Geschichte spielen, wie es eigentlich gewesen ist – Das Digitale Spiel im Spiegel seiner Authentizitätsdebatten
Abstract
Als Kulturgut sind Digitale Spiele nicht nur Produkt, sondern auch Produzent unserer Kultur. Sie sind ein Motor populärkultureller Diskurse, denn sie gestalten diese aktiv mit. In dieser Hinsicht sind Digitale Spiele und die sie umgebenden, häufig auch vehement geführten Deutungskämpfe eine wertvolle zeitgenössische Quelle für Historikerinnen und Historiker, um an ihnen die Entwicklung von Diskursen, sozialen Gruppenformationen und Medientrends nachzuzeichnen.
Eine beachtenswerte Überlappung ergibt sich für Historiker*innen, die sich mit denjenigen Digitalen Spielen beschäftigen, die einen historischen Hintergrund verwenden.
Die Geschichtsbilder, die darin verarbeitet werden, erlauben weitreichende Einblicke in populärkulturelle Geschichtsdiskurse. Diese Geschichtsdiskurse in Digitalen Spielen haben teilweise nur sehr fragile Rückbezüge auf aktuelle (akademische) geschichtswissenschaftliche Diskurse und sind vielmehr den Erwartungen eines zahlenden Publikums, der Marketinglogik der Spielepublisher und den kreativen Interessen der Entwickler*innen verpflichtet. Es sind dahingehend ganz besonders diese historisierenden Digitalen Spiele, die sich als Quelle anbieten, um zu fragen, inwieweit sie als Fokus für grundsätzliche Debatten zum Politischen, zum Ideologischen, zum Unterhaltenden im Digitalen Spiel dienen.
Wir werden uns in unserer Sektion mit einer der zentralen Verhandlungsmassen der zeitgenössischen Deutungskämpfe um historisierende Digitale Spiele befassen: der Authentizität. In teils verbissen geführten Debatten hat sich Authentizität als gordischer Knoten eines Aufeinandertreffens von Expert*innen, Spieler*innen und einer weiten, interessierten Öffentlichkeit erweisen, der weite Teile der Gesellschaft vor die Frage stellt, was populärkulturelle Medien der Geschichtskultur zu leisten imstande und zu leisten gefordert sind.
Wir begegnen heute in den meisten digitalen Spielen mit einem Geschichtsverständnis, das direkt dem 19. Jahrhundert entnommen scheint. Geschichte wird es hier vor allem in der Rankschen Tradition als politische Staatengeschichte begriffen. Von den größeren Paradigmenwechsel in der historischen Forschung des vergangenen Jahrhunderts findet sich – zumindest nach erstem Augenschein – keine Spur. Lassen sich moderne Erkenntnisse der Alltagsgeschichte oder gar der historischen Diskursanalyse nicht in Spiele übersetzen? Lassen sich Spiele wirklich nur als Konflikt-Simulationen denken?
1998 wurde Anno 1602 veröffentlicht, das erste Spiel einer Reihe von Titeln, die alle dasselbe boten: Eine Aufbausimulation in einer ‘neuen’, ‘jungfräulichen’ Welt. Diskussionen über diese Spiele und die Darstellungen der kontroversen historischen Inhalte, die sie verhandelten, des Kolonialismus und der damit zusammenhängenden Unterdrückungs- und Ausbeutungsformen, rückten allerdings an den Rand der akademischen Sphäre oder wurden seit der Jahrtausendwende nur noch spieler*innenseitig geführt. Eine Reaktion in der Geschichtswissenschaft deutet sich erst wieder mit den Diskussionen um das 2018 erschienene Anno 1800 an.
Die Atmosphären des digitalen Spiels stellen den Erstkontakt aller Spieler*innen mit den virtuellen Welten dar. Als spezifische Form werden die Vergangenheitsatmosphären identifiziert, die dazu in der Lage sind, Gefühle von Authentizität bei Spieler*innen hervorzurufen und die so den Eindruck erwecken, in vergangene Wirklichkeiten eintauchen zu können. Das Konzept der Vergangenheitsatmosphären ist damit als ein Beitrag zu verstehen, der dazu anregt, digitale Spiele aus phänomenologischer Perspektive zu betrachten. Ebenso soll der Blick geschärft werden für die Techniken der Spieleentwickler*innen, die gekonnt und oft unbemerkt solche Vergangenheitsatmosphären herstellen.
Noch bevor Battlefield V im September 2018 erschien, zog das Entwicklerstudio DICE bereits den Zorn zahlreicher Fans der erfolgreichen Spielereihe auf sich. Fans kritisierten, die prominente Darstellung von Frauen im Kontext des Zweiten Weltkrieges sei ‚historisch unauthentisch.‘ Hunderte Petitionen, die eine Abänderung des Spiels verlangten, wurden gestartet und der Hashtag #NotMyBattlefield war geboren. Der Vortrag will durch die Auswertung von Fandiskussionen auf sozialen Netzwerken der Frage nachgehen, wie ‚historische Authentizität‘ als Begriff in der Debatte konstruiert und funktionalisiert wurde und analysieren, welche Diskurse um Gender und Identität letztlich darin sichtbar werden.