Die argumentative Kraft (und Schwäche) der Faktizität im politischen Handeln des Nikolaus von Kues (1401-1464)
Abstract
Im Proömium der "Concordantia catholica" betonte Nikolaus von Kues, dass andere Nationen ins Staunen geraten werden, wenn sie die unbekannten Zeugnisse lesen, die er als Deutscher zusammengetragen hat. Mit Sorgfalt habe er Originale aus alten Klosterschränken gesichtet, die lange nicht gebraucht und insofern vergessen worden seien. Und da seine Ausführungen auf diesen und nicht auf Florilegien, Zitatensammlungen, beruhten, sei seiner Abhandlung zu vertrauen. Es blieb ein Merkmal des Juristen, der später päpstlicher Legat, Bischof und Landesfürst sowie Kardinal wurde, dass er herrschende Narrative mit dem Verweis auf das tatsächliche Geschehen in der Vergangenheit und der Gegenwart als falsch zu entlarven versuchte. Die gezielt gewonnenen Informationen evozierten ein Bild des Faktischen und begründeten den Wahrheitsanspruch des Cusanus sowie seine Forderungen nach Recht und Reformen. Dass die von ihm präsentierten Fakten nicht in jeder Situation anerkannt, sondern in ihrer Gewichtung auch hinterfragt oder sogar bekämpft wurden, stellte eine kontinuierliche Herausforderung für ihn dar und führte in den letzten Jahren seines Lebens zum Gefühl, verfolgt zu werden und versagt zu haben. Die Verbindung von umfassender Information, Faktizität, Evidenz und Wahrheit, die sich im späten Mittelalter etabliert und die sich Nikolaus von Kues in einer besonderen Art und Weise zu eigen gemacht hatte, mündete in zum Teil unüberwindbare Widerstände gegen seine Positionen. Als politischer Akteur vermochte er auf der anderen Seite aber durchaus auch, Informationen strategisch einzusetzen, sie zurückzuhalten oder ein fehlendes Wissen vorzutäuschen. In der Sektion sollen an seinem Beispiel der Umgang mit Informationen, die argumentative Kraft (und Schwäche) der Faktizität, ihr Bezug zur Wahrheit und zum Glauben sowie das Ringen um Glaubwürdigkeit und Autorität im 15. Jahrhundert nachgezeichnet werden.
Unter Bezugnahme auf das – sich in unterschiedlichen Lebensphasen in verschiedenen Bereichen manifestierende – Bestreben des Nikolaus von Kues um eine Reform der Kirche reflektiert die Einführung die zentralen Begriffe der Sektion: Information, Faktizität und Wahrheit. Dabei werden die Akte des Sich-Informierens, des Informiert-Werdens, des proaktiven Informierens und des Verschweigens zu den Akteurskonstellationen in Beziehung gesetzt, in denen sich Cusanus jeweils bewegte. Es wird die These vertreten, dass über die Kenntnis, das Prüfen und das Deuten von Informationen bzw. über die Festlegung von Faktizität und Wahrheit Über- und Ordnung bzw. Autorität und Gehorsam ausgehandelt wurden.
Als Vertreter der Kirchenreform stand Nikolaus von Kues der volkstümlichen Verehrung von Heiligtümern, wie den Bluthostien von Wilsnack oder evtl. auch dem Gnadenbild von Eberhardsklausen, skeptisch gegenüber, hinter denen er Idolatrie und Aberglauben vermutete. Aber gegen seine eigene Überzeugung ließ sich der Kardinal in einigen Fällen, z. B. in Andechs, dazu hinreißen, die Faktizität der dortigen Heiligtümer anzuerkennen. Neben politischen Beweggründen spielten dabei auch andere, wirtschaftliche sowie kirchen- bzw. ordensreformerische Überlegungen eine Rolle, denen im Vortrag nachgegangen werden soll.
Nichtwissen ist Macht. Strategien der Informationsbeschaffung werden in der Forschung wie selbstverständlich zur politischen Kultur des Spätmittelalters gerechnet. Unter den Bedingungen einer formalisierten Rechtskultur und einer zähflüssigen und oft unsicheren Informationsdiffusion erlangte jedoch auch vorgebliches sowie taktisch forciertes Nichtwissen eine Bedeutung, die weit über die moderne „plausible deniability“ hinausging und zur Kernstrategie politischen Handelns avancieren konnte. Der detailliert dokumentierte Konflikt zwischen Nikolaus von Kues in seiner Funktion als Bischof von Brixen sowie Herzog Sigismund von Tirol macht eine politische Kultur des Nichtwissens konkret erlebbar.
Im Juli 1457 wollte Nikolaus von Kues mit seinem Gegner Sigismund von Tirol zu Verhandlungen in Innsbruck zusammentreffen. Auf der burlesken Hin- und Rückreise wird er vor unerhörten Aktionen gewarnt die sämtlich als Gerüchte (fama, rumor) firmieren: so bewaffnete Hinterhalte, ja seine Hinrichtung. Der Vortrag untersucht Praktiken, mittels derer die Volatilität der Gerüchte zu Evidenz verfestigt werden sollte. Der geängstigte Cusanus, der die Gerüchte für wahr hält, baut einen Kurienprozess auf Evidenzen, die er durch erstaunliche Ermittlungstechniken beweisen ließ. Der Herzog versuchte umgekehrt, die massiv ehrenrührigen Anklagen mit Hilfe von Juristen wie Gregor Heimburg, in ihren Evidenzen auch satirisch zu delegitimieren. Der europaweit ausstrahlende Konflikt zog sich in Streittexten bis 1464 fort. Wie aus Gerüchten Wahrheit oder Unwahrheit wird – das dargebotene Exempel ist für den Umgangs mit Gerüchten, fake news und Evidenzansprüchen im Spätmittelalter wohl singulär.
My presentation focuses on Cusanus’s philosophical treatment of the principle of contradiction in De beryllo (written in Andraz castle in 1458) and its relation to his theological idea of truth. In order to do so, first I will summarize Cusanus’ theological notion of truth, which involves not only infinity but also triunity. Second, I will briefly describe Cusanus’ all-too-human situation in 1458. Third, I will attempt to argue that his philosophical treatment of the principle of non-contradiction in De Beryllo is Cusanus‘ effort to show that there is a way for us to mediate between the unattainable divine truth and the fragile factual world in which we live.