Bereich der „Digital Humanities“ zeigt dies ebenso wie die verstärkte Orientierung von Gedächtniseinrichtungen hin zu Angeboten im Netz. Immer mehr Metadaten, Erschließungsinformationen wie z.B. Findbücher, aber auch Digitalisate sind online verfügbar. Dabei zeigt sich, dass die Stärke des Internets – nämlich die Verteilung – auch ihre Nachteile hat. Das Angebot stellt sich für Nutzende hochgradig fragmentiert dar. Wie kann also das Potenzial der verteilten Informationsinfrastrukturen für die Forschung nutzbar gemacht werden?
Gedächtniseinrichtungen haben (glücklicherweise) feste Häuser mit Mauern – im Digitalen aber sind Mauern als tragende Strukturelemente nicht mehr notwendig. Ganz im Gegenteil: hier verhindern sie den freien Fluss der Daten und damit auch, den vollen Nutzen aus den mit intellektuellem und finanziellen Aufwand erschlossenen und digitalisierten bzw. digitalen Quellen zu ziehen. Diese Daten können in vielfachen Nutzungskontexten relevant sein. Dem stehen aber Einrichtungen gegenüber, die aufgrund beschränkter Ressourcen nur Zugriffswege für wenige dieser Kontexte ermöglichen können, etwa in Form ihrer Zugangs- und Rechercheportale. Offene Schnittstellen erlauben es Dritten, weitere Nutzungskontexte zu eröffnen, etwa in Form von virtuellen Forschungsumgebungen. In diesen können Forschende Daten aus unterschiedlichsten Quellen zusammenführen, tiefer erschließen, miteinander in Beziehung setzen und publizieren. Zentrale Portale wie die Deutsche Digitale Bibliothek oder Archivportal-D ermöglichen eine übergreifende Vernetzung und Recherche der Daten und überwinden so die Mauern der vielen Einzelsysteme in einer verteilten Informationsinfrastruktur.
Die Vernetzung setzt aber einige Bedingungen voraus: die Daten müssen eindeutig und persistent identifiziert sein, sie müssen unter einer möglichst offenen Lizenz nutzbar, umfänglich mit Normdaten erschlossen und über dokumentierte und standardisierte Schnittstellen zugreifbar sein – etwa über Programmierschnittstellen (API: Application Programming Interface). Erst die konsequente Erfüllung dieser Bedingungen hebt den digitalen Schatz vollständig, der in den vielfältigen digitalen Angeboten der Gedächtnisorganisationen zu finden ist.
Matthias Razum ist Leiter des Teilbereichs eScience, IT, Development & Applied Research beim FIZ Karlsruhe – Leibniz Institut für Informationsinfrastruktur.
Michael Hollmann, Koblenz:
Angebote des Bundesarchivs im Netz
Seit Jahren ist das Bundesarchiv bemüht, seine Erschließungsdaten – soweit rechtlich möglich – über das Internet allgemein zugänglich zu machen. Nach der Freischaltung seiner Suchmaschine invenio und dem Aufbau der Basisfunktionen eines Digitalen Archivs wird das Bundesarchiv in der Zukunft bemüht sein, verstärkt auch digitalen Content über das Internet für die Online-Benutzung bereitzustellen. Da es seine Erschließungsdaten samt digitalem Content auch an das Archivportal D weitergibt, leistet das Bundesarchiv so gleichzeitig einen Beitrag zum Auf- und Ausbau vernetzter historischer Informationssysteme.
Aufbauend auf seinen bisherigen Erfahrungen wird das Bundesarchiv bei der Digitalisierung und Onlinepräsentation von Archivgut im Internet künftig doppelgleisig verfahren. Zum einen werden Digitalisate, die im Kontext konkreter Benutzungen on demand erstellt werden, künftig auch über das Internet allgemein und dauerhaft verfügbar gemacht. Auf diese Weise entsteht im Laufe der Zeit ein neuartiges Referenzsystem für die historische Forschung, das über die traditionellen Verweise auf die Fundorte archivischer Bezugsquellen hinaus diese Quellen selbst als Digitalisat verfügbar macht und so den fachlichen Diskurs befördert.
Daneben wird das Bundesarchiv sein Onlineangebot konzeptionell ausbauen. Den Einstieg in das umfassende Projekt der Online-Präsentation seines Archivguts nimmt das Bundesarchiv über ein Projekt mit dem Arbeitstitel „Deutschland in zwei Nachkriegszeiten“. Ziel wird es sein, Archivgut zu identifizieren, zu digitalisieren und online zu präsentieren, das – gleich ob es sich um Schriftgut, Fotos, Filme oder Töne handelt – für eine Vielzahl von Themen und Forschungsansätzen als Leitquelle relevant ist. Dabei sollen immer vollständige Akten oder sogar Aktengruppen digitalisiert werden, damit dem archivischen Kontext-Gebot entsprochen wird.
Von entscheidender Bedeutung wird es sein, Archivgut auszuwählen, das tatsächlich eine offene Auseinandersetzung und Deutung der Geschichte der Weimarer Republik bzw. der Nachkriegsgeschichte anregen soll und dessen Auswahl nicht bereits ein eigenes Narrativ enthält. „Weimar“ etwa soll nicht von vorneherein aus der Perspektive des Scheiterns dokumentiert werden, sondern als zwar immer gefährdeter, zumindest zeitweise aber durchaus erfolgversprechender Versuch der Errichtung einer parlamentarischen Demokratie in Deutschland erkennbar werden – die Zwischenkriegszeit soll als offen und gewissermaßen „in Fahrtrichtung“ nachvollzogen werden können.
Stefan Kuppe, Udo Schäfer, Hamburg:
Das Transparenzportal Hamburg – Open Government Data als Angebot auch an die historische Forschung
Das Hamburgische Transparenzgesetz (HmbTG) legt eine umfassende Veröffentlichungspflicht für Informationen des öffentlichen Sektors fest, durch die die Transparenz staatlichen Handelns und die demokratische Meinungs- und Willensbildung gefördert werden soll. Unter den Informationen, die unter Beachtung des Schutzes personenbezogener Daten öffentlich zugänglich gemacht werden, finden sich zum Beispiel Geodaten, Statistiken, Verträge und Beschlüsse des Senats. Der Zugriff erfolgt seit dem 1. Oktober 2014 über das Transparenzportal Hamburg. Der Fachliche Betrieb des Portals liegt in der Zuständigkeit der Fachlichen Leitstelle Transparenzportal Hamburg des Staatsarchivs.
Der Vortrag wird das Transparenzportal Hamburg in den verwaltungswissenschaftlichen Diskurs über Open Government Data einordnen und die Frage aufwerfen, ob nicht auch die historische Forschung als Adressat dieses Angebots in den Blick zu nehmen ist. Darüber hinaus wird er aus archivwissenschaftlicher Perspektive Aspekte erörtern, die von Seiten der Geschichtswissenschaften zu bedenken sind, wenn sie aus Aufzeichnungen Informationen erheben, die bisher nicht als Archivgut übernommen worden sind und deren Erhaltung auf Dauer die historische Forschung deshalb nicht voraussetzen darf.
Rainer Hering, Kiel:
Präsenz durch Publikationen. Open-Access-Publishing als Perspektive für Archive
Für Archive ist die Präsenz im Internet – wie für alle anderen gesellschaftlichen Institutionen – notwendig, um adäquat wahrgenommen zu werden. Neben Portalen bietet das Open-Access-Publizieren eine zusätzliche Möglichkeit, die Sichtbarkeit von Archiven durch eigene Publikationen zu vergrößern. Dabei werden Bücher zugleich als klassische, hochwertige Printpublikationen, aber auch als ansprechend aufbereitete Online-Publikationen, die kostenfrei im Internet zur Ansicht und zum Herunterladen angeboten werden, bereitgestellt. Ergänzungen und Neuauflagen können schnell und kostengünstig realisiert werden; durch das Print-on-Demand-Verfahren werden Lagerkosten gespart. Innovative Publikationsverfahren bieten zudem die Chance, das vielfältige archivische Spektrum von Text, Bild, Ton und Film geschickt zu verbinden.
Der Beitrag erläutert grundsätzlich das Open-Access-Publizieren und dessen Bedeutung für die wissenschaftliche Forschung. Am Beispiel des Staatsarchivs Hamburg und des Landesarchivs Schleswig-Holstein wird dieses neue Publikationsmodell konkret vorgestellt, das die Vorteile von Internetpräsenz mit hoher weltweiter Sichtbarkeit und solider Buchveröffentlichung kombiniert.
Abstracts (English version)
Which services do archives offer historical researchers today to access their holdings on the internet? In what degree do they provide information on archival material and digitized documents? How can the data and digital facsimiles be further processed and reused? Which strategies do archives pursue when providing information online? Which requirements of researchers have to be considered? These are the main topics of this session that aims at promoting the dialogue between archivists and historical researchers. It’s objective is not only information sharing, but creating a mutual understanding for needs and opportunities.
The German Archives Portal, Archivportal-D, was launched in September 2014 and acts as the central platform for archival information in Germany. It gathers metadata and digital reproductions from all kinds of archives and links them with the content of other cultural heritage institutions, especially libraries and museums.
The purpose of Archivportal-D as the central access point to archival material within a growing network of cultural portals has also been outlined in a position paper published by the conference of heads of state archives in Germany in 2015. This will be described further in the session. The following talks will cover current services of the Bundesarchiv, the Staatsarchiv Hamburg and of online-publishing.
The interlocking presentations will be discussed subsequently. A concluding position statement from the angle of historical research will lead into a wide-ranging closing discussion.
Christina Wolf, Gerald Maier, Stuttgart:
Archivportal-D and Deutsche Digitale Bibliothek. New Comprehensive Services for Historical Research
Only a few years ago, the research for archival material on the internet proved to be very troublesome: Generally, users had to visit each and every archives’ website separately. Online search systems spanning more than one institution in this field were scarce, often limited to specific regions or topics and inconvenient. Knowing this, it is no surprise that more and more voices were raised that deemed a nationwide archives portal necessary.
This German Archives Portal, Archivportal-D, was finally realized thanks to funding by the German Research Foundation and a close connection with the German Digital Library (Deutsche Digitale Bibliothek). It is publicly and freely available since autumn 2014 and offers for the first time central and comprehensive access to records of all kinds of German archives. Researchers are able to find information on archival institutions, to look through finding aids provided by participating archives, to view search results and to study digital copies of archival records – all by browsing one single website.
Archivportal-D forms part of the Deutsche Digitale Bibliothek, the overall German Digital Library, and is embedded in its structure in terms of organization and technical background which guarantees sustainability beyond the project’s lifetime. At the same time, the interconnectedness creates positive outcomes for both users and cultural heritage institutions. With currently more than 11 million records from over 80 archives and address details of over 600 institutions (as of January 2016), Archivportal-D has already become a valuable information resource for research and science that is continually being extended.
The lecture will first introduce the beginnings and objectives of the German Archives Portal. The portal interface and search functionalities will then be presented in depth. After that, explanations on future challenges and developments in the field of Archivportal-D and Deutsche Digitale Bibliothek will follow. Finally, it will be shown which position both services take in the network of other online portals and what opportunities arise from the close cross-linkage.
Mathias Razum, Karlsruhe:
Tear Down This Wall – Open Interfaces for Networked Research
The profound transformation of research triggered by the progressing digitization affects both science and humanities. This is illustrated by the establishing field of Digital Humanities and the increase in web-based offerings by memory institutions. More and more metadata, indexing information like finding aids, and digitized materials are available online. It becomes apparent that the strength of the Internet – distributed resources – also has its downsides. For users, the offering turns out to be highly fragmented. Thus, the question is how to leverage the potential of distributed information infrastructures?
Memory institutions (fortunately) own buildings with sound walls – in the digitized world, however, walls are not needed any longer as supporting structures. Quite the opposite: walls block the free flow of data and thereby circumvent realising the full benefit of digitized materials that have been indexed with substantial intellectual and financial resources. This data may be relevant in multiple application contexts. Memory institutions with their typically limited resources can only address the most important application contexts, e.g. by means of search and dissemination portals. Open interfaces enable third parties to address the remaining application contexts, e.g. in the form of virtual research environments. These environments facilitate merging data from various sources, index it, create relations, and finally publish it. Central access portals like the German Digital Library (Deutsche Digitale Bibliothek) and the German Archives Portal (Archivportal-D) allow for comprehensive referrals and searches across the many data sources of a distributed information infrastructure, thus tearing down institutional walls.
The interconnectedness requires several preconditions to be met: all data is uniquely and persistently identified, it is reusable under an open license, authority data is used where appropriate, and the data is accessible via standardized and well-documented application programming interfaces. Only if all the preconditions are fulfilled, the true value of the digital treasure hidden in the manifold web-based offerings of memory institutions can be uncovered.
Michael Hollmann, Koblenz:
Content Offers on the Internet: The Federal Archives‘ Strategy
For the past years, the Federal Archives (Bundesarchiv) made considerable efforts to enable online access to all its description information – as far as legally possible. Following the launch of its research database “invenio” and the establishment of basic functionalities of a digital repository, the Federal Archives henceforth will also focus on the online presentation of ever more digital content. In addition to that, all description information and digital content is transmitted to the national archives portal (Archivportal-D). Thus the Federal Archives contributes to the creation and expansion of linked historical information systems.
Based on the experience gained so far, the Federal Archives will follow a double strategy of digitization and online presentation of archival material. First, documents digitized “on demand” – i.e. by order of users being interested in digital copies of specific sources – will also be presented on the internet and permanently made accessible. Thus, as time goes by, a new kind of reference system for historical research could be established: When in future not only locations and reference numbers of archival sources are indicated, but the sources themselves made available in digital form, discussions among professionals might well be fostered.
Furthermore, the Federal Archives is going to amend its web concept. A project preliminary titled “Germany in two post-war eras” (“Deutschland in zwei Nachkriegszeiten”) marks the starting point of the long process of significantly extending the amount of archival material presented online. The project aims at identifying, digitizing and presenting online archival material of high relevance for a number of topics and research approaches – no matter whether we talk about files, pictures, films or sounds. In order to be in line with the tradition of presenting archival sources within their context, files or record groups shall always be digitized as a whole.
A crucial point is the selection of archival material to be digitized. It is highly important to choose sources that stimulate an open research in and analysis of the history of the Weimar Republic and the years after 1945. The selection has to be made without any prejudgment – the Weimar Republic, for example, shall not be presented from the perspective of failure, but recognized as an – even if permanently threatened – at least partially successful attempt to establish a parliamentary democracy in Germany. The chosen sources shall thus help to understand the inter-war period “in the direction of travel”.
Stefan Kuppe, Udo Schäfer, Hamburg:
The Transparency Portal Hamburg – Open Government Data as an Offer as well for Historical Scientific Research
According to the Hamburg Transparency Law the public authorities of the Free and Hanseatic City of Hamburg are obliged to publish certain categories of public sector information in order to enhance transparency and democratic participation. The categories of public sector information which are made accessible within the limitations set up by the protection of privacy include geographic and statistical information as well as contracts and decisions of the senate. Since 2014, October 1 the access is provided via the Transparency Portal Hamburg. A special unit of the State Archives of the Federal State of Hamburg is responsible for the portal.
The presentation will connect the Transparency Portal Hamburg with the discourse concerning open government data within the administrative science and will raise up the question if the historical scientific research should be addressed as well by this offer. Besides the presentation will discuss several aspects from the perspective of archival science which should be taken into account by the historical sciences in case they make use of records which have so far not been transferred to public archives and whose preservation is therefore uncertain.
Rainer Hering, Kiel:
Open Access Publishing for Archives
Archives as any other organizations have to be visible in the internet. Besides their own websites one or more archival gateways as Archivportal D or Europeana are important to be visible in our modern world. Another opportunity is open access-publishing. Archives will be more visible if their publications are distributed in the classical way as printed books with high quality but as E-books or internet publications as well.
Open access means that the internet publications are free of charge. Open access publications are visible all over the world 24 hours a day. Revised editions are very fast and easy to be produced at a very low price. Especially finding aids or inventories could be published and revised very quickly. The paper books are published as prints on demand, so that there are no storage costs. Open access-publishing offers the opportunity to mingle different media in one publication, e.g. photos, sound- and film-sequences with are directly combined with the text. The paper will show the opportunities of open access-publishing which is practiced at the State Archives of Hamburg and Schleswig-Holstein.
Überblick
(Isabel Heinemann, Münster) Isabel Heinemann, Münster: Einleitung:
Überblick
(Isabel Heinemann, Münster)
Isabel Heinemann, Münster:
Einleitung: Paar, Familie, Bevölkerung? Der Perspektivwechsel von der Eugenik zur Humangenetik und die (Re-)Aktualisierung religiöser Deutungsmuster
Claudia Roesch, Münster:
Bevölkerungssteuerung und Familienberatung in den USA: Das »Clergymen Advisory Council« von Planned Parenthood und die Debatte um Familienplanung in den 1950er und 1960er Jahren
Britta Marie Schenk, Kiel:
Eltern, Experten und Sterilisation: Humangenetische Beratung zwischen Glauben und Wissen in den 1960er bis 1980er Jahren
Till Kössler, Bochum:
Debatten um Vererbbarkeit von Begabung nach 1945
Gabriele Lingelbach, Kiel:
Kommentar
Abstracts:
Durch den Vergleich der Diskussionen um Vererbung von Begabung und „Behinderung“, um Lenkung von Reproduktion und Bevölkerungswachstum in den USA und der Bundesrepublik der 1950er bis 1980er Jahre soll herausgearbeitet werden, ob die „Verwissenschaftlichung des Sozialen“ auch als Revitalisierung religiöser Legitimationsstrategien gelesen werden kann. Die Debatten legen dies nahe, wurden doch Vorstellung von „Familie“, dem Wert des Individuums und der Verantwortung des Einzelnen für das Wohl der Gemeinschaft mit religiösen Leitbildern verschmolzen oder diskursiv an diesen ausgerichtet. Am Ende der Sektion soll die Einschätzung stehen, inwiefern der Aufstieg von Wissensgesellschaften eine neue Konjunktur religiöser Werte und Begründungszusammenhänge implizierte, oder ob letztere nur zur Vermittlung kulturell und sozial kontroverser Botschaften genutzt wurden.
Folgende Fragen stehen im Zentrum der Überlegungen: (1) Wie wurde in Humangenetik, Begabungsforschung und Bevölkerungspolitik das Verhältnis von Glauben und Wissen verhandelt? (2) Welche religiös grundierten Vorstellungen determinieren die Vorstellungen von und Debatten um Begabung, Behinderung, und Reproduktion in Deutschland und den USA nach 1945? (3) Wann rekurrierten die Akteure auf die vermeintliche wissenschaftliche Nachprüfbarkeit, wann bemühten sie „Überzeugungen“ und „Glaubensfragen“? (4) Was sagt dies über Prozesse der Verwissenschaftlichung und der Pluralisierung von Normen in modernen Gesellschaften aus?
Isabel Heinemann, Münster:
Einleitung: Paar, Familie, Bevölkerung? Der Perspektivwechsel von der Eugenik zur Humangenetik und die (Re-)Aktualisierung religiöser Deutungsmuster
Nach dem Zweiten Weltkrieg löste die Humangenetik die durch den Nationalsozialismus diskreditierte Eugenik und Rassenforschung als Wissenschaft vom Menschen ab. Damit verbunden war der Anspruch, gestützt auf „moderne“ wissenschaftliche Erkenntnis, individuelle Reproduktion, Gesundheit und Intelligenz sowie die Entwicklung des Bevölkerungswachstums rational zu steuern. Innerhalb dieses Paradigmenwechsels kam kirchlichen Arbeitskreisen als Diskussionsforen und Beratungsinstanzen eine wichtige Funktion zu. Die Einleitung umreist die Einleitung die Leitfragen des Panels nach dem Zusammenhang zwischen religiöser Legitimation und Verwissenschaftlichung und exemplifiziert sie am Beispiel der Debatten um eugenische Sterilisation in der frühen BRD. Hierbei fragt sich insbesondere, inwiefern religiöse Deutungsmuster an die Stelle rassenanthropologischer Bewertungen traten und inwiefern die nationalsozialistische Rassenpolitik als Referenzkategorie der Debatten um Bevölkerungssteuerung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts diente.
Claudia Roesch, Münster:
Bevölkerungssteuerung und Familienberatung in den USA: Das Clergymen Advisory Council von Planned Parenthood und die Debatte um Familienplanung in den 1950er und 1960er Jahren
Planned Parenthood nutzte bis in die frühen 1960er Jahre die Legitimation durch kirchliche Würdenträger, um öffentliche Anerkennung und politische Fördergelder zu erhalten. Gleichzeitig begriffen protestantische und jüdische Geistliche ihre Unterstützung als Möglichkeit, sich besonders in Abgrenzung vom Katholizismus als moderne Religionen zu präsentieren, die in der Lage waren wissenschaftliche Methoden der Bevölkerungssteuerung in ihr Moralverständnis zu integrieren. Daher untersucht dieser Vortrag das Wechselverhältnis zwischen Moderne, Wissenschaft und religiöser Ethik zur Mitte des 20. Jahrhunderts. Er zeigt die Spannungen zwischen einem konservativen Moralverständnis und dem Versuch, soziale Probleme wie Armut und ethnische Ungleichheiten durch Familienplanung zu bekämpfen, etwa in der Frage, ob Verhütungsmittel unverheirateten Frauen zugänglich gemacht werden sollten.
Britta Marie Schenk, Kiel:
Eltern, Experten und Sterilisation: Humangenetische Beratung zwischen Glauben und Wissen in den 1960er bis 1980er Jahren
Die Analyse der humangenetischen Beratung kann erklären, wie das Verhältnis von Glauben und Wissen in der Risikobestimmung von als vererbbar betrachteten Krankheiten und der Aussprache von Heim- und Sterilisationsempfehlungen an Eltern behinderter Kinder stets neu verhandelt wurde. Glauben resultierte in der humangenetischen Beratung in erster Linie aus Vertrauen und schuf Raum für Deutungen, die einschneidende Konsequenzen für die Betroffenen nach sich zogen. Im Vortrag wird diese These auf drei Untersuchungsebenen diskutiert: (1) auf der Ebene des Glaubens der ratsuchenden Eltern an Expertentum und an humangenetische Technologien, (2) auf der Ebene der Diagnosefindung und Ursachenforschung, (3) auf der Ebene der Konsequenzen humangenetischer Diagnosen in Form von Heim- und Sterilisationsempfehlungen für Kinder mit geistigen Behinderungen. In der Kombination aller drei Ebenen wird die Ambivalenz gesellschaftlicher Liberalisierungsprozesse sichtbar, die auch zur Einschränkung der Rechte von Menschen mit Behinderungen führen konnte.
Till Kössler, Bochum:
Debatten um Vererbbarkeit von Begabung nach 1945
Begabung und Intelligenz stiegen im 20. Jahrhundert zu Leitbegriffen der Anlage-Umwelt-Debatte auf. Wie wenige Begriffe erwarben sie eine besondere Sprengkraft an der Schnittstelle von Wissenschaft und Politik, Biologie und Gesellschaft. Aus einem vielfältigen und wenig festgelegten Sprechen über Talente, Genialität und Schwachsinn entwickelte sich eine Kontroverse darüber, ob Begabung in der Gestalt von Intelligenz als eine biologische, vererbbare Tatsache angesehen werden kann, oder ob sie eher als eine fluide, durch Umwelteinflüsse und Lernprozesse im Lebensverlauf formbare Eigenschaft angesehen werden muss. Der Vortrag fragt vor diesem Hintergrund nach der bisher kaum beachteten religiösen Dimensionen der Begabungsdebatten. Er untersucht die Auseinandersetzungen um Begabung und Intelligenz im Katholizismus und Protestantismus nach 1945 im Spannungsfeld von religiösen Menschenbildern, Vererbungstheorien und psychologischer Wissenschaft. Ein besonderer Fokus liegt auf der Ausgestaltung und dem Wandel der Begabtenförderung der christlichen Kirchen nach dem Ende des Nationalsozialismus.
Überblick
(Norbert Frei, Jena) Kim Christian Priemel,
Überblick
(Norbert Frei, Jena)
Kim Christian Priemel, Berlin:
Der internationalistische Augenblick. Die Nürnberger Prozesse zwischen legalistischen Hoffnungen und „realistischer“ Praxis
Annette Weinke, Jena:
Genf, Nürnberg, Lake Success: Völkerrechtskonzeptionen europäischer émigré lawyers im Umfeld der alliierten Prozesse und der Vereinten Nationen
Jan Gerber, Leipzig:
Der Funktionswandel des Gesetzes: Franz Neumann in Nürnberg
Daniel Stahl, Jena:
A Useful Biography?. Der Nürnberger Ankläger Benjamin Ferencz und die internationalen Kampagnen für einen Weltstrafgerichtshof
Christoph Safferling, Erlangen-Nürnberg, Raphael Gross, Leipzig:
Kommentare
Abstracts (scroll down for English version):
70 Jahre nach dem Urteil des Internationalen Militärgerichtshofs hat die Nürnberg-Forschung nicht nur eine kaum noch zu überblickende Vielfalt, sondern auch ein gewisses Maß an historischer Tiefenschärfe erreicht. Vielfach werden die alliierten Strafprozesse als transnationaler Kommunikationsraum begriffen, wo es nach dem Zweiten Weltkrieg zu einer ähnlichen Verdichtung von ordnungspolitischen Debatten und Entwürfen kam wie es bereits 1918/19 der Fall gewesen war. Diese Sektion will den historischen Ort „Nürnberg“ in die längere Perspektive einer globalen bzw. transnationalen Bewusstseinsgeschichte stellen. Aus einem Blickwinkel, der neuere Ansätze der Biographie-, Erfahrungs- und Ideengeschichte miteinander verbindet, sollen die Ideen, das Selbstverständnis und die oftmals autobiographisch gerahmten Narrative des Nürnberger Personals in den Mittelpunkt der Einzelbeiträge gerückt werden. Mit diesem Zugriff wird zum einen das Ziel verfolgt, sich weitere Einblicke in die Entwicklung unterschiedlicher globaler Bewusstseinslagen und Internationalismus-Konzeptionen im 20. und frühen 21. Jahrhundert zu verschaffen und deren erfahrungsgeschichtliche Tiefenschichten freizulegen. Zum anderen geht es um die kritische Auseinandersetzung mit gegenwärtigen historiographischen Strömungen, die sich im Zeitalter eines „neuen“ liberalen Internationalismus und Idealismus stark an den kanonisierenden Erzählungen der ehemaligen Nürnberger Protagonisten zu orientieren scheinen.
Kim Christian Priemel, Oslo:
Der internationalistische Augenblick. Die Nürnberger Prozesse zwischen legalistischen Hoffnungen und „realistischer“ Praxis
„Nürnberg“, jene Chiffre für das alliierte Programm der strafgerichtlichen Verfolgung deutscher Kriegs- und anderer Verbrechen nach 1945, ist oft als Höhepunkt eines liberalen, legalistisch denkenden Internationalismus gedeutet worden, der mit der Etablierung der Vereinten Nationen 1945 seinen Scheitelpunkt erreichte. In diesen Lesarten markiert Nürnberg indes auch den Anfang vom Ende. Schon in den 1950er Jahren, vor dem Hintergrund des „Kalten Krieges“, löste die Schule der so genannte Realists ihre akademischen Lehrer und deren, auf das 19. Jahrhundert zurückgehenden Juridifizierungsideen ab zugunsten politikwissenschaftlicher Konzeptionen der International Relations, die auf nationalstaatliche Interessenpolitik statt auf suprastaatliche Abstimmung, auf Macht statt auf Recht setzten. So plausibel und in mancher Hinsicht zutreffend diese Lesarten auch sind, so stoßen sie doch auf erhebliche Schwierigkeiten, ob bei der in die Irre führenden Opposition von Recht und Macht (wie sie nicht zuletzt vom ersten amerikanischen Hauptankläger in Nürnberg wortgewaltig formuliert wurde) oder mit Blick auf eine „realistische Schule“, von der nur mit erheblichen Abstrichen gesprochen werden kann. Vor allem aber gilt es, zunächst die Frage zu beantworten, ob ein idealtypisch verstandener liberal-legalistischer Internationalismus das (alliierte) Nürnberger Personal tatsächlich antrieb oder nicht vielmehr bereits vor Ort qualifiziert, vielleicht gar kompromittiert wurde. Unter diesen Vorzeichen erhielte auch die allzu oft bemühte Traditionslinie „von Nürnberg nach Den Haag“ eine andere Qualität.
Annette Weinke, Jena:
Genf, Nürnberg, Lake Success: Völkerrechtskonzeptionen europäischer émigré lawyers im Umfeld der alliierten Prozesse und der Vereinten Nationen
Man kann das moderne Völkerrecht auch als das Projekt von Rechtswissenschaftlern und -praktikern betrachten, die als Proponenten, Protagonisten und Historiographen einer weltumspannenden Rechtsordnung auftraten. Vor dem Hintergrund der biographischen und erfahrungsgeschichtlichen „Wende“ in der Völkerrechtsgeschichtsschreibung hat die Gruppe europäischer Emigranten-Juristen seit einiger Zeit verstärkte Beachtung erfahren. Deren Beschäftigung mit dem Internationalen Recht war nicht nur das Aufkommen und Scheitern des liberalen Rechtsregimes der Zwischenkriegszeit geprägt, sondern entwickelte sich auch in offensiver Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und Faschismus. Nach der erzwungenen Flucht in die Vereinigten Staaten beteiligten sich viele émigré lawyers im Auftrag der Washingtoner Regierungsbürokratie an der konzeptionellen und praktischen Vorbereitung der Nürnberger Prozesse. Die dort gesammelten Erfahrungen bestärkten einige in dem Entschluss, sich vom Völkerrecht abzuwenden, während sie für andere zum Ausgangspunkt ihrer späteren Tätigkeit bei den Vereinten Nationen wurden. Der Vortrag fragt danach, welche Erwartungen und Hoffnungen diese Gruppe mit Nürnberg verband und wie das soziale Großexperiment „Nürnberg“ ihre Vorstellungen vom Völkerrecht langfristig beeinflusste.
Jan Gerber, Leipzig:
Der Funktionswandel des Gesetzes: Franz Neumann in Nürnberg
Es gehört zu den Paradoxien der Geschichte, dass die Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse nicht zuletzt von Intellektuellen konzipiert wurden, die dem Völkerrecht bis weit in die dreißiger Jahre hinein skeptisch gegenübergestanden hatten. Deren Tätigkeit für das OSS und das State Department war gleich in mehrfacher Hinsicht Resultat jener Entwicklung, die sich mit Franz Neumann als „Funktionswandel des Gesetzes“ bezeichnen lässt. Zwar hatte der Jurist vor allem die rechtshistorischen und -soziologischen Dimensionen der Übergänge vom Liberalismus zur Massendemokratie und schließlich zum Nationalsozialismus vor Augen, als er diese Formel 1937 in seinem ersten Aufsatz für die von Max Horkheimer herausgegebene Zeitschrift für Sozialforschung prägte. Der Prozess der Transformation und letztlichen Zerstörung der formalen Rationalität des Rechts veränderte indes auch Neumanns eigenen Blick auf das Gesetz. Aufgrund der Nachrichten aus Europa wiesen viele der emigrierten Sozialwissenschaftler und Juristen, die sich in der Weimarer Republik als Marxisten verstanden hatten, dem Recht nun eine neue Funktion zu. Im Rahmen der Präsentation soll der Beitrag Franz Neumanns an der Konzipierung der Nürnberger Prozesse erörtert werden.
Daniel Stahl, Jena:
„A Useful Biography“. Der Nürnberger Ankläger Benjamin Ferencz und die internationalen Kampagnen für einen Weltstrafgerichtshof
Schon als 27jähriger war Benjamin Ferencz Chefankläger im Nürnberger Einsatzgruppen-Prozess. Doch erst im Zuge der Verhandlungen über einen internationalen Strafgerichtshof in den neunziger Jahren wurde er eine öffentliche Figur. Sowohl Ferencz selbst als auch die Befürworter eines starken, unabhängigen Strafgerichtshofs machten sich seine Biographie zunutze, um ihr Anliegen in die Tradition Nürnbergs zu stellen. Der Vortrag analysiert diese Funktionalisierung einer Biographie, um zu zeigen, welche Rolle das Gedenken an Nürnberg in der internationalen Politik und im Völkerrecht um die Jahrtausendwende spielte.
Abstract (English version):
Seventy years after the judgment of the International Military Tribunal (IMT), the scholarship on “Nuremberg” and its legacy is remarkably diverse and has achieved a respectable degree of historical depth and acuity. Currently the Allied proceedings are conceived as one among several transnational spaces emerging in the aftermath of World War II. Similar to developments after 1918, it became a focal point of various debates and conceptions that evolved around the vision of a new world order. This section aims to examine the role of “Nuremberg” as a turning point in the formation of twentieth century transnational and global consciousness. By taking a perspective that brings together recent approaches in biographical and intellectual research with the history of experience and mentalities, it puts the emphasis on the “Nuremberg” staff, their ideas and their often autobiographical self-representations. The aim of this section is two-fold: First, to expand the scope of inquiry by fleshing out some of the experiential underpinnings of “Nuremberg” and the various internationalisms debated in this particular context; second, to foster a critical appraisal of historiographical tendencies that tend to reproduce the canonized narratives of former Nuremberg protagonists.
Zeit
(Mittwoch) 15:15 - 18:00
Ort
H-Hörsaal M
Hauptgebäude
Überblick
(Simone Lässig, Washington, Hedwig Röckelein,
Überblick
(Simone Lässig, Washington, Hedwig Röckelein, Göttingen, Kerstin von der Krone, Braunschweig)
Simone Lässig, Washington DC:
Einführung: Religion, Wissen und Resilienz: Zur Wandlungsfähigkeit sozialer Gruppen im Angesicht der Moderne
Kerstin von der Krone, Washington:
Alte und neue Wissensordnungen in der deutsch-jüdischen Geschichte
Anthony Steinhoff, Montreal:
Religiöses Wissen im Grenzland: Religionsunterricht und akademische Theologie in Elsaß-Lothringen, 1870–1914
Jana Tschurenev, Göttingen:
Religion und Sozialreform im kolonialen Indien: Anti-Kasten-Bewegung, Feminismus und und die Kritik des »Hinduismus«
Esther Möller, Mainz:
Transnationale Dimensionen religiösen und kulturellen Wissens im spätkolonialen Nahen Osten
Hedwig Röckelein, Göttingen:
Wissensordnungen und Religion. Ein Kommentar aus der Perspektive der Vormoderne
Abstracts (scroll down for English version)
Die Sektion untersucht anhand verschiedener religiöser Gruppen, Regionen und Epochen religiöses Wissen als Referenzebene für die Auseinandersetzung mit der Transformation sozialer und kultureller Ordnungen an der Schwelle zur Moderne. Die Vorträge beschäftigen sich mit dem Wandel religiöser Semantiken und Praktiken und der Bedeutung von Vertrautem für die Auseinandersetzung mit und Akzeptanz von gesellschaftlichen Umbrüchen. Dabei geht die Sektion der Frage nach, ob und wie Religion bzw. die Anrufung religiöser Traditionen für unterschiedliche soziale Gruppen zur Resillienzressource wurde und inwieweit hierdurch die Produktion neuen sozialen Wissens begünstigte wurde. Damit einher geht die Frage, ob Religion und religiöses Wissen nicht zugleich zum Ausgangspunkt sozialer Innovation wurden.
Diese und ähnliche Fragen hat die Geschichtswissenschaft unter dem Diktum der Säkularisierungsthese lange vernachlässigt. Mit der Hinwendung zu einer Kulturgeschichte von Religion bzw. Religiosität und einer auf ‚Gesellschaft’ gerichteten Geschichte des Wissens hat sich das Forschungsinteresse deutlich erweitert. Es geht nicht mehr nur um die Beharrungskraft, sondern auch um die Wandlungsfähigkeit und Erneuerungspotenziale des Religiösen in der Moderne.
Für die Formierung religiösen Wissens in der Moderne sind zwei Momente wesentlich: Erstens der Wandel der Stellung von Religion und religiösen Autoritäten zu Staat und Gesellschaft, aus dem weitreichende Individualisierungs-, Differenzierungs- und Pluralisierungsprozessen folgten. Zweitens die Herausbildung neuer Wissensordnungen, bedingt durch Universalisierung und Systematisierung, Rationalität und Kritik. Hierauf gründen die moderne Wissenschaft und ein gänzlich neues Verständnis von Erziehung und Bildung. Nicht von ungefähr wurde das Erziehungs- und Bildungswesen in Europa wie in seinen Kolonien bzw. kolonial geprägten Regionen zum zentralen Handlungs- und Verhandlungsfeld gesellschaftlicher Transformation.
Simone Lässig, Washington DC:
Religion, Wissen und Resilienz: Zur Wandlungsfähigkeit sozialer Gruppen im Angesicht der Moderne
In ihrer Einführung zur Sektion erörtert Simone Lässig das Erkenntnispotenzial, das aus der Verschränkung historischer Forschung zu Religion und Religiosität mit wissens- und bildungsgeschichtlichen Fragenstellungen erwächst. Dabei wird die Frage diskutiert, wie religiöse Gruppen auf den tiefgreifen Wandel von sozialen Strukturen, Wissensordnungen und kulturellen Praktiken reagierten, wie sie diesen zu gestalten versuchten, und welche Rolle der Rückgriff auf vermeintlich vertraute religiöse Traditions- und Wissensbestände als Resilienzressource und Innovationspotenzial für soziale Gruppen in Transformationsprozessen spielte.
Kerstin von der Krone, Washington:
Alte und neue Wissensordnungen in der deutsch-jüdischen Geschichte
Kerstin von der Krone widmet sich dem deutschsprachigen Judentum der „Sattelzeit“; einer Periode, in der sich vor dem Hintergrund eines umfassenden und nahezu alle Lebensbereiche betreffenden sozio-kulturellen Wandels auch die strukturellen und konzeptionellen Fundamente jüdischer Erziehung und Gelehrsamkeit durchgreifend änderten. Die Erneuerung bestehender und Schaffung neuer Institutionen des Lehrens und Lernen, die Adaption moderner Lehrmethoden, die Integration neuer, dem Judentum letztlich fremder Lehrinhalte und die Auseinandersetzung mit nicht-religiösen Denk- und Deutungskategorien bedingten eine Differenzierung und Pluralisierung religiöser Wissensordnungen. Hierzu zählte nicht nur ein grundlegender Wandel der Methoden und Strukturen jüdischer Gelehrsamkeit und eine Professionalisierung der Rabbinerausbildung, sondern auch die Herausbildung einer in inhaltlicher wie formeller Hinsicht neuartigen religiösen Erziehung, einschließlich der Etablierung eines modernen jüdischen Religionsunterrichts. Dieser erfolgte sowohl in reformierten jüdischen Schulen, die ein umfassendes, um neue Lehrinhalte erweitertes Unterrichtsprogramm offerierten als auch in ergänzenden Religionsschulen, welche jene jüdischen Kinder erreichen sollten, die in zunehmende Maße öffentliche, d.h. christliche Schulen und dort keinen jüdischen Religionsunterricht erhielten. Die Vermittlung religiösen Wissens —in Schule, Gemeinde und Familie — erfuhr vor diesem Hintergrund grundlegende Veränderungen und war zugleich untrennbar verbunden mit den vielfältigen, oft widerstreitenden Versuchen der Re-Definition des Judentums in der Moderne. Der Vortrag daher im Besonderen der Frage nachgehen, inwieweit die religiös-kulturellen ‚Traditionen’ des Judentums zur Referenzebene für die Formierung neuartiger ‚jüdischer’ Wissensordnungen wurden.
Anthony Steinhoff, Montreal:
Religiöses Wissen im Grenzland: Religionsunterricht und akademische Theologie in Elsaß-Lothringen, 1870-1914
Neuere Forschungen zu den europäischen Kulturkämpfen des späten 19. Jahrhunderts haben zu Recht die Bedeutung des Schulwesens hervorgehoben. Diese Forschungen befassen sich dabei zunächst mit der Frage, welche Zweck Schule dienen sollte, Christen oder Staatsbürger hervorzubringen. Zugleich wird betont, dass liberale und antiklerikale Kräfte in ihrer Forderung nach einem staatlichen Schulwesen und der Beschneidung kirchlicher Vorrechte, die Relevanz des schulischen Religionsunterrichts und religiös fundierten Wissens in der Moderne in Frage stellten.
Diese Perspektive lässt zwei zentrale Dimensionen der sozio-kulturellen Landschaft Europas des 19. Jahrhunderts außen vor: Erstens, wird die Bedeutung von Religion im Allgemeinen wie für die Wissensproduktion im späten 19. Jahrhundert unterschätzt, vor allem in Bezug auf das „protestantische“ Deutschland und Großbritannien. Zweitens wird übersehen, wie sehr religiöse Gemeinschaften mittels des Schulwesens Glaubensinhalte vermittelten und „religiöses Wissens“ verbreiteten.
Ausgehend hiervon beleuchtet der Vortrag die Entwicklung in Elsass-Lothringen nach Angliederung an das Deutsche Reich im Jahre 1871 und die hierauf folgende Reform des schulischen Religionsunterrichts und die Neustrukturierung der Protestantischen Theologie an der Universität Straßburg. In Folge dessen sahen sich Katholiken, Protestanten und Juden mit einem Wandel religiöser Wissensbestände konfrontiert, der neue Vorstellungen vom Verhältnis von Glaube und Wissen hervorbrachte. Der deutsche Staat propagierte eine Modernisierung (Germanisierung) und erkannte doch die Bedeutung von Religion und religiösem Wissen im Rahmen seiner Bildungspolitik an. Die Religionsgemeinschaften betrauerten wiederum den Verlust an Vorrechten im Bildungswesen und waren doch in der Lage, schulische Bildung und die Formierung religiöser Identität weiterhin zu verknüpfen, teils auch indem sie selbst eine Modernisierung von Curricula vorantrieben, wie etwa die Protestanten.
Jana Tschurenev, Göttingen:
Religion und Sozialreform im kolonialen Indien: Anti-Kasten-Bewegung, Feminismus und die Kritik des „Hinduismus“
Jana Tschurenev untersucht das Verhältnis von religiöser Identitätsbildung und individueller Konversion mit sozialpolitischen Auseinandersetzungen im kolonialen Indien. Im Laufe des 19. Jahrhunderts kam es zu eine Neukonstitution des „Hinduismus“, gewissermaßen nach christlich-protestantischem Vorbild und schließlich zu verschiedene Versuchen, sich als eine der „Weltreligionen“ international zu positionieren. Gleichzeitig formieren sich Gegenbewegungen, die vor dem Hintergrund liberaler politischer Ideen brahmanische Ordnungsvorstellungen – oft zusammengefasst als varnashrama dharma – ablehnten. KritikerInnen bestehender Kasten- und Geschlechterhierarchien forderten dabei nicht nur das Ende männlich-brahmanischer Bildungsprivilegien: auch Frauen und „niedrigkastige“ Shudras und „Unberührbare“ sollten den Sanskrit-Kanon studieren dürfen und Zugang zu moderner Bildung erhalten. Wie der Beitrag zeigen wird, kam Auseinandersetzungen um religiöse Ideen und Identitäten dabei eine zentrale Bedeutung zu. Während Jotirao Phule, prominenter Vertreter der Anti-Kasten Bewegung, den „Brahmanismus“ ablehnte und ein strategisches Verhältnis zur Frage religiöser Zugehörigkeit vorschlug, konvertierte die international bekannte Bildungsaktivistin und Sozialreformerin Pandita Ramabai zum Christentum, ohne jedoch ihre Identität als „Inderin“ und Vertreterin einer hochkastigen Sanskrit-Kultur aufzugeben. Der Beitrag wird solchen komplexen Verortungstrategien und den sozialpolitischen Konflikten, in denen diese stattfanden, nachgehen. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts, so wird gezeigt, spitzten sich die Auseinandersetzungen zu: die Ablehnung konservativer Hindu-Normen wurde zum Verrat an der sich formierenden Nation. Gleichzeitig nahmen sowohl KritikerInnen als auch VertreterInnen des „Hinduismus“ bzw. der Hindu-Gesellschaft zunehmend auf die entstehende Weltöffentlichkeit Bezug.
Hedwig Röckelein, Göttingen:
Wissensordnungen und Religion aus der Sicht der Moderne und der Vormoderne: ein Kommentar
Der Kommentar von Hedwig Röckelein wird erstens die Vorträge auf dem Hintergrund der wissenschaftlichen und politischen Auseinandersetzung mit Religion im Europa des 19. Jahrhunderts historisieren; zweitens sich mit der Zurückweisung des Modernisierungs- und Säkularisierungsparadigmas für die Moderne in Bezug auf Religion und das Religiöse auseinandersetzen und drittens das Verhältnis von Religion und Wissen, Bildung und Erziehung zu Staat und Gesellschaft aus dem Blickwinkel vormoderner europäischer und mediterraner Gesellschaften als Kontrastfolie für die Entwicklungen im 19. Jahrhundert beleuchten.
Abstracts (English version)
Simone Lässig, Washington, DC:
Religion, Knowledge, and Resilience: On the Ability of Social Groups to Change in the Face of Modernity
In her introduction to the session, Simone Lässig will discuss the potential gains in understanding through the intersection of the history of knowledge and education with the history of religion and religiosity. She will take up the question of how religious groups react to and try to shape fundamental changes in social structures, knowledge orders, and cultural practices. She will also consider recourse to familiar religious knowledge and traditions as a source of resilience and as a basis for innovation for groups experiencing social change.
Kerstin von der Krone, Braunschweig:
Old and New Knowledge Orders in German-Jewish History
Kerstin von der Krone will focus on German-speaking Jews during the Sattelzeit, the period of transition from the premodern to modern eras (c. 1750–1850). During this period, against the background of social change extending to almost every facet of life, Jewish education and ideas of learning underwent fundamental conceptual and structural change. The updating of existing institutions of learning and the creation of new institutions, the adaptation of modern teaching methods, the integration of new subject matter that was alien to Jewry, and the coming to terms with non-religious thought and categories of thought shaped a differentiation and pluralization of the religious knowledge order. This change was not limited to a fundamental change in the methods and structures of Jewish learning and the professionalization of rabbinical training. It also entailed the creation of a new approach to Jewish religious education that was modern both in form and content. The transmission of religious knowledge – in the school, in the congregation, and in the family – underwent fundamental change and was inextricably bound up with attempts to redefine Judaism in the modern era. The paper will thus give particular attention to the question of how far Jewish religious tradition served as a point of reference in the formation of a new Jewish order of knowledge.
Anthony Steinhoff, Montreal:
Religious Knowledge on the Imperial Frontier: Religious Education and Academic Theology in Alsace-Lorraine, 1870-1914
Recent research on the late nineteenth-century European culture wars has underscored the centrality of schools and schooling in these conflicts. Yet, it also tends to frame the basic question in these debates as follows: should the modern school serve to form Christians or citizens? Namely, while liberals and anticlericals claimed schooling as a central state concern, rather than an ecclesiastical prerogative, they also challenged the place of religious education in school curricula and the contemporary relevance of religious-based knowledge.
This paper suggests that this perspective obscures critical dimensions of late nineteenth-century Europe’s socio-cultural landscape. It underestimates religion’s important and ongoing contributions to knowledge production, especially in “Protestant” Germany and Great Britain. It also overlooks the high degree to which religious communities continued to rely on schools and schooling to promote faith and the dissemination of religious knowledge.
Specifically, the paper explores the debates over the Alsatian primary and secondary schools’ religious education programs as well as the restructuring of the University of Strasbourg’s program in Protestant theology following Alsace-Lorraine’s incorporation in to the German Empire. As the local Catholic, Protestant and Jewish communities quickly understood, these developments altered how religious knowledge was produced and prompted new ideas about the relationship between faith and knowledge. The German state certainly promoted a modernizing and Germanizing agenda there; nevertheless, its educational policies admitted religion’s and religious knowledge’s importance. Likewise, while the Alsatian Catholic, Protestant and Jewish communities bemoaned their reduced influence over education, they continued to link schooling to religious identity formation. Alsatian Protestants even sought to enhance these ties by promoting curricular modernization in the schools and at the university.
Jana Tschurenev, Göttingen:
Religion and Social Reform in Colonial India: The Anti-Caste Movement, Feminism, and the Critique of „Hinduism“
Jana Tschurenev will examine the relationship between religious identity and socio-political engagement in colonial India. Over the course of the nineteenth century, “Hinduism“ underwent a profound reconstitution, seeking to position itself internationally as a “world religion“patterned on the model of Protestant Christianity At the same time, several counter-movements arose, which, influenced by liberal political ideas, rejected the Brahmanical, or high-caste, conceptions of social order commonly referred to as varnashrama dharma. Critics of existing caste and gender hierarchies demanded the opening up of education – in both the Sanskrit canon and in modern subjects – to women, “lower caste“ Shudras, and “untouchables.“ In the process, as the paper will show, the engagement with religious ideas and identities took on central importance. Whereas Jotirao Phule, a prominent figure in the anti-caste movement, rejected “Brahmanism“ and proposed a strategic position on the issue of religious identity, Pandita Ramabai, an internationally renowned activist for educational and social reform, converted to Christianity but without abandoning her identity as an “Indian“ grounded in high-caste Sanskrit culture. The paper will examine these complex positioning strategies and the socio-political conflicts in which they were employed. Toward the end of the nineteenth century, the situation became more heated: the rejection of conservative Hindu norms was taken as a form of treason to the nation that was taking shape. Such accusations of collaboration with the imperial project still frame the confrontation of Hindu nationalism and oppositional, particularly Dalit and feminist movements, until today.
Esther Möller, Mainz:
Transnational Dimensions of Religious and Cultural Knowledge in the Late Colonial Middle East
Esther Möller’s paper will explore the transnational dimensions of religious and colonial knowledge in the Middle East. She will analyze the educational institutions the French established in Lebanon while it was a part of the Syrian province of the Ottoman Empire and, in turn, after it had been made a French mandate by the League of Nations. In addition to Catholic schools, the French also opened Protestant, Jewish, and secular educational institutions. Many Lebanese families made use of French-founded schools. Although widely praised, French schools also came under criticism from the local population. Through the schools, distinct transnational communities of knowledge came into being in which the issue of religious knowledge played an important role. There was considerable agreement and reciprocal exchange on religious values between Lebanese Christians and French Christian schools. Muslim students attending French Christian and secular schools and their parents, on the other hand, were of widely varying opinions on the religious knowledge transmitted in those institutions. With the strengthening of colonial structures during the mandate period, these interconnections were transformed, leading to new practices by schools in disseminating religious knowledge – precisely at the time that negotiations on Lebanese independence were underway. Esther Möller’s paper examines the potential benefits and risks of those new practices. The special Franco-Lebanese relationship will be considered in connection with the (post-) colonial educational situation in other Middle Eastern countries.
Hedwig Röckelein, Göttingen:
Knowledge Orders and Religion, Modern and Premodern: A Commentary
Hedwig Röckelein’s commentary will, first, set the papers in the historical context of the intellectual and political engagement with religion in Europe during the nineteenth century. Second, it will consider the rejection of the modernization and secularization paradigms in regard to religion and religiosity in the modern era. Third, it will cast light on the relationship of religion, knowledge, and education to state and society by setting conditions in premodern European and Mediterranean societies in contrast to developments in the nineteenth century.
Zeit
(Mittwoch) 15:15 - 18:00
Ort
PHIL-G
Philosophenturm
Überblick
(Niko Lamprecht, Wiesbaden, Michael Landgraf,
Überblick
(Niko Lamprecht, Wiesbaden, Michael Landgraf, Neustadt)
Niko Lamprecht, Wiesbaden:
»Reformation reloaded« – ein Online und Printprojekt von EKD und VGD
Michael Landgraf, Niko Lamprecht:
Teilthemen aus »Reformation reloaded«
Achim Müller:
Didaktische Reflexion
Abstract:
Moderne Darstellung von Glaubensfragen – EKD & VGD kooperieren
Der Verband der Geschichtslehrer hat sich in der Vergangenheit zunehmend den Neuen Medien gestellt und dazu mit verschiedenen Medienpartnern Materialien im Internet zur Verfügung gestellt. Diese wurden stark nachgefragt und in der Praxis weitgehend positiv aufgenommen, aber auch aus verschiedenen Perspektiven kritisiert. Mit dem Projekt „Reformation reloaded“ wird seit 2014 wiederum Neuland betreten. In der paritätisch besetzten Arbeitsgruppe wird unter Leitung von Dr. Uwe Hauser (EKD) und Niko Lamprecht (VGD e.V.) an Materialien gearbeitet, welche zeitgemäße und für den Unterricht direkt nutzbare Perspektiven zur Reformation aufzeigen wollen. Die Materialien werden in einem aufwändigen Prozess abgestimmt (Zielpunkt: 2017), angestrebt wird ein bundesweit nutzbares Online-Portal mit ergänzendem Printmaterial. Im Thesenpapier zum Projekt wird formuliert: „Reformation reloaded: 2017 – Stationen des Protestantismus in der Geschichte“:
„EKD und VGD e.V. sind der festen Überzeugung, dass das Jahr 2017 nicht eine bloße Feier- und Gedenkmöglichkeit bieten sollte. Das Thema Reformation bedarf stetiger Behandlung, Vergewisserung und Überprüfung – aus unterschiedlicher Perspektive. Hiermit sind nicht nur die verschiedenen religiösen oder religionskritischen Positionen inner- und außerhalb der EKD gemeint, sondern auch divergierende Verortungen zeitlicher oder regionaler Art. Diese lenken den Blick z.B. auf die Zeitgebundenheit theologischer oder politischer Ansichten, die intendierten Materialien sollen neben der Vermittlung von Kenntnissen somit immer die Chance zur Multiperspektivität und die Anregung zur kritischen Distanz bieten. – Mit der 2014 begonnenen Phase der Konzeptentwicklung und Erstellung erster Pilot-Bausteine hat sich das inhaltliche Angebot des Internetportals strukturiert.“
Zentrale Themenfelder sind:
Längsschnitt:
– Vor der Reformation
– Luther selbst
– Die Zeit
– Die „Anderen“
– Nachreformatorische Zeit
– Reformation heute
Übergreifende Themenfelder:
– Ökonomie
– Bildung
– Politik Gesellschaft
– Europa
– Frieden
– Kultur
Insgesamt sollen sich multimediale Angebote und Anreize mit einem flexiblen methodisch-didaktischen Angebot verbinden, dieses kann von Lehrkräften der Fächer Geschichte und Religion als Online-Unterrichtseinheit ebenso flexibel genutzt werden.
In der Sektion sollen zwei der Bausteine vorgestellt und reflektiert werden. Neben allgemeinen Informationen und der Vorstellung des Projekts wird es auch eine kritische Analyse aus geschichtsdidaktischer Perspektive geben.
Zeit
(Mittwoch) 15:15 - 17:15
Ort
PHIL-C
Philosophenturm
Überblick
(Sitta von Reden, Freiburg) Peter Bang,
Überblick
(Sitta von Reden, Freiburg)
Peter Bang, Kopenhagen:
Among States and Empires— Towards a Global Comparative History of Rome
Hermann Kulke, Kiel:
The Premodern State in India: Reflections on Processes of State Formation and Periodization in the Eurasian Context
Christoph Lundgren, Dresden:
Stateness—a New Category for Analyzing the Premodern World
Bhairabi Prasad Sahu, Delhi:
From Kingdoms to Transregional State: Exploring the Dynamics of State Formation in Early Medieval Odisha
Kesavan Veluthat, Delhi:
From Chiefdom to Kingdom and Empire: Trajectories of State in South India
Sitta von Reden, Freiburg:
Kingdom, State or Empire? The Case of Hellenistic Egypt
Abstract (scroll down for English version):
Was in vormodernen Gesellschaften unter Staatlichkeit zu verstehen ist, ob man von Staaten im Sinne Max Webers in der frühen europäischen und indischen Geschichte überhaupt sprechen kann und unter welchen Bedingungen sich vormoderne politische Ordnungen entwickelten ist intensiv historisch sowohl in der europäischen wie auch indischen Forschung diskutiert. Imperiale Ordnungen sind ebenfalls seit längerem Gegenstand interdisziplinärer Debatten, in denen das Römische Reich häufig als archetypisches Modell fungiert. Ein wichtiges Substrat der Diskussionen ist, dass Staaten und Imperien keine statischen Ordnungen darstellen, die in einer evolutionären Entwicklungslinie stehen, sondern als bestimmte, nämlich institutionelle Reaktionen auf sich wandelende Bedingungen in einem Herrschaftsraum zu verstehen sind. Diese Sektion, die im Rahmen der Partnerschaft des 51. Historikertages mit Indien organisiert wurde, wird in sechs Beiträgen die Forschungsergebnisse der letzten Jahre in der deutschen Altertumswissenschaft, der Indologie und indischen Geschichtswissenschaft diskutieren und weiterentwickeln sowie versuchen, die Möglichkeiten globalen wissenschaftlichen Austauschs aufzuzeigen. Die Vortragssprache ist Englisch.
Abstract (English version):
The question of what is a „state“ and what an empire, and how to distinguish between the two, has been discussed intensely in social theory and history, often in comparative perspective. Especially among pre-modern and ancient/early historians, the question of whether we can call ancient Mediterranean and Indian kingdoms, city states and the Roman Empire “states” in the sense of Max Weber’s influential definition, and what is involved when we talk about state formation in the ancient world is highly controversial. One important result of recent debates is that a state is not a reified form of political organization that has evolved in European history, but a series of particular – institutional – responses to changing social and political conditions. This section, which has been organized as part of the German-Indian partnership of the 51st Historikertag, aims to expand this debate, exploring comparatively the nature of states, empires and kingdoms in the Early Medieval in India and the Ancient Mediterranean, which has not been attempted before. Assembling specialists of European Ancient History, Indology and Indian History from both Europe and India it also aims to strengthen academic dialogue in a globalized academic world. All papers are delivered in English.
Zeit
(Mittwoch) 15:15 - 18:00
Ort
H-Hörsaal B
Universität Hamburg
Überblick
(Tim Müller, Hamburg, Hedwig Richter,
Überblick
(Tim Müller, Hamburg, Hedwig Richter, Greifswald)
Tim Müller, Hedwig Richter:
Das Sprechen über die Demokratie und die narrativen Strukturen des Sonderwegs
Margaret Anderson, Berkeley:
Demokratie auf schwierigem Pflaster. Wie das deutsche Kaiserreich demokratisch wurde
Adam Tooze, New York:
Global Democracy: Provincializing the Sonderweg
Jeppe Nevers, Odense:
Differences and Similarities: Danish Democratization in a North-Western European Perspective
Abstracts (scroll down for English version):
Die Sonderwegsthese gilt seit den 1980er Jahren als überholt. Dennoch werden bis heute ihre grundlegenden Thesen in der Geschichtsschreibung reproduziert, wenn es um die Geschichte der Demokratie geht (häufig ikonographisch unterstützt durch Karikaturen aus dem Simplicissimus oder dem Wahren Jakob). Auch in den Leitmedien finden täglich Beispiele dafür. Zwei aktuelle Tendenzen forcieren die erneuerte Kritik an Sonderwegskonzepten: Erstens lassen die globale Perspektive und die Loslösung aus der nationalen Umklammerung die „Provinzialität“ der Sonderwegsvorstellungen augenfällig werden. Dieser Zugriff macht die Uneinheitlichkeit und Widersprüchlichkeit, die Pathologien und Fragilität von Demokratie gerade auch in den Gesellschaften sichtbar, die lange Zeit pädagogisch als Vorbildnationen dargestellt wurden. Zweitens gestattet die historische Distanz zur NS-Zeit den Übergang von der politischen Kritik zur methodischen Reflexion. In dem Panel sollen in vergleichender Perspektive demokratische Entwicklungen bis 1933 untersucht werden. Dabei soll es auch um die Frage gehen, was die Sonderwegserzählung so außerordentlich attraktiv macht. Tatsächlich erweist sich die schon so oft für tot erklärte Sonderwegsthese als besonders zählebig, wenn es um die Demokratieforschung geht. Womöglich hat ihre sorgfältige empirische Widerlegung auf anderen Feldern dazu geführt, dass sie in der Forschung unisono als obsolet bezeichnet und nicht weiter thematisiert wird – und daher im Hinblick auf die Demokratiegeschichte unhinterfragt und undercover weiter gedeiht und blüht.
Margaret Lavinia Anderson, Berkeley:
Demokratie auf schwierigem Pflaster. Wie das deutsche Kaiserreich demokratisch wurde
Hatte das deutsche Kaiserreich ein „Demokratiedefizit“? Das zumindest behauptete die Propaganda der Entente 1914 und initiierte damit jene Meistererzählung, die später die Sonderwegserzählung wurde. 1933 wurde diese Erzählung von den exilierten Deutschen ausgebaut. Seit den späten 60er Jahren galt dann unter Historikern innerhalb und außerhalb der Bundesrepublik dieses Grand Narrative als Konsens. Doch wenn man als Kriterium die Volksvertretung zugrunde legt – also ein durch Wahlen begründetes nationales Parlament –, dann gehörten deutsche Institutionen und Verfahren verglichen mit denen Englands und der USA zu den demokratischsten im Westen. Wenn man einen Blick auf die Praktiken wirft, auf die intensive Wahlbeteiligung deutscher Bürger und ihren Erfolg, eben jene Parteien zu wählen, die von der Regierung abgelehnt wurde, dann offenbart sich eine wachsende und immer dynamischer werdende demokratische Kultur. Doch Argumente, die innenpolitische Entwicklungen anführen, werden nach wie vor ausgestochen von dem Hinweis auf das außenpolitische Verhalten des Kaiserreichs: seinen brutalen Imperialismus (den Völkermord an den Herero), seinen Militarismus (die Entscheidung für den Krieg im August 1914) und seinen Mangel an Humanität (durch die Kriegsführung); all das wird angeführt, um die Grenzen der deutschen demokratischen Kultur zu betonen. Doch auch hier weckt der Blick auf Deutschlands Zeitgenossen Zweifel an der „Besonderheit“ Deutschlands. Der deskriptive Ausdruck „demokratisch“ ist schwer fassbar; er kann von Historikerinnen und Historikern verengt oder erweitert werden, so dass es zu ihrem jeweiligen Argument passt. Keine Debatte über ein demokratisches Defizit irgendeines Landes könnte jemals mit eindeutigem Ergebnis geführt werden. Denn „Demokratie“ ist ein Konzept, das sich nicht mit strikt empirischer Argumentation anwenden lässt, weil das Konzept selbst – wie W. B. Gallie ausgeführt hat – hoch umstritten ist. „Demokratie“ ist ein Bündel an Ideen, die unsere Sehnsucht nach einer bessern Gesellschaft und einem bessern Selbst enthalten. So wie wir – damals und heute – dem Anspruch nicht gerecht werden, so wird sich uns immer ein „Demokratiedefizit“ anbieten, das uns eine Erklärung dafür bietet, warum etwas falsch lief. Tatsächlich lief in Deutschland nach 1932 alles falsch, aber das lag gewiss nicht an einem Demokratiedefizit des Kaiserreichs.
Jeppe Nevers, Odense:
Unterschiede und Ähnlichkeiten: dänische Demokratisierung in nordeuropäischer Perspektive
Während die deutsche Geschichtsschreibung in den letzten Jahren die Prozesse der Demokratisierung zeitlich immer weiter zurück verfolg – von der Weimarer Republik über den Ersten Weltkrieg bis hin zum Kaiserreich – schlägt die dänische Historiographie den umgekehrten Weg ein. Über Jahrzehnte hinweg hatten dänische Historiker die Transformation von einer absolutistischen Monarchie hin zu einer konstitutionellen Monarchie in den Jahren 1848/49 als die Geburtsstunde der Demokratie beschworen. Doch in den letzten Jahren haben dänische Wissenschaftler (aus unterschiedlichen Generationen) ihre Aufmerksamkeit auf die nur allmählich vollzogene Entwicklung demokratischer Institutionen gelenkt, auf die späte Akzeptanz eines Konzeptes von Demokratie überhaupt, auf die politischen Kämpfe am Ende des 19. Jahrhunderts und auf die Debatten über Parlamentarismus in der Zwischenkriegszeit. Insgesamt erscheint in dieser neuen Sichtweise das späte 19. und frühe 20. Jahrhundert viel wichtiger für die Demokratisierung als die Mitte des 19. Jahrhunderts. In anderen Worten: Deutsche und dänische Demokratie-Historikerinnen und -Historiker scheinen zunehmend ähnliche historische Muster und Konflikte zu analysieren.
In diesem Sinne stellt der Vortrag die Geschichte der dänischen Demokratisierung von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts vor. Zugleich versucht er, diese Entwicklungen in einen skandinavischen und westeuropäischen Kontext zu stellen. Der Vortrag will mit vergleichenden Einsichten auch zur Diskussion über historische deutsche Besonderheiten beitragen. Der Vergleich zwischen der deutschen und der dänischen Demokratie ist so faszinierend, weil sich die dänische Demokratie in einer stark von Deutschland beeinflussten Kultur entwickelt hat und es bemerkenswert viele Ähnlichkeiten zwischen den politischen Prozessen in beiden Ländern gibt. Und dennoch war der Ausgang so ganz unterschiedlich, denn in Dänemark gab es keine ernsthafte Krise der Demokratie in der Zwischenkriegszeit, und in den Jahren nach dem zweiten Weltkrieg etablierte sich dort ein Demokratiemodell, das schlicht auf dem Mehrheitsprinzip beruhte, während – anders als in Deutschland – konstitutionelle oder liberale Ideen wenig Einfluss gewannen.
Adam Tooze, New York:
Die Provinzialisierung des Sonderwegs: Globale Demokratie im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert
Vielleicht der größte Mangel aller Sonderwegsnarrative ist ihre fehlende globale Perspektive. Bereits im späten 19. Jahrhundert baute sich eine globale Demokratisierungswelle auf. Diese ungleichen, aber gleichzeitigen Entwicklungen sind als »Demokratisierungsepisoden« bezeichnet worden. Die Demokratie wurde zur globalen Erwartung. Das gilt auch für traditionell als demokratisch geltende Gesellschaften, die jedoch erst in dieser Epoche entscheidende Demokratisierungsschübe erlebten. Dem Begriff Demokratie haftete um 1914 noch die Schärfe des Oppositionellen an. Demokratie war keine etablierte Sache; Demokratie war der Schlachtruf derjenigen auf der ganzen Welt, die diese Demokratie schaffen wollten. Die politische Kultur des frühen 21. Jahrhunderts mutet wie ein blasser, schmuckloser, bürokratisierter und kommerzialisierter Schatten jenes vielfältigen und lebenssprühenden demokratischen Ökosystems am Anfang des 20. Jahrhunderts an, das nicht nur viel reichhaltiger, sondern auch viel weniger auf den Westen zentriert war. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts schienen die geographische Ausrichtung der Demokratie und das politische Bewegungszentrum noch völlig offen zu sein. Der Erste Weltkrieg spitzte die demokratische Frage zu – auch auf der Seite der Sieger. Er intensivierte nicht nur die Forderung nach Demokratisierung in den beteiligten Staaten, sondern weiteten diese auch auf andere Regionen aus. Wenn Frankreich, Großbritannien und die USA die deutsche Autokratie verurteilten, konnten sie in ihren eigenen Herrschaftsbereichen nicht mehr so einfach zu Mitteln der Repression greifen.
Abstracts (English version):
Since the 1980s the thesis of the German Sonderweg is considered outmoded. Nevertheless, still today its basic theses are reproduced by historiography when it is about the history of democracy (often iconographically supported by political cartoons from Simplcissimus or Der Wahre Jacob). Also the leading media provide examples of this on a daily basis. Two current trends push the renewed criticism of Sonderweg concepts: Firstly, a global perspective as well as liberating oneself from the grip of the national make obvious how provincial any Sonderweg ideas are. This approach makes the incongruity and contradictions, the pathology and fragility of democracy visible, indeed also in those societies which for a long time have been pedagogically presented as models. Secondly, the historical distance to the NS period allows for the transition from political criticism to methodical reflection. The panel is supposed to analyse democratic developments until 1933 from a comparative perspective. Among others, also the question shall be discussed of what makes the narration of Sonderweg so attractive. As a matter of fact the Sonderweg thesis, which has been declared dead so often, proves to be particularly long-living when it comes to democracy research. Perhaps its careful empirical refutation in other fields has produced the result that research in unison calls it obsolete and does not discuss it anymore – so that when it comes to the history of democracy it stays unquestioned and lives on and flourishes undercover.
Margaret Lavinia Anderson, Berkely:
Democracy in the German Kaiserreich
Did the Deutsche Kaiserreich have a “democracy deficit”? So said Entente propaganda in 1914, thus launching a Grand Narrative of imperial Germany that would come to be called the Sonderweg. Elaborated after 1933 by its own exiled citizens, by the late ‘60s a consensus among many historians, inside and outside the BRD, accepted the narrative. Yet if one considers popular representation – elections that produce a national legislature – then German institutions and procedures, compared to those of England and the US, were among the most democratic in the West. If one considers practices, then the enthusiastic participation of German voters, and their success in electing the parties their government tried hard to defeat, reveal the emergence an increasingly vibrant democratic culture. Yet arguments for German democracy that draw on domestic developments is still trumped by citing imperial Germany’s behavior internationally – its brutal imperialism (the Herero genocide), its militarism (the decision for war in August 1914), and its lack of humanity (its conduct during that war); all have been invoked to demonstrate the limits of Germany’s democratic culture. But here too a look at Germany’s contemporaries casts doubt on its “peculiarity” of Germany. The descriptive term “democratic” is elusive; it can be stretched and shrunk by historians to fit the argument they are trying to make. Debates about any country’s democratic deficit may never be resolved, because “democracy” itself belongs to a class of concepts whose application “cannot be settled by appeal to empirical evidence,” because the concept itself is “essentially contested.” (W.B. Gallie). “Democracy” is a bundle of ideas containing our aspirations for a better society and a better self. As as we – then and now – always fall short, we will always look for a “democracy deficit” to explain why things went wrong. Things went very wrong in Germany after 1932, but it was not because the Kaiserreich had a deficit of democracy.
Jeppe Nevers, Odense:
Differences and Similarities: Danish Democratization in a North-Western European Perspective
Whereas German historiography has, in recent years, traced patterns of democratization back in time, through new interpretations of the Kaiserreich, the First World War and the Weimar republic, historians of Danish democracy have moved the opposite way. For decades, the history of Danish democracy had the transformation from absolutist monarchy to constitutional monarchy in 1848-49 as the “birth” of democracy, but in recent years a number of scholars (from different generations) have turned their attention to the only gradual development of democratic institutions, the late acceptance of the concept of democracy, the political struggles in the late 19th century, and the debate about parliamentarianism in the interwar years; leaving the late 19th and the early 20th century as a much more crucial period for the understanding of democratization than the mid-19th century. In other words, German and Danish historians of democracy increasingly seem to study similar historical patterns and types of conflicts.
This lecture introduces the history of Danish of democratization from the mid-19th century to the mid-20th century in this perspective and tries to situate this history in a Nordic and North Western-European context. Without directly addressing the question of a German Sonderweg, it is the intention of the lecture that it should provide some comparative insights to qualify the subsequent discussion of German particularities. What is so fascinating in understanding Danish democracy from a comparative perspective is that it developed in a German cultural sphere and is marked by a striking number of similarities, and yet the outcome was so different, with no serious crisis of democracy in the interwar years and a post-WWII settlement that built on majoritarian understandings of democracy rather than constitutional or liberal ideas.
Adam Tooze, New York:
Provincialising the Sonderweg: Global Democracy in the Late 19th and Early 20th Centuries
Perhaps the biggest flaw of all Sonderweg narratives is their lacking global perspective. Already in the late 19th century there developed a global wave of democratisation. These unequal though parallel developments have been called “democratisation episodes”. Democracy became a global expectation. This also refers to those societies which have traditionally been considered democratic although they experienced crucial democracy pushes only at that time. Already at about 1914 the concept of democracy had a reputation of being oppositional. Democracy was no established thing; democracy was the battle cry of those all over the world who wanted to create this democracy. The political culture of the early 21st century looks like a pale, unadorned, bureaucratised and commercialised shadow of the multiple and lively democratic ecosystem at the beginning of the 20th century which was not only much richer but also much less focussed on the Western world. In the first half of the 20th century the geographic direction of democracy and the centre of the political movement seemed to be completely open. World War I increased the issue of democracy – also among the victorious powers. It did not only intensify the demand for democratisation in the states participating in the war but extended it even on other regions. If France, Great Britain and the USA were condemning the German autocracy, it became more difficult for them to reach back to means of repression in their own territories.
Überblick
(Martin Lutz, Berlin, Boris Gehlen,
Überblick
(Martin Lutz, Berlin, Boris Gehlen, Bonn)
Martin Lutz, Berlin, Boris Gehlen, Bonn:
Einführung
Susanne Kokel, Marburg:
»Im Glauben und im Dienst an der Kirche« – Die Herrnhuter Brüdergemeine als Unternehmer
Martin Lutz, Berlin:
»May God make my trip profitable«: Mennoniten und der Markt in den USA
Catherine Davies, Hagen:
Gott, Natur, Markt – Semantiken von Wirtschaftskrisen in der 2. Hälfte des 19. Jh.
Boris Gehlen, Bonn:
»Vermehrung der Concurrenz« als »Glaubensbekenntnis«? Markt und Wettbewerb zwischen Sinndeutung und Selbstzweck in den Debatten des DeutschenHandelstags bis 1914
Jan-Otmar Hesse, Bayreuth, Volkhard Krech, Bochum:
Kommentare
Abstracts (scroll down for English version):
Boris Gehlen, Bonn:
„Vermehrung der Concurrenz“ als „Glaubensbekenntnis“? Markt und Wettbewerb zwischen Sinndeutung und Selbstzweck in den Debatten des Deutschen Handelstags bis 1914
Der Deutsche Handelstag (DHT) wurde 1861 als Vereinigung sämtlicher Handelskörperschaften im deutschen Raum gegründet und war die erste ‚nationale‘ Interessenvertretung der Wirtschaft. Die Handelstage waren bis 1900 das Zentrum der Willensbildung, ehe sie durch eine Organisationsreform vornehmlich repräsentativen Charakter erhielten. Die Debatten drehten sich, erstens, um die Grundsatzfragen der Wirtschaftsordnung und lassen, zweitens, aufgrund der heterogenen Zusammensetzung des Verbands unterschiedliche Sichtweisen auf das „Mantra“ von Markt und Wettbewerb deutlich werden. Der Beitrag zeigt auf, wie stark bestimmte Positionen als Glaubensbekenntnis formuliert wurden, für das bisherige Erfahrungen als Grundlage dienten, die die Erwartungshaltung der Unternehmer auch dann bestimmte, wenn sie mit neuartigen Marktphänomenen, etwa Marktversagen, konfrontiert wurden.
Diese Betonung von Marktprozessen und freier Konkurrenz wirkte nach innen sinnstiftend und stand gemeinsam mit dem Leitbild des „ehrbaren Kaufmanns“ im Zentrum der Organisationsidentität. Zugleich grenzte sich der DHT dadurch wirksam von partikularen Interessengruppen ab, die nicht die Verteilungswirkungen des Wettbewerbs, sondern eine staatliche Umverteilung zu ihren Gunsten einforderten. Abweichungen von den liberalen Prinzipien sowie die Forderung nach staatlichen Eingriffen benötigten im internen DHT-Diskurs stets eine besondere Rechtfertigung – selbst zu einem Zeitpunkt, als der moderne Interventionsstaat bereits deutlich ausgeprägt war.
Der Beitrag arbeitet exemplarisch heraus, dass „Markt“ und „Wettbewerb“ in vielfältiger Weise als „Glaubensbekenntnis“ im DHT fungierten. Das Begriffspaar wurde z.B. ritualisiert betont und Skeptiker gleichsam als Häretiker stilisiert. Dies war jedoch keineswegs bloß rhetorischer Selbstzweck, sondern diente nach innen der Sinnkonstruktion und nach außen der Abgrenzung von „Andersgläubigen“.
Martin Lutz, Berlin:
„May God make my trip profitable“: Mennoniten und der Markt in den USA
Der Beitrag untersucht die Einstellung mennonitischer Unternehmer gegenüber Markt und Wettbewerb in der sich industrialisierenden Wirtschaft der USA. Die mennonitische Glaubensrichtung entstand als Teil der Täuferbewegung in der Reformationszeit. Nach mehreren Auswanderungswellen konzentrierten sich zum Ende des 19. Jahrhunderts große mennonitische Gemeinden schweizerisch-südwestdeutschen Ursprungs in Staaten der Ostküste und des Mittleren Westens, Gemeinden norddeutsch-russischen Ursprungs siedelten sich in Staaten der Great Plains an. Beide Gruppen partizipierten an den neuen Möglichkeiten der industriellen Wettbewerbsordnung der USA. Folglich entwickelte sich in beiden Gruppen im ausgehenden 19. Jahrhundert eine unternehmerische Dynamik, die bis in die Gegenwart anhält.
Seit der frühen Neuzeit wurde Mennoniten ein ausgeprägtes Unternehmertum zugeschrieben. So stellte Max Weber in seinen Aufsätzen zur Protestantischen Ethik für Mennoniten einen „Zusammenhang religiöser Lebensreglementierung mit intensivster Entwicklung des geschäftlichen Sinnes“ fest, der für die Entstehung des modernen Kapitalismus von zentraler Bedeutung war. Allerdings führt Weber weiter aus, dass sich der „Geist des Kapitalismus“ im Übergang in die Moderne von seinem religiösen Ursprung lösen und in eine säkulare Gesellschaft führen würde. Dies war bei Mennoniten nicht der Fall. Mein Beitrag argumentiert, dass mennonitische Unternehmer bis in die Gegenwart in einer Wirtschaftsethik verhaftet blieben, die auf den theologischen Grundlagen des Täufertums beruht. Die Kontinuität religiöser Sinndeutungsmuster manifestiert sich unter anderem auf einer semantischen Ebene in Bezug auf den Umgang mit Markt und Wettbewerb. Der Beitrag zeigt, wie Mennoniten den Markt als Handlungsraum unternehmerischer Möglichkeiten nutzten und ihre Handlungslogik durch die ethischen Maßgaben des Täufertums begründeten. Das Beispiel mennonitischer Unternehmer lässt sich damit in den breiteren Diskurs um Säkularisierung und Persistenz des Religiösen in der modernen Ökonomie einordnen.
Susanne Kokel, Marburg:
Tüchtige Kaufleute und moderne Großbetriebe – Die Entstehung des Konzerns der Herrnhuter Brüdergemeine 1895
Mit einer Neuordnung 1895 leitete die Herrnhuter Brüdergemeine eine radikale Modernisierung ihrer umfangreichen und diversifizierten Gemeinwirtschaft auf dem Europäischen Festland ein. Die bisher von lokalen Gemeindevertretern geführten Unternehmen wurden einem zentralen professionellen Management unterstellt, welches von Beginn an eine Strategie des Wachstums verfolgte und Ressourcen vor allem in Großbetriebe lenkte. Die damit verbundene Bereinigung des Portfolios ging einher mit der Aufgabe einer Vielzahl kleinerer Handwerks- und Handelsunternehmen insbesondere in ländlichen Regionen und mit direkten Auswirkungen für die Gemeinden. Höherer Kapitalbedarf, steigende Arbeitnehmerzahlen und Beteiligungen an fremden Firmen sorgten für zunehmende Verflechtungen mit externen Anspruchsgruppen, die wiederum auf Management und Unternehmenskultur zurückwirkten. Diese Veränderung des Geschäftsbereiches der Kirche, der traditionell durch eine Einbindung in das religiöse Leben als legitim tradiert und durch Erfolge in der Vergangenheit positiv konnotiert war, löste innerhalb der Gemeinschaft immer wieder Diskussionen über eine dem kirchlichen Eigentümer angemessene Konzernführung aus.
Damit ist eine Konstellation skizziert, in der ausgewiesen religiöse Akteure – auch die Finanzdirektoren waren Mitglieder der Religionsgemeinschaft – unter den Bedingungen der wirtschaftlichen Moderne und in einem immer stärker säkularen Umfeld unternehmerisch auf Märkten aktiv waren. Die Bedeutung religiösen Glaubens für eine sinnstiftende Unterlegung unternehmerischer Entscheidungen kann anhand überlieferter Protokolle und Korrespondenzen für einen Zeitraum von ungefähr 50 Jahren untersucht werden.
Welche Rolle spielte religiöser Glauben bei der Rechtfertigung umstrittener Entscheidungen gegenüber verschiedenen Anspruchsgruppen und welche Veränderungen im Zeitablauf können festgestellt werden? Können alternative Begründungen mit vergleichbarem Geltungsanspruch identifiziert werden und welche Akzeptanz hatten diese in der Religionsgemeinschaft?
Es wird die These aufgestellt, dass das Verständnis von religiösem Glauben und seine konkrete Bedeutung im Wirtschaftsleben im Zeitablauf Veränderungen unterworfen waren, welche in einem engen Zusammenhang mit der Rolle der Kirche in der Gesellschaft standen.
Abstracts (English version):
Boris Gehlen, Bonn:
„Vermehrung der Concurrenz“ als „Glaubensbekenntnis“? Markt und Wettbewerb zwischen Sinndeutung und Selbstzweck in den Debatten des Deutschen Handelstags bis 1914
The Deutsche Handelstag (DHT) was founded in 1861 and organized commercial and industrial associations. It was the first ‘national’ German business interest group. Its meetings soon were in the core of its decision-making process until, in 1900, a reform made them adopt a rather representative character. The delegates, at first, debated about basic issues of the economic order and, at second, represented – due to a heterogeneous composition – different views on “competition” and “markets”. However, the paper shows that main arguments were phrased as creeds. Moreover, they were based on experience and influenced the businessmen’s expectations even when they were confronted with previously unknown phenomena such as market failures.
The actors repeatedly emphasized the relevance of competition and thus constructed sense. Combined with the model of commercial honor, competition was in the core of the association’s identity. In doing so, the DHT isolated itself from interest groups which at that time preferred a different model of distribution – in favor of their members. Therefore, minority opinions or an active demand for state intervention always had to be thoroughly substantiated in DHT’s internal discourses.
The paper shows that “markets” and “competition” in several ways were constructed as creeds. The conceptual pair was ritually communicated and critics often stylized as heretics. But this was no rhetorical end in itself but worked internally as sense-making and externally to exclude dissenters.
Martin Lutz, Berlin:
“May God make my trip profitable” – Mennonites and the Market in the United States
This paper analyses Mennonite entrepreneurs’ attitudes towards markets and competition in the industrializing economy of the United States. The Mennonite denomination evolved as part of the Anabaptist movement during the Reformation. By the end of the 19th century and after several waves of immigration, large Mennonite congregations of Swiss/southwest German origin lived on the East Coast and in the Midwest. More recent Mennonite immigrants from Russia and northern Germany settled in the Great Plains. These Mennonite groups seized opportunities provided by the industrial economy in the late 19th century, developing a vibrant entrepreneurial culture that continues through the present day.
Since the early modern period, Mennonites had a reputation of being prolific entrepreneurs. For example, Max Weber mentions Mennonites in his essays on the Protestant work ethic and describes them as having a “connection of a religious way of life with the most intensive development of business acumen” that was essential in the formation of modern capitalism. However, Weber also argued that the “spirit of capitalism” would lose its religious foundation in the course of modernization and lead to a secular society. This does not hold for Mennonites. I argue that Mennonite entrepreneurs remained and continue to be firmly committed to an economic ethic that is based on Anabaptist theology. The continuity of their religious creed is reflected in semantics regarding the market and competition. This paper shows how Mennonites used the market as an entrepreneurial opportunity while justifying their actions with Anabaptist religious principles. The Mennonite entrepreneurs’ case study is then discussed in the wider context of secularization and the persistence of religion in modern economies.
Susanne Kokel, Marburg:
Competent Businessmen and Large-Scale Enterprises – Formation of the Cooperative Group of the Moravian Church 1895
The reorganization of the extensive and diversified cooperative property of the Moravian Church on the European continent in the year 1895 made way for a radical modernization. Being up to now managed by elected elders of the local congregations, all companies were now put under a central professional management, deciding from the beginning to follow a strategy of growth, thus allocating resources mainly to large-scale enterprises. Respective portfolio adjustments led to closures of a number of smaller handicraft and trade companies, mainly located in rural areas, with direct impact on congregations. Higher capital requirements, a growing number of employees and investments in other companies led to increasing interlocking with external stakeholder groups, affecting management and business culture in return. The business area of the church traditionally accepted as an integral part of religious life with successful historical examples at hand thus underwent radical changes, causing many discussions within the community regarding management strategies and techniques being appropriate to church ownership. Analysis of sources like minutes and correspondences for a period of around 50 years can help to learn more about the importance of religious belief as a sense-giving fundament for business decisions.
The paper presents a case in which explicitly religious players – the financial directors being members of the religious community themselves – were acting as entrepreneurs on markets under the conditions of modernity in business and growing secularism. Which role did religious belief play for a justification of controversial decisions towards different stakeholder groups and how did this change within the analysed period? Were alternative explanations of comparable consequence and did they find acceptance within the religious community? I argue that the actual understanding of religious belief and it´s concrete importance in business underwent changes in time, closely related to the role of church in society.
Zeit
(Mittwoch) 15:15 - 18:00
Ort
Phil-E
Philosophenturm
Überblick
(Renate Dürr, Tübingen, Irene van
Überblick
(Renate Dürr, Tübingen, Irene van Renswoude, Den Haag/Utrecht)
Irene van Renswoude, Den Haag:
What Not to Read. Lists of »Suspicious« Books Before the Index (500–1500)
Carine van Rhijn, Utrecht:
»A Good Day to Move your Bees«. Early Medieval Prognostic Texts Between Fabula and Pastoral Care.
Martin Mulsow, Gotha:
Unter der Oberfläche der Gewissheit: »katholische« Lehre um 1700
Eric Jorink, Den Haag:
The Ark and the Temple. Visualizing Biblical Constructions in the Dutch Republic (17th century)
Renate Dürr, Tübingen:
War Noah ein Chinese? Heterodoxie im christlichen Universalismus jesuitischer Weltchroniken des 17. und 18. Jahrhunderts
Abstracts (scroll down for English version)
Angesichts der Rhetorik, mit der man nicht nur in der Vormoderne versucht hat, gesichertes Wissen von hypothetischem, Wahrheit von Betrug, Rechtgläubigkeit von Häresie zu unterscheiden, erscheinen sich Glaubensfragen schnell in der Gegenüberstellung von richtig oder falsch zu erschöpfen. Was als rechtgläubig zu gelten hat und worin gesichertes Wissen besteht, erscheint nach dieser Rhetorik eindeutig definierbar und damit klar abgrenzbar von Häresie oder Phantasterei. Folgt man dieser Rhetorik und fragt nach der jeweils anerkannten kodifizierten Wahrheit, dann reproduziert man zum einen die spezifische Lesart einer spezifischen Zeit und Gesellschaft, auch dann, wenn man sich für die jeweils andere Seite interessiert. Zum anderen impliziert diese Rhetorik von Gewissheit zumindest die Idee von ewiger oder grundsätzlicher Gültigkeit. Insofern verbindet sich mit dem Konzept von Orthodoxie gerade nicht die Frage nach deren gesellschaftlicher Konstruiertheit, nach den Prozessen von Adaptation und Überformung, nach Uneindeutigkeiten und dem Zusammenspiel mit dem, was jeweils für heterodox gehalten wurde. Wandel ist in Glaubensfragen eigentlich nicht vorgesehen. Wandel erscheint dann als Bruch mit alten Traditionen oder als wissenschaftliche Revolution, jedenfalls als etwas, das die Rhetorik der Gewissheit von außen erschütterte. Nicht nur in modernisierungstheoretisch angehauchten Erklärungsmodellen wird eine solche Rhetorik der Gewissheit für ein typisches Moment der Vormoderne gehalten.
Mit dem Konzept des „Wissens“ verbindet sich häufig ebenfalls nicht die Idee der Vorläufigkeit. Denn auch der Begriff „Wissen“ scheint als Gegenbegriff zu Glauben und Nicht-Wissen grundsätzliche Gültigkeit zu beanspruchen – jedenfalls aus Perspektive der jeweiligen Akteure. Dass dies stets eine Illusion darstellt, haben wissenssoziologische wie auch wissenshistorische Forschungen seit geraumer Zeit herausgestellt. Auch aus der Vormoderne gibt es Hinweise darauf, dass man sich der Vorläufigkeit des Wissens bewusst sein konnte. Zur Rhetorik der Gewissheit gehörte jedoch die Evokation einer klaren Gegenüberstellung von kodifiziertem und verworfenem Wissen. Dagegen interessieren wir uns für die Implikationen des „apokryphen“ Wissens, das trotz oder vielleicht sogar wegen ihres apokryphen Status rezipiert wurde. Was dies für die Konzeption von Wissen überhaupt bedeutet, wird in der neueren Wissenschafts-und Ideengeschichte manchmal unter Rückgriff auf den Begriff „prekäres Wissen“ diskutiert, den Martin Mulsow (2012) für bestimmte Wissensstränge und bestimmte Wissensträger in der Frühen Neuzeit geprägt hat, der allerdings vielleicht auch dazu dienen kann, „Wissen“ überhaupt „dynamisch“ zu fassen.
Irene van Renswoude, Den Haag:
Nicht lesen! Listen ‘verdächtiger’ Bücher vor dem Index (500-1500)
Lange vor dem Index verbotener Bücher (1559) zirkulierten Kataloge und Listen empfehlenswerter und abzulehnender Bücher. Was aber bedeuteten Klauseln wie ‚abzulehnen‘ oder ‚nicht aufzunehmen‘ in mittelalterlichen Buchlisten genau? Unterlagen solche Bücher, die als häretisch, apokryph oder auf andere Weise verdächtig klassifiziert wurden, tatsächlich einem Leseverbot? Sollten sie vernichtet werden? Oder wurde ihnen eher ein besonderer Status zugewiesen? Dieser Vortrag nimmt die Kommentare und Anmerkungen von Lesern an den Rändern abgelehnter Texte in den Fokus, um herauszufinden, wie die Vorschriften in präskriptiven Buchlisten bezüglich nicht zu lesender Bücher interpretiert und in die Praxis umgesetzt wurden. Tatsächlich, so die These des Vortrags, war der Übergang zwischen akzeptierter und abgelehnter Lektüre fließend und verhandelbar.
Carine van Rhijn, Utrech:
‚Ein guter Tag, um deine Bienen umzusiedeln‘. Frühmittelalterliche Prognostiken zwischen fabula und Seelsorge
Prognostische Texte, die beispielsweise dem Zyklus der Woche oder des Mondes folgen, um alltägliche Dinge wie die Ernte, die Bedeutung von Träumen, die Aussichten, eine Krankheit zu überleben, oder den Charakter eines Neugeborenen vorherzusagen, sind für die Zeitspanne von der ausgehenden Antike bis in die Frühe Neuzeit in beachtlicher Anzahl überliefert. Meist wurden sie als Texte interpretiert, die sich außerhalb der religiösen Sphäre im engeren Sinne bewegten, entweder als Volksglaube, Aberglaube, heidnisches Überbleibsel oder sogar Magie. Auf der Basis einer Fallstudie aus der karolingischen Zeit (8./9. Jhdt.) soll dagegen aufgezeigt werden, dass diese Texte vielmehr Teil der frühmittelalterlichen religiösen Kultur waren und ihnen eine wichtige Rolle in der Seelsorge spielen konnten, wenn sie sich in den ‚richtigen‘ Händen befanden. Das Beispiel einer Handschrift führt in die Welt ländlicher Laiengemeinschaften, in denen solche Texte eine Brücke zwischen den Idealen christlichen Verhaltens und den Anforderungen des alltäglichen Lebens bauen konnte, für die das Christentum keine konkrete Orientierung bot.
Martin Mulsow, Gotha:
Unter der Oberfläche der Gewissheit: „katholische“ Lehre um 1700
Unter „doctrina catholica“ verstand man im 17. Jhdt. nicht nur die römische Konfession, sondern konnte sich auch auf die noch „allumfassende“ Lehre der Kirchenväter vor dem Konzil von Nizäa beziehen. Die Autorität dieser Väter war ungebrochen – dennoch wurde ihre Logostheologie inzwischen heiß diskutiert. Es war umstritten, ob die subordinatianische Trinitätstheologie nur „noch nicht“ ganz orthodox, aber auf dem Wege dahin war, oder ob sie „nicht“ orthodox war und den Antitrinitariern in die Hände spielte. Eine Vermittlungsposition entwickelte der Engländer George Bull, und an ihm orientierte sich der preußische Theologe Johann Georg Wachter, der eine nie veröffentlichte „Theologia martyrum“ schrieb und die Logoslehre mit Spinoza und der Kabbala assoziierte. Was war Wachter nun? Ein Freidenker, der langsam katholisch wurde, oder ein patristisch gebildeter Theologe, der auf den Abweg des Spinozismus geriet? Dass Wachter seine „Theologia Martyrum“ nicht veröffentlichen konnte, zeigt, dass die Dynamik des Wissens ihn ins Prekäre geführt hatte.
Eric Jorink, Den Haag:
Die Arche und der Tempel. Visualisierungen biblischer Konstruktionen in der Niederländischen Republik (17. Jhdt.)
Frühneuzeitliche Gelehrte waren davon fasziniert, im Anschluss an frühe Bibelkommentare Gebäude und andere Konstruktionen auf der Basis der biblischen Berichte zu visualisieren – z.B. den Turm zu Babel. Oft aus religiösen Motiven begonnen, brachten diese Vorhaben erhebliche Schwierigkeiten mit sich, neben philologischen Details v.a. hinsichtlich der Einbindung mathematischer Berechnungen, neuer empirischer Befunde und Vernunftüberlegungen. Der Vortrag konzentriert sich auf Willem Goeree (1636-1711), einen zu seiner Zeit berühmten niederländischen Architekten, Theologen, Sammler und selbsternannten Gegner von Spinoza, Adriaan Koerbagh, Isaac Vossius und anderen Bibelkritikern. Er wollte von den künstlerischen Fantasien über biblische Geschichten wegkommen und stattdessen die Wahrheit des wörtlichen Schriftsinns belegen, indem er die relevanten Textstellen sowohl mit seiner eigenen orthodoxen Sichtweise als auch mit dem Wissen der Antike und der Völker des Orients in Einklang zu bringen suchte. Dennoch geriet er mit seinen Rekonstruktionen der Arche und des Tempels in gefährliche Nähe zu radikalen Bibelkritikern.
Renate Dürr, Tübingen:
War Noah ein Chinese? Heterodoxie im christlichen Universalismus jesuitischer Weltchroniken des 17. und 18. Jahrhunderts
Im Mittelpunkt des Vortrages soll eine Chronologie des Grazer Jesuiten Joseph Stöcklein stehen, die er im Jahre 1729 in dem von ihm herausgegebenen „Neuen Welt=Bott“ veröffentlicht hatte. Stöcklein war der erste, der die gestellte Frage, ob Noah ein Chinese war, klar mit „ja“ beantwortete, insofern er sämtliche alttestamentlichen Patriarchen mit chinesischen Kaisern aus der Frühzeit der Überlieferung gleichsetzte. Die Frage selbst lag allerdings spätestens seit der ersten lateinischen Geschichte Chinas von 1658 des Jesuiten Martino Martini in der Luft. Das Wissen um die Geschichte und Kultur in China (und Ägypten) forderte die europäischen Gelehrten darum nun schon seit Jahrzehnten heraus. Welche Methoden erlauben Gewissheit über das Alter von Kulturen, wurde gefragt? Wie ist Gewissheit über die unterschiedlichen Versionen der biblischen Geschichte zu erlangen? Und: Sind nicht vielleicht doch verschiedene Anfänge der Menschheitsgeschichte anzunehmen? Von grundsätzlicher Bedeutung waren all diese Fragen, weil mit diesem Wissen aus anderen Kontinenten die Idee des christlichen Universalismus, der konfessionsübergreifend die Vorstellung von Welt und Geschichte bis dahin prägte, zunehmend brüchiger wurde. Joseph Stöckleins Antwort auf diese Fragen liest sich nun als ein besonders eloquentes Plädoyer für diesen christlichen Universalismus – ein Universalismus allerdings, der sich unter der Hand als ein chinesischer entpuppt.
Abstracts (English version)
Rhetorics of Certainty – Dynamic Knowledge: Negotiating Faith and Certainty in Premodern Europe
Could statements in matters of knowledge only be either right or false? Premodern rhetorical attempts to define certain knowledge, truth, and orthodoxy and to distinguish them from fantasy, fraud, and heresy convey this impression. From a modern viewpoint, this concept of certainty, implying eternal and fundamental validity, is often considered to be characteristic of the premodern era. The concept of ‘orthodoxy’ is inherently incompatible with the notion of truth as a social construct. It leaves no room for processes of adaptation and transformation, for ambiguity or even interaction with what was regarded as heterodoxy. In matters of knowledge, to put it briefly, change seems impossible. It can only appear as a breach with tradition or scientific revolution, hence a blow from outside against the rhetoric of certainty.
Similarly, the concept of ‘knowledge’ does not convey the idea of something preliminary. As the opposite to belief and unknowing, ‘knowledge’ seems to claim fundamental validity, too, at least from the perspective of those involved. Research into the sociology and history of knowledge have revealed these claims as illusory. Nevertheless, the rhetoric of certainty involved the evocation of a clear juxtaposition of codified and rejected knowledge. But what were the implications of declaring certain knowledge as ‘apocryphal’, which was received despite or perhaps because of this status? And what did this categorization mean for the concept of knowledge in general? In 2012, Martin Mulsow has proposed the term ‘precarious knowledge’ for certain strands of knowledge and its protagonists in the early modern period. This panel intends to demonstrate that this term has the potential to interpret ‘knowledge’ as dynamic.
Irene van Renswoude, Den Haag:
What not to Read. Lists of ‘Suspicious’ Books before the Index (500-1500)
Catalogues and lists that prescribed which books were good to read and which ones should be rejected circulated long before the Index of Forbidden books (1559). But what did the clause ‘to be rejected’ or ‘not to be received’ in medieval book lists precisely imply? Were those books that were classified as heretical, apocryphal or otherwise suspicious, actually banned from being read? Were they meant to be destroyed? Or were they rather allotted a special status? This paper will discuss the comments and annotations of readers in the margins of rejected texts, to see how the regulations in prescriptive book lists on ‘what not to read’ were interpreted and put into practice. It will demonstrate that the line between acceptable and unacceptable reading was in fact fluid and open to discussion.
Carine van Rhijn, Utrecht:
‚A good day to move your bees‘. Early Medieval Prognostic Texts between Fabula and Pastoral Care.
Prognostic texts, which follow for instance the cycle of the week or the moon to ‚predict‘ every-day matters such as the harvest, the verity of dreams, the chances of surviving disease, or the character of a new-born child, survive in respectable quantities from Late Antiquity up into the Early Modern Period. Generally they have been interpreted as texts that move outside the realm of ‚real‘ religion, either as folk belief, as superstition, as pagan remnants or even as magic. This paper is a case study set in the Carolingian period (s.VIII/IX), in which I would like to argue that, quite to the contrary, these texts were part of early medieval religious culture, and that they played a role in pastoral care if in the hands of the right people. The case of one manuscript will take us to the world of rural, lay communities, in which these texts may have functioned as a bridge between ideals of good Christian behaviour and the many demands of daily life for which Christianity had no fitting format.
Martin Mulsow, Gotha:
Under the Surface of Certainty: ‘Catholic’ Doctrine around 1700
In the 17th century, ‘Doctrina catholica’ did not only mean the Catholic confession, but could also refer to the ‘all-encompassing’ teachings of the church fathers before the council of Nicaea. The authority of the church fathers remained unquestioned; their theology of ‘logos’, though, had by then become a matter of hot debates. Catholic theologians argued over whether the subordinatian version of trinitarian theology could be regarded as merely ‘not yet’ orthodox but on the way towards it, or whether it was in fact unorthodox and a played into the hands of the antitrinitarians. The Englishman George Bull developed a compromise, which had an influence on the Prussian Theologian Johann Georg Wachter, who in his unpublished ‘Theologia martyrum’ associated the teaching of ‘logos’ with Spinoza and the Cabbala. What do we make of Wachter? Was he a libertine who slowly turned into a Catholic, or a theologian well-versed in patristic teaching, who went astray into Spinozism? The fact that he refrained from publishing his ‘Theologia Martyrum’ shows that the dynamics of knowledge led him into precarious terrain.
Eric Jorink, Den Haag:
The Ark and the Temple. Visualizing Biblical Constructions in the Dutch Republic (17th Century)
Elaborating on the work of the early commentators of the Bible, early modern scholars were increasingly fascinated by visualizing buildings and constructions as described in the Bible, such as for example the tower of Babel. However, what often started as deeply religious enterprise, turned out to be fraught with difficulties, both with regard to philological detail as well as to mathematics, new empirical data and sound reason. I will focus on Willem Goeree (1636-1711) a little known, but then famous Dutch architect, theologian, collector and self-appointed enemy of Spinoza, Adriaan Koerbagh, Isaac Vossius and other biblical critics. Goeree wanted to get rid of artistic fancy concerning biblical stories and, instead, tried to demonstrate the truth of the literal reading. His aim was to make the surveying ground texts consistent with his own orthodox views as well as with his great knowledge of the ancient peoples and of the Middle East. However, his reconstruction of the Ark and the Temple brought him dangerously close to the radical biblical critics.
Renate Dürr, Tübingen:
Was Noah Chinese? Heterodoxy in the Christian Universalism of Jesuit World Chronicles of the 17th and 18th Centuries
This paper focuses on a chronological essay of the Jesuit Joseph Stöcklein from Graz, which he published in 1729 in his journal New World Messenger. Stöcklein was the first to answer the question as to whether Noah was Chinese with a clear yes, for he equated all Old Testament patriarchs with Chinese emperors from the earliest tradition. The question itself had been debated at least since the publication of the first history of China by Martino Martini in 1658; for decades, knowledge about the history and culture of China and Egypt had been a challenge to European scholars. Which methods offered certainty about the age of cultures? How could one make sense of the different versions of biblical history? And: Does one need to assume several origins of human history instead of one? Questions like these proved fundamental because the increasing input of knowledge from other continents threatened the concept of Christian universalism that had dominated notions of the world and of history across the confessions. Stöcklein’s answer seems to be a particularly eloquent plea for this Christian universalism –one which, as a by-product, also emerged as Chinese.
Überblick
(Jessica Gienow-Hecht, Berlin, Friedrich Kießling,
Überblick
(Jessica Gienow-Hecht, Berlin, Friedrich Kießling, Eichstätt-Ingolstadt)
Friedrich Kießling, Eichstätt-Ingolstadt:
Einleitung: Von der »Haltung der Zurückhaltung« zur »Gegenmacht«? Außenpolitische Rollenbilder in der Bundesrepublik von Brandt bis Schröder
Frank Trommler, Philadelphia:
Kulturmacht im historischen Diskurs. Die Bundesrepublik in der wechselnden Außensicht
Bernhard Rieger, London:
Volkswagen als bundesdeutscher Sympathieträger und Konfliktherd. Deutsche und mexikanische Perspektiven auf den deutschen Exporterfolg
Bettina Fettich-Biernath, Erlangen-Nürnberg:
Präsenz ohne Einfluss? Das Selbstverständnis der Bundesrepublik Deutschland als Friedens- und Entwicklungsmacht in der Zweiten UN-Entwicklungsdekade
Jessica Gienow-Hecht, Berlin:
Kommentar: Deutsche Rollenbilder im Vergleich. Der Blick von außen
Abstracts (scroll down for English version):
Frank Trommler, Pennyslvania:
Kulturmacht im historischen Diskurs. Die Bundesrepublik in der wechselnden Außensicht
Für die Analyse des außenpolitischen Selbstverständnisses der Bundesrepublik zwischen 1969 und 2005 ist der Einbezug des Faktors Kultur deshalb von Bedeutung, weil er hilft, zwei für die Innen- wie die Außensicht bedeutsame Wandlungen genauer zu fassen:
1) Die wachsende Akzeptanz der Schuldverantwortung für die NS-Vergangenheit als Basis einer neuen demokratischen Gesellschaft, zugleich als Basis eines gewandelten Begriffs von Kulturmacht, der sich von den Assoziationen mit dem nationalistischen Kulturimperialismus befreit hat.
2) Die aktive Außenwirkung der BRD als Faktor internationaler Kultur, etwas, wofür die politische Einbindung in den Westen vor 1970 nur den Satellitenstatus bereithielt, den Ausländer mit dem Bild der kulturellen tabula rasa nach dem NS verbanden. Mit dem Einklinken in die internationalen Wandlungen von Kulturbegriff und -praxis nach 1970, die der Kultur eine aktive Rolle gegen die politische Erstarrung des Kalten Krieges verschafften (KSZE-Akte), gelang eine neue Form kultureller Außenwirkung, die bei der Wiedervereinigung den alten nationalen Rollenbildern entgegenarbeitete.
Diese Hilfestellung von Kultur(politik) für die nicht nur diplomatisch-politische Anerkennung der Bundesrepublik in der Welt geschah allerdings nicht ohne Widerstände im AA. Zwar übte man dort das traditionelle Flaggezeigen nach 1949 mit Zurückhaltung, konzipierte aber auswärtige Kulturpolitik in der Folge der NS-Außenpolitik keineswegs neu. Diese Aufarbeitung, nach Brandts Kniefall 1970 zunächst stark von den Mittlerorganisationen praktiziert, erforderte den Abschied von Machtbehauptung zugunsten des Schuldeingeständnisses, blieb jedoch durch die ständige Demonstration der Machtposition gegenüber der DDR-Außenkulturpolitik bis 1990 im Bereich traditionellen Machtdenkens.
Erst als man im Ausland Deutschland nicht mehr im Narrativ von zwei Deutschländern fasste, fand auch das AA den vollen Zugang zu einem international (und stark europäisch) basierten Denken in kultureller Ausstrahlung, die ihre Dynamik aus der transkulturellen Vernetzung im globalen Kommunikationssystem gewinnt. Kulturelle Macht wird darin als Soft Power gemessen und im Wettbewerb wahrgenommen.
Bernhard Rieger, London:
Volkswagen als bundesdeutscher Sympathieträger und Konfliktherd. Deutsche und mexikanische Perspektiven auf den deutschen Exporterfolg
Dieser Vortrag analysiert Volkswagen als ein deutsches Paradeunternehmen, dessen Erfolge international sowohl Sympathien als auch Konflikte erzeugten und ein Schlaglicht auf die Stellung der Bundesrepublik in der Welt werfen. Die Nachkriegsgeschichte des Konzerns ermöglicht die Untersuchung von Rollenbildern und Machtdiskursen, um sich der vielschichtigen internationalen Präsenz der Bundesrepublik als Exportnation mit begrenzten machtpolitischen Ambitionen anzunähern.
Nach 1945 stieg VW rasch zu einem global operierenden Unternehmen auf, das als Symbol für die Bundesrepublik starkes internationales und heimisches Interesse auf sich zog. In den USA sicherte sich der Konzern in den Fünfzigern und Sechzigern außerordentliche, bis in die Gegenwart nachwirkende Sympathien, die auf dem Ruf des Käfers als niedlichem und ehrlichem Qualitätsprodukt beruhten. Dieser wirtschaftliche Erfolg besaß politische und kulturelle Bedeutung, da Volkswagen und sein Starprodukt in amerikanischen Augen die Transformation Westdeutschlands in ein westliches Gemeinwesen und somit in einen verlässlichen Bündnispartner versinnbildlichte. In Westdeutschland wurden amerikanische Sympathien für den Käfer ihrerseits als Indikator angesehen, dass die Bundesrepublik als friedfertige und machtferne Exportnation internationale Akzeptanz gewann. Spannungen prägten hingegen die Präsenz Volkswagens in Mexiko. Zwar fungierte der VW-Käfer auch hier aufgrund seiner Erschwinglichkeit und Zuverlässigkeit als Sympathieträger, doch betrachtete die mexikanische Öffentlichkeit das Unternehmen selbst mit Ambivalenz. In den Neunziger Jahren nahm Volkswagens Ruf als generöser Arbeitgeber Schaden, als das Management im Rahmen eines Arbeitskampfes die gesamte mexikanische Belegschaft entließ, um einen verschlechterten Tarifvertrag durchzusetzen. Mochte das machtbewusste Auftreten der Firma in Mexiko auch hohe Wellen schlagen, thematisierte die deutsche Presse derartige Episoden eher selten und trug so mit dazu bei, dass sich das Selbstverständnis der Bundesrepublik als Exportnation mit begrenzten Machtambitionen trotz zunehmender globaler Geltung verstetigte.
Bettina Fettich-Biernath, Nürnberg:
Präsenz ohne Einfluss? Das Selbstverständnis der Bundesrepublik Deutschland als Friedens- und Entwicklungs- macht in der Zweiten UN-Entwicklungsdekade
Bescheiden, gutmütig und unpolitisch, suggerierte das Foto. Zur Freude des Botschafters der Bundesrepublik in Tansania machte die Szene „Schlagzeilen“: Erhard Eppler, Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, schwang sich während seines Besuchs im März 1970 auf eines der 100 mitgebrachten Fahrräder. Im Gegensatz zum Außenminister der DDR, der wenig später anreiste, verzichtete der Bonner Minister auf „protokollarischen Pomp“ und die Zurschaustellung von Symbolen staatlicher Souveränität. In den Augen des bundesrepublikanischen Botschafters lag darin ein klarer Punktgewinn für Bonn.
Von einer Friedens- und Entwicklungsmacht zu sprechen, mag als Widerspruch in sich anmuten. Zugleich ist mit dieser Formulierung die Kernfrage angeschnitten, den Begriff der Macht zu historisieren und sich mit der Genese unseres heutigen Verständnisses auseinanderzusetzen. Die staatliche Entwicklungspolitik kann in besonderem Maße als Schlüssel zum Selbstverständnis der Bundesrepublik in den internationalen Beziehungen dienen, da ihr Verhältnis zur Außenpolitik kontinuierlich reflektiert wurde; per definitionem sollte Entwicklungs- von Außenpolitik abgekoppelt und von nationalstaatlichen Interessen befreit werden.
Die erste sozial-liberale Koalition forcierte den Gedanken, Entwicklungs- und Friedenspolitik als zwei Seiten einer Medaille zu verstehen. Welche Erwartungen wurden daran geknüpft, welche Bedeutung den Herausforderungen wie einer Neuen Weltwirtschaftsordnung oder dem internationalen Terrorismus zugeschrieben, die heute für eine Erweiterung des Sicherheitsbegriffs in den 1970er Jahren stehen? Wie spielten Rüstungsexport und die Unterstützung ausländischer Polizeieinheiten auch durch die Bundeswehr in das Image der Bundesrepublik hinein? Der Vortrag argumentiert, dass Aushandlungsprozesse um Nichteinmischung in innere Angelegenheiten und ein Dilemma internationaler Verantwortlichkeit entscheidend für das Bild der Bundesrepublik als Friedens- und Entwicklungsmacht waren.
Abstracts (English version):
Frank Trommler, Pennyslvania:
Kulturmacht im historischen Diskurs. Die Bundesrepublik in der wechselnden Außensicht
Culture has been a particularly relevant factor in two developments that have shaped the understanding of West German foreign policy at home and abroad between 1969 and 2005:
1) The acceptance of guilt and responsibility for the Nazi past as the basis of a new democratic society as well as the basis for the transformation of the concept of cultural power that has been freed from the associations with nationalistic cultural imperialism.
2) The outreach of the Federal Republic as a player on the international cultural scene, something that before 1970 was thwarted by the assumption of its satellite status in the American orbit and the image of a tabula rasa after the Nazi destruction of culture. By joining in the transformations of the concept and practice of culture/ cultural policy after 1970 which provided culture an active role against the political petrification of the Cold War (Helsinki Accords), the Federal Republic succeeded in gaining a new form of cultural profile that impeded the recurrence of old national stereotypes when the German unification occurred.
Yet the supporting role of culture/cultural policies for the international recognition of the Federal Republic that went beyond the mere political and diplomatic acceptance met with much resistance in the Foreign Ministry after its re-founding in 1949. While toning down the cultural flag waving the ministry spurned the rethinking of cultural diplomacy with regard to its abuse under National Socialism. After Brandt’s kneeling down at the Warsaw Ghetto memorial in 1970 such re-conceptualization, initially more in the hands of cultural organizations, meant dropping claims of cultural power in favor of confessions of national guilt. This exercise, however, remained incomplete due to the assertions of power against the claims of East German cultural diplomacy on the world stage.
Once the German narrative in other countries ceased to be the narrative of two Germanys, the Foreign Ministry engaged fully in the internationally (and strongly European) based thinking of a cultural outreach that gains its dynamic from working within the transcultural networks of global communication. Within these networks, cultural power is being pursued competitively as Soft Power.
Bernhard Rieger, London:
Volkswagen as a Source of Admiration and Conflict: International Perspectives on German Export Success
This paper analyzes Volkswagen as an exemplary German enterprise whose success generated both admiration and conflict and thus casts light on the Federal Republic’s global position. The company’s history grants opportunities to examine role models and power discourses that help identify the layers that have composed the Federal Republic’s international presence as an export nation with limited power political ambitions.
After 1945, VW quickly became a global enterprise, whose international operations attracted international and domestic attention. During the Fifties and Sixties, the company gained a lasting and exceptionally positive reputation in the USA due to admiration for the Beetle as a cute and honest quality product. This economic success possessed political and cultural significance, since the American public regarded VW and its star product as indicators of West Germany’s transformation into a Western country and hence trustworthy Cold-War ally. Back home in West Germany, American admiration was read as a marker of the Federal Republic’s gradual acceptance as a peaceful export nation with limited ambitions to political power. VW’s presence in Mexico, meanwhile, was characterized more strongly by tensions. While the Beetle functioned as a source of admiration due to its affordability and its quality, the Mexican public regarded the company itself ambivalently. In the Nineties, VW lost much of its previous reputation as a generous employer when the management fired all line workers during a strike to impose a less advantageous labour contract. Since the German press barely covered heavy-handed conduct of this kind, VW’s Mexican presence also provides insights into the mechanism that allowed the Federal Republic to retain an identity as an export nation with limited power ambitions despite its steadily expanding global presence.
Bettina Fettich-Biernath, Nürnberg:
Spreading Peace and Development: Self-Perceptions of the Federal Republic of Germany during the Second United Nations Development Decade
He was modest, open-minded and apolitical, according to a photography showing Erhard Eppler, Minister for Economic Cooperation of the Federal Republic of Germany (FRG), in a curious situation: In that picture, the Minister was riding one of the 100 bicycles that he had brought along to Tanzania on the occasion of his visit to the country in March 1970. The FRG’s ambassador delightedly reported that the incident had hit the headlines. In contrast to the Foreign Minister of the German Democratic Republic, who arrived shortly afterwards, Erhard Eppler had renounced any “pomp due to protocol” or showing off symbols of state sovereignty.
To characterise a state as a peace and development power might appear as a contradiction in terms. This first impression highlights the necessity of historicizing the concept of power. In terms of Germany’s role models in international relations, the analysis of the FRG’s Official Development Aid allows particular insights into the country’s self-perceptions, as discourse was continuously focusing on how development and foreign politics intertwined. By definition, development politics were considered detached from any foreign politics assumptions and thereby freed from the donor country’s national interests.
Which outcomes did the first social-liberal coalition in Bonn aim at by emphasising a link between development and peace politics? The presentation will ask how claims for a New International Economic Order or acts of international terrorism were perceived – challenges that nowadays stand for the emergence of an expanded concept of security since the 1970s. In this regard, did the export of armaments and the support in favour of foreign police units, e.g. by the Federal Armed Forces, fit into the picture? The presentation will explain that debates on international responsibilities and non-interference in internal affairs prove to have been crucial to create the FRG’s image.
Zeit
(Mittwoch) 15:15 - 18:00
Ort
Phil-B
Philosophenturm
Überblick
(Daniel Föller, Frankfurt/M., Ulla Kypta,
Überblick
(Daniel Föller, Frankfurt/M., Ulla Kypta, Basel, Silke Schwandt, Bielefeld, Benjamin Steiner, Erfurt)
Silke Schwandt, Bielefeld:
Einleitung
Daniel Föller, Frankfurt am Main:
Radikaler Bruch oder gradueller Wandel: Transformationsnarrative über das Ende des Römischen Reichs
Ulla Kypta, Basel:
Empirie und Kausalität: Transformationsnarrative über die Pest 1347–1353.
Benjamin Steiner, Erfurt:
Kontinuität oder struktureller Umbruch: Transformationsnarrative über den Englischen Bürgerkrieg
Hartmut Leppin, Frankfurt am Main:
Schlusskommentar
Zeit
(Mittwoch) 15:15 - 18:00
Ort
H-Hörsaal J
Hauptgebäude
MIT21SEP15:18- 18:00Indian Foreign Policy under Nehru15:18 - 18:00 PHIL-F
Überblick
(Amit Das Gupta, München) Swapna Kona
Überblick
(Amit Das Gupta, München)
Swapna Kona Nayudu, London:
»Nehru isn’t dead until I say he is dead«. The first Prime Minister and the Making of the Indian Foreign Service
Amit Das Gupta, München:
Indian Germany Policy under Nehru
Andreas Hilger, Marburg:
Competing Visions of World Order – Indo-Soviet Relations in Times of Cold War
Srinath Raghavan, New Delhi:
A Missed Opportunity? The Nehru-Zhou Enlai Summit of 1960
Discussant: Madhavan Palat, New Delhi
Abstracts (scroll down for English version):
Die indische Deutschlandpolitik war kaum einmal Chefsache, weshalb man auch nicht von Nehrus Deutschlandpolitik sprechen kann. Der Premierminister konnte die ihm lästige deutsche Frage wegen ihrer Relevanz für den Kalten Krieg nicht einfach abtun, überließ sie aber wechselnden Beamten des Außenministeriums, die aus Mangel an Weisungen wie oft auch an Kenntnis einen Schlingerkurs fuhren. Nur gelegentlich sorgte er mit teils unmotivierten, öffentlichen Äußerungen für Missstimmungen im eigentlichen guten Verhältnis zu Bonn. Das grundsätzliche Dilemma, dass nämlich einerseits Indiens nationale Interessen eindeutig in einer Partnerschaft mit der Bundesrepublik lagen, andererseits eine blockfreie Außenpolitik wie insbesondere die wachsende Nähe zur Sowjetunion eine Gleichbehandlung der DDR nahelegten, wurde nie gelöst.
Dies zeigte sich bereits unmittelbar nach Unabhängigkeit, mit der Indien eine Militärmission im britischen Sektor Berlins übernahm. Schon 1948 wurde ein Handelsabkommen mit der Bizone geschlossen, und in den Westzonen wurde intensiv nach Experten für Indiens Industrialisierung gefahndet. Gleichzeitig zeigte die Sowjetunion Delhi die kalte Schulter. Als die Alliierte Hochkommission mit der Gründung der Bundesrepublik und der Etablierung der Regierung Adenauer um die Eröffnung eines Büros in Bonn bat, löste das monatelange Diskussionen unterer Chargen im Außenministerium aus, die sich einigen konnten, ob eine ungebunden Außenpolitik Indien nicht dazu verpflichtete, schon aus Prinzip nicht einfach den Westmächten zu folgen. Als weder Nehru noch sein engster Berater Krishna Menon, High Commissioner in London, in irgendeiner Form Stellung nahmen, ergriff der Leiter der Militärmission Khub Chand die Initiative. Trotz einer weitgehenden Ablehnung insbesondere der US-amerikanischen Welt- und Deutschlandpolitik plädierte er im nationalen Interesse für den Gang nach Bonn, der die Anerkennung der Bundesrepublik bedeutete. Dieser Vorschlag des jungen wie unerfahrenen Diplomaten wurde vom Secretary General des Außenministeriums, G.S. Bajpai abgesegnet, der als Realpolitiker Indiens Interessen ohnehin im Westen sah. Foreign Secretary K.P.S. Menon mitsamt einer starken Fraktion im Ministerium drängte allerdings darauf, die Tür für eine Anerkennung der DDR offen zu halten – die allerdings gar nicht erst anfragte. Damit verpasste sie folgenreich die historische Gelegenheit, eine führende Macht der Blockfreien und möglicherweise diese heterogene Gruppe auf eine Gleichbehandlung der beiden Staaten zu verpflichten.
Die indische Deutschlandpolitik geriet vor diesem Hintergrund zum fortdauernden Eiertanz, umso mehr als die Gründe für die Bevorzugung der Bundesrepublik umgehend in Vergessenheit gerieten. Schon nach wenigen Jahren galt auch nach Innen die Sprachregelung, Indien sei durch die Übernahme der Militärmission gewissermaßen in eine Anerkennung der Bundesrepublik hineingeschlittert, die aber paradoxerweise keine Diskriminierung der DDR bedeuten sollte. Vielmehr wolle Delhi nach dem einmal vollzogenen Schritt nichts unternehmen, was die deutsche Teilung vertiefen könnte. Diese vage Haltung führte bereits 1952 beinahe zu einem Eklat. Nach der Eröffnung von Botschaften drängte Delhi auf einen Freundschafts- und Handelsvertrag, der vor allem ein politisches Dokument darstellen sollte. Als die Bundesregierung darauf nach einigem Zögern einging, erfuhr sie zu ihrer Überraschung, dass Indien in einem solchen Dokument einen Separatfriedensvertrag sehen müsse, den es wegen seiner bekannten Haltung zur deutschen Frage nicht abschließen könne.
Die Integration beider deutscher Staaten in die jeweiligen Paktsysteme wurde in Delhi als Bedrohung für den Weltfrieden und als Verfestigung der Teilung verstanden. Sie beerdigte aber die jahrelang gehegten indischen Hoffnungen, dass ein geeintes, neutrales und demilitarisiertes Deutschland einen Puffer zwischen den weltpolitischen Blöcken bilden könnte. Die nun einsetzende recht intensive Besuchsdiplomatie von Ende 1955 bis einschließlich 1960 hätte eigentlich zu einer Klärung offener Fragen beitragen sollen, zumal mit Foreign Secretary Subimal Dutt ein ehemaliger Botschafter in der Bundesrepublik wie auch ein profilierter Anti-Kommunist zwischen 1955 und 1961 die Deutschlandpolitik zu seiner Domäne machte. Vertreter der DDR konnten allerdings stets darauf zählen, dass der unberechenbare und neugierige Nehru alle Bedenken seiner Berater über den Haufen warf und „Durchreisende“ wie Staatsgäste empfing. So wie der Premier- und Außenminister häufig wie ein Schilf im Winde erschien, erwies es sich stets als Unmöglichkeit, Minister oder höhere Beamte auf eine gemeinsame Linie zu verpflichten. Die DDR wusste daraus Vorteil zu schlagen und Fakten zu schaffen.
Zugleich wurde die Bundesrepublik mit Misstrauen beobachtet, was nicht unbedingt an ihren politischen Positionen lag, sondern daran, dass Adenauer in den Augen Nehrus, Dutts wie vieler anderer indischer Diplomaten nach John Foster Dulles der unbeliebteste westliche Politiker war. Paradoxerweise vertiefte sich diese Abneigung in dem Moment, als Bonn Delhi in Zeiten großer finanzieller Nöte zur Seite sprang und im Indienkonsortium eine wichtige Rolle übernahm. In einer Art präventiver Abwehr der unabwendbar wachsenden Verpflichtung gegenüber der Bundesrepublik äußerte sich Nehru nach Ausbruch der Zweiten Berlin-Krise wenig freundlich und befand, dass niemand weltweit die Wiedervereinigung wirklich wolle, weil allseits unrealistische Vorbedingungen gestellt würden. Ein Tankstopp von DDR-Ministerpräsident Otto Grotewohl kam nahe an einen veritablen Staatsbesuch. Obwohl die Gespräche an sich belanglos waren, durfte die Tatsache, dass sie überhaupt stattfanden und das kurz nach Chruschtschows Berlin-Ultimatum als Ost-Berliner Erfolg verbucht werden.
1961 schien sich die Waage kurzzeitig vollends zugunsten einer Anerkennung der DDR zu neigen. Mit dem Abschied Dutts aus dem Außenministerium übernahmen dort mit seinem Nachfolger M.J. Desai sowie Krishna Menon die „Linken“, die eine noch sehr viel kritischere Haltung gegenüber der Regierung Adenauer einnahmen. Dementsprechend wurde Nehru einseitig beraten, als er im Vorfeld der Belgrader Blockfreien-Konferenz Europa bereiste. Seine Kommentare zum Mauerbau, die eher sowjetische Positionen unterstützten, die menschliche Not übergingen und ansonsten von Erleichterung geprägt waren, vergifteten die Atmosphäre zwischen Bonn und Delhi. Allerdings war der indische Premierminister eine treibende Kraft unter denjenigen, die während der Konferenz eine Resolution verhinderten, die die Existenz zweier deutscher Staaten zur Kenntnis genommen hätte. Angesichts Indiens zunehmend heikler Lage im Grenzstreit mit China sowie der Gefahr einer militärischen Konfrontation zwischen der Sowjetunion und den USA erschien es Nehru wenig sinnvoll, eine heikle Lage noch weiter zu verschärfen.
Die Kehrtwende kam mit der indischen Niederlage im Grenzkrieg mit China im Oktober und November 1962. Panisch nach Unterstützung suchend garantierte Nehru die DDR nicht anzuerkennen, und sowohl er als auch seine Nachfolger hielten sich so lange daran, bis die beiden deutschen Staaten mit dem Grundlagenvertrag eine Normalisierung des Verhältnisses untereinander herbeigeführt hatten. Insgesamt zeigt die indische Deutschlandpolitik dieser Jahre eine stark irrationale Komponente. Während Delhi im Großen letztlich bei seiner Linie einer einseitigen Anerkennung der Bundesrepublik blieb, zeigen öffentlichen Äußerungen wie interne Diskussionen davon, dass häufig Ratlosigkeit zu Unbeständigkeit führte.
Andreas Hilger, Marburg:
Competing Visions of World Order – Indo-Soviet Relations in the Cold War
Der Vortrag diskutiert die zeitgenössischen Wahrnehmungen von Möglichkeiten und Grenzen der Beziehungen eines „blockfreien“ Staats mit der sozialistischen Großmacht UdSSR. Dabei steht das Wechselspiel der bilateralen Kontakte mit den jeweiligen internationalen Gesamtprogrammen und -positionen in ihren multiplen Kontexten von Dekolonisierung und Kaltem Krieg im Mittelpunkt. Gedeihliche bilaterale Beziehungen, so die Annahme auf beiden Seiten, sollten immer auch weiter gefassten Ambitionen dienen – oder aber sie konnten durch Entwicklungen in breiteren, relevanten Zusammenhängen beeinflusst werden.
Unter Nehru betteten sich die politischen Beziehungen zur UdSSR in Ideen des indischen Premiers über eine adäquate Weltordnung ein. Für ihn war die Gleichberechtigung selbstbestimmter (National-)Staaten ein unverrückbarer Pfeiler, enge Kooperation aller Staaten für Frieden und allgemeinen wirtschaftlichen und sozialen Aufschwung ein anderer. Folgerichtig maß die indische Außenpolitik unter Nehru den Vereinten Nationen grundsätzliche Bedeutung bei: als Forum intensiver Kontakte und Diskussionen, als Symbol und Garant universaler Bestrebungen und Werte sowie als Institution, die sich aktiv um Schritte Richtung Frieden und Fortschritt bemühte. Diese Grundeinschätzung galt ungeachtet einzelner Irritationen der indischen Politik, vor allem wenn es um die Regulierung des Kashmir-Konflikts sowie anderer Streitpunkte im indisch-pakistanischen Verhältnis ging.
Die sowjetische Politik folgte anderen Leitmotiven. Als Imperium strebte die UdSSR danach, ihre sozialistische „Zivilisierungsmission“ in die Welt zu tragen. Aus dem sozialistischen Lager entwickelte sich das sozialistische Weltsystem, das letztlich tatsächlich die ganze Welt umfassen sollte. Angestrebt war letztlich eine sozialistische Großfamilie, in der sich Fragen nach Gleichberechtigung, Selbstbestimmung und sozialen Ordnungen und Standards im Grunde nicht mehr stellten. Damit war auch die konkrete Ausgestaltung von Fortschritt und Frieden vorgegeben, alternative Entwicklungswege, Ausformungen oder Regeln universaler Kooperation waren auf längere Sicht vom sowjetischen Entwurf zu absorbieren, eher noch zu verdrängen. Unter diesen Prämissen war die sowjetische Einstellung zu einer Weltorganisation, die internationale Strukturen stabilisierte und nicht-sozialistische Kooperationen ermöglichte bestenfalls ambivalent: Während Stalin für Überlegungen offen war, die Weltorganisation gänzlich zu torpedieren, betrachtete sein Nachfolger sie vielfach eher als Propagandabühne. Spannungen mit einer Politik, die wie die indische weitaus stärker in nationalen, hinsichtlich der weiteren Entwicklung jedoch offeneren Kategorien dachte, waren nahezu vorgegeben. Darüber hinaus befand sich die UdSSR im Kalten Krieg in direkter Konfrontation mit dem „westlichen“ Entwurf einer Globalordnung. In diesem Kontext erschienen die Gremien der UN nur noch als Arena der Systemauseinandersetzung sowie als Instrument zur Schwächung des Gegenüber, ohne Rücksicht auf Funktion oder langfristige Perspektiven der Gesamtorganisation.
In der Praxis entzündeten sich indisch-sowjetische Gegensätze in der UN an verschiedenen Themenkomplexen: an der Aufnahme neuer Mitglieder (insbesondere bis 1955), an der Rolle der UN in Abrüstungsfragen, an dem Beitrag der UN zur Dekolonisierung sowie, im Spannungsfeld von Kaltem Krieg und Dekolonisierung, an ihrem Engagement in eigenen Friedensoperationen. Anfang der 1960er Jahre flossen mehrere Stränge zusammen, als u.a. die Supermächte ihre Rüstungsanstrengungen erneut forcierten, die Dekolonisierung in der UN neue Prominenz gewann und sich die UN aktiv an der Bewältigung der Kongo-Krise beteiligte. Die Analyse der indischen und sowjetischen UN-Aktivitäten in diesen Fragen, vor allem aber in der Dekolonisierungs- und Afrikapolitik, legte die fundamentalen Gegensätze in der indischen resp. sowjetischen UN-Politik und damit Grenzen ihrer internationalen Kooperationsfähigkeit offen.
Derlei Diskrepanzen mussten sich nicht grundsätzlich negativ auf das eigentliche bilaterale Verhältnis der beiden Länder niederschlagen. Für die Regierung Nehru waren Beziehungen zur UdSSR immer auch ein Testfall, in dem sich – auch gegen innere und externe Kritiker – die Richtigkeit der eigenen außenpolitischen Prinzipien erweisen sollte. Die Fünf Prinzipien, hier vor allem die Nichteinmischung in innere Angelegenheiten und die Bereitschaft zur allgemeinen Kooperation, mochten vor allem dann internationale Signalwirkung entfalten, wenn sie in bilateralen Beziehungen mit der UdSSR positive Resultate zeigten. Auf diese Weise, dies die Hoffnung indischer Politik, würden eigene Grundprinzipien internationaler Politik zunehmend an globalem Einfluss gewinnen (und auf diesem Umweg auch die UN stärken). Zugleich würde die geregelte Zusammenarbeit mit dem durch die Fünf Prinzipien gezähmten Moskau die nationale Entwicklung und Selbstbehauptung Indiens stärken. Diese Programmatik mit entsprechend positiven Folgewirkungen galt für die Beziehungen zur UdSSR, sollte aber nach Ansicht Delhis für alle indischen Kontakte zur sozialistischen Welt und insbesondere auch für China gelten.
Engere indisch-sowjetische Beziehungen zumindest schienen nach Stalin möglich zu werden. Für die neuen Machthaber im Kreml bot die – so ihr Duktus – friedliche Koexistenz sowohl mit Blick auf das eigene imperiale Programm als auch in der damit zusammenhängenden Auseinandersetzung mit dem direkten Systemgegner Vorteile. Im Rahmen des friedlichen Wettbewerbs würde, so das längerfristige Kalkül, die eigene (wirtschaftliche, soziale und kulturelle) Ausstrahlungskraft, verstärkt durch Kooperation und Propaganda in Wirtschaft, Kultur, Diplomatie und ggf. Militär, dazu führen, dass sich Staaten und Gesellschaften wie Indien quasi von selbst von den Vorzügen des Sozialismus überzeugen und sich für den entsprechenden sozialistischen Entwicklungsweg entscheiden würden. (In dieser Lesart mochte Moskau die friedliche Koexistenz in der Summe von bilateralen Beziehungen nahezu zur Umgehung der ungeliebten UN nutzen).
Allerdings ging auch Moskau, spiegelbildlich zu Delhi, davon aus, dass sich das gesamte sozialistische Lager und vor allem China an den eigenen Berechnungen orientierte. Dies war bekanntermaßen nicht der Fall. Verschlechterungen im chinesisch-indischen und im sowjetisch-chinesischen Verhältnis verliefen ab Mitte der 1950er Jahre parallel zueinander. Ab Ende der 1950er Jahre waren sie untrennbar miteinander verbunden – mit dem Kulminationspunkt im indisch-chinesischen Grenzkonflikt. In diesem erwiesen sich faktisch beide Ideengebäude: über die friedliche Koexistenz die sozialistische Sache im Moskauer Sinn zu fördern, oder aber indische Rezepte für internationale Politik im 20. Jahrhundert aufzuwerten, als gescheitert, die Umsetzung bilateraler Ansätze zu Fortschritten in Gesamtprogrammen als misslungen.
Im Fazit verweisen beide Beziehungsdreiecke – Indien, UdSSR und UN sowie Indien, UdSSR und China – auf die komplexe Einbindung der bilateralen Beziehungen in die internationalen Gesamtprozesse der Nachkriegsepoche zurück. Die ambitionierte Außenpolitik Indiens konnte nicht außerhalb der miteinander verbundenen Konfliktfelder von Kalten Krieg und sozialistischen Machtkämpfen bleiben. Auf der anderen Seite blieb der Einfluss der UdSSR in und auf Südasien begrenzt.
Abstracts (English version):
Nehru never showed any continues interest in the German Question, although he could not throughout ignore this cumbersome issue. Apart from occasional, often ill-tempered statements, he mostly left it to various officials of the Minister of External Affairs (MEA), wherefore it would not be justified to talk of Germany policy of Nehru’s. Due to the lack of guidance and often of expertise, Delhi’s course was often meandering though on the whole the bilateral relationship with the FRG remained stable to mutual benefit. Nevertheless, India never found a solution to its basic dilemma. On the one hand, its national interests clearly lay with West Germany. On the other hand, a non-alignment country with the increasingly closer relations to the USSR might have pursued a course of equidistance to the two Germanies.
Events right after independence already gave evidence to this, India taking over a military mission in the British sector of Berlin. Already in 1948, it concluded a first trade agreement with the Bizone, and was trying to win experts for its industrial development in the western zones. On the contrary, the USSR turn a cold shoulder. When the Allied High Commission with the foundation of the FRG and the establishment of the Adenauer government asked whether the military mission might open an office in Bonn, this triggered lengthy inconclusive debates among the lowers ranks of the MEA, some of them holding that non-alignment meant not simply following the Western Powers on principle. As neither Nehru nor his main advisor Krishna Menon, High Commissioner in London, showed any inclination to take a decision, Khub Chand, the head of the military mission took the initiative. There was no love lost regarding U.S. Germany policy or its foreign policy in general. He found, however, that India’s national interest dictated opening the Bonn office, which actually meant recognition of the FRG. This suggestion of a junior and inexperienced officer was met with approval by G.S. Bajpai, the powerful Secretary General of the MEA, who thanks to his through and through realist approach saw much value in cooperating with the West. Nevertheless, a strong group of officials around Foreign Secretary K.P.S. Menon insisted on keeping the door open for a recognition of the GDR. Had the latter asked, it might have found a positive response. In not doing so it missed a window of opportunity. In case a leading power among the non-aligned had treated the two Germanies on a strictly equal footing as early as 1949, the whole competition between Bonn and East-Berlin around Asian and African countries lasting until 1972 would not have taken place after all.
Given that background, Indian Germany policy was a permanent walk on eggshells, even more as soon nobody in Delhi remembered why actually the FRG had been recognised in 1949. Within a few years, the standard explanation even within the MEA became that it all somehow happened to the takeover of the mission in Berlin. Paradoxically, the unilateral recognition was not intended to discriminate the GDR against apart from certain legal restrictions. Delhi’s main argument for not raising the status of relations with East Berlin was that it did not mean to do anything that might come in the way of German unification. This wishy-washy policy had unwanted consequences already in 1952, when India pursued a treaty of friendship and cooperation with the FRG, explicitly pursuing what it termed a political document, only to back out at the last moment. Flabbergasted West German representatives were told that such an agreement came close to a separate peace treaty, which came in the way of the principle not to come in the way of unification.
India saw the integration of the two Germanies into the military blocs as obstacle to unification and contributing to global tensions. It ended the yearlong hopes for a united, demilitarized, and neutralized Germany as buffer between the military alliances in Europe. After the status of Bonn and East Berlin had been clarified for the foreseeable future, nevertheless, an intensive exchange of visitors started, direct high-level talks to be expected to deepen mutual understanding. With Subimal Dutt, India’s first ambassador to the FRG and a pronounced anti-communist was appointed Foreign Secretary a highly rational professional took over charge in German affairs. The GDR, however, could count on the unpredictable and curious Nehru would ignore advice and the Government of India as a whole never pursued a common line. Step by step, East Berlin was able to upgrade its status.
At the same time, the FRG was viewed with scepticism, not so much because of its political positions but for the personal dislike for Adenauer, after John Foster Dulles easily the least unpopular leading Western politician in India. Paradoxically, this dislike deepened the moment that Bonn started aid on a massive scale and played an important role in the Aid India Consortium. The awareness that West German loans were given with the tacit expectation that Delhi would not harm vital interest of the donor played in the background when Nehru commented on the Second Berlin Crisis, wondering whether anyone wanted German unification all parties involved coming with impossible preconditions. On top of it GDR Prime Minister Otto Grotewohl, landing in Delhi for refuelling, was treated like a state guest. Although his talks with Nehru were meaningless and inconsequential, the fact that they had taken place and even more so at a crucial moment played in the hands of East Berlin.
In 1961, India seemed to finally tilt towards the GDR. Dutt left the MEA, and his successor M.J. Desai together with Krishna Menon as leading leftist was prone to change course. Poorly advised, Nehru in the days after the construction of the Berlin Wall came up with a number of statements supporting Soviet views, ignoring human suffering, and showing relief. Nevertheless, at the Conference of nonaligned States in Belgrade he played a decisive role in preventing a resolution acknowledging the existence of two German states. Against the background of massive tension with China about the common border and intensifying global tensions he believed it unwise to pour oil in the fire.
The turnaround came with India’s military disaster in the border war with China in October and November 1962. Desperately asking for support and military supplies, Nehru promised not to recognize the GDR, and he and his successors kept to it. Only when the two Germanies came to term with each other with the Basic Treaty in 1972, diplomatic relations with East Berlin were opened. In sum, Indian Germany policy between 1948 and 1962 was surprisingly irrational. Keeping to the general line to abstain from de iure recognition of the GDR, numerous statements and internal discussion give evidence of uncertainty and lack of consistency.
Andreas Hilger, Marburg:
Competing Visions of World order – Indo-Soviet Relations in the Cold War
<p>The paper discusses contemporary perceptions of possibilities and limits of relations between non-aligned India and the socialist superpower USSR. The paper focuses on the interplay between bilateral contacts, the overarching Indian and Soviet international programs, and the multiple contexts of decolonization and Cold War. Both sides acted on the assumption, that a positive relationship would serve broader international ambitions as well – or vice versa.
<p>Under Nehru’s guidance, Delhi’s political relations with the USSR were embedded in his ideas about an appropriate world order. In this regard, equality of self-determined (national) states constituted one pillar, close cooperation of all states in the cause of peace and general economic and social advance another. Consequentially, Indian foreign policy under Nehru attached special importance tot he United Nations (UN): as forum for intensive contacts and discussion, as both symbol and guarantor of universally acknowledged aims and values, and as institution that took pains to promote actively peace and progress. This attitude prevailed until the 1960s, single irritations of Indian foreign policy experts notwithstanding. They resulted, as a rule, from UN-activities concerning the regulation of the Kashmir-conflict and other contentious issues in Indo-Pakistani relations.
<p>Soviet policy had other leitmotifs. The Soviet empire aspired to spread its „civilizing mission“ – Socialism – throughout the world. The socialist camp (under Stalin) developed into a socialist world system, that was expected in the not too distant future to encompass the whole globe. In the end, Soviet leadership had the vision of a kind of a socialist extended family, where questions about equality, self-determination, and social order and standards had lost their importance. The Soviet vision implicitly provided for concrete definitions of progress and peace as well. In the long term, the Soviet project had to absorb, basically to supersede alternative paths of development as well as competing designs and rules of universal cooperation. Given such premises, the Soviet attitude towards a world organisation, that stabilized existing international structures and facilitated non-socialist cooperations was ambivalent at best. Stalin at least toyed with the idea to destroy the UN, whereas his successor regarded the UN just as a propaganda arena. Basically, tensions with political approaches like the Indian, which still argued along national, but at the same time less restricted categories of cooperation and development, were unavoidable. In addition, the Cold War directly confronted the USSR with a contrary „Western“ draft of a global order. In this Cold War context, the UN more often than not was used as nothing else than a stage for Cold War confrontation an das instrument to weaken the adversary, without respect for function or long-term prospects oft he organisation.
<p>In practice, several UN-issues revealed fundamental Soviet-Indian foreign policy differences: the admission of new member states (particularly until 1955); the role of the UN in questions of global disarmament; UN-contributions to the process of decolonization (and its acceleration); and, at the crossroads of decolonization and Cold War, the UN-engagement in specific peace(keeping) missions. In the early 1960s, several development lines merged, when the superpowers again forced their arms build-up, decolonization questions gained new importance in the UN, and the UN became involved in the Congo-crisis. The analysis of Indian and Soviet UN-activities with regard to these issues, above all in debates and decisions about decolonisation and the UN-policy towards Africa, demonstrated the contradictoriness between Indian and Soviet approaches and thereby the limits of their ability to cooperate in international questions.
<p>Such discrepancies did not automatically negatively affect the direct bilateral relationsship. The Nehru-government always regarded its contacts with Moscow as a test case which – against domestic and external critics – had to prove the correctness of foreign policy principles and approaches. It was supposed that the famous Five Priniciples, above all mutual non-interference and the readiness to general cooperation, would develop international signaling effects if they yielded positive results on the bilateral level. In this way, Indian decision-makers hoped, their foreign policy fundamentals increasingly would gain international acceptance and influence (and strengthen the UN as well). At the same time, the regulated cooperation with Moscow, which was tamed by the Five Principles, would strengthen India‘s national development and assertiveness. Generally, this program and its corresponding consequences should be applied to Indian relations with all socialist countries, above all with China as well.
<p>After Stalin’s death, at least closer Indo-Soviet relations became possible. From the point of view of the Kremlin’s new rulers, the – in their terminology – peaceful coexistence provided for several advantages with regard to both the Soviet imperial program as well as the interconnected competition with the capitalist adversary. Under conditions of peaceful competition, the Soviet calculus ran, socialist (economic, social, and cultural) attractiveness, amplified by direct cooperation and propaganda in economic, cultural, diplomatic, and military spheres would convince countries and societies like India to adopt the socialist path of development.
<p>Nevertheless, Moscow likewise assumed that the whole socialist world and above all China would follow Soviet ideas and directions. This was not the case. Since the mid-1950s, deteriorations in Indo-Chinese relations went hand in hand with worsening of Sino-Soviet relationship. Since the end oft he 1950s, both processes were inseparably interwoven – in autum 1962, they culminated in the Sino-Indian border war. Basically, the war falsified both concepts: to promote the socialist – Moscow – cause by means of peaceful coexistence, or to enhance the status of Indian recipes for international relations in the 20th century by demonstrations of successful peaceful coexistence as well. The transformation of bilateral relations into progresses in overarching international programs had failed.
In the final analysis, both triangles: India-USSR-UN as well as India-USSR-China, demonstrate the complex integration of bilateral Soviet-Indian relations in international developments of the post-war world. India’s ambitious foreign policy could not remain outside the interrelated prevailing conflicts of Cold War and Socialist power struggles; at the same time, the Soviet influence in and on South Asia remained limited.
Swapna Kona Nayudu, London:
“Nehru Isn’t Dead Until I Say He Is Dead”: The First Prime Minister & the Making of the Indian Foreign Service’
India of the mid-1940s was a heady place. She had survived a world war and was preparing for independence, a monumental task matched only by the anticipation it gave rise to. There was a great sense of curiosity, more than anything else, about the direction the new nation would take. The wider world was looking quite closely at the choices Indian leaders were making, and at the debates that informed those choices. There was a sense that history was being made and that the world at large was woven into this moment as much as India herself. In this matter especially, all eyes were on Nehru who having pursued various ideas of India, had expended a considerable amount of his early political career thinking quite deeply about India and her place in the world. His early works, particularly the Discovery of India had foregrounded India against the global, and had picked up themes that were to find wider resonance in India’s own experiments with politics. In the interwar years, Indian public life had been rife with ideological dialogue, and various political dispensations had come to the fore. The coming of the Second World War threw these positions into crisis and some emerged more resolutely than others. As Europe emerged out of the shadows of war, India emerged out of the shadow of Empire. As India pushed towards independence, her international relations acquired an even greater significance, as relations between states in this postwar world were being reoriented and forged anew. Naturally, India’s new and emerging foreign service was at the center of this picture. As Nehru was most active in giving form to Indian diplomacy before, and right after Indian independence, the Indian Foreign Service took shape along lines he had put down, or had delegated to other also very influential personalities. Thus, the paper argues that to understand the contemporary character of Indian diplomacy, it is important to begin at the beginning of the diplomatic relations of the Indian state, in the Nehru era, historicizing it through the criss-crossed narratives of India’s first diplomats. The paper begins with a section discussing forms of diplomacy practised in India pre-independence. The paper will delineate the forms of diplomacy that existed pre-1947, through the initiatives adopted by the nationalists i.e. the Indian National Congress and through the colonials i.e. the British Government. Further, the paper will discuss how certain personalities emerged from that milieu. The section also sets up a larger discussion of how diplomatic institutions were formed in the early years, the focus here being on the Indian Council of World Affairs, and the Ministry of External Affairs.
This paper will then look at the early years of Indian diplomacy through the accounts of diplomats recruited in the time that Jawaharlal Nehru was Prime Minister of India. The accounts have been accessed either through sets of interviews or by looking at archival and textual sources, primarily through memoirs of an older generation of Indian Foreign Service officers. The paper will look at the early years of the Indian diplomatic corps in terms of the actual staffing, the variety of backgrounds the IFS officers were chosen from. The paper looks at Indian diplomats at the United Nations as also in ambassadorial positions elsewhere. Some of the more interesting personalities are those who worked in Indian legations abroad, where India did not yet have a full-fledged embassy. These officers were often caught in major mid-twentieth century crises, like in Hungary in 1956 and in the Congo in 1961, and therefore their accounts literally shaped India’s view of and response to those events. These exciting yet understudied characters and their perspectives are also discussed here.
Studies of Indian diplomacy tend to be focussed on India’s bilateral relations or Indian negotiations at multilateral forums, yet there is very little literature discussing the persons who office the positions from which these negotiations are conducted. This paper aims to bridge that gap in the literature somewhat. The paper argues that it is important to constitute an institutional history of diplomacy in India, distinct from the outcomes that it achieves for India’s international relations. This paper is a step in that direction. Methodologically, the paper has chosen to integrate anthropological approaches to diplomacy along with International Relations literature focussed on foreign policy analysis and diplomatic history. The idea is to trace a process from the conception stage to the outcome stage. Some of the personalities whose memoirs are used are Subimal Dutt, KPS Menon, KM Pannikar, and Vijayalakshmi Pandit. Interviews conducted in New Delhi include amongst others, Eric Gonsalves, Salman Haidar, Lalit Mansingh and Arundhati Ghose. There is also an aspect of looking at how envoys from other countries looked to and at India and those perspectives are discussed by juxtaposing some of these accounts with those of foreign diplomats such as John K Galbraith and Escott Reid. The idea is to bring to life the role that diplomats and diplomacy played in the public life of India during the Nehru period.
Zeit
(Mittwoch) 15:18 - 18:00
Ort
PHIL-F
Philosophenturm
Überblick
(Martin Schulze Wessel, VHD) Podiumsdiskussion - Nobert
Überblick
(Martin Schulze Wessel, VHD)
Podiumsdiskussion
– Nobert Röttgen
– Andreas Wirsching
– Gernot Erler
– Martin Schulze Wessel
Moderation: Klaus Wiegrefe
Die erhitzten Diskussionen um TTIP einerseits und die Sanktionen gegen Russland andererseits zeigen, dass die Beziehungen Deutschlands zu den USA und zu Russland in ungewöhnlichem Maße emotional aufgeladen sind und die deutsche Gesellschaft polarisieren. So verschieden die historischen Beziehungen und die aktuelle Rolle der USA und Russlands in der deutschen Sicherheitspolitik sind, so vergleichbar sind doch die Bedeutungen der beiden Mächten auch nach dem Ende des Kalten Krieg für die politische Identität Deutschlands. In der Diskussion sollen die Traditionen der deutsch-russischen und deutsch-amerikanischen Beziehungen diskutiert und zu aktuellen Fragen der internationalen Politik in Beziehung gesetzt werden.
Zeit
(Mittwoch) 16:00 - 18:00
Ort
SPIEGEL-Haus
Ericusspitze