Silvia Daniel (Sektionsleitung)

Gedächtnisinstitutionen in der digitalen Welt. Bibliotheken, Museen, Archive und die Geschichtswissenschaft

Abstract

Die Sammlungen von Gedächtnisinstitutionen bilden nach wie vor die Grundlage historischer Forschungen. Bibliotheken, Archive und Forschungsmuseen sind – im virtuellen wie realen Raum – neutrale „Orte“, in die sich Wissenschaft bei allen Deutungskämpfen zurückziehen kann, um sich zu orientieren und um Forschungsfragen und -gegenstände kritisch zu bewerten.Wenn diese Grundkonstanten auch im digitalen Zeitalter das Verhältnis von Gedächtnisinstitutionen und historischer Forschung beschreiben, so verändern sich angesichts der Digitalisierung sowohl das Selbstverständnis, die Aufgaben und das Servicespektrum als auch die Fragestellungen und Methoden dieser Institutionen wie der Geschichtswissenschaft insgesamt. Die Diskussion um Bibliotheken, Archive und Museen im digitalen Zeitalter ist dabei so alt wie die Digitalisierung selbst, sie wird seit dem Aufkommen der Digital Humanities wohl noch intensiver geführt als zuvor. In diesem Kontext reflektiert auch die Geschichtswissenschaft, wie sich das Fach selbst durch digitale Wissenschaftskommunikation, Open Access, Digitalisierung, Big Data, maschinelles Lernen verändert und verändern kann – und dieser Prozess hat jüngst durch den Aufbau von Fachinformationsdiensten (FID) und einer Nationalen Forschungsdateninfrastruktur (NFDI) erheblich an Intensität gewonnen. Die Veranstaltung verzahnt die beiden Diskussionsstränge des Fachs und der Bibliotheken, Archive und Museen miteinander, um zu ermitteln, wie Gedächtnisinstitutionen die Geschichtswissenschaft optimal unterstützen können. Dabei werden nach Impulsbeiträgen der Diskutant*innen die Rollen von Retrodigitalisierung, Open Access, Lizenzierung, FIDs, NFDI sowie von digitalen Objekten als epistemische Dinge diskutiert und Anforderungen der Wissenschaft an die Institutionen formuliert.

Silke Schwandt (Bielefeld)
Wandel einer Disziplin? Wechselwirkungen zwischen digitalen Angeboten der Gedächtnisinstitutionen und den Praktiken der historischen Forschung

Die Digitalisierung als kulturelle Transformation beeinflusst auch unsere Arbeit als Geschichtswissenschaftler*innen. Zum einen stellen Gedächtnisinstitutionen Material inzwischen in digitalen Formaten zur Verfügung und erlauben direkten Zugriff aus dem heimischen Büro. Zum anderen eröffnen digitale Portale, Repositorien, Sammlungen und virtuelle Ausstellungen einen digitalen Raum, dessen Genese wir kritisch begleiten sollten. Es ist unsere Aufgabe, Datenmodelle zu entwerfen, um Repositorien nach geschichtswissenschaftlichen Anforderungen zu entwerfen. Gleichzeitig müssen wir die Praktiken der Quellenkritik auf digitale Objekte im Sinne der digital literacy anwenden lernen.

Jörg Wettlaufer (Göttingen)
Welche Services braucht die digitale Geschichtswissenschaft von Bibliotheken, Archiven, Museen und Datenzentren?

Der Zugang zu den Quellen und Forschungsmaterialien muss verbessert werden. Digitale Publikationen alleine garantieren noch nicht verbesserte Zugänglichkeit. Zudem muss die Nachhaltigkeit der Bereitstellung von digitalen Daten und Quellen gewährleistet sein. Neben vielen Vorteilen bringt Digitalisierung auch das Problem der nachhaltigen Bereitstellung von forschungsrelevanten Daten und Informationen mit sich. Schließlich sollten Daten und Dienste zentral gebündelt und im Volltext/Bild zugreifbar sein. Historiker*innen brauchen für eine effiziente Forschung aggregierte Datensammlungen, die eine effiziente Suche und einen Zugriff auf Inhalte aus der Ferne erlauben.

Dorothea Sommer (München)
Von Pergament bis Petabyte. Über das Portfolio großer Universalbibliotheken für die historische Forschung

Das Portfolio großer Forschungsbibliotheken lässt sich in einer Formel zusammenfassen: Content in Context. Eine umfassende, kontinuierlich gepflegte, formatunabhängige Sammlung wird immer den Kern aller bibliothekarischen Angebote für die historische Forschung bilden. Auf diesem „Content“ können digitale Dienste aufsetzen. Und erst im Zusammenspiel von Content und Context entfaltet sich die Leistungskraft einer Forschungsbibliothek in der digitalen Welt. Zugleich entstehen dadurch dauerhafte Finanzierungsbedarfe. Ohne ein nachhaltiges Commitment der Unterhaltsträger wird das Konzept der Forschungsbibliothek und damit einer tragfähigen Informationsinfrastruktur keine Zukunft haben.

Helmuth Trischler  (München)
Das Forschungsmuseum und die digitale Geschichtswissenschaft: Zwischen Wissensspeicher und Deutungsinstitution

Die Forschungsmuseen haben jüngst ihre Rolle als Gedächtnisinstitutionen intensiv diskutiert und im Lichte der Herausforderungen der Digitalisierung geschärft. Die Provenienzforschung und die Restituierung von Kulturgütern verweisen dabei auf die Zentralität von Museen für global-kulturelle Deutungskämpfe. Der Vortrag zeigt auf, wie Forschungsmuseen sich als Institutionen partizipativ-dialogischer Deutung und öffentlicher Vermittlung historischen Wissens neu positioniert haben. Die Digitalisierung eröffnet in diesem Prozess neue Möglichkeiten und wirft neue Fragestellungen auf, und sie motiviert dazu, erweiterte Dienstleistungen für Forschung, Lehre und öffentliche Vermittlung zu entwickeln.