Daniel Morat Irmgard Zündorf (Sektionsleitung)

Museen im Widerstreit – Museale Geschichtspolitik zwischen Nationalismus und Globalisierung

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Abstract

Derzeit erleben wir eine Renaissance nationalistischer und propagandistischer Geschichtspolitik in autoritär geführten Staaten wie der Türkei, Russland oder – innerhalb der EU – Polen und Ungarn. Museen als öffentliche Institutionen der Geschichtsvermittlung werden hier mit der Anforderung konfrontiert, nationale Sinnstiftungs- und Heldengeschichten zu erzählen. Parteipolitisch gefärbte Geschichtsschreibung in Museen ist jedoch nicht auf die genannten Staaten beschränkt. Auch die Planungen für das „Haus der Geschichte Österreichs“ in Wien und die Eröffnung des „Hauses der Geschichte im Museum Niederösterreich“ in St. Pölten zeugen von den Versuchen geschichtspolitischer Einflussnahme. Auf der anderen Seite erscheint in Zeiten, in denen die universitäre Geschichtswissenschaft immer stärker globalgeschichtliche Ansätze verfolgt und in denen die Effekte der Globalisierung auch im Alltagsleben immer spürbarer werden, eine nationale Rahmung historischer Erzählungen auch im Museum immer weniger überzeugend. Darauf kann man entweder mit der Erweiterung der musealen Perspektive hin zu einem Museum der Weltkulturen reagieren, wie es im Berliner Humboldt Forum geschieht, oder mit der Hinwendung zu Partikulargeschichten wie es etwa in den USA am Beispiel des „National Museum of the American Indian“ oder des 2017 eröffneten „National Museum of African American History and Culture“ zu beobachten ist. Auch diese musealen Projekte folgen dabei einer geschichtspolitischen Agenda. Mit den genannten Beispielen aus Polen, Österreich, Deutschland und den USA widmet sich die Sektion unterschiedlichen Formen der musealen Geschichtspolitik, die zum Teil auf gesellschaftliche und politische Spaltungen reagieren und zum Teil als deren Ausdruck zu verstehen sind.

Juliane Tomann (Jena)
Geschichte als nationales Master-Narrative? Das Museum des Zweiten Weltkrieges in Gdańsk
Die Geschichtslandschaft in Polen steht derzeit unter starkem politischen Druck. Der Vortag behandelt beispielhaft das Museum des Zweiten Weltkrieges in Gdansk und die damit verbundenen geschichtspolitischen Kontroversen. 2008 mit der Intention gegründet, die polnischen Erfahrungen während des Krieges im globalen Kontext zu präsentieren, war das Prestigeprojekt der liberal-konservativen Regierung unter Donald Tusk von Beginn an Zielscheibe harscher Kritik des rechten politischen Spektrums. Seitdem dieses in Polen die Regierung stellt, wurde die Entwicklung des Museums vielfach behindert. Dennoch öffnete der imposante Museums-Neubau im März 2017 seine Türen. Der Vortrag widmet sich neben der Entstehungsgeschichte des Museums auch dem Narrativ der gegenwärtig zu sehenden Ausstellung.
Bettina Habsburg-Lothringen (Graz)
Parteien, Geschichte, Museen. Das Beispiel Österreich
Museen und Häuser für Geschichte im modernen Sinn haben in Österreich eine erst junge Tradition. Die Gründung eines Nationalmuseums im 19. Jahrhundert fand nicht statt. Geschichte wurde in heimatkundlichen Mehrspartenhäusern oder im Kontext von Kunstgewerbe- und Volkskundemuseen verhandelt, bis vor bestenfalls 20 Jahren die Forderung nach einer angemessenen Vermittlung des 20. Jahrhunderts inklusive entsprechender Sammlungserweiterungen lauter wurde. Sowohl in den Debatten um ein Haus der Geschichte in Wien als auch in der Neuprofilierung einzelner Museen auf Ebene der Länder ist dabei das Interesse von politischen Akteur/innen und Parteien an den Inhalten und Erzählungen einer aufgrund ihrer Reichweite und Glaubwürdigkeit nach wie vor als mächtig angesehenen Institution auffällig gewesen.
Andreas Etges (München)
E pluribus unum – or many out of one? Nationale Geschichtsmuseen in den USA
Mit den Protestbewegungen der 1960er Jahre und besonders auch durch den Vietnamkrieg wurde das Selbstbild der USA als exzeptionalistische, fortschrittliche und vorbildhafte Nation massiv in Frage gestellt. Zwar präsentierten die nationalen Museen in Washington noch längere Zeit eine patriotische Geschichte, doch Sonderausstellungen und dann auch bedeutende Neugründungen (National Museum of the American Indian 2004; National Museum of African American History and Culture 2016) haben dem ein kritisches Narrativ entgegengestellt. Im Fokus des Vortrags steht der Widerstreit zwischen der nationalpatriotischen und einer kritischen Darstellung, dem größere gesellschaftliche Spannungen in den USA zugrunde liegen. Macht es der Blick auf „Minderheiten“ in einer multikulturellen Gesellschaft (auch Frauen und Latinos fordern eigene Museen in der Hauptstadt Washington) künftig unmöglich, noch eine umfassende museale „amerikanische“ Geschichte zu zeigen? Oder kann die Multiperspektivität ein neuer Königsweg sein?
Daniel Morat (Berlin)
(Post-)Kolonialismus im Museum. Das Humboldt Forum in Berlin
Die deutsche Kolonialgeschichte und die damit verbundenen Verbrechen, insbesondere der Völkermord an den Herero und Nama in den Jahren 1904-1907, waren lange Zeit kaum Gegenstand öffentlichen Erinnerns in Deutschland. Dies beginnt sich nicht nur mit der in New York verhandelten Klage der Herero gegen die Bundesrepublik zu ändern, sondern auch mit der Kontroverse um das in Berlin entstehende Humboldt Forum und die Provenienz der ethnologischen Kunstgegenstände, die darin ab 2019 gezeigt werden sollen. Vor dem Hintergrund dieser Kontroverse behandelt der Vortrag den Zusammenhang von postkolonialer Erinnerungspolitik und musealer Repräsentation kolonialer Vergangenheit. Kann aus dem Humboldt Forum gleichzeitig ein ‚Museum der Weltkulturen‘ und ein Ort des postkolonialen Erinnerns werden?
Irmgard Zündorf (Potsdam)
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