Grußwort des Präsidenten des Deutschen Bundestages Dr. Wolfgang Schäuble

Gespaltene Gesellschaften: Das ist ein Thema mit Geschichte und zugleich von hoher aktueller Brisanz. Offene Gesellschaften zeichnen sich durch Pluralität aus, Diversität ist mehr als ein Schlagwort unserer Zeit. Gibt es noch ein einigendes Band? Viele vermuten es in der gemeinsamen Geschichte – nicht zu Unrecht, auch wenn wir um die mitunter spaltende Wirkung gerade der Erinnerung und historischer Erzählungen wissen. Wir spüren zudem, dass unsere Gesellschaften unter den Bedingungen von Globalisierung und Digitalisierung heterogener, unübersichtlicher und konfliktreicher werden. Soziale Kohärenz gerät vielerorts zunehmend in Gefahr. Kulturelle, ethnische und religiöse Differenzen brechen neben sozialen und ökonomischen Gräben auf.

Historikertag 2018 Wolfgang Schäuble
Im Jahr des 200. Geburtstages von Karl Marx sprechen Wissenschaftler von einer neuen Klassengesellschaft. Die Bruchstelle sehen sie im Verhältnis zur globalen Welt, der man zukunftsoffen und mutig oder rückwärtsgewandt und ängstlich begegnet. Die politische Debatte verschärft sich darüber erheblich.

Münster ist im Jahr des Gedenkens an den Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges vor 400 Jahren der passende Veranstaltungsort, um sich dieser Thematik zuzuwenden. Nicht nur, weil dieser vielschichtige Krieg die Spaltungen der europäischen Gesellschaften in der Frühen Neuzeit zeigt – mit erstaunlichen Parallelen zu gewalttätigen Konfrontationen unserer Zeit. Sondern auch, weil es damals im Friedenssaal gelang, Abgründe zu überbrücken und Konflikte wenigstens zeitweise zu befrieden. Für die Niederlande, Partnerland des diesjährigen Historiker­tages, endete mit ihrer Unabhängigkeit von Spanien 1648 sogar ein achtzigjähriger Krieg.

Der Historikertag 2018 weckt Neugier – und Erwartungen. Denn sich mit dem Trennenden zu beschäftigen, schärft zugleich den Blick für das Verbindende. Das, was in unserer Gesellschaft Gemeinsinn stiftet. Und Zusammenhalt braucht es – auch und gerade in Zeiten eines beschleunigten gesellschaftlichen Wandels, dessen volle Tragweite erst künftige Historiker­generationen erfassen werden.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen allen einen fruchtbaren intellektuellen Austausch bei lebhaften und spannenden Diskussionen!

Wolfgang Schäuble