Julia Burkhardt Sandra Schieweck (Sektionsleitung)

Deutung von Grenzen – Grenzen der Deutung: Der Umgang mit herrschaftlichen Transformationsphasen im mittelalterlichen Europa

Abstract

Herrschaftliche Transformationsphasen, in denen politische wie gesellschaftliche Schlüsselfunktionen neu verhandelt werden, bedeuten stets auch ein Ringen um politische Deutungshoheit. Während hierfür am Beginn des 21. Jahrhunderts immer neue mediale Möglichkeiten ausgeschöpft werden, trat das Streben nach politischer Profilierung im Mittelalter etwa in der Historiographie zutage. Damals wie heute werden Deutungskämpfe insbesondere in Grenzregionen ausgetragen: Hier dient das diplomatische, militärische oder administrative Abstecken von Grenzen zunächst der Behauptung nach außen; gleichzeitig entfaltet dieser Prozess eine konsolidierende Wirkung nach innen, wenn nämlich Herrschaftsansprüche räumlich sowie kulturell markiert und behauptet werden. Die Kontrahenten bedienen sich materieller, personeller und kultureller Ressourcen, um Gebietsansprüche zu legitimieren und nach außen hin plausibel zu machen. Auf diese Weise wird um territoriale Dominanz, aber auch um die Herrschaftsdurchdringung und kulturelle Deutung der Gebiete gestritten. Diese Wirkmechanismen manifestierten sich im Mittelalter sowohl an interreligiösen als auch an Territorialgrenzen christlicher Herrschaften. Die Sektion vergleicht Phasen der herrschaftlichen Transformation im europäischen Mittelalter, wobei der Fokus auf Grenzregionen als „Brennglas“ dient. Die einzelnen Beiträge fragen nach der Bedeutung von Grenzregionen für die Etablierung neuer Herrschaftsstrukturen, nach Legitimierungsbedingungen herrscherlicher Durchdringung von Grenzregionen, nach kulturellen und institutionellen Vermittlern und dem sprachlichen sowie materiellen Ausdruck der Deutungskämpfe. Die Sektion versteht mittelalterliche Grenzregionen sowohl als Orte als auch Gegenstände der Kämpfe um politische Deutungshoheit und möchte die Dynamiken von politischen Deutungskämpfen in transformativen Phasen und räumlicher Markierung von Herrschaft diskutieren.

Julia Burkhardt (München) Sandra Schieweck (Heidelberg)
Einführung
Sandra Schieweck (Heidelberg)
Grausamer König und legitimer Bastard. Die kastilischen Grenzen in der Frühphase der Trastámara-Dynastie

Der kastilische Dynastiewechsel von 1369, im Zuge dessen sich der „illegitime“ Heinrich von Trastámara gegen Peter I., genannt „der Grausame“, durchzusetzen vermochte, zog eine Neuverhandlung königlicher Legitimität nach sich. Während mit den Mitteln der höfischen Historiographie eine Stigmatisierung und Denunzierung der feindlichen Seite betrieben wurde, boten die Herrschaftsgrenzen sowohl zur Krone Aragón als auch zum Naṣridenemirat Räume für königliche Profilierung. Der Vortrag beleuchtet exemplarisch das Agieren der ersten Trastámara-Herrscher an den kastilischen Grenzen und diskutiert, inwiefern deren herrschaftliche Durchdringung zur erfolgreichen Etablierung der Dynastie beitrug.

Judit Majorossy (Wien/Budapest)
Divided in War, Connected in Peace? Forms of Urban Interaction along the Austro-Hungarian Border during the Late Middle Ages

The paper deals with different dimensions of everyday practical life in border regions, aiming at demonstrating the fluidity of political borders for those living there and revealing the strength of regionalities versus larger political entities. Examples of 13th-15th–century Austrian and Hungarian border towns are used on several levels: cross border landed property ownerships; military careers on both sides; merchants with their border-overarching realms, their use of kinship network; regional migration of artisans, intellectuals; burghers using ecclesiastical (monastic) institution network regardless of borders; influences of urban governmental structures and other cultural phenomena.

Wolf Zöller (Heidelberg)
Reform und Rückkehr. Deutung und Legitimation der lateinischen Herrschaftsübernahme im Heiligen Land

Die auf die Eroberung Jerusalems 1099 folgende Implementierung einer lateinischen Kirchenstruktur an den Orten, von denen das Christentum einst seinen Ausgang genommen hatte, markiert eine der einschneidensten Transformationsphasen des Hochmittelalters. Mit welchen Strategien wurde dieser Prozess narrativ ausgedeutet und heilsgeschichtlich eingeordnet, wie die Verdrängung orthodoxer und orientalischer Würdenträger legitimiert? Antworten liefert der Blick auf kirchlich-monastische Akteure, die in dem Grenzraum Syrien-Palästina pragmatisch wie konfrontativ auf das Mit- und Gegeneinander christlicher, jüdischer und muslimischer Glaubensgemeinschaften reagierten.

Christian Neumann (Rom)
Die Reintegration des Königreichs Mallorca im Vergleich

Das Königreich Mallorca stand während seiner etwa drei Generationen währenden eigenständigen Geschichte in einem Dauerkonflikt mit der Krone Aragon. Zwischen 1285 und 1298 wurde es temporär, ab 1343 permanent „reintegriert“. Für die Eroberung der Balearen überfuhren stets Flotten die imaginierten Grenzen zur See, so dass jede Reintegration eine ausgeprägte maritime Komponente aufweist. Die aragonesischen Könige trafen auf den Widerstand bestimmter sozialer Gruppen des in sich heterogenen Königreiches. Um diesem zu begegnen, wurden einerseits diplomatische Wege eingeschlagen, andererseits wurde aber auch Gewalt mittels Verwüstung, Exilierung, Haft- und Todestrafen angewendet.