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“Die Irren sind immer die Anderen”

Im Rahmen der Sektion „Dis/ability in history – Behinderung in der Geschichte“ berichtete Cornelia Brink von den so genannten „Irrenreformen“ um 1900. Bei diesen Reformen traten hauptsächlich männliche Patienten von Heilanstalten an die Öffentlichkeit um zu beweisen, dass sie fälschlicherweise eingewiesen wurden. Sie versuchten, mit den „Irrenbroschüren“ ihre Normalität anhand von banalen Alltagsberichten zu beweisen. Doch was ist „normal“? Und ist zu viel Normalität nicht auch schon wieder unnormal, krankhaft? Brink erläuterte, dass die Patienten zwangsläufig in die Falle getappt waren, ihre krankhafte Normalität öffentlich zu bekennen. Sicherlich wurde nicht immer der gewünschte Effekt, nämlich „normal zu sein“ erreicht.

Auch in den 1970er Jahren gingen Patienten erneut an die Öffentlichkeit. Bekanntheit erlangten vor allem die von Ernst Klee geführten Gespräche mit Insassen der Frankfurter Nervenklinik. Drei Gespräche unter dem Motto „Kranke Seele“ wurden am 3. Dezember 1976 im Hörfunk ausgestrahlt. Hier beklagten die Patienten vor allem die mangelnde Therapiebetreuung. Ihre Forderung war, dass die Ärzte ihrem Versprechen nach Heilung nachkommen. Die Ärzte hingehen taten diese Forderung leichthin als Konsumstreben ab.

Diese Frankfurter Gespräche stießen auf breites Interesse in der Öffentlichkeit. Denn letztlich sagten die Patienten, die nie namentlich erwähnt wurden: „Ich bin krank, dass ist normal. Die gesellschaftlichen Anforderungen haben mich krank gemacht. Ich brauche Hilfe“.

Diese Erkenntnis eröffnete einen neuen Blickwinkel.

Brinks anschaulicher Vortrag macht deutlich, dass es sich nicht nur um ein interessantes Forschungsgebiet handelt, sondern auch, dass es nicht genug im Fokus der historischen Wissenschaften steht. Das Potential ist enorm, sich diesem Thema kultur- und sozialhistorisch anzunähren.

Eindrücke aus "dis/ability in history", Fotos: pd