Franz-Josef Arlinghaus Andreas Rüther (Sektionsleitung)

Japan, Korea und Mitteleuropa. Sozialer Wandel in mittelalterlich-frühneuzeitlichen Gesellschaften im Vergleich

Abstract

Ausgangspunkt ist die Überlegung, dass sich in vormodernen Gesellschaften Japans, Koreas und Mitteleuropas in der Zeit zwischen 12. und 18. Jahrhundert starke Veränderungen vollzogen haben, die von der Forschung vorwiegend aus Anstößen hergeleitet werden, die in der jeweiligen weltregionalen Kultur begründet sein sollen. Dagegen möchte die Sektion zur Diskussion stellen, ob sich für den sozialen Wandel, die Ostasien und Europa vom Hochmittelalter an erfuhren, gleichartige Antriebe ausmachen lassen. Wir wollen ausloten, ob sich trotz aller kulturellen Unterschiede im Aufbau dieser vormodernen Gesellschaften selbst gemeinsame Elemente identifizieren lassen, die Veränderungen eingeleitet oder herbeigeführt haben. Die beispielsweise schon von Max Weber in Spiel gebrachten Ähnlichkeiten im Aufbau genossenschaftlicher Verbände sind in Detailstudien zumindest für Japan bereits einer differenzierten Analyse unterzogen worden. Ob und in wieweit können die Praktiken der Bildung und Binnendifferenzierung solcher Verbände sowie ihre Abgrenzung untereinander als Prozesse verstanden werden, die weniger in den Kontakten der Weltregionen untereinander als vielmehr in ihren Strukturen selbst wurzeln? Bei den in den Blick genommenen Weltregionen handelte es sich im genannten Zeitraum um mehr oder weniger ausgeformte ständische Gesellschaften, die üblicherweise mit Inflexibilität und Starrheit assoziiert werden. Andererseits ist von zahlreichen Rangkonflikten zu berichten, die mit erheblichen materiellen und personellen Mitteln betrieben wurden und zu Veränderungen im sozialen Gefüge geführt haben. Die Sektion möchte thematisieren, ob nicht schon die ständisch-hierarchische Struktur selbst, die ja jeden Einzelnen und jede Gruppe zwingt, sich seinen/ihren Platz zu suchen (oder zu erstreiten), ungeachtet des konkreten Anlasses insgesamt Veränderungsdynamiken auslöst. Ein weiteres Kennzeichen nicht nur des lateineuropäischen Mittelalters wie der Frühen Neuzeit ist eine Konsensorientierung der Akteure, womit keine Abwesenheit, sondern andere Handhabe von Konflikten gemeint ist. Hinzu gesellt sich eine ausgeprägte Präsenzkultur, die der Anwesenheit der Akteure eine zentrale Bedeutung zuweist. Die Frage ist auch hier, ob nicht diese Art der Vergesellschaftung eine spezifische Form des sozialen Wandels hervorruft, weil beispielsweise mit Konflikten bei Kopräsenz der Akteure anders umgegangen werden muss als bei deren Abwesenheit. Wie und in welchem Maße trieben die genannten Phänomene in den jeweiligen westlichen und östlichen Kulturen sozialen Wandel voran? Lassen sich bei diesem Wandel nicht nur hinsichtlich der Antriebe, sondern auch der Ergebnisse Gemeinsamkeiten feststellen? Lassen sich aus dem anders gearteten Umgang mit Dissens ähnliche Formen der Konfliktregelung ableiten? Schließlich gilt es ebenso kritisch zu fragen, ob es nicht weltregionale Spezifika gibt, etwa religiöser Art, die die Wirkung der genannten drei Momente ‚aushebeln‘ könnten.

Franz-Josef Arlinghaus (Bielefeld)
Moderation
Daniel Schley (Bonn)
Erzählen, wie es eigentlich gewesen? Anmerkungen zur Entwicklung der japanischen Geschichtsschreibung im 11. Jahrhundert

Mitte des 11. Jahrhunderts entstand mit der „Erzählung aufblühender Pracht“ (Eiga monogatari) über den Aufstieg des mächtigen Hofministers Fujiwara no Michinaga eine neuartige und gegenüber den älteren Hofchroniken stärker fiktional verfahrende Geschichtsdarstellung. In ihr hat man das Resultat einer kulturellen Verdichtung im kontinuierlichen Akkulturationsprozess chinesischer Einflüsse zu erkennen, der die Kulturentwicklung Japans bis in die Moderne prägte. Zugleich lassen sie sich als ein Symptom für die gewandelten soziopolitischen Verhältnisse verstehen. Die neuen Geschichtserzählungen und deren Voraussetzungen bieten somit ein geeignetes Fallbeispiel zur Diskussion von Eigendynamik am japanischen Quellenmaterial an.

Andreas Rüther (Bielefeld)
Der Adel macht die Klöster reich … Soziale Antriebe zur Differenzierung von Dynastie und Orden im spätmittelalterlichen nordöstlichen Europa

Der Blick auf hochadelige Handlungsweisen und Motivlagen als Stifter und Wohltäter schließt Erkenntnisse für Veränderungsprozesse von sozialen Formationen seit dem 12. Jahrhundert auf. Gemeinschaften von Klerikern, Mönchen und Nonnen sind auf ihre Funktion als Teilbereiche von dynastischen Geschlechtern hin zu befragen. Aus der Zugehörigkeit zu nebeneinander angeordneten Personenverbänden wie Adelsfamilien, Klöstern oder Städten ergaben sich besondere Konstellationen, die eine Dynamik auslösten und neue Formen hervorbrachten. Eine ‚relationale‘ Geschichte des Monastischen zeigt hierarchisch gegliederte Gruppenbildungen, die sich durch Wettbewerb unter Herrschaftsträgern, die Präsenz am Hof, in Kirche und Stadt sowie Aushandlung von innewohnenden Konflikten ständig wandelten.

Marion Eggert (Bochum)
Debatten, Konfliktbewältigungsstrategien und „öffentliche Meinung (kongnon)" am koreanischen Königshof der mittleren Chosôn-Zeit

In Debatten und Konfliktbewältigungsstrategien der neo-konfuzianisch orientierten Chosŏn-Zeit (1392-1910) in Korea spielte das Konzept kongnon, semantisch changierend zwischen „öffentlicher“ bzw. „Mehrheits-Meinung“ und „gemeinwohlorientierter Meinung“, eine tragende Rolle. Die Beteilung an politischer Meinungsbildung war grundsätzlich ein Privileg der Hauptstädter, insbesondere der am Hof tätigen Beamten; der Begriff des kongnon jedoch erschwerte gerade mit seiner moralisch-normativen Konnotation eine Rechtfertigung der Beschränkung des Mitspracherechts auf diese kleine Gruppe. Der Vortrag wird auf der Grundlage eines von heftigen Debatten begleiteten politischen Vorfall des ausgehenden 16. Jh. und dessen umfangreicher zeitgenössischer Dokumentation die aus der Friktion von politischem System und im kongnon-Begriff kristallisierter politischer Ideologie entstehende Dynamik in den Blick nehmen.

Ulla Kypta (Hamburg)
Konsens unter Kaufleuten: Regeln und Normen für wirtschaftliches Handeln

Wirtschaftlicher Austausch konnte nur funktionieren, wenn Kaufleute immer wieder zu einem Konsens darüber kamen, wie der Handel geregelt werden sollte. Diese Aushandlungsprozesse setzten manchmal profunde soziale Wandelungsprozesse in Gang. Der Vortrag diskutiert ein Beispiel aus dem Hanseraum: Weil sich um 1500 die Normen kaufmännischen Handelns veränderten, wurde eine Dynamik losgetreten, die den organisatorischen Charakter des Hansekontor veränderte: Aus einem Wohn- und Gemeinschaftsort wurde de facto schon im 16. Jahrhundert eine Art von diplomatischer Vertretung, wie sie erst im 17. Jahrhundert explizit konzipiert wurde.