Hans-Werner Goetz  (Sektionsleitung)

Deutungsstreitigkeiten in der jüngeren Mediävistik

Abstract

Anders als im 19. Jahrhundert, als mediävistische Streitdebatten die gesamte Geschichtswissenschaft betrafen, gehen große Streitfragen heute selten von der Mediävistik aus. Die letzte größere Herausforderung von vornehmlich mediävistischer Seite war wohl die „Nouvelle histoire“ der französischen ‚Schule der Annales‘. Spätere Kontroversen haben weder in der Öffentlichkeit noch in der Mediävistik die gebührende Aufmerksamkeit gefunden. Sie gliedern sich zumeist in allgemeine geschichtswissenschaftliche Debatten ein: von der Anwendbarkeit soziologischer Theorien seit den 1960 Jahren über Kontroversen zu neuen Themenfeldern wie der Frauen- und (später) Geschlechtergeschichte bzw. einer feministischen Geschichtswissenschaft oder der Alltagsgeschichte hin zu den jüngeren kulturwissenschaftlichen Betrachtungsweisen und ihren verschiedenen ‚turns‘. Nach mediävistischen Eigenheiten, Inhalten und Argumentationen innerhalb des allgemeingeschichtlichen Rahmens ist bislang kaum gefragt worden. Daneben gibt es aber auch manche (sicherlich kleinere) innermediävistische Kontroversen, die ebenfalls noch kaum näher analysiert sind und einen guten Einblick in die mediävistische Geschichtswissenschaft und ihre Diskussionskultur bieten. Beides wird Gegenstand dieser Sektion sein, die sowohl eine mediävistische Beteiligung an allgemeinen Kontroversen als auch spezifisch auf das Mittelalter bezogene Streitfragen an exemplarischen, jüngeren Beispielen im Hinblick auf ihre inhaltlichen (und auch: spezifisch mediävistischen) Ausprägungen und Argumentationen, ihre (methodischen, nationalen, aktuellen) Hintergründe sowie ihre Auswirkungen hin analysieren soll, um damit zu einem tieferen Verständnis der jüngeren und heutigen Mediävistik zu gelangen: Wie kommt es zu solchen Kontroversen und welche Bedeutung kommt ihnen für die Mittelalterforschung und eventuell darüber hinaus die gesamte Geschichtswissenschaft zu?

Hans-Werner Goetz  (Hamburg)
Historische Einführung
Steffen Patzold (Tübingen)
Der Streit um die „mutation de l’an mil“
Amalie Fößel (Essen)
Mediävistische Geschlechtergeschichte – immer noch ein Reizthema?
Walter Pohl (Wien)
Frühmittelalterliche Migrationen und Identitäten im Spiegel naturwissenschaftlicher DNA-Analysen
Thomas Ertl (Berlin)
Streit ums Globale. Die Grenzen der mittelalterlichen Geschichte