Philipp Höhn (Sektionsleitung)

Maritime Gewalt, Märkte und Staatlichkeit. Deutungskämpfe an der Wende zur Neuzeit

Abstract

Die Erforschung der maritimen Gewalt war bisher geprägt vom Narrativ der Staatsbildung: Im Kampf gegen Seeräuber und Schmuggler hätten die Obrigkeiten ihr Gewaltmonopol durchgesetzt. Der Wandel des Konfliktaustrags auf See kann allerdings auch als Folge ökonomischer Konkurrenz zwischen vielfältigen gleichrangigen Akteuren beschrieben werden. In dieser auch gewaltsam ausgetragenen Konkurrenz war der Anspruch auf obrigkeitliche Kriminalitätsbekämpfung nur eines von vielen Mitteln des Konfliktaustrags. „Schmuggel“ und „Piraterie“ waren in erster Linie mögliche Argumente zur diskursiven Disqualifikation von Mitbewerbern, vermittels derer der Zugang zu Märkten und Ressourcen verhandelt wurde. „Staatlichkeit“ schreiben wir jenen Akteuren zu, die ihre Eigeninteressen erfolgreich durchgesetzt haben.
Aus rechtsanthropologischer Warte steht die Idee einer sukzessiven Restriktion der individuellen Gewaltanwendung durch die Herausbildung der Staatlichkeit grundsätzlich in Frage. In der Wirtschaftsgeschichte wird der Übergang vom Spätmittelalter zur Frühneuzeit allgemein als ein Prozess der Formierung von Märkten beschrieben, wobei auch dieser Commercial Revolution keine pazifizierende Wirkung mehr zugeschrieben wird. Beide Interpretationen können als Deutungskämpfe um Zugehörigkeiten verstanden werden. Der Wechsel von einem politischen zu einem ökonomischen Narrativ spiegelt zugleich die Deutungskämpfe unserer eigenen Zeit.
Beide Ansätze jedoch konstruieren den historischen Verlauf retrospektiv teleologisch: Das Staatsbildungsnarrativ interpretiert Veränderungen als Fortschritte auf dem Weg in die Moderne. Und auch die Erzählung einer Konkurrenz um Marktzugang unterstellt den Akteuren eine langfristige ökonomische Intentionalität, die wohl erst spätere Projektion ist. In beiden Konzeptionen bleibt zudem unklar, wer eigentlich die konkreten Akteure sind. Wie also kann man die Entstehung des frühmodernen maritimen Gewaltregimes ohne das Paradigma der Staatsbildung modellieren?

Einführung
Philipp Höhn (Halle an der Saale)
Moderation
Gadi Algazi (Tel Aviv) Eva Brugger (Zürich) Sebastian Kolditz (Heidelberg) Alexander Engel (Göttingen/Basel)
Beteiligte
Gregor Rohmann (Frankfurt am Main)
Zusammenfassung