Am Rande des Imperiums. Der Osten des Reiches um 1150: Berlin-Brandenburg vor seiner Entstehung

(29. September 2010 - 9.15 bis 13 Uhr - HS 1.102)

Leitung: Dr. Michael Lindner, Berlin / Prof. Dr. Michael Menzel, Berlin

 


1. Prolog: Über Wenden – De conversionibus et Sclavis


2. Grenzgänger: Jaxa von Köpenick und Pribislaw Heinrich von Brandenburg – Streitgespräch am Rande des Reiches über die Vor- und Nachteile, zum Sacrum Romanum Imperium zu gehören

Referent/in: Dr. Michael Lindner, Berlin


3. Zwangsumtausch? Pribislaw Heinrich, Jacza und Albrecht der Bär: Die Anfänge der Münzprägung im späteren Berlin-brandenburgischen Raum um 1150

Referent/in: Dr. Bernd Kluge, Berlin

4. Grenzenlose Liebe? Askanier, Piasten und Wettiner in grenzüberschreitenden dynastischen Heiratsbeziehungen

Referent/in: Christoph Mielzarek, Berlin


5. Kränze mit Eichenlaub: Die Monumenta Germaniae Historica, die Quellen und die Anfänge der brandenburgischen Geschichte

Referent/in: Dr. Mathias Lawo, Berlin

 

6. Grenzwertig! Der Wendenkreuzzug 1147 und seine Motive.

Referent/in: Prof. Dr. Michael Menzel, Berlin


7. Epilog: Landesgeschichte unter kulturalistischer Perspektive



Abstract

Um das Jahr 1000 – so der hochgebildete Benediktinermönch Notker Labeo – verspeisten die Wilzen, die zu den Vorfahren der Berliner gehören, immer noch ihre Eltern. Anderthalb Jahrhunderte später, um 1150, lag Brandenburg weiterhin an der nordöstlichen Peripherie des Heiligen Römischen Reiches. Berlin gab es nicht. Der Raum, wo es bald darauf entstehen sollte, gehörte nicht einmal zum Reich. Er war Niemandsland zwischen zwei slawischen Herrschaftssitzen, dem von Spandau, das wohl zum Brandenburg Pribislaw Heinrichs gehörte, und dem von Köpenick, wo der enigmatische Jaxa herrschte. Dazwischen verlief die Grenze zwischen dem Reich und dem Slawenland. Nur wenige Kilometer ostwärts, an der Oder, befand sich bereits die nächste Grenze. Dort begann bereits auf der linken Seite des Flusses im Gebiet von Lebus (nahe Frankfurt/Oder) das piastische Polen. 

 

Diese Situation eröffnet einige Möglichkeiten unter den Vorgaben der kulturalistischen Wende (conversio culturalis, cultural turn) in den Geisteswissenschaften „Über Grenzen“ nachzudenken. Denn: Wir überschreiten um 1150 im Berlin-brandenburgischen Raum die Grenze des Heiligen Römischen Reiches, was Gelegenheit gibt über die „Logik von Imperien“ (Herfried Münkler) zu reden, über Zentrum und Peripherie und die Gestaltung der Beziehungen zu den Nachbarn, die vom imperialen Zentrum nicht als gleichberechtigt angesehen wurden. Wir können dabei das Verhältnis von Grenzen und Räumen behandeln im Bewusstsein ihrer doppelten Konstruktion (spatial turn) – einmal durch die zeitgenössischen Akteure und zum anderen durch die heutigen wissenschaftlichen Beobachter.


Wir überschreiten im Berlin-Brandenburgischen in der Mitte des 12. Jahrhunderts auch eine ethnische Grenze, die zwischen Slawen und Deutschen. Das ermöglicht es, Begegnungen von stark differierenden Kulturen zu analysieren, auf Konfrontation und Austausch, auf Akkulturation und Selbstbehauptung sowie auf die Rolle und den Einfluss ethnischer Vorgaben einzugehen. Die Herkunft des deutschen Wortes Grenze aus dem Slawischen (Granitza) ist ein geeigneter Aufhänger für das vorliegende Thema, das uns in eine vornationale Epoche führt, auf die wir heute aus post- oder transnationaler Perspektive schauen können.


Wir überschreiten – für den Historiker von fundamentaler Bedeutung – außerdem die Grenze zwischen Schriftlichkeit und Mündlichkeit. Dadurch sind wir unter anderem mit der Frage konfrontiert, wie wir allein aus den Schriftzeugnissen der einen Seite, der deutschen, über die andere, slawische Seite, die doch keine Texte hinterlassen hat, schreiben können. Ein zentrales Problem aller kulturellen Vergleiche tritt uns hier entgegen, das der nicht aufzuhebenden Differenz von Selbst- und Fremdbeschreibung. Außerdem nötigt uns dieses Phänomen, weitere Quellen (z.B. archäologische und numismatische) heranzuziehen und erzwingt damit inter- und transdisziplinäre Zusammenarbeit. Besonders gut geeignet sind dafür Münzen als Medien zur Präsentation fürstlicher Herrschaft und damit als eindrucksvolle Beispiele der Visualisierung von Macht. Um 1150 liegen fast zeitgleich die Anfänge der Brakteatenprägung im ostsächsischen (Brandenburg) und im elbslawischen Raum (Köpenick). Auf der Suche nach Bildern fürstlicher Herrschaft (iconic turn) ist das ein bisher kaum gehobener Schatz. 


Bei all diesen Grenzüberschreitungen lassen wir die Quellen nicht zurück und tragen damit der nachhaltigen Hartnäckigkeit (Obduranz) der Fakten Rechnung. Wir sind auch in den Gefilden der postmodernen turns auf beide angewiesen. Das führt uns zu den handschriftlichen Texten und ihren gedruckten Editionen samt ihrem problematischen Verhältnis zueinander sowie zu den wissenschaftlichen Editionsstandards und der Quellenkritik, hier am Beispiel der Berlin-brandenburgischen Überlieferung. Es wird, um den verschiedenen ‚Wenden‘ eine Rückbindung zu geben an das historische Material, an das, was bruchstückhaft von der Vergangenheit übrig blieb für die Konstruktion unserer Geschichtserzählungen (linguistic turn), jeder Beitrag mit einem ausgiebigen oder zumindest aussagekräftigen Referenztext in Form eines Quellenzitats begonnen. Erst danach, in der kontrastiven Gegenüberstellung, folgt die Deutung der Befunde.


Diese und weitere Grenzüberschreitungen – wie die zwischen monotheistischem Christentum und polytheistischem Glauben – innerhalb des Themas ermöglichen es, sich einigen der kulturwissenschaftlichen turns zuzuwenden: Was wollen sie, wohin führen sie und was können sie leisten? Was bedeutet es für unsere „Über Grenzen“ gehenden Interpretationen, wenn die kulturwissenschaftlichen Bekenntnisse ‚Vielfalt statt Ein(falt)heit‘ oder ‚Kontingenz statt Gesetzmäßigkeit und finaler Erklärung‘ ernst genommen, wenn auf der Suche nach den Triebkräften des historischen Wandels andere als evolutionstheoretische, das heißt entwicklungsgeschichtliche Deutungen ausprobiert werden.

Vorträge Epoche
Grenzgänger: Jaxa von Köpenick und Pribislaw Heinrich von Brandenburg Geschichte des Mittelalters
Zwangsumtausch? Pribislaw Heinrich, Jacza und Albrecht der Bär Geschichte des Mittelalters
Grenzenlose Liebe? Geschichte des Mittelalters
Kränze im Eichenlaub Geschichte des Mittelalters
Grenzwertig! Der Wendenkreuzzug 1147 und seine Motive Geschichte des Mittelalters