Nils Bock Jessika Nowak (Sektionsleitung)

„Bürgerkriege“ im Spätmittelalter: Frankreich, England, die burgundischen Niederlande, Katalonien und Neapel. Vergleichende Perspektiven

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Abstract

Unter dem Eindruck des gesellschaftlichen Wandels nach 9/11, des internationalen Terrorismus und des war on terror wird erneut die Idee des global civil war evoziert. Die Idee des „Weltbürgerkriegs“ wiederum bewegt seit Jahrzehnten das Denken unterschiedlichster Intellektueller. Neue Impulse setzte Giorgio Agamben, der nach 9/11 konstatiert, dass der Bereich des entpolitisierten Privaten ausgefallen sei, da der Staat diesen als Rückzugsraum nicht mehr garantieren könne. Ursächlich ist, dass der durch Terrortaktiken geprägte global civil war nicht rein physisch, sondern auch in allen Arenen der modernen Medienwelt ausgetragen wird. All dies fördert die allgemeine Agitation und vertieft die zeitgenössischen Spaltungen. Auch wenn wir heute nicht wissen, welche Auswirkung die Politisierung des Privaten auf unsere Gesellschaften haben wird, so können wir doch Aussagen über ähnliche Phänomene in historischen Kontexten treffen und die Wissensressourcen der Mediävistik für den gesellschaftlichen Diskurs über den Bürgerkrieg aktivieren. Dem Einzug des Mittelalters in diesen Diskurs scheint aber seine oft betonte „Andersartigkeit“ entgegenzustehen. Wo sich das Politische, bzw. das politisch verfasste Gemeinwesen, nicht als solches klar eingrenzen lässt, da von ihm kein genuiner Begriff vorliegt, sind vorderhand schwerlich Beispiele für dessen gewaltsame innere Erosion zu finden. Dennoch kennen wir mittelalterliche „interne Konflikte“, die entlang sozial, religiös wie rechtlich begründeter Spaltungen eskalierten und Gesellschaften zu zerstören drohten, wobei gerade die Politisierung des vorher Unpolitischen erst zur eigentlichen Ausbildung des Politischen im Mittelalter beiträgt. Am Anfang der Sektion wird ein Beitrag von E. Lecuppre-Desjardin zum Vergleich der Propaganda wie der Polemik während des Konflikts zwischen Armagnacs und Bourguignons in Frankreich und den Rosenkriegen stehen. R. Chilà richtet dann den Fokus auf den Kampf zwischen Fraktionen in Neapel und seine Rezeption bis ins 17. Jh. Auf die Iberische Halbinsel wird der Vortrag von S. Péquignot führen, der den katalanischen Bürgerkrieg (1462-1473) analysiert. G. Lecuppre und M. Depreter wenden sich abschließend den internen Konflikten im Hennegau, in Holland und in Seeland im 14. und 15. Jh. zu.

Roxane Chilà (Paris)
Continue seditiones et tumultus: strife among the Neapolitan nobility in the late Middle Ages
As far as urban history is concerned, the great kingdom of Southern Italy is considered to be a much less interesting field of inquiry than the “political laboratory” of the Northern and Tuscan cities. The loss of the municipal and episcopal archives for the medieval period in Naples contributed to the disinterest of historians. However, the municipal system of the Southern capital is not totally unknown: it is composed of a double universitas. A noble universitas and a popular universitas, the latter corresponding to the “popolo grasso” elsewhere in Italy, that is to say, families who are not noble but who have the financial means to gain access to political representation. During the 14th century, a long conflict developed within the noble universitas, opposing the members of the urban districts of Capuana and Nido, who claimed to be the only truly noble ones, and those of Portanuova, Porto and Montagna, whom the former called mediolani, that is to say “intermediaries”. In 1380, the conflict escalated into a proper street battle that resulted in several deaths and put whole neighbourhoods under siege. Queen Joan had to intervene to pacify the city, but the conflict regularly reappeared thereafter, to the point of strongly shaping Neapolitan memory and historiography. Indeed, most chronicles and treaties devoted to the city in the 16th century intended to demonstrate the equality or inequality of nobility among the inhabitants of Capuana, Nido, Portanuova, Porto and Montagna districts. This controversy remained a true obsession until the beginning of the 17th century. This case study raises the questions of privilege and civic identities, of hierarchy between citizens, and of the memory of the conflict. Above all, I will try to determine the causes of the conflict and the reasons for its remarkable length.
Gilles Lecuppre (Louvain-la-Neuve)
Ungrateful daughters and unworthy mothers: political misogyny at the heart of civil wars in the Low Countries (13th-14th century)
Between 1224 and 1354, three major civil wars called into question the power of princesses in the Western part of the Low Countries (Flanders, Hainault, Zealand, Holland). Those conflicts, and most of all their outcomes, witnessed the increasing distrust towards feminine rule. We will naturally try to understand how nobles and towns proved ready to prefer young or dubious contenders to the legitimate lordship of their countesses. But we cannot but be appalled by the extent of the disputes, which degenerated into regional wars, where each faction was backed by foreign kingdoms or principalities. Moreover, in the last case, two parties emerged that were to structure Dutch and Zeelandic political life over 150 years. As for misogynistic propaganda, its effects were still perceptible throughout historiography down to the 19th century.
Élodie Lecuppre-Desjardin (Lille)
French and English civil wars: a laboratory for political innovation in the 15th century?
Between 1224 and 1354, three major civil wars called into question the power of princesses in the Western part of the Low Countries (Flanders, Hainault, Zealand, Holland). Those conflicts, and most of all their outcomes, witnessed the increasing distrust towards feminine rule. We will naturally try to understand how nobles and towns proved ready to prefer young or dubious contenders to the legitimate lordship of their countesses. But we cannot but be appalled by the extent of the disputes, which degenerated into regional wars, where each faction was backed by foreign kingdoms or principalities. Moreover, in the last case, two parties emerged that were to structure Dutch and Zeelandic political life over 150 years. As for misogynistic propaganda, its effects were still perceptible throughout historiography down to the 19th century.
Stéphane Péquignot (Paris)
Politische Repräsentation des Landes in Zeiten des Konflikts. Das Beispiel Kataloniens während des "Bürgerkriegs" (1462-1473)
Während des sogenannten „katalanischen Bürgerkriegs“ (1462-1473) hat sich der aragonesische König Johann II. einem großen Teil seiner katalanischen Untertanen entgegengestellt, die sich hinter dem städtischen Rat Barcelonas, der katalanischen Generalitat und dem „das Prinzipat Kataloniens vertretenden Rat“ versammelten. Der Beitrag wird untersuchen, inwiefern dieser vielschichtige Konflikt die Modalitäten und Funktionsweise der politischen Repräsentation des Landes beeinträchtigte. In diesem Zusammenhang sollen die Verwendungen des Begriffs „Prinzipat“, die Entwicklung gleichlautender konkurrierender Institutionen sowie die Art und Weise, wie die politische Repräsentation selbst zum Gegenstand eines Konfliktes werden kann, analysiert werden.
Michael Depreter (Oxford)
Zwischen Wettbewerb und Komplementarität: Städtische und fürstliche Diplomatie während des Bürgerkrieges in den burgundischen Niederlanden. Eine vergleichende Studie zwischen den 1380er und den 1480er Jahren
An der Schnittstelle zwischen der neueren Geschichte des Politischen und der Geschichte der so genannten "internationalen Beziehungen" des späten Mittelalters angesiedelt, bietet eine akteurszentrierte Untersuchung die Möglichkeit, die Mechanismen der Diplomatie und die Bildung politischer Einheiten unterschiedlicher Natur besser zu verstehen. Im Rahmen des Vortrags sollen die direkten und indirekten diplomatischen Aktivitäten mit England stehen, welche die Grafen von Flandern sowie die Städte Gent und Brügge während der Phase zweier intensiver Bürgerkriege (1379-1385; 1487-1492) unternommen haben. Die Organisation der fürstlichen und städtischen Diplomatie, die einander ergänzen oder in Konkurrenz zueinanderstehen konnten, beleuchtet die Entwicklung der Machtstrukturen in der Grafschaft Flandern, die zunehmend in das neuerdings als composite state zu bezeichnende Herrschaftsgebilde Burgund integriert wurde.