Werner Freitag Martin Scheutz (Sektionsleitung)

Ein bürgerliches Pulverfass? Waffenbesitz und Waffenkontrolle in der alteuropäischen Stadt

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Abstract

Die Waffen sind „zurück“ in den europäischen Städten, das scheint zumindest der aktuelle Befund des Chronikteils der Tageszeitungen zu sein, der immer wieder von Schießereien in Lokalen, aber auch von Amokläufen berichtet. Illegaler Waffenbesitz nimmt offensichtlich zu. Doch schon in Spätmittelalter und Früher Neuzeit hatten die Stadträte alle Hände voll zu tun, die von bürgerlichen und nichtbürgerlichen Männern getragenen Waffen aus dem Alltag der Stadt zu verbannen oder zumindest zu kontrollieren. Eine insgesamt paradoxe Entwicklung, welche die Sektion zu fassen sucht: Denn die Stadt des Okzidents war ein Wehrverband der Bürger; es war Bürgerpflicht, die Stadtfreiheit zu verteidigen. So mussten die Bürger anlässlich der Bürgerrechtsverleihung Waffen vorweisen; diese waren (zunächst) im Hause aufzubewahren. Doch die Waffen dienten nicht nur der Verteidigung gegen den äußeren Feind und zur Wiederherstellung innerstädtischer Concordia im Rahmen von Partizipationskonflikten. Sie fungierten in der städtischen Öffentlichkeit als wichtige Statussymbole. Und auch die Präsentation bürgerlicher Wehrfähigkeit war von Bedeutung, wie es die zahlreichen Schützenfeste im Stadtraum verdeutlichen. Gleichzeitig aber wurden die Waffen im alltäglichen Konfliktaustrag eingesetzt; schwere oder tödliche Verletzungen waren die Folge. Demzufolge suchten die Stadträte zeitweilige oder permanente Verbote von Stichwaffen oder Bögen durchzusetzen. Auch die Zeughäuser waren Ausdruck dieser Pazifizierungsstrategie, denn sie dienten nicht nur als Lager für die teure Artillerie, sondern in ihnen wurden auch Blankwaffen und Harnische, Gewehre und Munition aufbewahrt; der häusliche Waffenschrank sollte abgeschafft werden. Doch sowohl Bürger als auch städtische Sondergruppen – etwa Klerus, Studenten, Adel oder die unruhigen Handwerksgesellen – standen weiterhin infolge ihres ungestümen Waffengebrauches vor Gericht. Es geht in der Sektion also im Sinne des Rahmenthemas des Historikertages um eine der Sollbruchstellen der Stadt des Okzidents, nämlich um das Spannungsverhältnis zwischen Wehrhaftigkeit und innerstädtischer Pax: Der Rat als Organ des „gesonderten Bürgerstandes“ (Max Weber) musste einerseits die Wehrfähigkeit fördern, andererseits den unkontrollierten Waffengebrauch beschränken.

Martin Scheutz (Wien)
Einführung
Regula Schmid Keeling (Bern)
Waffen im städtischen Haushalt - von geliehenen Helmen und rostigen Panzern
Der Beitrag fragt nach der Beschaffenheit der Waffen in den städtischen Haushalten des 14. und 15. Jahrhunderts in kleinen und mittleren Städten im Raum der heutigen Schweiz. Wo kamen die Waffen her? Welche Waffen waren vorhanden, und in welchem Zustand waren sie? Art und Qualität der Waffen im städtischen Haushalt verweisen auf die Praxis städtischer Wehrfähigkeit und sind zugleich Indikatoren für die soziale Dimension bürgerlicher Waffenpflicht.
Holger Gräf (Marburg)
Orte der Waffen in der Stadt - Schießstätten, Zeughäuser und Pulvertürme
Es soll zunächst die Präsenz von „Waffen“ in der Ikonographie der frühneuzeitlichen Stadt skizziert werden. Anschließend werden die „Orte der Waffen“ näher betrachtet. Sie dienten gleichermaßen der Kontrolle über die Waffen wie der architektonischen und ikonographischen Manifestation militärischer Stärke der jeweiligen Stadt.
Jean-Dominique Delle Luche (Paris)
Schützengesellschaften und Stadtrat - über die Behandlung von Waffen im Stadtraum
Während die städtischen Milizen für die Wehrhaftigkeit der Stadt einstanden und bei ihnen der Waffenbesitz verpflichtend war, beruhten die Schützengesellschaften des 15. und 16. Jahrhunderts auf Freiwilligkeit. Zwangsmaßnahmen gegen illegitime Waffenhaltung und -nutzung fanden hier ihre Grenzen. Zudem gab es gemeinsame Interessen von Schießgesellen und Stadtrat, denn die Schützengesellschaften mehrten mit gekonnten Armbrust- und Büchsenschüssen den städtischen Ruhm, markierten die Grenzen der Stadt und verdeutlichten den Herrschaftsanspruch des Rates.
Enno Bünz (Leipzig)
Kleriker und Waffengebrauch in der spätmittelalterlichen Stadt – neue Perspektiven anhand der päpstlichen Pönitentiarieregister
Die kirchenrechtlichen Normen verboten Geistlichen das Tragen von Waffen. Ebenso war die Gewaltanwendung von Laien gegen Kleriker kirchenrechtlich sanktioniert. Die vatikanischen Register der päpstlichen Bußbehörde, die für das 15. und frühe 16. Jahrhundert erhalten sind, enthalten zahlreiche Dispens für Personen, die als Kleriker oder gegen Kleriker Gewaltdelikte verübt hatten. Die Suppliken der Betroffenen bieten vielfach ausführliche Schilderungen des Tathergangs, wobei ggf. auch die eingesetzten Waffen oder waffenähnlichen Gegenstände erwähnt werden.
Werner Freitag (Institut für vergl. Städtegeschichte/Universität Münster)
Zusammenfassung