Nadine Amsler Antje Flüchter (Sektionsleitung)

Wie zusammenleben? Zum Wandel europäischer Deutungen fremdkultureller Geschlechterverhältnisse

Abstract

Wie sollen, können und dürfen Männer und Frauen zusammenleben und interagieren? Wie dürfen sie sich benehmen und kleiden? Was sind Männer und was sind Frauen und gibt es nicht auch noch andere Geschlechter? Die Geschlechtergeschichte hat gezeigt, dass die Frage der Geschlechterverhältnisse die Menschen in den verschiedensten Zeiten und an den unterschiedlichsten Orten auf der Welt umgetrieben hat – und dabei immer wieder anders beantwortet wurde. In der Gegenwart stellt sie sich mit neuer Dringlichkeit, leben doch in der zeitgenössischen globalisierten Welt Menschen mit unterschiedlichen Vorstellungen von Geschlecht und Geschlechter-Arrangements in großer räumlicher Nähe neben- und miteinander. Das Zusammenleben der Geschlechter sowie die Möglichkeiten und Grenzen der Toleranz sind deshalb gegenwärtig Gegenstände intensiver Werte-Debatten. Diese Sektion nimmt die aktuellen Deutungskämpfe zum Anlass, um verschiedene Schichten europäischer Wahrnehmungen und Bewertungen von Geschlechterverhältnissen nichteuropäischer Gesellschaften aus transepochaler Perspektive in den Blick zu nehmen. Die darin vereinten Vorträge nehmen jeweils Blicke europäischer Autoren auf einen geographisch-kulturellen Großraum in den Blick und zeichnen nach, wie sich die Deutungen der Geschlechterverhältnisse im jeweiligen Raum im Laufe der Zeit verschoben. Wir fokussieren dabei auf kulturelle Kontaktzonen und gehen von der Hypothese aus, dass die gesellschaftsstabilisierende Funktion etablierter Geschlechterrollen die Geschlechterverhältnisse in Kulturkontakt-Situationen zu einem hochsensiblen und symbolisch aufgeladenen Bereich machen. Das Beobachten fremdkultureller Geschlechterverhältnisse konnte dabei zu unterschiedlichen Resultaten führen: Sie konnte in Selbstvergewisserung oder Verunsicherung, in die Feststellung kultureller Nähe oder Ferne, in die Attestierung von Zivilisiertheit oder Barbarei, einschließlich verschiedener Zwischenstufen münden.

Nadine Amsler (Fribourg) Antje Flüchter (Bielefeld)
Einleitung
Almut Höfert (Oldenburg)
Religion, Macht und Geschlecht in mittelalterlichen christlich-europäischen Reiseberichten über den Nahen Osten

Fremdkulturelle Geschlechterordnungen wurden in europäischen Reiseberichten und Beschreibungen über den Nahen Osten erst mit dem „empirical turn“ ab dem 13./14. Jahrhundert von Akteuren aus den contact zones ausführlicher thematisiert. Dieser Beitrag fragt danach, wie sich die Verflechtung von Macht, Religion und Geschlecht vor und nach dieser Zäsur gestaltete. Außerdem analysiert er, wie sich europäisch-christliche Darstellungen von muslimischen Geschlechterverhältnissen vom 14. bis zum 16. Jahrhundert mit der hochmittelalterlichen Islampolemik verbanden und sich im Zuge der osmanischen Expansion und der sich wandelnden europäischen Geschlechterordnung veränderten.

Nadine Amsler (Fribourg)
Chinesische Geschlechterverhältnisse und europäische Diskussionen über die Zivilisiertheit Chinas in der Frühen Neuzeit

Beschreibungen von chinesischen Geschlechterverhältnissen waren ein wichtiger Bestandteil der frühneuzeitlichen europäischen Berichte aus China. Dieser Beitrag zeigt, wie und warum sich in der jesuitischen Berichterstattung nach einer frühen explorativen Phase ein Narrativ verfestigte, welches die Tugend und Zurückgezogenheit chinesischer Frauen stark in den Vordergrund rückte. Sodann wird gezeigt, dass dieses wirkmächtige Bild im 18. Jahrhundert angesichts der sich pluralisierenden Kanäle der Berichterstattung langsam erodierte und schließlich fast gänzlich aus den europäischen Berichten aus China verschwand.

Eva Bischoff (Trier)
Sklaverei, Zivilisation, Selbstbestimmung: Indigene Frauen als Objekte und Akteure von Deutungskämpfen im siedlerkolonialen Australien

Mit der Landung der sogenannten First Fleet im Jahr 1788 begann in Australien die Geschichte einer bis heute andauernden Auseinandersetzung zwischen australischen Ureinwohner/innen und Vertreter/innen europäischer Gesellschaften, die von blutigen Konflikten, aber auch von soziokulturellen Aushandlungsprozessen geprägt war. Im Zentrum der Debatten steht dabei bis heute neben der Landnahme das Geschlechterverhältnis sowohl innerhalb der indigenen Gemeinschaften als auch zwischen Siedlern und indigenen Frauen. Der Vortrag wird die Entwicklung dieses vielschichtigen Verhältnisses am Beispiel von Truganini (ca. 1812–1876) exemplarisch beleuchten.

Ulrike Lindner (Köln)
Kommentar