Christian Jaser (Sektionsleitung)

Umkämpfte Grenzziehungen. Mittelalterliche Kirchenstrafen im Aushandlungsprozess

Abstract

Im Kontext des langen Ringens zwischen imperium und sacerdotium seit dem hohen Mittelalter waren die Kirchenstrafen der Exkommunikation und des Lokalinterdikts zugleich Gegenstand, Aushandlungsmedium und Instrument (kirchen-)politischer Deutungskämpfe. Beide Strafen waren die schärfsten Waffen im kirchlichen Sanktionsarsenal. Die auch Kirchenbann genannte Exkommunikation schloss Personen oder Personengruppen temporär aus der kirchlichen Gemeinschaft aus, indem das kirchliche Heilsangebot verwehrt und im Alltag ein soziales Verkehrsverbot ausgesprochen wurde. Dagegen war das seit etwa 1000 sich etablierende Lokalinterdikt spatial codiert und entzog einem bestimmten, räumlich abgegrenzten Gebiet (Kirche, Stadt, Diözese, Territorium) die kirchliche Seelsorge, in Form von Messen, Sakramenten und dem kirchlichen Begräbnis. Dabei stand die Gültigkeit, Reichweite und Eskalation solcher Bann- und Interdiktssentenzen im Zentrum publizistischer und juristischer Kontroversen, die teilweise ein europaweites Echo hervorriefen und in eine Propagandaschlacht zwischen Staat und Kirche einmündeten. Die kalkulierte Wirkung von Bann und Interdikt auf Individuen, Gruppen und räumliche Entitäten war demnach von einem konstanten Aushandlungsprozess begleitet. Hieraus lassen sich nicht nur vertiefende Einblicke in die Selbst- und Fremdwahrnehmung der unmittelbar beteiligten Konfliktparteien gewinnen, sondern auch in die Interventionsspielräume und Ordnungsvorstellungen geistlicher und weltlicher Gewalten. Die Sektion geht dieser strukturellen Disposition mittelalterlicher Kirchenstrafen als Arena kollidierender Rechts-, Geltungs- und Gehorsamsansprüche nach. Makro- und mikrohistorische Perspektiven sind dabei ebenso zu integrieren wie ein profunder Blick auf das je spezifische Interaktionsgeflecht von Zentrum und Peripherie, römischer Zentralgewalt und lateinchristlichen Grenzsäumen.

Christian Jaser (Klagenfurt)
Einführung
Kerstin Hitzbleck (Ahrensburg)
Submissa voce, ianuis clausis – Das Interdikt als Prüfstein päpstlicher Wirksamkeit im Spätmittelalter

Das Interdikt hat in der Forschung den Ruf einer im Spätmittelalter zunehmend fadenscheiniger werdenden Kirchenstrafe, verhängt aus den unterschiedlichsten, oft genug rein politischen Gründen, welche mit der Zeit zu einer zunehmenden Gleichgültigkeit bei den Betroffenen geführt hätten. In meinem Vortrag wollen wir uns anhand der mittelalterlichen normativen Literatur sowie von Beispielen aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts der Frage nach Strategien zur Durchsetzung wie zur Abwehr der zahlreichen Interdikte zuwenden, die im Zuge der Auseinandersetzungen zwischen Papst Johannes XXII. und Kaiser Ludwig dem Bayern im deutschen Raum verhängt worden sind.

Emir O. Filipović (Sarajevo)
Ecclesiastical Censures on the Margins of the Catholic world: the Example of Medieval Bosnia

In the late Middle Ages the principality, and later Kingdom of Bosnia was situated both geographically and politically on the very margins of medieval Latin Christendom. There developed an independent ecclesiastical institution, the Bosnian Church (lat. ecclesia bosnensis), against which the pope resorted to ecclesiastical censures as a convenient tool for the strengthening of his position in this region. This paper argues that papal excommunications and interdicts, although applied relatively frequently, had a limited impact and relevance, especially in the fifteenth century, when the Bosnian Kingdom succumbed to the growing economic and military pressure of the Islamic Ottoman Empire.

Christian Jaser (Klagenfurt)
Abgrenzen und Strafen. Exkommunikation und Marginalisierung an der englisch-schottischen Grenze im späteren Mittelalter

Am Beispiel der englisch-schottischen Border widmet sich dieser Beitrag der besonderen Konstellation einer Exkommunikation über bereits zuvor ideologisch disqualizierte Personengruppen: die schottischen Grenzräuber, deren Gewalt- und Beuteökonomie als notorischer Unruheherd galt. Wie der Blick auf einschlägige Exkommunikationsformulare zwischen dem 13. und frühen 16. Jahrhundert zeigt, verknüpften sich an dieser Stelle das Faktum einer physischen Grenze sowie spirituelle, moralische und ethnisch-kulturelle Grenzziehungen auf eine Weise, die die gebannten schottischen Grenzräuberclans zu den prädestinierten, wenn auch diskursiv umkämpften Anderen der Border Society werden ließ.

Thomas Woelki (Berlin)
Interdikt und Territorium. Eine Kirchenstrafe als Movens der flächenhaften Konzeption weltlicher Herrschaft

Das Interdikt erschuf Räume. Das als zeitlich und räumlich begrenzte Kirchenstrafe verhängte Verbot von pastoralen und sakramentalen Handlungen setzte eine klare Definition seines Geltungsgebiets voraus. Aus diesem Grund bot die Ausnahmesituation des Interdikts häufig Anlass, unklare Grenzverläufe zu diskutieren und führte zum Ausbruch von zuvor vermiedenen spatialen Deutungskämpfen. Der Beitrag geht derartigen Problemkonstellationen anhand von normativen Modellen der Kanonistik und ihren Reflexen in der Rechtspraxis systematisch nach, um zu ergründen, in welchem Maße das Interdikt ein Faktor in Prozessen der Territorialisierung von politischen Strukturen sein konnte.

Johannes Helmrath (Berlin)
Schlusskommentar