Julia Hoffmann-Salz (Sektionsleitung)

Wenn „cultural brokers“ scheitern – Fehlgeschlagene Kommunikation lokaler Eliten im antiken Nahen Osten

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Abstract

Margaret Connell Szasz definiert ‘cultural brokers’ als Individuen, die aus unterschiedlichen Gründen Erfahrungen in einer fremden Kultur gemacht haben und diese – auch zum Wohle ihrer Herkunftsgemeinschaft – zu nutzen wissen. Ihnen kommt damit eine wichtige Rolle in der Verständigung mit der fremden Gemeinschaft zu, die der Rolle lokaler Eliten in antiken Gemeinschaften entspricht. Denn dank ihrer Prominenzrolle in den lokalen Gemeinschaften waren sie prädestiniert für die Vermittlerposition zwischen Indigenen und meist fremden Machthabern. Lokale Eliten als ‚cultural brokers‘ waren damit wesentlich an der Aushandlung eines Middle Ground im Sinne von R. White, einer gemeinsamen Verständigungsebene zwischen indigener Gesellschaft und neuen Machthabern, beteiligt. Aber nicht alle Aktivitäten der lokalen Eliten waren erfolgreich – und zwar sowohl in ihrer Kommunikation ‚nach oben‘ zu den neuen Machthabern wie auch ‚nach unten‘ zu ihrer eigenen Gemeinschaft. Und dieses Scheitern beruhte häufig auf Missverständnissen. White betont dabei die Bedeutung solcher Missverständnisse im Aushandlungsprozess einer gemeinsamen Kommunikationsebene. Die Sektion fragt exemplarisch nach gescheiterten kommunikativen Akten lokaler Eliten aus dem hellenistisch-römischen Nahen Osten. Denn Misserfolge können als entscheidende Momente in der Kommunikation zwischen Machtzentrale und indigenen Gemeinschaften verstanden werden, in denen die Spaltung der Gesellschaft in Herrscher und Beherrschte, also die eigentliche Asymmetrie der Positionen der Kommunikationspartner, deutlich zu Tage tritt.

Julia Hoffmann-Salz (Köln)
Einführung – Wenn ‚cultural brokers‘ scheitern
Benedikt Eckhardt (Edinburgh)
Das Gymnasion von Jerusalem – ein Paradebeispiel für gescheiterte Kommunikation?
Im Jahr 175 v. Chr. erlangte Jason, der Bruder des amtierenden Hohepriesters von Jerusalem, von Antiochos IV. das Recht, ein Gymnasion in Jerusalem zu errichten und die Stadt als „Antiochia“ neu zu konstituieren. Gleichzeitig wurde er selbst vom König unter Umgehung des dynastischen Prinzips zum neuen Hohepriester ernannt. Die symbolische Dimension des Gymnasions bei derartigen Anfragen ist seit der Publikation des Toriaion-Dossiers (SEG 47,1745) gut bekannt; Jason beschritt einen üblichen Kommunikationsweg zwischen lokalen Eliten und Königen. Die auf diese Weise neu konstituierten Bürgergemeinschaften erscheinen dabei in der Regel als die eigentlichen Profiteure des Vorgangs. Umso wichtiger ist die Frage, warum die Entwicklung in Jerusalem so anders verlief als von Jason und Antiochos erwartet.
Sitta von Reden (Freiburg)
Wenn cultural brokers scheitern: Lokale Aufstände und ihre Ursachen im ptolemäischen Ägypten
Das ptolemäische Ägypten (323-30 v. Chr.) erlebte einige große Agrarrevolten und schließlich sozio-politischen Niedergang im 1. Jh. v. Chr. Gleichzeitig wird in der jüngeren Forschung die Rolle der lokalen Priesterschaften als zuverlässige broker der ptolemäischen Fremdherrschaft immer wieder betont. Warum scheiterte also diese Vermittlung zunächst zeitweise und später nachhaltig? Was führte zu Revolten gegen das ptolemäische Regime selbst in der vergleichsweise erfolgreichen Phase politischen Ausgleichs unter den ersten vier Ptolemäern? Einige amerikanische Forscher haben kürzlich einen exogenen Faktor, nämlich Vulkanausbrüche, die sich auf den Monsunregen und damit die Nilüberschwemmung auswirkten, für soziale Unruhen und politischer Aufstände in die Diskussion gebracht. Niedrige Nilstände, schlechte Ernteerträge und Ernährungsengpässe könnten ebenso zu sozialer und politischer Instabilität und Unruhen geführt haben wie das Scheitern transkultureller Verhandlung und Friedenssicherung. Dieser Vortrag wird die These anhand der großen, zur Diskussion stehenden Revolten in Ägypten diskutieren und die grundlegendere Frage stellen, wie Klimageschichte sinnvoll in die geisteswissenschaftliche Forschung integriert werden könnte.
Julia Hoffmann-Salz (Köln)
Zenodoros, Tetrarch der Ituräer – Räuberhauptmann - gescheiterter „cultural broker“?
Unter den zahlreichen indigenen Eigenherrschaften, die im späthellenistischen syrischen Großraum entstanden, genießen die Ituräer unter ihre Tetrarchen in den Quellen wie der älteren Forschungsliteratur den mit Abstand schlechtesten Ruf. Dabei zeigt ein Blick gerade auf die Herrschaft des Zenodoros, wie sehr dieser sich um eine Rolle als Mittler, als ‚cultural broker‘, zwischen lokalen Akteuren und römischer Ordnungsmacht bemühte – und letztlich scheiterte. Der Vortrag wird die Ursachen seines Scheiterns zu ergründen suchen.
Monika Schuol (Eichstätt)
Die Zerstörung des Jerusalemer Tempels 70 n.Chr.: Agrippa II., die hohepriesterliche Aristokratie und Josephus als gescheiterte "cultural brokers"
Dem Ersten Jüdischen Krieg (66-70 n.Chr.) mit der Zerstörung des Jerusalemer Tempels im Jahr 70 vorangegangen ist eine Reihe jüdisch-römischer Begegnungen in Rom und andernorts. Die Akteure auf jüdischer Seite, Angehörige der lokalen Eliten Jerusalems und des palästinischen Raumes, waren mit den Verhältnissen in Rom bestens vertraut. Dennoch konnten sie den Ersten Jüdischen Krieg nicht abwenden. Ziel des Vortrages ist es, an den Beispielen von Agrippa (II.) und dem Priester Joseph ben Mattijahu ha-Kohen (dem späteren Flavius Josephus) die Gründe für das Scheitern ihrer Kommunikation sowohl mit dem Kaiser bzw. seinen Unterhändlern als auch mit den eigenen Glaubensgenossen offen zu legen.