Sarah Albiez-Wieck (Sektionsleitung)

Steuern von Differenz: Imperien als Räume geordneter Ungleichheit

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Abstract

Wo immer Sie leben, haben Sie vermutlich von Politiker_innen gehört, die bestimmten Gruppen Steuererleichterungen versprechen. Trotz der formalen Gleichheit vor dem Gesetz, die in vielen Nationalstaaten weltweit erlassen wurde, gibt es nach wie vor Differenzen durch Religion oder Familienstand und Steuern sind eine Möglichkeit, diese zu untersuchen. Dies stimmt umso mehr für Imperien in der (frühen) Neuzeit, die nicht von einer Gleichheit der Untertan_innen ausgingen. Dennoch sind Steuern traditionell lediglich durch Wirtschaftshistoriker_innern untersucht worden und ihre soziale Komponente ist bislang vernachlässigt worden. Die vorgeschlagene Sektion möchte diskutieren, wie imperiale Gesellschaften Differenzen zwischen unterworfenen Bevölkerungen durch ihr Steuersystem produzierten, organisierten und verhandelten.

Daher lautet die Leitfrage der vorgeschlagenen Sektion: Wie organisierten frühmoderne imperiale Steuersysteme soziale Differenz und wie wurden diese Differenzen in den imperialen Gesellschaften ausgehandelt? Die Vorträge in der Sektion beziehen sich auf zwei zusammenhängende Fragen: (1) Wie beeinflusste die systematische Klassifizierung von Menschen durch das Steuersystem soziale Kategorisierungen wie Ethnizität, Klasse oder Gender? (2) Wie konnten imperiale Untertan_innen diese Kategorisierungen verhandeln? Welchen Wegen folgte dieser Aushandlungsprozess?

Die Leistung von Steuerzahlungen und Arbeitsdiensten stellten den Kern der Beziehungen zwischen Imperien und ihren Untertan_innen dar, da sie das Einkommen und die Arbeitskraft aller Untertan_innen entscheidend beeinflussten. Daher kann die Erforschung dieser Prozesse der Produktion, Organisation und Verhandlung zu tiefgreifenden Folgerungen über soziale Kategorisierungen sowie über Herrschaftsvorstellungen und die Beziehungen zwischen Staat und Gesellschaft führen. Die Analyse sowohl von Gesetzgebung, insbesondere über Steuerbelange, als auch der Handlungsmacht (agency) imperialer Untertan_innen ermöglicht die Untersuchung des Zusammenspiels der Mesoebene imperialer Steuersysteme und die Mikroebene individueller Untertan_innen. Es wird davon ausgegangen, dass fiskalische Kategorisierungen bedeutsame Überschneidungen mit sozialen Kategorisierungen, wie etwa Ethnizität, Klasse/Stand, Gender und Beruf aufweisen, deren historische Formierung Auswirkungen bis in die heutige Zeit zeigen.

Abgesehen von einem Beitrag zur theoretischen Diskussion über soziale Differenz, Zusammenleben (conviviality) und soziale Kategorisierungen, hat die Sektion auch ein methodologisches Ziel. Sie möchte fragen wie soziale Differenz von einem Steuergesichtspunkt her in (früh)modernen Gesellschaften untersucht werden kann; insbesondere außerhalb Europas; und wie diese imperialen Gesellschaften in divergierenden Kontexten und durch verschiedenartige Quellen untersucht werden können.

Henning Sievert (Heidelberg)
Privilegien und Untertanenrechte im privatisierten Steuerwesen des Osmanischen Reiches
Das Osmanische Reich reformierte im späten 17. Jahrhundert seine Steuerverwaltung und erlebte zugleich erhebliche Veränderungen in Politik, Verwaltung und Sozialstruktur. Daraus ergaben sich Konflikte in Fragen von Differenz und Zusammenleben im Imperium, die damit in Quellentexten sichtbar werden: Wem kamen welche Privilegien zu, welche Hierarchien und Kategorisierungen wurden anerkannt, reproduziert oder aufgelöst, was für ein Modus Vivendi war jeweils gangbar? Über normative Schriften hinaus sind hier Beschwerdepetitionen von herausragender Bedeutung, welche mit Schwerpunkt auf dem 18. Jahrhundert im Mittelpunkt dieses Beitrags stehen sollen.
Stephan Conermann (Bonn)
Differenz durch Rangvergabe? Eine kritische Betrachtung des mogulzeitlichen mansab-Systems
Der indische Historiker Abu l-Fazl Allami (gest. 1602) berichtet uns in seiner Chronik der Regierungszeit Akbars (reg. 1556-1605), dass jener der beste Herrscher aller Zeiten sei und in seiner Allweisheit auch eine vollkommen neue Administration eigeführt habe. Im Mittelpunkt dieses komplexen Gefüges stand die Vergabe von Rängen in einem (zum Teil) hierarchisch gegliederten System. Alle Ranginhaber, die zu militärischen Dienstleistungen verpflichtet waren, wurden von Akbar persönlich eingesetzt. Ihre Bezahlung erfolgte in der Regel durch die Vergabe eines vorher genau taxierten Landes, wobei ihnen diese Ländereien nicht gehörten, sondern sie nur ein Anrecht auf einen Teil der dort festgelegten Steuern hatten. In dem Vortrag wird untersucht, welche Konsequenzen diese Neuerungen für die Etablierung und Durchsetzung von Differenz innerhalb der mogulzeitlichen Nobilität hatten.
Ulrike von Hirschhausen (Rostock)
Von rechtlicher Differenz zu fiskalischer Gleichheit? Chinesische und britische Kaufleute im interimperialen Shanghai 1853-1911
In Shanghai trat die Diskrepanz zwischen imperialer Erwartung und lokaler Erfahrung auch im Steuersystem zu Tage. Briten, Amerikaner und Franzosen erzwangen hier seit den 1840er Jahren sogenannte Konzessionsviertel, in denen westliches Eigentumsrecht, Zivilrecht und eben auch Steuerrecht herrschte. Zwar suchten die chinesische ebenso wie die britische Regierung die räumliche Trennung von Chinesen und Briten durchzusetzen, doch die persönlichen, ökonomischen und fiskalischen Sonderrechte wirkten wie ein Magnet auf chinesische Flüchtlinge, Arbeitssuchende und Zuwanderer aller Art. Das Londoner Colonial Office hatte nur den lokalen Briten diese Rechte zugestanden, die sie indes an chinesische Partner und Mitarbeiter verkauften. Wachsende Gruppen chinesischer Kaufleute wurden zu ökonomischen Akteuren, die jetzt ebenso wie die Ausländer nur minimalen wirtschaftlichen und fiskalischen Regeln unterworfen waren. Die Attraktivität der interimperialen Enklaven ließ die von beiden Seiten geplante räumliche Segregation zwischen Europäern und Chinesen erodieren und erzeugte einen städtischen Kapitalismus, der sich ethnischer Differenzierung weitgehend entzog.
Raquel Gil Montero (Buenos Aires)
Who and how? Indigenous taxes during the 17th Century in Charcas (actual Bolivia)
In the Peruvian Viceroyalty, indigenous taxation changed over the years during colonial times. The Government of Viceroy Toledo is considered a starting point in this regard: according to his classification, there were two different types of tributaries, naturales and yanaconas. Naturales (later called originarios) were those living under ethnic authorities in indigenous villages that he organized. Yanaconas, on the other hand, were those living outside those villages, without ethnic ties. Originarios and yanaconas were obliged to pay taxes, although the amount was different. During the 17th century because of massive migrations, new tributary categories emerged and the old ones acquired new meanings. My presentation deals with those new categories and with intermingling or miscegenation that also influenced those new and old categories. The principal source of this analysis is a General Inspection from 1683, where all those new categories were present. One can also see different ways of taxation of collecting tributes and of interpreting the laws.
Sarah Albiez-Wieck (Köln)
Negotiating fiscal categorizations in colonial Peru and Mexico (New Spain)
The fiscal system in colonial Spanish America ordered social difference, especially with regard to the head tax called tribute. The presentation shows how the fiscal classifications of people determined their place in colonial society, and how the categorized people negotiated their classification in petitions to the colonial authorities. The analysis of these petitions has shown, hat there existed two types of people whose categorization were most frequently contested and put into question: those of people whose parents belonged to different categories (tentatively labelled as “mixed”) and those whose life – or those of their ancestors – was marked by migration (therefore tentatively labelled as “migrants”). The entanglement of legal and social categories and human movement will be analyzed in two cases that were both part of the same empire and subject to the same legislation but were nevertheless surprisingly different: colonial Mexico (New Spain); and Peru.
Ulrike Lindner (Köln)
Kommentar