Moritz Florin Felicitas Fischer von Weikerstahl (Sektionsleitung)

Wahr, legitim und moralisch? Terroristische Gewalt in Osteuropa und ihre transnationalen Öffentlichkeiten, 1881–1917

Abstract

Wie kaum ein zweiter Begriff ist der Begriff „Terrorismus“ mit Deutungskämpfen verbunden – sowohl zwischen Staat und Kombattanten als auch innerhalb der gewaltbereiten Gruppen selbst. Rechtfertigungsstrategien der Terroristinnen und Terroristen stehen der Kriminalisierung und Dämonisierung der Täter von Seiten des angegriffenen Staates und der Öffentlichkeit gegenüber. Vor allem jedoch evozieren als terroristisch bezeichnete Formen von Gewalt unmittelbar Fragen: Wer sind die Täter und wer die Opfer? Was sagt uns ihre (vermeintliche) Identität über das Motiv zur Gewaltanwendung aus? Warum konnte das Attentat nicht verhindert werden? Häufig melden sich auch die Täter zu Wort, streiten die Tat ab oder versuchen ihre Attentate zu rechtfertigen. Auf dem Spiel stehen Fragen von Gerechtigkeit und Moral, aber auch der wahrheitsgetreuen Deutung des Geschehens selbst.
Eingerahmt von einem Kommentar von Anke Hilbrenner gehen die Vorträge der Sektion den transnationalen Dimensionen der Debatten und den Wechselwirkungen zwischen terroristischer Gewalt im Russischen Reich und anderen Staaten nach. Das Phänomen terroristischer Gewalt im Russischen Reich wird so in den Kontext einer Gewaltgeschichte des 19. und frühen 20. Jahrhunderts eingeordnet. Moritz Florin untersucht die grenzüberschreitende Zirkulation der Bilder von terroristischer Gewalt aus dem Zarenreich im Hinblick auf mediengeschichtliche wie diskursanalytische Fragestellungen. Felicitas Fischer von Weikersthal geht der Anpassung des Diskurses von Seiten der Gewaltakteure an transnational anerkannte Narrative legitimer Gewalt nach, was sowohl der Generierung von Sympathien im Ausland als auch der Rechtfertigung innerhalb der Gruppe diente. Vitalij Fastovskij analysiert die Entwicklung des innerrussischen Diskurses vor dem Hintergrund aufkommender rechter Gewalt von unten, die auch in den Augen der damaligen Akteure frappierende Ähnlichkeit zum „linken“ Terrorismus aufwies.

Moritz Florin (Erlangen)
Ikonen der Gewalt. Eine visuelle Geschichte spektakulärer Gewaltereignisse im Russischen Reich, Westeuropa und den USA, 1881 – 1914

Der Vortrag analysiert Muster und Wege der transnationalen Zirkulation von Zeichnungen und Fotografien im unmittelbarer Nachklang der Attentate. Die mediale Verbreitung von Bildern war einerseits das Ergebnis kommerzieller Interessen. Andererseits sind sie aufgrund ihrer politischen Instrumentalisierung als Bestandteil eines Deutungskampfes um terroristische Gewalt zu verstehen, an dem sich staatlichen Akteure ebenso wie die Massenpresse und die Revolutionäre selbst beteiligten. Insbesondere während der Revolution von 1905 ist eine Enthemmung in der Repräsentation von Gewaltfotografien festzustellen, die bereits auf spätere Debatten über den medialen Umgang mit Gewalt verweist.

Felicitas Fischer von Weikerstahl (Heidelberg)
Legitime Gewalt? Der russische Terrorismus im Kontext transnationaler Diskurse

Die Aneignung transnational verständlicher Rechtfertigungsstrategien, die Einpassung in eine transnationale Moral ist auch heute noch ein Mittel gewaltbereiter Gruppen, ihre Taten vor einem internationalen Publikum zu rechtfertigen und moralisch zu legitimieren. Gleichwohl gelingt es nicht allen Gruppen, Anerkennung in der Weltöffentlichkeit zu finden. Das Beispiel der russischen Terroristen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, die im Ausland durchaus Anerkennung fanden und ihr Narrativ auf lange Sicht durchsetzen konnten, wird dazu verwendet, globale politische wie diskursive Einflüsse auf die Debatte um die Legitimation terroristischer Gewalt aufzeigen.

Vitalij Fastovskij (Gießen)
Weißer Terror, roter Terrorismus? Der sozialistische Blick auf staatliche und rechte Gewalt im späten Zarenreich

Das Aufkommen von Gewalt des rechten Mobs sorgte im revolutionären Lager in Russland für Verwirrung, denn die neue Gewalt „von unten“ kam nicht nur aus den Reihen der Arbeiter selbst, sondern wies frappierende Gemeinsamkeiten zwischen dem revolutionären Terrorismus und der Gewalt rechter Gruppierungen auf.

Anke Hilbrenner  (Göttingen)
Kommentar und Moderation