Claudia Garnier Franz-Josef Arlinghaus (Sektionsleitung)

Ausschließungen. Konzepte und kulturelle Praxen der Exklusion in Vormoderne und Moderne

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Abstract

Menschliche Gesellschaften entwickeln stets Mechanismen der Ausgrenzung von Individuen oder Gruppen. Die Sektion stellt die Frage, ob bei aller vermeintlichen Ähnlichkeit nicht im Kern sehr verschiedene Konzepte von Ausschließungen zu beobachten sind, die sich unmittelbar mit den je unterschiedlich gelagerten gesellschaftlichen Gesamtkonstellationen verknüpfen lassen. Es geht letztlich um die Historisierung eines überzeitlichen Phänomens, also auch um das Gewinnen von neuen Perspektiven auf das Verhältnis von Moderne und Vormoderne. Oft scheinen ganz ähnliche Motive darüber zu entscheiden, ob eine Person oder Gruppe als Teil der Gemeinschaft anerkannt wird oder nicht. Inklusions- und Exklusionskriterien können daher als zwei Seiten einer Medaille begriffen werden, so dass jedes Konzept der Einbindung gleichzeitig auch Formen des Ausschlusses generiert. Allerdings scheint gerade die Inklusion in der auf Personenverbänden und Ständen basierenden vormodernen Gesellschaft anders gelagert zu sein als in der arbeitsteiligen Moderne. Dabei ist es zentral, zwischen Marginalisierung und Exklusion zu differenzieren. Bezeichnet erstere die reduzierte Teilhabe an gesellschaftlichen Prozessen, meint Exklusion die radikale Unterbrechung der Kommunikation zwischen dem Ausgeschlossenen und der Gesellschaft. Der Ausschluss kann durch empfundene Devianz oder Fremdheit, aber selbst durch Krankheit (“Aus-sätzige“) motiviert sein. Auffällig erscheint, dass die Vormoderne Exklusion nicht nur als unproblematsich empfindet, sondern – etwa im Recht – einen Ausschluss explizit vorsieht, während die Moderne eine breite Diskussion darüber kennt, Exklusionen als Unkultur oder Zivilisationsbruch zu betrachten. Es stellt sich daher die Frage, was diese unterschiedlichen Bewertungen, für die Ordnungsvorstellungen und die Kultur der jeweiligen Gesellschaft bedeuten.

Claudia Garnier (Vechta) Franz-Josef Arlinghaus (Bielefeld)
Einführung
Claudia Garnier (Vechta)
Ausgeschlossen aus der Gemeinschaft? Formen und Genese weltlicher Exklusionskonzepte im Hochmittelalter
Der Vortrag beschäftigt sich mit weltlichen Ausschließungen, die auf Devianz und Normverstöße reagierten. Diese Form der Exklusion erscheint zum einen seit der Mitte des 12. Jahrhunderts als Instrument der königlichen Gerichtsbarkeit und wurde als solche regelmäßig in den königlichen Landfrieden der Stauferzeit dekretiert. Die Delinquenten sollten gewissermaßen als „Outlaws“ ohne Recht und Ehre (exleges) außerhalb der Rechts- und Friedensgemeinschaft stehen. Zum anderen schlossen seit dem 13. Jahrhundert auch Städte Missetäter unter bestimmten Voraussetzungen aus dem kommunalen Verbund aus. Diskutiert werden nicht nur die Maßnahmen, mit denen die Ausgrenzung umgesetzt werden sollte, sondern vor allem auch Fragen, die das Spannungsfeld von Norm und Praxis der Verfahren betreffen.
Katharina Ulrike Mersch (Göttingen)
Exklusion im Praxistest: Zum Umgang mit der Exkommunikation im 13. Jahrhundert
Die Exkommunikation sah die temporäre, teils umfassende Exklusion des einzelnen Sünders vor, die ihn zu einem gottgefälligen Leben und damit zurück in die Gemeinschaft finden lassen sollte. Konnten auch nur Bischöfe aus eigenem Recht über die Ausschließung eines Einzelnen entscheiden, so war die Kirche als sozialer Körper gefragt, seine Entscheidung mitzutragen oder aber anzufechten. Es soll mit einem Blick auf die Praxis gezeigt werden, dass partikulare Öffentlichkeiten eher als einzelne geistliche Richter darüber entschieden, ob jemand als exkommuniziert galt oder nicht und dass so Exklusionsmechanismen und -normen entscheidend zur Generierung wechselseitiger Anerkennung beitragen konnten.
Franz-Josef Arlinghaus (Bielefeld)
Leitunterscheidung? Zur Relevanz von Exklusion für die spätmittelalterliche Gesellschaft auch dort, wo sie gar nicht stattfindet
Der Vortrag geht von der Annahme aus, dass radikale Exklusion als Teil des Selbstverständnisses der mittelalterlichen Gesellschaft betrachtet werden kann. Damit drängt sich die Frage auf, ob und in welchem Maße Exklusion das gesellschaftliche Leben auch dort prägte, wo ein Ausschluss zwar nicht stattfand, aber als Möglichkeitshorizont das Handeln der Akteure entscheidend formte. In einem Ausblick wird versucht, die Ergebnisse mit Annahmen abzugleichen, die Exklusion auch für die moderne Gesellschaft als zentrales Moment der Identitätsstiftung und Selbstbeschreibung in Anschlag bringen.
André Krischer (Münster)
Die Wiederkehr der Ausgeschlossenen. Über die Grenzen rechtlicher, sozialer und physischer Exklusion bei politischen Delinquenten in der Frühneuzeit
Der Strafkatalog des Common Law bestimmte, dass ein Verräter vom Erdboden zu verschwinden hatten: Sein Körper wurden zerhackt, verbrannt oder von Aasfressern vertilgt. Diesen massiven rechtlichen Exklusionsmechanismen stand allerdings gegenüber, dass Verräter (und andere politische Kriminelle) eben doch in unterschiedlicher Weise wiederkehrten: in der Verehrung als Märtyrer, als Thema von Druckpublizistik oder auch leiblich, wie die nach Australien verbannten Hochverräter. Der Vortrag zielt also auf die Unmöglichkeit von Exklusion mit den herkömmlichen Rechtsmitteln unter den medialen Bedingungen der Frühen Neuzeit und des frühen 19. Jahrhunderts.
Armin Owzar (Paris)
Für immer ausgeschlossen. Zur Humanisierung und Radikalisierung der Mort civile in den Gesetzesbüchern Frankreichs (1669-1854)
In Frankreich erfährt das Rechtsinstitut des sozialen Todes in der Frühneuzeit einen tiefgreifenden Funktionswandel, was sowohl mit einer Neuausrichtung des adressierten Täterkreises als auch einer Veränderung des Strafmaßes einhergeht. So stehen fortan weniger individuelle Delinquenten als vielmehr religiöse, soziale und politische Kollektive im Mittelpunkt. Deren Exklusion wird zwar zusehends humaner gestaltet, gleichzeitig aber radikalisiert. Denn der für bürgerlich tot Erklärte soll nun für immer aus der Gesellschaft ausgeschlossen bleiben. Dementsprechend treten präventive bzw. resozialisierende Intentionen in den Hintergrund.