Assaf Likhovski Korinna Schönhärl (Sektionsleitung)

Wie macht man Bürger zu ehrlichen Steuerzahlern? Debatten über die Ursachen von und Maßnahmen gegen Steuerhinterziehung von der Antike bis ins 20. Jahrhundert

Abstract

Nach den Worten von Joseph Schumpeter von 1918 sind Konflikte um Steuern außerordentlich nützliche historische Quellen, um Struktur und Machtverhältnisse einer Gesellschaft zu analysieren. Dies gilt insbesondere für den Diskurs um das (ehrliche) Steuerzahlen: Durch die Steuerhinterziehung werden dem Fiskus Mittel vorenthalten, die er braucht, um sein Staatsgebiet zu verteidigen, Institutionen aufzubauen und aufrechtzuerhalten oder soziale Ungleichheit abzumildern. Der Ausfall muss zwangsläufig durch eine Erhöhung der allgemeinen Steuerlast ausgeglichen werden und führt so zu einer zusätzlichen Belastung des ehrlichen Steuerzahlers. Aber wie kann man die Steuerzahler dazu bewegen, ehrlich zu zahlen? Von der Antike bis in die Neuzeit war diese Frage Gegenstand heftiger Debatten. Die Antworten hingen davon ab, wo die Ursachen des unzureichenden Steuerzahlverhaltens verortet wurden: Hinterzogen oder vermieden die Bürger ihre Steuern, weil sie die Steuerlast als zu hoch, die Ausgaben für unnötig oder die Verteilung der Belastung als ungerecht empfanden? Oder weil sie sich nicht angemessen politisch repräsentiert fühlten? Oder weil die Strafen und Kontrollen nicht genug abschreckten? Jedes Narrativ konnte zur Legitimierung politischer Forderungen genutzt werden. Letztlich schöpften alle aus konkurrierenden Visionen vom gesellschaftlichen Zusammenleben.
Die transepochale Sitzung analysiert Konflikte um Steuerhinterziehung über Zeit und Raum hinweg: im antiken Athen, im Heiligen Römischen Reich (18. Jahrhundert), in Israel in der Mitte und in Spanien in der zweiten Hälfte des 20. Jh. Wie rangen verschiedene Akteursgruppen um die Autorität der Interpretation des Begriffs „Steuermoral“, die es ihnen ermöglicht hätte, Maßnahmen im Einklang mit ihrer eigenen politischen Agenda durchzusetzen? Die Sitzung soll zeigen, wie der Begriff „Steuermoral“ dabei sinnhaft gedeutet wurde. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie sich die zugrunde liegenden Ideale des gesellschaftlichen Zusammenlebens im Laufe der Zeit veränderten.

Dorothea Rohde (Bielefeld)
Diskussionen über Steuerprivilegien im 4. Jh. v. Chr. in Athen

In einer finanziellen Notlage wurde Mitte des 4. Jhs. v. Chr. in der athenischen Volksversammlung beantragt, alle Steuerprivilegien aufzuheben. Dieser Gesetzesentwurf musste verfassungsrechtlich geprüft werden. Die 1501 als Richter erlosten Bürger entschieden jedoch, dass der Antrag mit den Grundprinzipien der Verfassungen unvereinbar sei. Die Abschaffung der Steuerprivilegien hätte den gesellschaftlichen Konsens gefährdet: Sie wurden denjenigen verliehen, die sich um die Gemeinschaft verdient gemacht hatten. Mit ihrer Abschaffung hätten sich die Athener also eines wichtigen Mittels beraubt, die Wohlhabenden zur Gemeinwohlorientierung zu motivieren.

Yves Huybrechts (Marburg/Paderborn)
Solidarity, coercion and rebates. Dissension during fiscal reform negotiations in the Holy Roman Empire, 1719-1732: mere excuses or fundamental conflicts?

During the 18th century, Imperial Estates seemed reluctant to pay their fixed annual tax, the Zieler, to finance the Reichskammergericht (Imperial Chamber of Justice). The paper explores the Estates‘ debate on this problem as well as possible remedies at the Imperial Diet (1719–1732). Suggestions included abolishing tax privileges, taxing new territories, writing off old dues and toughening up enforcement. The thesis is that the – apparent – inability of the Empire to maintain its fiscal capacity can mainly be attributed to severely conflicting views concerning imbalances in the tax system and ways to redress them.

Assaf Likhovski (Tel Aviv)
Education, Law and Tax Compliance: The Case of Constitutional Duties in 1950s Israel

What is the role of law in inducing tax compliance? In 1950s Israel education, not law, was seen as the best method for inducing compliance. This paper examines one aspect of this approach, the appearance of constitutional duties (including the duty to pay taxes) in Israeli constitutional debates in the 1950s. Such duties reflected the view that the major role of constitutions was to serve as educational, rather than legal, texts. Beginning in the 1960s, duties gradually disappeared from Israeli constitutional debates, and law replaced education as the major method for inducing tax compliance. This process, the paper argues, was caused by the general decline of republican ideology in Israel.

Korinna Schönhärl (Frankfurt am Main)
Steuerhinterziehung als Argument für die Reform des Steuersystems in der spanischen Transición (1975-1980)

Die grundlegende Reform des Steuersystems war eine zentrale Aufgabe der spanischen Transición, hatte sich dieses doch unter Franco im Stil des 19. Jahrhunderts erhalten. Wissenschaftliche Studien seit Ende der 1960er Jahre wiesen auf die hohe Steuerhinterziehung hin. Dies ließ sich als Argument für eine grundlegende Neugestaltung verwenden, die die finanzielle Basis für einen modernen Wohlfahrtsstaat liefern sollte. Die Reformer hatten damit bis zum „Pakt von Moncloa“ 1977 Erfolg, dann aber zerbrach der Konsens zur Reform des Steuersystems. Der Betrag untersucht, wie zwischen 1975 und 1980 die mangelnde Steuermoral als Argument im Reformdiskurs verwendet wurde.

Jens Ivo Engels (Darmstadt)
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