Hanno Hochmuth Konrad H. Jarausch (Sektionsleitung)

Der Kalte Krieg als Chance. Handlungsspielräume im geteilten Berlin

Download iCal

Abstract

Der Kalte Krieg präsentiert sich in klassischer Erzählweise als eine global verstreute Sequenz diplomatischer Krisen und militärischer Konflikte. Politiker und nukleare Arsenale zweier Supermächte dominieren zahlreiche Darstellungen. Das gespaltene Berlin ist nach dieser Interpretation meist nur „Schauplatz“ des Kalten Krieges, „Schaufenster“ des jeweiligen Systems oder lediglich ein „Spielball der Weltmächte“. Wenn jedoch lokale Gestaltungsmöglichkeiten und Aushandlungsprozesse aus den Blick geraten, droht Berlin zu einer bloßen Chiffre zu werden. Daher rückt die Sektion den aktiven Beitrag unterschiedlicher Akteure an der Entstehung, Fortdauer und schließlich an der Erosion der vor Ort erfahrenen Systemkonkurrenz in den Mittelpunkt. Die Sektion untersucht, wie Berliner Akteure in Ost und West den Konflikt zwischen beiden Systemen nicht nur erduldeten, befeuerten oder bedauerten, sondern die neue bipolare Ordnung für sich zu nutzen suchten. So verortet die Sektion den Platz Berlins innerhalb der Geschichte des 20. Jahrhunderts neu. Anstatt eine reine Lokalgeschichte zu verfolgen, liegt das Augenmerk darauf, die Handlungsmacht von urbanen Akteuren im Spannungsfeld lokaler, nationaler und globaler Perspektiven zu integrieren. Im Fokus der Sektion steht der Konstruktionscharakter jenes wirkmächtigen Symbols „Cold War Berlin“. Zuschreibungen wie „Vorposten der Freiheit“ oder auch „Hauptstadt der DDR“ wurden von Menschen erdacht, kommuniziert, in materielle Zusammenhänge überführt und in feierliche Rituale übersetzt, aber auch zunehmend hinterfragt. Der globale Systemkonflikt diente in diesen lokalen Auseinandersetzungen oftmals als Bezugspunkt. Die besondere Lage und die vielfache politische, soziale und kulturelle Spaltung Berlins konnte dabei von den lokalen Akteuren durchaus als Chance begriffen werden. Die Leitfrage der Sektion lautet deshalb: Wer erdachte und erschuf wie, zu welchem Zweck und mit welcher Wirkmächtigkeit das jeweilige „Cold War Berlin“?

Konrad H. Jarausch (Chapel Hill)
Einführung
Scott Krause (Berlin)
Propagandisten der Freiheit. Transatlantische Kampagnen zur Neudefinition West-Berlins im Kalten Krieg, 1941-1961
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs strömten Emigranten nach Berlin, um ihre Nachkriegsvisionen zu realisieren. Während im Osten die Gruppe Ulbricht eine „Volksdemokratie“ errichtete, deutete im Westen ein Netzwerk ehemaliger „revolutionärer Sozialisten“ das Trümmerfeld als „Vorposten der Freiheit“ um. Dieses Narrativ verband die Westsektoren mit der untergegangenen liberalen Weltstadt der Weimarer Zeit, während es die Schatten der jüngsten Vergangenheit auf die andere Seite des Brandenburger Tors schob. Die Remigranten nutzten dieses antitotalitäre Narrativ und ihre exzellenten Kontakte zur amerikanischen Besatzungsmacht, um Berlin (West) als sozialdemokratische Musterstadt zu präsentieren.
Stefanie Eisenhuth (Potsdam)
Von der Frontstadt zur Friedensstadt? West-Berliner Deutungskämpfe in den 1970er und 1980er Jahren
Seit Mitte der 1960er Jahre wurde die Meistererzählung von West-Berlin als „Vorposten der Freiheit“ durch konkurrierende Deutungen herausgefordert. Vor allem die Aktivitäten der Umweltbewegung machten deutlich, dass das Narrativ in rechtsstaatlicher Hinsicht eine defizitäre Realität überdeckte. Lokale Politiker bezeichneten die kritischen Stimmen als „Unberliner“ oder „Anti-Berliner“ und versuchten, sie aus der städtischen Gemeinschaft auszuschließen. Anhand von mehreren Fallbeispielen wird gezeigt, wie unterschiedliche Akteure versuchten, den städtischen Sonderstatus Berlins zu ihrem Vorteil zu nutzen und wie er zugleich zunehmend zum Hemmnis wurde.
Hanno Hochmuth (Potsdam)
Kirche, Kiez und Kalter Krieg. Wie sich die evangelische Kirche im Zeichen des Systemkonflikts neu erfand
In der Nachkriegszeit verlor die evangelische Kirche in Berlin zahlreiche Gemeindemitglieder und deutlich an gesellschaftlichem Einfluss. West-Berlin war von einer starken Entkirchlichung betroffen; in Ost-Berlin kam eine massive Kirchenfeindlichkeit der SED hinzu. Der Vortrag zeigt, wie einzelne Pfarrer diese Herausforderung als Chance zur Neuerfindung der Kirche durch die Übernahme neuer Aufgaben im geteilten Stadtraum verstanden. Dabei zielte das kirchliche Engagement in beiden Hälften der Stadt vor allem auf gesellschaftliche Randgruppen. Selber randständig geworden, wandte sich die Kirche dem Rand der gespaltenen Gesellschaften zu.
Andreas Etges (München)
Kommentar