Carola Föller Fabian Schulz (Sektionsleitung)

Spaltend oder verbindend? Das Christentum in Ost und West zwischen Spätantike und Frühmittelalter

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Abstract

Die Übergangszeit zwischen Spätantike und Frühmittelalter kann als eine der meistdiskutierten Umbruchszeiten gelten. Während in der älteren Forschung der Bruch zwischen den Epochen betont wurde, sprach man in den letzten beiden Jahrzehnten vorwiegend von einer allmählichen Transformation. Quer dazu standen Projekte, die sich mit der Frage nach Zusammenhalt oder Spaltung der antiken Welt im Übergang zum Mittelalter beschäftigten: Zum einen ist die Epochenschwelle als Beginn einer kulturellen Synthese der drei monotheistischen Buchreligionen beschrieben worden (M. Borgolte, Christen, Juden, Muselmanen, 2006; G. Fowden, Before and After Muhammad, 2013). Zum anderen rückten M. Meier und S. Patzold die kulturelle Differenzierung der beiden ehemaligen Teilreiche des Imperium Romanum in den Fokus. Der aus dem Projekt „Osten und Westen 400-600“ entstandene Band (C. Föller/F. Schulz, Osten und Westen, 2016) zeigt ein diverses, zum Teil auch widersprüchliches Bild dieser Entwicklungen. Je nachdem, ob man die emische Perspektive der Zeitgenossen oder die etische Perspektive des modernen Beobachters wählt, und welche Zeit, welche Region und welchen Bereich (Religion, Politik, Recht, Wirtschaft) man betrachtet, werden unterschiedliche Ergebnisse erzielt. Welche zentripetalen und zentrifugalen Kräfte und Momente es gab, und wie diese miteinander im Zusammenhang stehen, lässt sich bisher nur schwer überblicken.

Deshalb soll sich die Sektion auf die religiösen Faktoren dieses gesellschaftlichen Spaltungsprozesses konzentrieren, da sie ein relativ umgrenztes Untersuchungsfeld bieten und sie durch ihre auch die anderen Bereiche durchdringenden Wirkungen eine grundsätzliche Bedeutung haben. Auch hier unterscheiden sich die Positionen: Laut C. Rapp (Hagiography and Monastic Literature, 2014) habe das Christentum unterhalb der politischen und dogmatischen Differenzen die ‚subkutane‘ Einheit des römischen Reichs befördert. Während die Bischöfe einander im Streit exkommunizierten seien z.B. westliche Pilger in den Osten gereist, ohne die Kategorien „Ost“ und „West“ zu berücksichtigen. Andere Arbeiten betonen die spaltende Kraft des Christentums (R. Syme, Union and Division, 1976). Gerade von der konfessionellen Forschung werden Streitigkeiten und Schismen als zwangsläufige Abfolge der Auseinanderentwicklung betrachtet. In jüngster Zeit wird hingegen der Blick auf religiöse Praktiken und Austauschprozesse gelenkt. Vor allem im Leibniz-Projekt „Polyphonie des spätantiken Christentums“ von H. Leppin werden die unterschiedlichen konfessionellen Ausrichtungen des Christentums in den Blick genommen und mit der Frage nach der Stabilität politscher Einheiten verbunden.

In der Sektion wird also nach der Rolle der christlichen Religion und kirchlichen Organisation im Übergang von der Spätantike zum Frühmittelalter gefragt. Im Zentrum stehen dabei die Fragen, wie die Gemeinsamkeiten des christlichen Glaubens bewertet wurden und ob der Glaube verbindend oder spaltend in der jeweiligen Gesellschaft wirkte. Ziel ist dabei, die Beziehung von Glauben und kultureller Identität und ihrer Stabilität zu beleuchten. Da sich mit „Osten“ und „Westen“ allerdings keine kulturell homogenen Blöcke gegenüberstehen, konzentrieren sich die Vorträge auf die Kommunikation von östlichen und westlichen Christen, ihre Konflikte miteinander, ihre gegenseitige Wahrnehmung und ihre Selbstbilder.

Wolfram Drews (Münster)
Moderation
Fabian Schulz (Tübingen)
Gehören Christus und die Apostel dem Osten oder dem Westen? Raum und Autorität im 4. Jh.
Im trinitarischen Streit und im antiochenischen Schisma, die die Kirche auf Reichsebene in zwei Teile spalteten, spielte der Verweis auf Märtyrer und ihre Wirkungsstätten eine wichtige Rolle. Rom und der Westen beanspruchten den Apostel Petrus, der in Rom gestorben sein soll, Palästina und der Osten das Heilige Land, das Christi Spuren trage. Um die angesprochenen Autoritätsfiguren gab es ein regelrechtes Tauziehen: Das vom Gegenüber reklamierte Konzept wurde für die eigene Seite beansprucht, verallgemeinert oder konterkariert. In beiden Lagern entwickelten Christen so ein Wir- Gefühl, das sich aus der Identifikation mit der eigenen Sphäre und der Abgrenzung von der Gegenseite speiste. Indem der Vortrag einen vernachlässigten Streit über Identität, Raum und Autorität profiliert, möchte er die Schnittstelle von Geschichtswissenschaft und Kirchengeschichte erforschen.
Steffen Diefenbach (Konstanz)
Das Papsttum im ostgotischen Italien
Das Selbstverständnis der ostgotischen Herrscher Italiens und ihr Verhältnis zu Ostrom sind ein zentrales Thema für die Leitfrage dieser Sektion, ob West und Ost des römischen Imperiums seit dem ausgehenden 5. Jh. getrennte Wege gingen. In der Regel wird diese Relation anhand von politischen Faktoren und staatlichen Institutionen erörtert, vor allem unter Rekurs auf die Traditionen der weströmischen Monarchie, die auch noch über die Absetzung des letzten weströmischen Kaisers hinaus Bestand hatten. Der Vortrag nimmt demgegenüber die Rolle der römischen Bischofsamts als Kristallisationspunkt politischer Kommunikation und Institutionenbildung in den Blick. Im Zentrum steht dabei die Frage, in welchem Maße das Papsttum auf einer politischen Ebene zwischen West und Ost vermittelte und wie stark sein Einfluss auf die diejenigen Akteure war, die außerhalb eines kirchlichen Handlungsrahmens die politische Interaktion zwischen Italien und dem Osten bestimmten.
Carola Föller (Erlangen)
Der Bischof von Ravenna zwischen Rom und Konstantinopel
Für die Frage, welchen Einfluss das Christentum auf das Auseinanderdriften von Ost und West in Spätantike und Frühmittelalter hatte, ist besonders der Blick auf Grenzgänger interessant, die mit beiden Sphären interagierten. Der Bischof von Ravenna war ein solcher Grenzgänger: 540 war die Stadt von Ostrom eingenommen worden, und bis zu ihrer Eroberung durch die Langobarden 754 bildete sie den Mittelpunkt der oströmischen Verwaltungsprovinz Italien, des Exarchats von Ravenna. Die ravennatischen Bischöfe gehörten damit zum unmittelbaren Umfeld eines oströmischen Spitzenbeamten mit engen Verbindungen nach Konstantinopel; zugleich waren sie Teil der italischen Kirchenprovinz und damit dem Bischof von Rom unterstellt. Der Vortrag untersucht, wie die Bischöfe von Ravenna in diesem Spannungsfeld agierten und wie sich die kulturellen Differenzierungsprozesse von Ost und West an einer hybriden Institution wie der ravennatischen Kirche erkennen lassen.
Laury Sarti (Freiburg)
Orthodoxie und die Entfremdung zwischen dem byzantinischen Osten und dem Westen (7.-9. Jh.)
Konflikte prägen die Geschichte des Christentums genauso wie der Wunsch nach konfessioneller Einheit. Beides bestimmte im frühen Mittelalter die Beziehungen zwischen dem Byzantinischen Reich und dem Westen. Indem religiöse Debatten wie der monophysitische oder der ikonoklastische Streit auch als Konflikt zwischen Ost und West ausgetragen wurden, wurde dieser Einheitsanspruch zunehmend infrage gestellt. Hiermit einhergehend fand ein Entfremdungsprozess statt, an dessen Ende z. B. Ludwig II. von Italien in einem Brief von 871 dem byzantinischen Kaiser Basilius I. vorhielt, dass die ‚Griechen‘ (d.h. Byzantiner) wegen ihres schädlichen Glaubens (kacodosia) aufgehört hätten Kaiser der Römer zu sein. Ziel dieses Beitrages ist diesen Prozess nachzuzeichnen indem untersucht wird, in welchem Kontext westliche Autoren seit dem 7. Jahrhundert religiöse Argumentationen dazu nutzten um sich von Byzanz abzugrenzen.