Ein bürgerliches Pulverfass? Waffenbesitz und Waffenkontrolle in der alteuropäischen Stadt
Abstract
Die Waffen sind „zurück“ in den europäischen Städten, das scheint zumindest der aktuelle Befund des Chronikteils der Tageszeitungen zu sein, der immer wieder von Schießereien in Lokalen, aber auch von Amokläufen berichtet. Illegaler Waffenbesitz nimmt offensichtlich zu. Doch schon in Spätmittelalter und Früher Neuzeit hatten die Stadträte alle Hände voll zu tun, die von bürgerlichen und nichtbürgerlichen Männern getragenen Waffen aus dem Alltag der Stadt zu verbannen oder zumindest zu kontrollieren. Eine insgesamt paradoxe Entwicklung, welche die Sektion zu fassen sucht: Denn die Stadt des Okzidents war ein Wehrverband der Bürger; es war Bürgerpflicht, die Stadtfreiheit zu verteidigen. So mussten die Bürger anlässlich der Bürgerrechtsverleihung Waffen vorweisen; diese waren (zunächst) im Hause aufzubewahren. Doch die Waffen dienten nicht nur der Verteidigung gegen den äußeren Feind und zur Wiederherstellung innerstädtischer Concordia im Rahmen von Partizipationskonflikten. Sie fungierten in der städtischen Öffentlichkeit als wichtige Statussymbole. Und auch die Präsentation bürgerlicher Wehrfähigkeit war von Bedeutung, wie es die zahlreichen Schützenfeste im Stadtraum verdeutlichen. Gleichzeitig aber wurden die Waffen im alltäglichen Konfliktaustrag eingesetzt; schwere oder tödliche Verletzungen waren die Folge. Demzufolge suchten die Stadträte zeitweilige oder permanente Verbote von Stichwaffen oder Bögen durchzusetzen. Auch die Zeughäuser waren Ausdruck dieser Pazifizierungsstrategie, denn sie dienten nicht nur als Lager für die teure Artillerie, sondern in ihnen wurden auch Blankwaffen und Harnische, Gewehre und Munition aufbewahrt; der häusliche Waffenschrank sollte abgeschafft werden. Doch sowohl Bürger als auch städtische Sondergruppen – etwa Klerus, Studenten, Adel oder die unruhigen Handwerksgesellen – standen weiterhin infolge ihres ungestümen Waffengebrauches vor Gericht. Es geht in der Sektion also im Sinne des Rahmenthemas des Historikertages um eine der Sollbruchstellen der Stadt des Okzidents, nämlich um das Spannungsverhältnis zwischen Wehrhaftigkeit und innerstädtischer Pax: Der Rat als Organ des „gesonderten Bürgerstandes“ (Max Weber) musste einerseits die Wehrfähigkeit fördern, andererseits den unkontrollierten Waffengebrauch beschränken.