Magnus Ressel (Sektionsleitung)

„…dieser unmenschliche Handel unter britischer Flagge … war durch ganz Deutschland verabscheut“. Die angebliche Abwesenheit deutscher Akteure im transatlantischen Sklavenhandel

Abstract

Das einleitende Zitat wurde vom Hamburger Schiffskapitän Christian August Gottlob Sohst im Jahr 1842 vor dem britischen Admiralitätsgericht als Erwiderung auf die Anklage des Sklavenschmuggels im Atlantik vorgebracht. Es wurde auch wenige Monate später gedruckt und stärkte damit das bis heute verbreitete Stereotyp von der weitgehenden Abwesenheit Deutschlands im transatlantischen Sklavenhandel und seinen verschiedensten Weiterungen. Noch 1987 hat Hans Ulrich Wehler dies im ersten Band seiner Deutschen Gesellschaftsgeschichte sehr betont (insb. S. 53) und damit dieser eigentlich schon durch Hans Pohl und Hermann Kellenbenz in empirischen Arbeiten der 1960/70er Jahre in bedeutenden Aspekten widerlegten Deutung neuen Vorschub geleistet. Die Deutung der internationalen Geschichte des transatlantischen Sklavenhandels, der zufolge es daran keine deutsche Beteiligung gab, wird seit gut 15 Jahren und zuletzt durch neue Forschungsprojekte in Frage gestellt. Insbesondere an der Universität Bremen und der Europa-Universität Viadrina haben mehrere Studien vor allem jüngerer Historiker*innen die wesentlichen Elemente dieser Deutung widerlegt. Diese intensiven Forschungen zeigen, dass Akteure des Alten Reichs aus allen Gesellschaftsschichten an den Profiten wie auch den Schattenseiten der sich im Atlantikhandel vor allem des 18. Jahrhunderts formenden engen Verflechtungen der neuen Welt mit Europa intensiv teilhatten. Das Panel soll einige Resultate dieser Forschungsprojekte präsentieren und so dazu beitragen, die Vorstellung von einer nur marginalen Beteiligung deutscher Akteure am Atlantischen Sklavenhandel durch das jüngst vorgestellte Paradigma von Kontinentaleuropa als „Slavery Hinterland“ (Felix Brahm/Eve Rosenhaft (Hrsg.), Slavery Hinterland: Transatlantic Slavery and Continental Europe, 1680-1850, Rochester 2016) abzulösen.

Rebekka von Mallinckrodt (Bremen)
Einleitung und Chair
Anka Steffen (Frankfurt an der Oder)
Schlesien und die Sklaverei – Eine Beziehungsgeschichte vom 17. Jahrhundert bis zum 1. Weltkrieg

Schlesisches Leinen war seit dem 17. Jahrhundert auf allen Handelsschiffen zu finden, die nach Westafrika segelten, um Waren gegen Gold, Elfenbein und Sklaven einzutauschen. Die Gewebe dienten in ihren minderen Qualitäten der Bekleidung versklavter Afrikaner*innen und waren in besserer Ausführung auch bei freien afrikanischen Konsumenten beliebt. Auch wenn sich die Herrschaftsverhältnisse auf dem afrikanischen Kontinent im 19. Jahrhundert deutlich änderten, so blieb er ein Absatzmarkt für nunmehr industriell produzierte Leinenstoffe aus Schlesien. Sie waren damit Teil des wirtschaftlichen Abhängigkeitssystems, dem die deutschen Kolonien bis 1914 unterworfen waren. Im Vortrag wird die Rolle schlesischer Leinwand für die wirtschaftliche Entwicklung der ost(mittel)europäischen Region aufgezeigt, die nur im Spannungsfeld langanhaltender globaler Handelsströme verstanden werden kann.

Josef Köstlbauer (Bremen)
Zwischen Unsichtbarkeit und Repräsentationsfunktion: Versklavte Menschen und die Herrnhuter Brüdergemeine im 18. Jahrhundert

Die Herrnhuter Brüdergemeine war tief in die atlantische Sklaverei verstrickt. Bereits in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts arbeiteten Missionare und Missionarinnen der Gemeine unter den Sklavenbevölkerungen Dänisch-Westindiens ebenso wie unter den indigenen Bevölkerungen in Pennsylvania, Surinam und Berbice. Versklavte Menschen fanden dabei einerseits Aufnahme in die Gemeine, andererseits wurden Herrnhuter überall auch zu Sklavenbesitzern. So bietet die Brüdergemeine ein Beispiel für die mannigfaltige Beteiligung von Personen und Institutionen aus dem Heiligen Römischen Reich an Sklaverei und Sklavenhandel. Gleichzeitig lässt sich an ihr auch zeigen wie diese historische Verbindung in späteren Zeiten umgedeutet wurde.

Sarah Lentz (Bremen)
Deutsche Sklavenhalter und -profiteure in Surinam und der Transfer von Wissen über eine deutsche Involviertheit in die Sklavenwirtschaft im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert

Die niederländische Kolonie Surinam galt im 18. und 19. Jahrhundert als ein Hauptumschlagplatz des Atlantikhandels, auch und insbesondere des Sklavenhandels. Deutsche Sklavenhalter, Sklavenaufseher und Plantagendirektoren spielten auf den Plantagen dieser Kolonie eine bislang unbekannte und doch überaus bedeutsame Rolle. Im Vortrag werden Selbstzeugnisse vorgestellt, in denen diese Akteure ihr Handeln im Zeitalter des aufkommenden Abolitionismus zu rechtfertigen suchten. Auch kann durch eine große Anzahl von Erbschaftsanfragen von Verwandten solcher „Surinamegänger“ deutlich gezeigt werden, dass deren Verwicklung in die Sklaven- und Plantagenwirtschaft des atlantischen Raums im Alten Reich und seinen Nachfolgestaaten bekannt und weithin akzeptiert war.

Magnus Ressel (Frankfurt am Main)
Zwischen Altem Reich und atlantischer Plantagenwirtschaft: Das Handelsimperium des Friedrich Romberg (1727–1819)

Der seit 1757 in Brüssel residierende, aus Iserlohn stammende und mit Kaiser Joseph II. befreundete Friedrich Romberg mag mit seinem intensiven Engagement im französischen Kolonialimperium der 1770/80er Jahre eine Ausnahmeerscheinung in der Reihe deutscher Sklavenhändler darstellen. Aufgrund seiner engen Verknüpfung des Kolonialhandels mit dem Hinterlandhandel bis nach Süditalien und in den Balkanraum kann man ihn jedoch auch als emblematischen Exponenten einer profitablen Nische im Gesamtpanorama des atlantischen Sklavenhandels betrachten. Dies ist die enge Verbindung des europäischen Hinterland- mit dem atlantischen Sklavenhandel, die typischerweise eher durch verschiedene Akteure geleistet wurde. Rombergs Handelsimperium fällt nicht wegen seines intensiven Sklavenhandels aus der Reihe, sondern durch die weitgehende und im Vortrag zu präsentierende vertikale Integration dieses relativ typischen Handelszugs in einer einzigen Firma.

Klaus Weber (Frankfurt an der Oder)
Kommentar