September
Überblick
(Dorothea Weltecke, Konstanz) Sina Rauschenbach, Potsdam: Narratives
Überblick
(Dorothea Weltecke, Konstanz)
Sina Rauschenbach, Potsdam:
Narratives of Violence: Jewish Chronicles in the Aftermath of the Expulsion from Spain (1492)
Nora Berend, Cambridge:
Triggers of Violence: Disrupted Equilibrium in Medieval Hungary
Zara Pogossian, Rom:
Rhetoric of Violence vs. Accommodation and Competition for Territory Control: The Case of IX c. Vaspurakan (Armenia)
Alexandra Cuffel, Bochum:
Violence by Pen and Rumor: Muslim Accusations of Dhimmi Oppression and Alliance and their Use by Christians and Jews, 12th–14th centuries
Dorothea Weltecke, Konstanz:
Comparing Acts of Religious Violence between Medieval Christian and Muslim societies
Abstracts (scroll down for English version):
Glaubensfragen sind unter anderem Fragen nach religiöser Gewalt. Welche Faktoren befördern das Zusammenleben unterschiedlicher Religionen und welche führen zur religiösen Gewalt? Die Gegenwart hat diese Frage in ungeahnter Härte wieder aufgeworfen. Diese Sektion möchte historische Tiefenschärfe bieten, indem sie den Blick auf unterschiedliche religionsplurale Regionen des Mittelalters und ihre Formen von Koexistenz und religiöser Gewalt im inneren und äußeren lenkt.
In den vergangenen Jahren hat sich die transreligiöse Forschung im Bereich des europäischen und des asiatischen Mittelalters sehr lebhaft entwickelt. Es geht nicht mehr um den Nachweis, dass religiöse Pluralität diese Regionen im Mittelalter geprägt hat. Auch ist inzwischen unbestreitbar, dass überall ein Wechsel zwischen relativer Balance im Zusammenleben der religiösen Gruppen und wiederkehrenden Wellen von Gewalt bestand. Diese Konjunkturen sind ein Aspekt der für die mittelalterlichen Jahrhunderte typischen Konstellationen religiöser Pluralität. Diese waren intern durch Machtkonfigurationen strukturiert, in denen Religion Herrschaft begründete und, neben anderen, eine Kategorie rechtlicher, sozialer und ökonomischer Ungleichheit war. Nach außen begründete Religion spezifische Formen von Kriegshandlungen. Die interreligiösen Beziehungen haben die religiösen Traditionen des eurasischen Raums miteinander verflochten und sie deshalb auch diachron gemeinsamen Dynamiken unterworfen.
Die Sektion verfolgt in diesem Rahmen zwei Ziele: Zum einen werden in Detailstudien bedeutender religionspluraler Regionen von der Iberischen Halbinsel bis zum Vorderen Orient und zum Kaukasus die Mechanismen in ihren je spezifischen Formen untersucht. Auf der anderen Seite werden regionale Ergebnisse miteinander verbunden und auf ihre Verallgemeinerbarkeit überprüft, um die übergreifende Modellbildung für die diachron typischen Formen religiöser Pluralität im Mittelalter voranzutreiben.
Die Arbeitsgebiete der fünf Rednerinnen sind wissenschaftsorganisatorisch in unterschiedlichen Disziplinen (Mediävistik, Orientalistik, Judaistik, Armenologie etc.) angesiedelt.
Sina Rauschenbach, Potsdam:
Narrative der Gewalt: Jüdische Chroniken nach den Vertreibungen und Zwangstaufen der iberischen Juden (1492-98)
Seit der Veröffentlichung von Yosef Hayim Yerushalmis „Zahkhor“ (1982) diskutieren Historikerinnen und Historiker über Zäsuren in der jüdischen Historiographiegeschichte und den Stellenwert jüdischer Chroniken, die nach den Vertreibungen und Zwangstaufen der iberischen Juden (1492-1498) verfasst wurden. Meinungsverschiedenheiten bestehen vor allem darüber, wie und ab wann zwischen ‚mittelalterlichen‘ und ‚modernen‘ Formen jüdischer Erinnerung zu unterscheiden sei. Darstellungen wie Salomon ibn Vergas „Shevet Yehuda“ (Das Zepter von Jehuda, 16. Jh.) fanden zusätzlich wegen ihrer ‚säkularen‘ Perspektiven und ihrer Tendenz, jüdische Verfolgungsgeschichte weniger mit religiösen, denn mit politischen und sozialen Argumenten zu erklären, Beachtung. Dennoch fehlen selbst im Falle von „Shevet Yehuda“ Studien, die sich allgemein den Narrativen von Gewalt und den erzählerischen Nuancen widmen, mit denen im selben Buch Verfolgungen in unterschiedlichen historischen und geographischen Kontexten beschrieben werden. In meinem Vortrag nutze ich „Shevet Yehuda“ und ähnliche Chroniken, um zu analysieren, wie sich Juden im 16. Jahrhundert an Konstellationen, Täter, Opfer und Folgen von Gewaltausbrüchen in der jüdischen Diaspora zwischen Antike und dem Mittelalter erinnerten und wie in diesem Zusammenhang Koexistenz und Verfolgung, soziale Brüche und Gewaltspiralen interpretiert wurden. Dabei geht es im Falle Ibn Vergas auch um die schwierige Frage jüdischer Mitschuld an anti-jüdischen Vorurteilen und Gewaltausbrüchen. Autoren, die neben Ibn Verga in den Blick genommen werden, sind Elijah Capsali, Joseph ha-Cohen, David Gans und Samuel Usque.
Nora Berend, Cambridge:
Auslöser von Gewalt: Gestörtes Gleichgewicht im mittelalterlichen Ungarn
Dieser Beitrag soll die Auslöser, die die Koexistenz von verschiedenen religiösen Gruppen störten, untersuchen. Gemeinschaften, die für einige Zeit friedlich nebeneinander gelebt hatten, waren plötzlich nicht mehr dazu in der Lage. Was löste die zunehmende Gewalt einer Gruppe gegen die andere aus? Was waren die Umstände und Einflüsse, die diese Feindseligkeit erzeugten? Der Beitrag behandelt unterschiedliche Fälle, die religiöse Minderheiten aus dem Königreich Ungarn vom elften bis zum fünfzehnten Jahrhundert betrafen. Die Mehrheit der Bevölkerung im Königreich war katholisch während orthodoxe Christen, Juden, Muslime und Steppennomaden zu der numerischen Minderheit gehörten. Ziele der von Katholiken ausgeübten Gewalt waren nicht nur abweichende religiöse Gemeinschaften, sondern auch Gruppen, die sich durch Sprache und Herkunft unterschieden, wie beispielsweise deutsche Immigranten. Die Akteure, die sich an den Gewaltakten beteiligten, konnten aus unterschiedlichen Gruppen wie der einfachen Bevölkerung oder dem Adel entstammen. Dieser Beitrag konzentriert sich auf die Frage der in den Quellen dargestellten agency und der Motivation.
Zara Pogossian, Rom:
Rhetoriken der Gewalt oder der Annäherung und der Konkurrenzkampf um territoriale Herrschaft. Das Beispiel Vaspurakans (Armenien) im neunten Jahrhundert
Dieser Beitrag soll die Lage in der Provinz Vaspurakan im armenischen Großraum in der zweiten Hälfte des neunten Jahrhunderts untersuchen. Ich werde zunächst die jeweiligen Rhetoriken der Gewalt beziehungsweise der Annäherung, wie sie in den Quellen des neunten Jahrhunderts aus dieser Region belegt sind, aufzeigen und zwar gegenüber islamischen Herrschern unterschiedlicher politischer Bedeutung, d.h. lokalen Emiren oder dem abbasidisches Kalif. Die zu analysierenden Quellen schließen Historiographie, Hagiographie und Kolophone ein und ermöglichen somit unterschiedliche Blickrichtungen auf dieselben Probleme. Ich werde versuchen ein Bild davon zu zeichnen, wie Gewalt gegen Muslime in Fällen lokaler politischer Konkurrenz und dem Kampf um territoriale Herrschaft auftrat. Die Autoren der Quellen sind versöhnlicher, wenn sie die Herrscher im Zentrum des abbasidischen Kalifats – Samarra – behandeln. Meine Hypothese ist, dass wir hier anstatt „religiöser Polemiken“ um ihrer selbst Willen Beispiele politischen Wettkampfes beobachten, in dem Entscheidungen zwischen Gewalt oder Annäherung nach politische Interessen gefällt werden.
Alexandra Cuffel, Bochum:
Gewalt durch Feder und Gerücht: Muslimische Vorwürfe der Unterdrückung und Verbündung der Dhimmis mit Feinden sowie deren Nutzung durch Christen und Juden, 12.-14. Jahrhundert
Schon in der Zeit der Abbassiden hatten Muslimen einige christliche Gemeinschaften, die nahe der Grenze oder in umstrittenen Gebieten wohnten, umgesiedelt oder strenge Maßnahmen gegen sie initiiert, weil sie vorgeblich die Bereitschaft der Christen fürchteten, sich mit anderen Christen oder nicht-muslimischen Mächten zu verbünden. Durch die Kreuzzüge wurde diese Furcht ausgeprägter und spiegelte teilweise die tatsächliche Hoffnung einiger lateinischer Christen auf eine Allianz mit „östlichen“ Christen wider, seien sie koptisch, äthiopisch oder Angehörigen anderer Konfessionen. Dieser Beitrag analysiert die Auswirkungen dieser Hoffnungen und Gerüchte auf muslimische Polemik und Politik. Diese war häufig mit der Kritik verbunden, dass Dhimmis (oft Kopten), zuviel Regierungsmacht innehätten und diese Macht benutzten, um Muslimen zu unterdrücken und zu verfolgen. Zahlreiche polemische Traktate, Fatwas oder ganze Bücher, wie zum Beispiel Ibn Qayyim al-Jawziyas Akham ahl al-Dhimmah, wurden der Beschreibung des angemessenen Status und des korrekten Verhaltens religiöser Minderheiten unter islamischer Herrschaft im Kontrast zur Gegenwart gewidmet. Juden und Christen, die sich dieser muslimischen Ängste bewusst waren, versuchten diese zu nutzen, um die muslimischen Autoritäten dazu zu bewegen gegen Mitglieder anderer Dhimmi-Gemeinschaften Maßnahmen zu ergreifen. Dies taten sie entweder, weil bestimmte Personen Probleme für eine oder mehrere konkurrierende Dhimmi-Gemeinschaften verursachten, oder weil sie hofften, aus dem Machtvakuum, welches aus dem Untergang eines mächtigen Nicht-Muslims resultierte, zu profitieren. Die Aktivitäten bezog sich auch auf Christen oder Juden außerhalb des eigentlichen muslimischen Herrschaftsgebietes. Im zwölften Jahrhundert nutzte der koptische Patriarch Gabriel die muslimische Angst vor der Macht der Äthiopier um den fatimidischen Kalif zu überzeugen, die von Gabriel befürwortete Kirchenpolitik und nicht die Forderungen der Äthiopier umzusetzen. Später jedoch verursachte die wachsende Angst der Muslime und ihre Kenntnis der Bestrebungen der lateinischen Christen, sich mit den Äthiopiern zu verbünden, zunehmende Belastungen für die Kopten. Manipulation der muslimischen Ängste gegen andere Christen oder andere Dhimmis führte manchmal dazu, dass die betrefffende Gruppe bevorzugt wurde. Auf der anderen Seite befeuerte diese Aktionen auch Pogrome, Hinrichtungen und den Verdacht der Muslime, dass Dhimmis, obwohl sie keine direkte Gewalt gegen Muslime ausübten, ihre Ziele als Beamte und geheime Verbündete der Feinde der Muslime verfolgten. Das Ziel des Beitrags ist die Untersuchung der Verbindung zwischen echter und imaginierter Gewalt zwischen Muslimen und Dhimmis, und deren Auswirkungen auf die Beziehungen der verschiedenen Gemeinschaften der Dhimmis.
Dorothea Weltecke, Konstanz:
Religiöse Gewaltakte von mittelalterlichen christlichen und muslimischen Gesellschaften vergleichen
Religiöse Gewalt ist heutzutage in den öffentlichen Debatten sehr präsent. In den Geisteswissenschaften ist Gewalt in unterschiedlichen Disziplinen bereits intensiv untersucht worden. Die von den Religionswissenschaften entwickelten Großtheorien betrachten Religion als Ursache für Gewalt, während sozialwissenschaftliche Theorien dies häufig nicht tun. Historiker haben religiöse Gewaltakte detailliert untersucht, aber diskutieren gewöhnlich die soziologischen Gewalttheorien nicht. Deshalb gibt es überraschenderweise keine systematische Geschichte religiöser Gewalt. Doch wäre ein genuin historischen Beitrag zu der Debatte über religiöse Gewalt möglich und wie würde dieser aussehen?
Als einen ersten Versuch die Frage zu beantworten, soll mittelalterliche religiöse Gewalt mit Blick auf neuere Studien diskutiert werden. Obwohl das Mittelalter emblematisch für religiöse Gewalt geworden ist und viele Ereignisse bereits seit über einem Jahrhundert intensiv untersucht werden, wurden nur wenige Versuche unternommen diese vergleichend und im Bezug zu aktuellen methodologischen Entwicklungen zu betrachten. Allgemeine Begrifflichkeiten wie „das Christentum“ oder „der Islam“ dominieren die Forschung, in der häufig das lateinische Christentum einer diachronisch und geographisch undifferenzierten Vorstellung von „Islam“ gegenübergestellt wird. Der Stand der Forschung über religiöse Gewaltakte gegen Minderheiten in christlichen und islamischen Gebieten ist sehr disparat. Mit Blick auf die aktuellen Herausforderungen wird der Beitrag neue Wege für die vergleichende Erforschung der religiösen Gewalt zwischen Osten und Westen aufzeigen.
Abstracts (English version):
Religious Violence and Precarious Equilibrium: Transcultural Studies from the Iberian Peninsula to the Caucasus
Questions of faith are also questions of religious violence. Which factors benefit the coexistence of different religions and which lead to religious violence? The present has brought these questions back into the fore with previously unimagined force. The section offers depth regarding historical answers by shedding light on different multireligious regions in the Middle Ages and the types of coexistence and religious violence encountered both in and outside of these communities.
Transreligious research regarding the Middle Ages in Europe and Asia has experienced a fairly vivacious development in recent years. Proving that religious plurality shaped these areas in the Middle Ages is no longer the point. The pervasive alternation of comparatively balanced coexistence of different religious communities and reoccuring surges of violence is also indisputable now. These developments are an element of the typical configurations of religious plurality in the Middle Ages. These were internally shaped by structures of power, in which rule was based on religion and in which religion served as a factor of legal, social and economical inequality. In relation to other communities religion could justify specific types of war. Interreligious relations intertwined the religious traditions of the Eurasian region, which were therefore diachronically subjected to the same dynamics.
In this context, the section aims has two objectives: On the one hand, detailed studies of the specific configurations of these mechanisms in important, mulitreligious regions from the Iberian peninsula to the Caucasus will be presented. On the other hand, the outcome of these regional studies will be combined on a more abstract level and tested in order to develop generic models of the diachronically specific forms of religious diversity in the Middle Ages.
The fields of study of the five speakers belong to different disciplines such as medieval, Middle Easter, Jewish or Armenian studies.
Sina Rauschenbach, Potsdam:
„Narratives of Violence: Jewish Chronicles in the Aftermath of the Expulsion from Spain (1492)“
Since the publication of Yosef Hayim Yerushalmi’s “Zakhor” (1982), scholars have been in intense discussions over the status of Jewish post-expulsion chronicles within the history of Jewish memory and historiography. One of these scholars’ main goals has been to distinguish between “medieval” and “modern” forms of Jewish memory and thought. Chronicles such as Salomon ibn Verga’s “Shevet Yehuda” (The Sceptre of Judah, 16th century) have also been in the spotlight for their supposed secularizing tendencies as well as their obvious shift from religious to social and political interpretations of the history of the Jews. However, even in the case of “Shevet Yehuda,” little effort has been made to analyze narratives of violence and what their manner of portrayal might reveal about contemporary attitudes towards the different historical and geographical contexts they describe. In my paper, I will refer to “Shevet Yehuda” and similar chronicles to reveal sixteenth-century ways of remembering situations, actors, victims and outcomes of violent outbreaks in the course of Jewish Diaspora history in both Antiquity and in the Middle Ages. Special attention will be paid to descriptions of co-existence and persecution, social ruptures and spirals of violence. I will also explore the difficult question of supposed Jewish contributions to anti-Jewish prejudice and victimisation. Apart from Ibn Verga, the authors to be discussed will be Elijah Capsali, Joseph ha-Cohen, David Gans, and Samuel Usque.
Nora Berend, Cambridge:
Triggers of Violence: Disrupted Equilibrium in Medieval Hungary
This paper will investigate the triggers that disrupted the coexistence of divergent religious groups. Communities that lived side by side for some time were suddenly no longer able to continue their peaceful coexistence. What led to escalating violence by one community against the other? What were the conditions and factors that created hostility? The paper will consider a range of cases affecting religious minorities from the kingdom of Hungary, from the eleventh to the fifteenth century. The majority population in the kingdom was Catholic, while minorities included Orthodox Christians, Jews, Muslims, and steppe nomads. Targets of violence by Catholics included not only divergent religious communities, but others defined by language and origin, such as German immigrants. Actors who participated in violence varied from commoners to high-ranking nobles. The paper will focus closely on questions of agency and motivation as depicted in the medieval sources.
Zara Pogossian, Rom:
Rhetoric of Violence vs Accommodation and Competition for Territory Control: the Case of IX c. Vaspurakan (Armenia)
This paper will explore the situation in the Province of Vaspurakan in Greater Armenia in the second half of the IX c. I will first present the rhetoric of violence or accommodation that appears in IX century sources from the region with respect to Islamic rulers of various political importance, i.e. local emirs vs the Abbasid Caliph.
The sources to be treated include historiography, hagiography and colophons, thus, allowing a diverse view on the same issues. I will attempt to sketch a picture of how violence against Muslims appears in cases when we are dealing with local power politics and competition for territory control. Often, however, when discussing the rulers at the center of the Abbasid Caliphate — Samarra — the sources are more accommodating. My hypothesis is that rather than „religious polemic“ for its own sake we are here witnessing an example of political competition where violence vs accommodation seem to follow general political concerns.
Alexandra Cuffel, Bochum:
Violence by Pen and Rumor: Muslim Accusations of Dhimmi Oppression and Alliance and their Use by Christians and Jews, 12th -14th Centuries
Already in the Abbasid period, Muslims occasionally relocated or instigated harsh policies against Christian communities living near border or disputed areas, seemingly for fear of Christians’ potential willingness to ally with Christian or other non-Muslim powers. With the crusades, this fear became more pronounced, and reflected in part, the very real hope on the part of some Latin Christians of an alliance with Eastern Christians, whether Coptic, Ethiopian or other. What this paper will examine is the impact of these hopes and rumors on Muslim anti-Christian polemic and policies, coupled with increasing criticism by Muslims that dhimmis, most often, though not always, Coptic Christians, wielded too much governmental power and used their positions to oppress or do “violence” to Muslims. Numerous polemical tractates, fatwas, or entire books, such as Ibn Qayyim al-Jawziya’s Akham ahl al-Dhimmah, were dedicated to describing the proper status and behavior of religious minorities under Muslim rule in contrast to the current state of affairs, in addition to comments in Muslim chronicles. Jewish and Christian communities, aware of these Muslim concerns, used them in their attempts to manipulate Muslim authorities to act against members of other dhimmi communities to displace them, either because the individuals in question were causing problems for one or more competing dhimmi communities, or simply in hopes of benefiting from the power vacuum which would ensue if the powerful non-Muslim who was in power, were cast down. This strategy extended to Christians and Jews outside the direct rule of Muslims. In the twelfth century, the Coptic patriarch Gabriel used Muslim fears of Ethiopian power over Muslims to convince the Fatimid caliph to favor the church policy Gabriel preferred over the requests of the Ethiopians. Later however, increased Muslim fears and awareness of Latin aspirations for an alliance with the Ethiopians caused increase pressure on the Coptic community. Inter-dhimmi or inter-Christian manipulations of Muslim fears sometimes resulted in policies favoring those who engaged in this strategy, however, it also fueled outbreaks of mob-violence, executions, and Muslim suspicion that dhimmi, while not engaging in direct violence against Muslims, achieved the same ends by their pens as governmental officials and secret allies of Muslim enemies. Part of the aim of this paper will be to explore the relationship between real and imagined violence between dhimmis and Muslims, and the impact of both on relations between different dhimmi communities.
Dorothea Weltecke, Konstanz:
„Comparing Acts of Religious Violence between Medieval Christian and Muslim societies
Religious violence is very present in today’s public debates. In the humanities, violence has been studied intensively in different disciplines. The megatheories developed by the religious studies often assume religion as a cause of violence, while sociological theories in general do not. Historians have studied acts of religious violence in various ways, but do not usually discuss the contradicting theoretical strands or develop their own methodological approach. Surprisingly, therefore, there is no proper history of religious violence. Could there be a genuine historical contribution to the debate on religious violence and what would it look like?
In a first attempt to answer this question, medieval religious violence will be discussed in the light of recent sociological studies. While the Middle Ages are emblematic for their religious violence and many events have been studied at great depth for over a century, few attempts have been made to study it in a comparative manner or taking account current methodological developments. Generic terms like “Christianity” or “Islam” dominate the research, mostly designating “Latin Christianity” as opposed to some diachronically and geographically undifferentiated notion of “Islam”. The state of research on violent acts against minorities is very uneven regarding Christian versus Muslim ruled areas. Regarding the discussion of present challenges, the paper will present some avenues for future research in comparing religious violence between East and West.
Zeit
(Mittwoch) 9:00 - 12:00
Ort
Phil-B
Philosophenturm
Überblick
(Gerhard Fouquet, Sven Rabeler, Kiel) Gerhard
Überblick
(Gerhard Fouquet, Sven Rabeler, Kiel)
Gerhard Fouquet, Sven Rabeler, Kiel:
Einführung
Christian Hagen, Kiel:
Christliche und jüdische Darlehensverträge im Konstanzer Ammanngerichtsbuch (1423–1434)
Tanja Skambraks, Mannheim:
Zwischen Kooperation und Konkurrenz. Jüdische Pfandleihe und Monti di Pietà in Italien
Alfred Haverkamp, Trier:
Kommentar I
David Schnur, Trier:
Jüdische Wirtschaftspraxis im spätmittelalterlichen Frankfurt – Strukturen innerstädtischer Geld- und Pfandleihe im 14. Jahrhundert
Gabriela Signori, Konstanz:
Gelihen geltz. Formen und Funktionen christlicher Geldleihe im 15. Jahrhundert
Hans-Jörg Gilomen, Zürich:
Kommentar II
Abstracts (scroll down for English version)
„Glaubensfragen“ berühren ganz unmittelbar ökonomische Probleme, wird die wirtschaftliche Ratio jedweder Zeit doch vielfältig geprägt und beeinflusst von Prognosen und Spekulationen, von Annahmen, Überzeugungen und Ängsten, all dies im Rahmen kultureller Muster und ethischer Bezüge. Vor allem auf der Mikroebene, welche die Akteure, ihre Verflechtungen und die Bedingungen ihres Handelns in den Blick nimmt, hat die Forschung der letzten Jahre diese Themen unter Aspekten wie ‚moral economy‘ oder vertrauensbasierten Netzwerken verstärkt in den Blick genommen. Besonders plastisch treten die angesprochenen Phänomene im Zusammenhang mit Kreditmärkten hervor, denn der auf Treu und Glauben beruhende Kredit stellt wortwörtlich eine „Glaubensfrage“ dar. Zudem ist die Geschichte des Kredits im Mittelalter auch in die Geschichte der christlich-jüdischen Beziehungen eingeschrieben. Davon ausgehend, befasst sich die Sektion mit christlichem und jüdischem Kleinkredit in spätmittelalterlichen Städten. Im Mittelpunkt stehen die Beziehungen zwischen Gläubigern und Schuldnern, die damit verknüpften Praktiken der Vergabe und Absicherung von Krediten und die daraus resultierenden mikroökonomischen Strukturen örtlicher Kapitalmärkte. Inwieweit konkurrierten oder koexistierten christliche und jüdische Geldhändler, welchen Regelungen und Restriktionen unterlagen sie? Welche Gruppen potentieller Schuldner wurden jeweils angesprochen? Wer nutzte überhaupt das Instrument des Kleinkredits, welche Rolle spielten dabei ökonomische Ressourcen und soziale Positionen, wie fügten sich Darlehen in das Haushalten der klein(er)en Leute ein? Welche Bedeutung kam dabei der städtischen Schriftlichkeit zu, etwa in Gestalt der Stadtbücher? Inwiefern konnten Aspekte einer ‚moral economy‘ zum Tragen kommen? Wie prägte der stets latente, nicht selten aggressiv aufbrechende, in seinen alltäglichen Wirkungen aber nicht immer leicht abzuschätzende Antijudaismus Entwicklung und Ausgestaltung von Kreditmärkten?
Christian Hagen, Kiel:
Christliche und jüdische Darlehensverträge im Konstanzer Ammanngerichtsbuch (1423–1434)
Das Konstanzer Ammanngerichtsbuch besitzt als wertvolle wirtschaftshistorische Quelle seit der auszugsweisen Veröffentlichung durch Hektor Ammann (1949/1952) einige Bekanntheit. Im Rahmen des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekts „Gläubiger und Schuldner: Christliche und jüdische Darlehensmärkte in deutschen Städten des Spätmittelalters“ wird die Originalquelle im Hinblick auf die enthaltenen Kreditgeschäfte analysiert. Die zentrale Fragestellung richtet sich auf das Verhältnis und die funktionalen Wechselbeziehungen zwischen christlichem und jüdischem Kredit.
Zahlreiche Einträge belegen die weit verbreitete Kreditierung der Waren durch Produzenten oder Händler. Ließ der Schuldner die Zahlungsfrist verstreichen, griff das Instrument der Schadennahme, wobei der Gläubiger die Summe zu Lasten des Schuldners bei einem jüdischen Kreditgeber aufnehmen konnte. Der weitere jüdische Kredit bestand vor allem aus kleinen Darlehensgeschäften, größere Transaktionen bildeten die Ausnahme. Die Konstanzer Ratsbeschlüsse lassen erkennen, dass die jüdischen Geldverleiher geradezu gedrängt wurden, das Segment des kurzfristigen Pfandkredits abzudecken. Die Beteiligung von Christen an den Darlehensgeschäften versuchte der Rat hingegen zu reduzieren, wie bereits das Konstanzer Wuchergesetz von 1383 nahelegt: Es reglementierte nicht nur die jüdische Geldleihe, sondern richtete sich gegen alle Bürger, die pfenninge umb pfenning uff merung usslihend, und verbot darüber hinaus die Kapitalanlage bei Juden, d.h. die christliche Partizipation am jüdischen Wuchergeschäft. Da die Abfassung des Gerichtsbuchs auch in die Zeit der erneuten Ausweisung der Juden aus Konstanz (1432) fällt, stellt sich zudem die Frage nach der Substitution der jüdischen Kredite. Bildeten diese auch in Konstanz nur noch einen verzichtbaren „Nischenmarkt“ (Hans-Jörg Gilomen), während die bedeutenden Kredittransaktionen auf dem Rentenmarkt stattfanden?
Tanja Skambraks, Mannheim:
Zwischen Kooperation und Konkurrenz. Jüdische Pfandleihe und Monti di Pietà in Italien
Der Vortrag geht der Frage nach, inwieweit die Gründung und schlagartige Ausbreitung der Monti di Pietà (als christliche Pfandleihhäuser) seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts in Italien die Stellung der jüdischen Pfandleiher veränderte. Anhand von Fallstudien zu Rom, Perugia und Florenz wird das vielschichtige und durchaus komplexe Verhältnis der Juden und der von den Franziskanern maßgeblich protegierten Monti analysiert. Dabei wird der Vortrag sowohl auf die Diskursebene um Wucher und Zins am Beispiel franziskanischer Predigten und päpstlicher Erlasse in der Gründungsphase der Monti eingehen als auch die Praxis der Geldleihe und Kleinkredite in den genannten Städten anhand von Rechnungsbüchern und lokalen Regulierungserlassen näher beleuchten – diese weist eher auf ein wechselvolles Verhältnis zwischen Konkurrenz und Kooperation christlicher und jüdischer Pfandleihe hin.
David Schnur, Trier:
Jüdische Wirtschaftspraxis im spätmittelalterlichen Frankfurt – Strukturen innerstädtischer Geld- und Pfandleihe im 14. Jahrhundert
Der Beitrag widmet sich am Beispiel der Reichs- und Messestadt Frankfurt den komplexen Wirtschaftsbeziehungen zwischen jüdischen Geld- und Pfandleihern und christlichen Handwerkern. Eine eingehende Analyse der tatsächlichen Kreditbeziehungen zwischen diesen Gruppen im städtischen Alltag fehlt bislang, obgleich besonders die ältere Forschung nicht nur eine judenfeindliche Einstellung christlicher Handwerker postuliert, sondern deren Ursachen auch vielfach in den wirtschaftlichen Beziehungen verortet hat.
Die Untersuchung fußt auf den reichhaltigen Frankfurter Schöffengerichtsbüchern, die mit ihren mehr als 10.000 Judenbelegen zwischen 1330 und 1400 gerade den alltäglichen jüdischen Kleinkredit dokumentieren. Im ersten Schritt wird nach den einzelnen Gewerken gefragt, die als Judenschuldner nachgewiesen sind, sowie nach der Häufigkeit ihrer Inanspruchnahme jüdischer Geldgeber. Danach stehen die Kredite selbst im Zentrum der Analysen: Welche Summen sind belegt? Lassen sich Rückschlüsse auf die jeweiligen Hintergründe der Kreditaufnahmen ziehen? Sind berufsspezifische Besonderheiten zu beobachten und gegebenenfalls welche? Können längerfristige Beziehungen ausgemacht werden, die über größere Zeiträume hinweg stabil bleiben?
Die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Handwerkern und Juden waren keineswegs nur einseitig wirksam: Im spätmittelalterlichen Frankfurt sind auch Juden nachzuweisen, die bei christlichen Handwerkern verschuldet waren. In diesen Fällen ist ebenfalls nach den Hintergründen und Modalitäten der Kredite zu fragen. Auf struktureller Ebene wird zudem versucht, Unterschiede zwischen der ersten und der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts herauszuarbeiten, die auf Veränderungen in den Geschäftsmodellen nach dem Pogrom von 1349 verweisen könnten, wie sie zuletzt etwa für den Bereich der Immobilienkredite nachgewiesen wurden.
Gabriela Signori, Konstanz:
Gelihen geltz. Formen und Funktionen christlicher Geldleihe im 15. Jahrhundert
Dass Christen Christen und Juden Juden kein Geld gegen Zins verleihen sollten, ist bekannt. Die Vermutung, dass das Verbot weder die einen noch die anderen davon abhielt, es trotzdem zu tun, erscheint mit Blick auf die wachsende Ökonomisierung der spätmittelalterlichen „Welt“ plausibel. Von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen, befassen sich die meisten Studien jedoch nicht mit den Geldgeschäften unter „Glaubensbrüdern“, sondern konzentrieren sich einseitig auf den Geldverleih zwischen Juden und Christen, was nicht ganz wertfrei ist, wie Gregory B. Milton in seinem 2006 erschienenen Beitrag ‚Christian and Jewish Lenders: Religious Identity and the Extension of Credit‘ kritisiert. Auf diesen Geldverleih von Christen an Christen fokussiert der Beitrag, der die Bestände des Basler Gerichtsarchivs (die Serien B–K) auf der Suche nach „geliehenem Geld“ durchkämmt, insbesondere die Serie C der Konfesssate, der öffentlich vor Gericht abgelegten Schuldbekenntnisse. „Geliehenes Geld“ wird in den spätmittelalterlichen Gerichtsbüchern (nicht nur in Basel) von anderen Geldschulden unterschieden. Was genau damit gemeint ist, ist dennoch schwer zu bestimmen. Denn allfällige Zinsen werden in den Gerichtseinträgen, die von Schulden handeln, nie vermerkt. Bestenfalls wird präzisiert, die Rückzahlung habe samt „Kosten“ zu erfolgen, die aus dem Geschäft resultierten. Das aber müssen nicht zwangsläufig Zinsen sein.
Abstracts (English version)
“Matters of faith” directly concern economic problems, because in various ways the economic rationale of every period is characterised and influenced by forecasts and speculations, by assumptions, convictions and anxieties, all of this connected with cultural patterns and ethical references. Particularly at micro level, focussing on players and agents, their networks and the conditions of their actions, research has been dealing with these topics with regard to aspects like ‘moral economy’ or networks based on mutual trust in recent years. These phenomena are especially visible in the context of credit markets, as credit rested upon good faith is literally a “matter of faith”. Furthermore, the history of credit in the Middle Ages is connected with the history of Christian-Jewish relations. On this basis, the section will deal with Christian and Jewish small-scale credit in late medieval towns, focussing on the relations between creditors and debtors, the linked practices of providing and securing loans, and the resulting microeconomic structures of local capital markets. To what extent did Christian and Jewish money traders compete or coexist with each other, to which regulations and restrictions were they subjected? Which groups of potential debtors did they address? Who actually used small-scale credits, of which importance were economic resources and social positions, what did loans mean for the economy of more or less little people? Which function had municipal records in this field, e.g. the town books? Did aspects of a ‘moral economy’ take effect? How did anti-Judaism, constantly latent and not rarely occurring in an aggressive way, but not always easy to estimate concerning everyday impacts, shape the development and structure of credit markets?
Christian Hagen, Kiel:
Christian and Jewish Credit in the Court Book of Constance (1423–1434)
The court book (Ammanngerichtsbuch) of Constance is known as a valuable source for medieval economic history, especially since Hektor Ammann published parts of it in 1949/1952. Within the scope of the research project “Creditors and Debtors: Christian and Jewish Credit in Late Medieval German Towns”, funded by the Deutsche Forschungsgemeinschaft, the original source is studied particularly with regard to all forms of credit. The main goal is to analyse the relationship and functional interaction between Christian and Jewish credit.
Many of the entries found in the court book document the sale of goods via credit. In case the debtors did not pay within the agreed period, the creditors could resort to the device of Schadennahme, i.e. they got the sum from a third person, for example a Jewish money lender, who could therefore charge a higher interest rate at the debtor’s expanse. Other Jewish credit appears mainly in the shape of short-term lending on pawn, in fact mainly for small sums with greater transactions being exceptions. The rulings of the Constance city council suggest that Jewish money lenders were urged to cover exactly this demand of short-term credit. In contrast, the council tried to reduce Christian participation in all loan transactions as the local law against usury from 1383 suggests: It regulated the interest rates for Jewish money lenders but also restricted any interest earnings for all Christian citizens. Lending money to Jewish money lenders, thus participating in usury, was prohibited in particular. Since the court book was used during a period when the Jews were once more banished by the city authorities (1432), it remains to be seen how this is reflected in the book. It also raises the question if the Jewish credit was already so insignificant compared to other forms of loan (“Nischenmarkt”, Hans-Jörg Gilomen) that its substitution did not pose a problem.
Tanja Skambraks, Mannheim:
Between Cooperation and Concurrence. Jewish Pawnbroking and Monti di Pietà in Italy
The paper will tackle the question on how the foundation and rise of the Monti di Pietà (as Christian pawnbroking institutions) changed the position of Jewish moneylenders in Italy from the second half of the 15th century on. By analysing source material from Rome, Perugia and Florence, it will focus on the complex relationship between Jews and the Monti, the latter being essentially protected by the Franciscan Order. In a first step, the presentation will focus on the discourse on usury and interest visible in Franciscan sermons and papal tracts from the late 15th century. Secondly, it will deal with the practices of pawnbroking and small-scale credit in these cities visible in account books and local regulative texts – pointing at the multifaceted relationship of Jewish and Christian pawnbroking institutions between concurrence and cooperation.
David Schnur, Trier:
Jewish Economic Practices in Late Medieval Frankfurt – Structures of Urban Moneylending and Pawnbroking in the Fourteenth Century
This paper addresses the complex economic relations between Jewish moneylenders and pawnbrokers, on the one hand, and Christian craftsmen, on the other, in the imperial borough and trading emporium of Frankfurt am Main. A detailed analysis of the actual credit relationships between these groups has never been offered; although previous scholars have generally taken the anti-Jewish attitude of Christian craftsmen for granted and often explained that attitude by reference to economic relations.
The investigation is based on the rich documentation in the court books of the Frankfurt town judges, with more than 10,000 references to the Jews from the period from 1330 to 1400. They offer particular insights into the day-to-day practice of Jewish small credit. In a first step, we will survey in what branches the craftsmen worked who resorted to Jewish credit, and how often they did so. Following this, the loans as such will be analysed: What sums were involved? Can anything be said about the circumstances in which they were borrowed? Did the various trades require specific forms? Can we observe relationships that remained stable over a long period of time?
Economic relationships between craftsmen and Jews by no means worked in just one direction. In late medieval Frankfurt, Jews, too, can be found indebted to Christian craftspeople. These cases require equally close attention as regards the occasions and contractual details.
On the structural level, we will search for differences between the first and second halves of the fourteenth century, indicating possible changes in Jewish economic strategies following the pogrom of 1349. Such changes were recently identified in the field of real-estate credit.
Gabriela Signori, Konstanz:
Gelihen geltz. Forms and Functions of Christian Money Lending in the Fifteenth Century
It is well known that no Christian might lend money to another Christian against interest and no Jew to another Jew. The assumption that this interdiction prevented neither the ones nor the others from doing so appears plausible regarding the growing economisation of the late medieval “world”. With few exceptions most studies do not deal with credit among fellow believers but concentrate on money lending between Jews and Christians. As Gregory P. Milton points out in his article ‘Christian and Jewish Lenders: Religious Identity and the Extension of Credit‘, published in 2006, this is not entirely neutral. The paper focusses on money lending between Christians and is based on the search for “lended money” in the collections of the Basel court archives (series B–K), especially in the series C of the Konfessate, i.e. the public recognizances of debts given in court. In late medieval court books (not only in Basel) “lended money” is distinguished from other forms of debts. However, it is difficult to define its exact meaning because interest is never mentioned in the entries dealing with debts. At best, it is specified that the repayment must include the “costs” resulting from the transaction. Yet, these do not necessarily have to be interest.
Zeit
(Mittwoch) 9:00 - 12:00
Ort
H-Hörsaal H
Hauptgebäude
Überblick
(Annette Schmiedchen, Berlin) Annette Schmiedchen, Berlin: Einführung Katrin
Überblick
(Annette Schmiedchen, Berlin)
Annette Schmiedchen, Berlin:
Einführung
Katrin Einicke, Halle:
Stiftungspraxis in Indien: Normative Grundlagen und persönliche Motivation der Akteure
Walter Slaje, Halle:
Religiöse Konkurrenz zwischen Buddhismus, Hinduismus und Islam im mittelalterlichen Kaschmir
Ignacio Sánchez, Warwick:
Endowment Practices, Asceticism and Religious Scrupulosity in Medieval Islam
Zachary Chitwood, Berlin:
Zur Frage der ostchristlichen Konfession von Stiftern, Begünstigten und Umgebungsgesellschaft in Byzanz
Gury Schneider-Ludorff, Neuendettelsau:
Kritik und Neudeutung des Stiftungswesens in der Reformationszeit und seine Bedeutung für die Profilierung eines konfessionellen Selbstverständnisses in den Reichsstädten und Territorien des 16. Jahrhunderts
Abstract (scroll down for English version):
In dieser Sektion soll der Frage nachgegangen werden, in welchem Verhältnis die religiösen Bekenntnisse von Stiftern und Stiftungsbegünstigten zueinander standen und welche Rolle die Glaubensrichtung der sie umgebenden Gesellschaft für mittelalterliche Stiftungstraditionen spielte.
Im mittelalterlichen Indien war eine gewisse Ambivalenz zwischen der postulierten religiösen Affiliation königlicher Stifter und den Glaubenstraditionen, denen die von ihnen begünstigten Institutionen und Personen angehörten, keinesfalls untypisch. Herrscher streuten in der Regel ihre Zuwendungen an Brahmanen, hinduistische Tempel, buddhistische Klöster und / oder jinistische Institutionen. Dieses Phänomen wird oft mit herrscherlicher Toleranz bzw. damit erklärt, daß die Übergänge zwischen verschiedenen religiösen Gruppen im vorislamischen Indien fluider als im monotheistischen Westen gewesen seien. Es spricht jedoch einiges dafür, daß Könige und Fürsten bei der Vergabe von Stiftungen zum Unterhalt religiöser Institutionen und Personen als eine Art Amtsträger agierten und den verschiedenen Glaubensvorstellungen ihrer multireligiösen Umwelt Rechnung zu tragen hatten.
Deutlicher waren die Zäsuren zwischen den Konfessionen in den muslimischen, christlichen und jüdischen Stiftungstraditionen. Muslimische Rechtsgelehrte des 9. Jahrhunderts erlaubten auch Juden und Christen, waqf-artige Stiftungen zu gründen, vorausgesetzt, daß die gesamte Gesellschaft und nicht nur ihre jeweilige Glaubensgemeinschaft vom gestifteten Vermögen profitierte. Im Verlaufe der Reconquista kam es dann jedoch zu Einschränkungen: Islamische Rechtsgelehrte formulierten massive Einwände gegen Stiftungen für Kirchen, Klöster und Synagogen; der waqf wurde eng mit der Praxis des ǧihād verbunden. In Byzanz ebenso wie unter einigen mittelalterlichen muslimischen Herrschern ist nachweisbar, daß Stiftungen auch für die Missionierung benutzt wurden. Andererseits belegen religiöse Stiftungen nicht nur eine starke interreligiöse, sondern auch innerreligiöse Konkurrenz.
Abstract (English version):
„Medieval Endowments – A Matter of Faith? India and the Rest of the Premodern World“
In this panel the relations between the religious leanings of donors and donees will be investigated, as well as the role which the religious beliefs of the surrounding societies played in the medieval endowment traditions.
A certain ambivalence between the proclaimed religious affiliations of royal donors on the one hand, and the religions followed by the institutions and individuals those donors favoured on the other hand, was not unusual for endowment practices in medieval India. In general, Indian rulers tended to distribute their religious grants amongst Brahmanical priests, Hindu temples, Buddhist monasteries, and / or Jaina institutions. This phenomenon has been often explained as regal tolerance, or with the undeniable fact that the transitions between different religious groups were more fluid in pre-Islamic India than in the monotheistic West. There is, however, evidence which indicates that imperial rulers and even subordinate kings acted as official representatives of the empire or kingdom when they made endowments in order to support religious institutions or individuals, and that they also had to take into consideration their multi-religious environment.
Far more clear were the distinctions of the different faiths in the medieval Muslim, Christian, and Jewish endowment traditions. 9th-century experts on Islamic law permitted also Jews and Christians to create waqf-like endowments, under the condition that the whole society, and not only their respective communities, profited from the assets or capital thus granted. But during the reconquista, experts on Islamic law expressed strong objections against endowments in favour of churches, monasteries, or synagogues; the institution of waqf became very closely linked to the practice of ǧihād. In the Byzantine Empire and under some medieval Muslim rulers, religious grants were also used for missionary purposes. However, endowment records testify that there existed not only a strong inter-religious, but also intra-religious competition.
Zeit
(Mittwoch) 9:00 - 12:00
Ort
PHIL-D
Philosophenturm
Überblick
(Sitta von Reden, Freiburg) Peter Bang,
Überblick
(Sitta von Reden, Freiburg)
Peter Bang, Kopenhagen:
Among States and Empires— Towards a Global Comparative History of Rome
Hermann Kulke, Kiel:
The Premodern State in India: Reflections on Processes of State Formation and Periodization in the Eurasian Context
Christoph Lundgren, Dresden:
Stateness—a New Category for Analyzing the Premodern World
Bhairabi Prasad Sahu, Delhi:
From Kingdoms to Transregional State: Exploring the Dynamics of State Formation in Early Medieval Odisha
Kesavan Veluthat, Delhi:
From Chiefdom to Kingdom and Empire: Trajectories of State in South India
Sitta von Reden, Freiburg:
Kingdom, State or Empire? The Case of Hellenistic Egypt
Abstract (scroll down for English version):
Was in vormodernen Gesellschaften unter Staatlichkeit zu verstehen ist, ob man von Staaten im Sinne Max Webers in der frühen europäischen und indischen Geschichte überhaupt sprechen kann und unter welchen Bedingungen sich vormoderne politische Ordnungen entwickelten ist intensiv historisch sowohl in der europäischen wie auch indischen Forschung diskutiert. Imperiale Ordnungen sind ebenfalls seit längerem Gegenstand interdisziplinärer Debatten, in denen das Römische Reich häufig als archetypisches Modell fungiert. Ein wichtiges Substrat der Diskussionen ist, dass Staaten und Imperien keine statischen Ordnungen darstellen, die in einer evolutionären Entwicklungslinie stehen, sondern als bestimmte, nämlich institutionelle Reaktionen auf sich wandelende Bedingungen in einem Herrschaftsraum zu verstehen sind. Diese Sektion, die im Rahmen der Partnerschaft des 51. Historikertages mit Indien organisiert wurde, wird in sechs Beiträgen die Forschungsergebnisse der letzten Jahre in der deutschen Altertumswissenschaft, der Indologie und indischen Geschichtswissenschaft diskutieren und weiterentwickeln sowie versuchen, die Möglichkeiten globalen wissenschaftlichen Austauschs aufzuzeigen. Die Vortragssprache ist Englisch.
Abstract (English version):
The question of what is a „state“ and what an empire, and how to distinguish between the two, has been discussed intensely in social theory and history, often in comparative perspective. Especially among pre-modern and ancient/early historians, the question of whether we can call ancient Mediterranean and Indian kingdoms, city states and the Roman Empire “states” in the sense of Max Weber’s influential definition, and what is involved when we talk about state formation in the ancient world is highly controversial. One important result of recent debates is that a state is not a reified form of political organization that has evolved in European history, but a series of particular – institutional – responses to changing social and political conditions. This section, which has been organized as part of the German-Indian partnership of the 51st Historikertag, aims to expand this debate, exploring comparatively the nature of states, empires and kingdoms in the Early Medieval in India and the Ancient Mediterranean, which has not been attempted before. Assembling specialists of European Ancient History, Indology and Indian History from both Europe and India it also aims to strengthen academic dialogue in a globalized academic world. All papers are delivered in English.
Zeit
(Mittwoch) 15:15 - 18:00
Ort
H-Hörsaal B
Universität Hamburg
Überblick
(Niko Lamprecht, Wiesbaden, Michael Landgraf,
Überblick
(Niko Lamprecht, Wiesbaden, Michael Landgraf, Neustadt)
Niko Lamprecht, Wiesbaden:
»Reformation reloaded« – ein Online und Printprojekt von EKD und VGD
Michael Landgraf, Niko Lamprecht:
Teilthemen aus »Reformation reloaded«
Achim Müller:
Didaktische Reflexion
Abstract:
Moderne Darstellung von Glaubensfragen – EKD & VGD kooperieren
Der Verband der Geschichtslehrer hat sich in der Vergangenheit zunehmend den Neuen Medien gestellt und dazu mit verschiedenen Medienpartnern Materialien im Internet zur Verfügung gestellt. Diese wurden stark nachgefragt und in der Praxis weitgehend positiv aufgenommen, aber auch aus verschiedenen Perspektiven kritisiert. Mit dem Projekt „Reformation reloaded“ wird seit 2014 wiederum Neuland betreten. In der paritätisch besetzten Arbeitsgruppe wird unter Leitung von Dr. Uwe Hauser (EKD) und Niko Lamprecht (VGD e.V.) an Materialien gearbeitet, welche zeitgemäße und für den Unterricht direkt nutzbare Perspektiven zur Reformation aufzeigen wollen. Die Materialien werden in einem aufwändigen Prozess abgestimmt (Zielpunkt: 2017), angestrebt wird ein bundesweit nutzbares Online-Portal mit ergänzendem Printmaterial. Im Thesenpapier zum Projekt wird formuliert: „Reformation reloaded: 2017 – Stationen des Protestantismus in der Geschichte“:
„EKD und VGD e.V. sind der festen Überzeugung, dass das Jahr 2017 nicht eine bloße Feier- und Gedenkmöglichkeit bieten sollte. Das Thema Reformation bedarf stetiger Behandlung, Vergewisserung und Überprüfung – aus unterschiedlicher Perspektive. Hiermit sind nicht nur die verschiedenen religiösen oder religionskritischen Positionen inner- und außerhalb der EKD gemeint, sondern auch divergierende Verortungen zeitlicher oder regionaler Art. Diese lenken den Blick z.B. auf die Zeitgebundenheit theologischer oder politischer Ansichten, die intendierten Materialien sollen neben der Vermittlung von Kenntnissen somit immer die Chance zur Multiperspektivität und die Anregung zur kritischen Distanz bieten. – Mit der 2014 begonnenen Phase der Konzeptentwicklung und Erstellung erster Pilot-Bausteine hat sich das inhaltliche Angebot des Internetportals strukturiert.“
Zentrale Themenfelder sind:
Längsschnitt:
– Vor der Reformation
– Luther selbst
– Die Zeit
– Die „Anderen“
– Nachreformatorische Zeit
– Reformation heute
Übergreifende Themenfelder:
– Ökonomie
– Bildung
– Politik Gesellschaft
– Europa
– Frieden
– Kultur
Insgesamt sollen sich multimediale Angebote und Anreize mit einem flexiblen methodisch-didaktischen Angebot verbinden, dieses kann von Lehrkräften der Fächer Geschichte und Religion als Online-Unterrichtseinheit ebenso flexibel genutzt werden.
In der Sektion sollen zwei der Bausteine vorgestellt und reflektiert werden. Neben allgemeinen Informationen und der Vorstellung des Projekts wird es auch eine kritische Analyse aus geschichtsdidaktischer Perspektive geben.
Zeit
(Mittwoch) 15:15 - 17:15
Ort
PHIL-C
Philosophenturm
Überblick
(Eva Schlotheuber, Düsseldorf, Michail Boytcov,
Überblick
(Eva Schlotheuber, Düsseldorf, Michail Boytcov, Moskau)
Pierre Monnet, Frankfurt/M. / Paris:
Die Goldene Bulle 1356: »Für immer und ewig?« (Röm.-dt. Reich)
Eva Schlotheuber, Düsseldorf:
Constitutiones Aegidianae 1357 – »Ein diplomatisches Kunststück« (Kirchenstaat, Italien)
Michail Boytcov, Moskau:
Privilegium Maius 1359 – (Röm.-dt. Reich /Habsburger)
Jean Marie Moeglin, Paris:
Ordonnanzen Charles le Sage 1374 (Frankreich)
Claudia Märtl, München:
Das Wiener Konkordat von 1448 (Habsburger /Kurie)
Jesús Vallejo Fernandez de la Reguera, Sevilla:
Siete Partidas (Kastilien/Spanien)
Zeit
(Donnerstag) 9:00 - 12:00
Ort
PHIL-G
Philosophenturm
Überblick
(Daniel Schley, München) Daniel Schley, München: Pfade
Überblick
(Daniel Schley, München)
Daniel Schley, München:
Pfade für den Glauben? Zu Vermittlung und Verbreitung religiöser Vorstellungen im Umkreis der Kriegergesellschaft des
13. Jahrhunderts
Stefan Köck, Bochum:
Buddhawerdung durch Einäscherung? – Zu soteriologischen Vorstellungen in
Reliquienkult und Pilgerwesen im Buddhis- mus des japanischen Mittelalters
Steffen Döll, Hamburg:
Pilger, Literat, Aufrührer und Heimkehrer. Japanische Chinareisende des 14. Jahr- hunderts am Beispiel des Sesson Yūbai (1290–1347)
Abstracts (scroll down for English version):
Daniel Schley, München
Pfade für den Glauben? Zu Vermittlung und Verbreitung religiöser Vorstellungen im Umkreis der Kriegergesellschaft des 13. Jahrhunderts
Ende des 12. Jahrhunderts war in Kamakura ein neues politisches Zentrum entstanden, das mit der Zeit gleichfalls zu einem Anziehungspunkt für die religiösen Bewegungen der Zeit wurde. Seit der Konsolidierung des Reichs im 7. Jahrhundert hatten der königliche Hof in Kyōto und die mit diesem assoziierten religiösen Institutionen keinen so einflussreichen wie selbständigen Konkurrenten um Macht und Autorität besessen. Ihre Herrschaftsausübung begründeten die Krieger auf einer der Vasallität des europäischen Mittelalters vergleichbare Bindungen an Gefolgsleute (gokenin 御家人) wie auch eine zunehmend umfangreiche Rechtsprechung. Darin zeichnete sich in vielerlei Hinsicht eine neue Qualität von Herrschaft ab.
Bei aller Verschiedenheit agierte die Kriegerregierung dennoch nicht ganz unabhängig von der überkommenen Ordnung. In politischen aber auch religiösen Belangen knüpften sie an Bewährtes an. Dazu gehören die Einrichtung eines Schreins für die synkretistische Gottheit Hachiman, die Übernahme religiöser Verantwortung seitens der Shōgune, oder die Behandlung von Glaubensfragen in Rechtstexte und didaktischen Lehrschriften. Zugleich suchten Mitglieder der zur selben Zeit entstandenen religiösen Erneuerungsbewegungen die Nähe der Kriegerregierung auf, von der sie sich den ihnen andernorts versagten Zuspruch erhofften. Kamakura entwickelt sich ebenso in ein dynamisches Begegnungsfeld alter und neuer religiöser Praktiken und Lehren.
Welche Kriterien aber lassen sich aus dem Umgang der Krieger mit den damaligen religiösen Herausforderungen feststellen? Welche strukturellen und individuellen Faktoren waren im Fall von Glaubenskonflikten ausschlaggebend, wie beispielsweise zwischen den militärischen Verpflichtungen und dem buddhistischen Tötungsverbot?
Eingeordnet in einen kursorischen Überblick über die abwechslungsreiche religiöse Landschaft im mittelalterlichen Japan geht es im Vortrag um zwei Fallbeispiele, den Anhänger von Hōnens Reinem-Land-Buddhismus Shinzui (gest. 1279) und dem heute bekannteren Nichiren (1222-1282). Beide waren mit ihren Anliegen an die Krieger zu ihrer Zeit erfolglos, was eine gute Gelegenheit bietet, den Gründen für ihr Scheitern nachzuspüren und daraus Einblicke in die religiösen Infrastrukturen zwischen Kyōto und Kamakura zu gewinnen.
Stefan Köck, Bochum
Tore zur Buddhawerdung? – Pilgerstätten als Fokuspunkte soteriologischer Doktrinen im japanischen Mittelalter
Religiöse Infrastrukturen im japanischen Mittelalter sind in hohem Maße beeinflusst durch Erscheinungen, die bereits vor dem Entstehen der Kriegerherrschaft und dem damit einhergehenden Feudalsystems seit dem ausgehenden 12. Jahrhundert etabliert wurden. Dem Historiker Kuroda Toshio zufolge bildete ein System, in dem sog. exoterische und esoterische buddhistische Schulen in wechselnden Allianzen miteinander um die Vorherrschaft in religiösen Belangen und um politischen Einfluß konkurrierten (kenmitsu-taisei), die religiöse Orthodoxie vom 8. bis ins ausgehende 16. Jahrhundert.
Innerhalb dieses Systems entstand mit der honji-suijaku-Doktrin ein synkretistisches Modell, das es ermöglichte, Erscheinungen buddhistischen und nicht-buddhistischen Ursprungs miteinander zu identifizieren. Pilgerstätten wie Kumano oder Kōya-san sind Beispiele für Orte, an denen dieses Muster greifbar wurde. Dort beheimatete Kulte waren nicht auf Vertreter einzelner buddhistischer Schulen beschränkt, sie gewannen seit dem 13. Jahrhundert zunehmend an Bedeutung und wurden durch Wanderasketen in Japan popularisiert. Pilger verehrten an den Heiligtümern lokale Gottheiten oder buddhistische Mönche als Erscheinungen buddhistischer Wesenheiten. Dies hatte profunde soteriologische Implikationen: in einer Zeit, die verbreitet von einer pessimistischen Eschatologie geprägt war, wurden diese Kulte als Möglichkeiten verstanden, Buddhawerdung zu erlangen.
Im 13. Jahrhundert neu entstehende buddhistische Bewegungen wie die Reine-Land-Schulen, aber auch Schulen des kami-Glaubens wie der im 15. Jahrhundert entstehende Yoshida-Shintō, mussten sich gegen die kenmitsu-Orthodoxie behaupten und waren bemüht, sich doktrinär von dieser abzusetzen um als eigenständig wahrgenommen zu werden. Inwieweit dies gelingen konnte oder sie sich schließlich doch etablierter Konzepte der religiösen Infrastruktur der kenmitsu-Orthodoxie bedienen mussten, um ihre eigene Position zu stabilisieren, soll in diesem Vortrag ebenfalls thematisiert werden.
Steffen Döll, Hamburg:
Pilger, Literat, Aufrührer und Heimkehrer. Japanische Chinareisende des 14. Jahrhunderts
am Beispiel des Sesson Yūbai (1290–1347)
Den ostasiatischen Raum kennzeichnen im Mittelalter religionsgeschichtliche Migrationsbewegungen von großer Intensität. Schon aus früheren Jahrhunderten lässt sich beobachten, dass japanische Mönche die buddhistischen Zentren des Festlands aufsuchten, um von dort Schriften, Praktiken und Lehrsysteme in ihre Heimat zu verbringen, bzw. dass chinesische und koreanische Meister in Japan ansässig wurden und dort entscheidenden Einfluss auf die Ausbildung der religiösen Landschaft nahmen. Doch der Austausch im unruhigen 13., insbesondere aber im 14. Jahrhundert scheint eine neue Dimension erreicht zu haben: Uns liegen aus diesem Zeitraum mehrere hundert Biographien von japanischen Chinareisenden und chinesischen Emigranten nach Japan vor, die von der Dynamik des persönlichen ebenso wie institutionellen Austausches zeugen.
Ein in gleichem Maße paradigmatisches wie außergewöhnliches Fallbeispiel stellt die Biographie des Sesson Yūbai (1290–1347) dar. Seine hervorragenden Kenntnisse des Chinesischen in Wort und Schrift und sein enger Kontakt zu den Zirkeln chinesischer Emigranten in Kyoto und Kamakura zeichneten ihn als einen Hoffnungsträger des japanischen Zen-Buddhismus aus. Doch seine Pilgerreise nach China verlief ganz anders als geplant: Als Spion und Aufrührer verdächtigt, wurde er verfolgt, zum Tode verurteilt, begnadigt und schließlich verbannt; die Heimkehr wurde ihm erst nach mehr als zwanzig Jahren im Exil gestattet.
Der Vortrag versucht anhand der Biographie des Yūbai jene physischen, kommunikativen und ideellen Infrastrukturen zu identifizieren, aufgrund derer im japanischen Mittelalter die Option der Pilgerreise aufs Festland ernst und vielfach wahrgenommen wurde. Gleichzeitig wird die vielleicht wichtigste Grundvoraussetzung für diese Form des Austausches umrissen, nämlich die tatsächliche und vorgestellte Verschränktheit des Religiösen mit dem Politischen.
Abstracts (English version):
Daniel Schley, München:
Paths for Faith? On the Dissemination of Religious Beliefs and 13th Century Warrior Rule.
At the end of the 12th century a new political centre had emerged in Kamakura. For the first time since the establishment of the Japanese kingship during the 7th century, the royal court in Kyōto with its affiliated temples and shrine was confronted with an independent competitor for power and authority. In spite of many differences the new warrior government could not act completely outside of long standing infrastructures. Warriors followed court precedents not only in many political but religious matters as well. A part of this continuity can be seen in the building of a temples and shrines in Kamakura, e.g. for the syncretistic deity Hachiman. The shogun as formal head of government took religious responsibility for his dominion similar to the monarchs in Kyōto (tennō) and questions of faith were treated in juridical and didactical writings. At the same time members of religious renewal movements went to Kamakura to gain recognition denied elsewhere. As a result Kamakura developed also into a dynamic rallying point for old and new religious ideas and practices.
The underlying infrastructures for dealing with religious challenges have, however, yet to be investigated thoroughly. A good starting point is to ask for the decisive structural and personal factors in cases of conflicting beliefs and practices. A lurking problem for many warriors was for instance how to console their military engagement with the Buddhist ban on killing living beings.
Following an introductory summary of the wide-ranging medieval religious landscape, I will focus in my paper on two individual cases: the Pure-Land-Buddhist Shinzui (died 1279) and Nichiren (1222-1282). Both of them were not successful with their appeals to the warriors, which provides a good occasion to investigate the reasons for their failure. This analysis shall help to offer new insights into so far neglected infrastructures of faith between Kyōto and Kamakura.
Stefan Köck, Bochum:
Gateways to Buddhahood? – Pilgrimage Sites as Focal Points of Soteriological Doctrines in the Japanese Middle Ages
Religious infrastructures in the Japanese Middle Ages are strongly influenced by phenomena that were established prior to the advent of warrior rule in the 12th century and the accompanying feudal order. According to the historian Kuroda Toshio the religious orthodoxy between the 8th and the 16th century was formed by a system, consisting of so called exoteric and esoteric Buddhist schools (kenmitsu) that formed changing alliances in their struggle for dominance in religious and political affairs.
In the context of this system a syncretistic model, the honji-suijaku-doctrine, emerged by which it was possible to identify phenomena of Buddhist and non-Buddhist origin. Pilgrimage sites like Kumano or Kōya-san serve as examples for places, where this model became manifest. Religious cults linked to these sites were not limited to representatives of individual Buddhist schools, since the 13th century they enjoyed a growing significance and became popularized by wandering ascetics roaming Japan. Pilgrims venerated local deities or Buddhist monks as manifestations of Buddhist beings at the sanctuaries. The implications of these practices were profound: in times strongly marked by a pessimist eschatology these cults were understood as means to achieve buddhahood.
For emerging Buddhist movements like the Pure-Land-Schools in the 13th century but also schools of kami-veneration like Yoshida-Shintō in the 15th century it was necessary to assert their own positions separate from the kenmitsu-orthodoxy in order to be noticed as discrete movements. This talk will also address the question to what extent this was possible or if these movements finally had to fall back on established concepts of religious infrastructure of the kenmitsu-orthodoxy in order to establish their own positions.
Steffen Döll, Hamburg
Pilgrim, Scholar, Agitator, and Repatriate. Sesson Yūbai (1290–1347) Travelling to China during the 14th Century
The religious history of the Middle Ages in East Asian is characterized by exceptional migratory movements. Even during earlier centuries Japanese monks regularly visited Buddhist centers on the mainland in order to gain possession of scriptures, practices, and doctrinal systems to bring along home, while Chinese and Korean masters occasionally settled in Japan where they had decisive influence on the development of the religious landscape. However, a new dimension seems to have been reached by the tumultuous 13th and 14th centuries. Several hundred biographies of Japanese Buddhists travelling to the mainland as well as Chinese emigrants to Japan have been preserved and vividly illustrate the dynamics of personal and institutional exchange.
An equally paradigmatic and extraordinary case of such a biography is the one of Sesson Yūbai (1290–1347). His exceptional skills in the spoken and written Chinese language as well as his involvement in the social circles that revolved around the Chinese emigrant masters in Kyoto and Kamakura gained him recognition as a rising star of Japanese Zen Buddhism. But his pilgrimage to China went drastically awry: Suspected as a spy and insurgent, he was prosecuted, convicted, sentenced to capital punishment, amnestied, and banished to the remote hinterlands. He finally made his way back to Japan only after twenty years in exile.
By examining Yūbais biography, this talk aims at identifying the physical, communicative, and ideological infrastructures that informed the decision of many medieval Japanese monks to brave the perilous roads and waterways to and on the mainland. Special attention will be given to the perhaps most basic premise that rendered pilgrimage an option to be taken seriously in the first place: the factual entanglement between the realms of the religious and the political.
Überblick
(Hans-Werner Goetz, Hamburg) Hans-Werner Goetz, Hamburg:
Überblick
(Hans-Werner Goetz, Hamburg)
Hans-Werner Goetz, Hamburg: Glaubenskriege? Die Kriege der Christen gegen Andersgläubige in der mittelalterlichen Wahrnehmung
Wolfram Drews, Münster:
»Glaubenskriege« Karls des Großen? Die fränkische Auseinandersetzung mit Sachsen und mit spanischen Muslimen
Nikolas Jaspert, Heidelberg:
Kreuzzüge und »Reconquista« im 12. Jahrhundert: die Grenzen des Glaubenskriegs
Almut Höfert, Zürich:
Heilige und heiliger Krieg
Abstracts (scroll down for English version):
Im abendländischen Mittelalter, das gern als „Zeitalter des Glaubens“ bezeichnet wird, wirken Religion und Kirche nicht nur in alle Lebensbereiche hinein, sondern der christliche Glaube wird unstrittig auch zur Legitimation von Kriegen gegen Andersgläubige, gegen Muslime ebenso wie gegen Häretiker und Heiden, benutzt, die entsprechend immer wieder als gezielte Glaubenskriege gedeutet werden. Diesbezügliche Forschungen zum ‚Heiligen Krieg‘, zum Verhältnis des Klerus zum Krieg oder zur Anwendung christlicher Riten in Krieg und Heerwesen untermauern das, auch wenn Begriffe wie „Heiliger Krieg“ bekanntermaßen nicht mittelalterlich sind: Gewalt im Namen der Religion ist auch nach jüngsten Forschungen ein Kennzeichen des Zeitalters. Andererseits nehmen Neuzeithistoriker durch den Glauben begründete „Religionskriege“ erst für die Frühe Neuzeit in Anspruch. In jüngster Zeit sind auch in der Mediävistik Zweifel an einer einseitigen Deutung laut geworden, da sie weder einem mehrschichtigen mittelalterlichen Denken noch der zeitspezifischen Religiosität des Mittelalters voll gerecht werden kann, die ‚Profanes‘ und ‚Sakrales‘ meist zwanglos miteinander zu vereinbaren wusste. Die sogenannten Glaubenskriege wurden von politischen und militärischen, sozialen, wirtschaftlichen und auch demographischen Motiven überlagert oder gar bestimmt. Die berechtigte Skepsis gegenüber den älteren, gewiss einseitigen Thesen hat aber nicht zwingend zur Folge, dass religiöse Kriegsmotive keinerlei Rolle spielten oder der Glaube nur als Vorwand benutzt wurde, wie ein säkularisiertes, modernes Denken meinen könnte. Vielmehr ist − und das soll in dieser Sektion an exemplarischen Beispielen geschehen − die Rolle des Glaubens in der Ideologie ebenso wie in der praktischen Umsetzung in Relation zu anderen wirksamen Motiven zu betrachten und im Verhältnis von mittelalterlicher Wahrnehmung und faktischer Realität zu bewerten. Im Ergebnis sind, zugleich als Beitrag zum Verhältnis von Religion und Gesellschaft im Mittelalter, ein differenzierteres Bild des Mittelalters und eine realistischere Einschätzung der ‚Glaubenskriege’ zu erwarten.
Hans-Werner Goetz Hamburg:
Glaubenskriege? Die Kriege der Christen gegen Andersgläubige in der mittelalterlichen Wahrnehmung
Eine Sakralisierung des Krieges ist nicht erst für christliche Zeiten charakteristisch, sondern bereits in der Antike gang und gäbe. Entscheidend für eine Charakterisierung als ‚Religionskrieg‘ ist nun nicht so sehr die Terminologie − da der Begriff nicht zeitgenössisch ist, ist eine begriffsgeschichtliche Untersuchung für das Mittelalter auszuschließen − oder das (wichtige) Verhältnis der Kirche zum Krieg als vielmehr die Frage, ob Kriege aus religiösen Motiven geführt wurden, sei es zum Ziel der Christianisierung oder zur Befreiung der heiligen Stätten (unter dem Motto Deus lo vult, „Gott will es“). Ebenso ist zwischen religiöser Motivation und religiöser Deutung eines Krieg (Gottes Beistand; Invasion oder Niederlage als Sündenstrafe) zu differenzieren. Von der Quellenlage her lassen sich die Kriegsmotive im Mittelalter nur von der zeitgenössischen Wahrnehmung vor allem in der mittelalterlichen Historiographie her und damit mangels Selbstzeugnissen nicht von den Akteuren, sondern von den − zudem im Rückblick und im Wissen um den Ausgang − Berichtenden er-fassen. Der religiöse Grund kann daher ein wirkliches Motiv oder auch den Ereignissen (nachträglich) untergeschoben sein, um einen Krieg zu rechtfertigen. Er kommt vor allem in Kriegen gegen Andersgläubige zum Tragen: gegen Heiden − Heiden-krieg wird oft ausdrücklich erlaubt −, Sarazenen − werden Auseinandersetzungen hier schon vor den Kreuzzügen als Religionskriege um des Glaubens willen wahrgenommen? − sowie gegen Häretiker. Nach den Ergebnissen eines Forschungsprojekt zur Wahrnehmung anderer Religionen konnten gerade Chronisten von Andersgläubigen einerseits nahezu emotionslos berichten, andererseits führten hier vor allem kriegerische Auseinandersetzungen zu religiöser Abgrenzung und Diffamierung. In diesem Sinn wird im Vortrag an exemplarischen Fällen (unter anderem anhand Gregors von Tours, der Normanneneinfälle, der sehr frühen Reconquista, der Missionskriege im Urteil der Nachwelt oder der Kreuzzugsepik) diskutiert, in welchen Zusammen-hängen und in welchem Ausmaß eine religiöse Motivation von Kriegen eine Rolle spielt und Kriege gegen Heiden, Sarazenen und Ketzer als ‚Religionskriege‘ wahrgenommen werden.
Wolfram Drews, Münster:
‚Glaubenskriege‘ Karls des Großen? Die fränkische Auseinandersetzung mit Sachsen und mit spanischen Muslimen
Karl der Große, der Begründer des fränkischen Großreiches im frühen Mittelalter, galt sowohl im hohen und späten Mittelalter als auch in der Neuzeit zuweilen als Exemplum eines Glaubenskriegers. Der Neubegründer eines römischen Kaisertums wurde nicht nur als Schutzherr der römischen Kirche angesehen, sondern auch als Anführer eines religiös motivierten Krieges gegen spanische Muslime, als Verfechter einer auch gewaltsamen Mission gegenüber den heidnischen Sachsen und nicht zuletzt auch als vermeintlicher Anführer einer bewaffneten Pilgerfahrt zu den Heiligen Stätten im Heiligen Land, also als Kreuzfahrer avant la lettre. Viele dieser Zuschreibungen, wie sie sich etwa auf dem Aachener Karlsschrein finden, halten einer kritischen historischen Überprüfung jedoch nicht stand, spiegeln sie doch eher die Sicht-weise späterer Epochen auf Herrschaftspraxis und Herrschaftslegitimation des ersten karolingischen Kaisers. Der Vortrag nimmt vor diesem Hintergrund die zeitgenössischen Quellen in den Blick und analysiert deren Sichtweise auf die Motivation der Kriegszüge Karls des Großen gegen spanische Muslime und heidnische Sachsen. Da-bei wird danach gefragt, wem in diesen Quellen die Initiative für kriegerische Auseinandersetzungen zugeschrieben wird, mit welchen Argumenten sie legitimiert werden und ob sie in eine irgendwie geartete ideologische Tradition eingeordnet werden, etwa in die eines religiös gerechtfertigten Krieges wie in bestimmten Passagen des Alten Testamentes oder in hagiographisch überhöhten Berichten über militärische Auseinandersetzungen Kaiser Konstantins des Großen. Im Ergebnis wird geklärt, ob die genannten Kriegszüge Karls des Großen schon in den frühmittelalterlichen Quellen in besonderer Weise ideologisch hervorgehoben werden, ob sie also bereits von Zeitgenossen als „Glaubenskriege“ verstanden wurden.
Nikolas Jaspert, Heidelberg:
Kreuzzüge und ‚Reconquista‘ im 12. Jahrhundert: die Grenzen des Glaubenskriegs
Die mittelalterlichen Kreuzzüge und die unter dem Begriff der „Reconquista“ subsumierten Kriege zwischen muslimisch und christlich beherrschten Reichen der Iberischen Halbinsel sind zu Signa geworden für die als unheilsam geltende Verflechtung von Glaube und Gewalt, welche vermeintlich das Mittelalter wie keine andere Epoche kennzeichnete. Wird derzeit häufig und vorschnell vermutet, dass kriegerische Konflikte zwischen muslimischen und christlichen Herrschaftsträgern grundsätzlich religiös motiviert gewesen seien, so gilt dies besonders für die Kreuzzüge, weil gemeinhin der Ablass und damit die Erlangung geistlicher Gnaden als eines ihrer her-ausragenden Merkmale angesehen wird. Nach dieser Lesart waren Kreuzzüge stets und zuvörderst eine Form von spirituell verdienstvoller Gewaltanwendung; Ähnliches wird umgekehrt dem Dschihad attestiert. Offensichtlich ist hier Differenzierung gefragt. Dazu ist grundsätzlich das Verhältnis zwischen Glaube und Religion im hohen Mittelalter zu analysieren. Um deren Relevanz für die Kreuzzugsbewegung präziser als bislang üblich bestimmen zu können, bieten sich drei Vorgehensweisen an. Zum einen sollte nach Gruppen von Akteuren geschieden werden. Die Herkunft der Kombattanten ist genauso in Anschlag zu setzen wie ihre gesellschaftliche Zuordnung – nicht zuletzt deswegen, weil die Kreuzzüge durch eine große Breite beteiligter Gruppen und damit an potentiellen Motivationen gekennzeichnet waren, wogegen die überlieferten Deutungen der Ereignisse einem vergleichsweise reduzierten gesellschaftlichen Spektrum entstammten. Zum anderen verspricht der Vergleich zweier Kriegsszenarien – der Levante und der Iberischen Halbinsel – Aufschluss über die Bedeutung spezifischer Räume für die religiöse Aufladung christlich-islamischer Konflikte. Schließlich ist eine zeitliche Differenzierung unabdingbar, weil sowohl Kreuzzug als auch „Reconquista“ Wandlungen durchliefen. Hier kam dem 12. Jh. besondere Bedeutung zu, weil es in der christlich wie in der islamisch geprägten Welt durch eine Dynamisierung des religiösen Felds gekennzeichnet war.
Almut Höfert, Zürich:
Heilige und heiliger Krieg
Mittelalterliche Heilige wurden für viele Bereiche des Lebens um Beistand angerufen – auch in jenen Kriegen, in denen der Kampf für den christlichen Glauben gegenüber muslimischen Gegnern besonders stark betont wurde. So standen beispielsweise der Heilige Georg als herausragender Kreuzzugsheiliger und der Heilige Jakob, der als matamoros („Maurenschlächter“) auf der Iberischen Halbinsel angerufen wurde, den Christen in ihrem Kampf gegen Sarazenen und Mauren zur Seite. Aber die Beziehung zwischen Heiligen und „Heiligen Kriegen“ war weder eindimensional noch exklusiv und kann im Hinblick auf viele Aspekte betrachtet werden: Die Einbeziehung von Heiligenkulten als Glaubenspraxis bietet einen weiteren analytischen Zugriff, um die Vielschichtigkeit von sogenannten Glaubenskriegen zu erfassen.
Zunächst muss grundsätzlich zwischen der (freilich nicht immer nachweisbaren) Anrufung von Heiligen in der konkreten Kriegssituation und nachträglichen Deutungen wie etwa in Chroniken unterschieden werden, wonach ein Heiliger wunderbarerweise das Schlachtengeschehen beeinflusst habe. Des weiteren ist danach zu fragen, wo sich Sarazenenspezialisten unter den Heiligen herausbildeten und wo hingegen Heilige in ihrer allgemeinen Schutzfunktion im Krieg mit „Sarazenen“ angerufen wurden. In diesem Zusammenhang soll auch ein Blick auf Sizilien geworfen werden, dessen normannische Eroberung 1061-1091 nicht als Kreuzzug, aber gleichwohl als gottgefällige Beendigung der „sarazenischen“ Herrschaft galt. Als letzter Punkt sollen schließlich die unterschiedlichen Facetten einbezogen werden, die eine Heiligenfigur mit verschiedenen Heiligen- und Pilgerkulten in sich vereinigen konnte: Neben dem Heiligen Jakob als Maurenschlächter stand der friedliche Santiago der Jakobspilger auf ihrem Weg nach Compostela. In der Georgsverehrung finden wir überdies Kulte, in denen der Heilige, anstatt christliche Ritter in den Sarazenenkampf zu führen, mit dem muslimischen Khidr, einer herausragenden Figur der muslimischen Heiligen, verschmolz.