Petra Schulte (Sektionsleitung)

The Argumentative Power (and Weakness) of Facticity in the Political Action of Nicholas of Cusa (1401-1464)

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Abstract

In the preface to De concordantia catholica, Nicholas of Cusa anticipates readers’ surprise at the wealth of previously unknown sources that he, a German, has carefully collected, many from the armories of old cloisters where they had long been forgotten. He stresses that the quotations in his treatise were from originals and not from anthologies or abbreviated collections, and hence are trustworthy. It was characteristic of Cusanus, then a jurist who would later became a papal legate, bishop, prince, and cardinal, to try to invalidate prevailing narratives by way of reference to real events, past and present. The sources Nicholas of Cusa collected evoked a sense of the factual that supported his claims to truth and his demands for justice and reform. Not everyone recognized the facts he presented as true in every situation, however, and some questioned their weighting or contested them outright. For Cusanus, this represented an ever-present challenge, and, in the final years of his life, led to feelings of persecution and failure. The interlinking of extensive information, facticity, evidence and truth that emerged in the late Middle Ages – and that Nicholas of Cusa used to develop his own unique approach – resulted in insurmountable resistance to some of his positions. But he was also a political actor who knew how to employ information strategically, withholding it or pretending to lack it whenever expedient. In this section, we consider the documents, letters and treatises of Cusanus in understanding the handling of information, the argumentative power (and weakness) of facticity, its relation to truth and faith, and the struggle for credibility and authority in the 15th century.

Petra Schulte (Trier)
Einführung

Unter Bezugnahme auf das – sich in unterschiedlichen Lebensphasen in verschiedenen Bereichen manifestierende – Bestreben des Nikolaus von Kues um eine Reform der Kirche reflektiert die Einführung die zentralen Begriffe der Sektion: Information, Faktizität und Wahrheit. Dabei werden die Akte des Sich-Informierens, des Informiert-Werdens, des proaktiven Informierens und des Verschweigens zu den Akteurs­konstellationen in Beziehung gesetzt, in denen sich Cusanus jeweils bewegte. Es wird die These vertreten, dass über die Kenntnis, das Prüfen und das Deuten von Informationen bzw. über die Festlegung von Faktizität und Wahrheit Über- und Ordnung bzw. Autorität und Gehorsam ausgehandelt wurden.

Marco Brösch (Trier)
Von teuflischen Gnadenbildern, betrügerischen Bluthostien und anerkannten Reliquien. Nikolaus von Kues und die Faktizität von Heiligtümern

Als Vertreter der Kirchenreform stand Nikolaus von Kues der volkstümlichen Verehrung von Heiligtümern, wie den Bluthostien von Wilsnack oder evtl. auch dem Gnadenbild von Eberhardsklausen, skeptisch gegenüber, hinter denen er Idolatrie und Aberglauben vermutete. Aber gegen seine eigene Überzeugung ließ sich der Kardinal in einigen Fällen, z. B. in Andechs, dazu hinreißen, die Faktizität der dortigen Heiligtümer anzuerkennen. Neben politi­schen Beweggründen spielten dabei auch andere, wirtschaftliche sowie kirchen- bzw. ordensreformerische Überlegungen eine Rolle, denen im Vortrag nachgegangen werden soll.

Thomas Woelki (Berlin)
De beata ignorantia. Juristische, publizistische und soteriologische Funktionen (angeblichen) Nichtwissens bei Nikolaus von Kues und seinen Gegnern

Nichtwissen ist Macht. Strategien der Informationsbeschaffung werden in der Forschung wie selbstverständlich zur politischen Kultur des Spätmittelalters gerechnet. Unter den Bedingungen einer formalisierten Rechtskultur und einer zähflüssigen und oft unsicheren Informationsdiffusion erlangte jedoch auch vorgebliches sowie taktisch forciertes Nichtwissen eine Bedeutung, die weit über die moderne “plausible deniability” hinausging und zur Kernstrategie politischen Handelns avancieren konnte. Der detailliert dokumentierte Konflikt zwischen Nikolaus von Kues in seiner Funktion als Bischof von Brixen sowie Herzog Sigismund von Tirol macht eine politische Kultur des Nichtwissens konkret erlebbar.

Johannes Helmrath (Berlin)
Gerüchte und Wahrheit. Nikolaus von Kues in Brixen und Rom (1457-1464)

Im Juli 1457 wollte Nikolaus von Kues mit seinem Gegner Sigismund von Tirol zu Verhandlungen in Innsbruck zusammentreffen. Auf der burlesken Hin- und Rückreise wird er vor unerhörten Aktionen gewarnt die sämtlich als Gerüchte (fama, rumor) firmieren: so bewaffnete Hinterhalte, ja seine Hinrichtung. Der Vortrag untersucht Praktiken, mittels derer die Volatilität der Gerüchte zu Evidenz verfestigt werden sollte. Der geängstigte Cusanus, der die Gerüchte für wahr hält, baut einen Kurienprozess auf Evidenzen, die er durch erstaunliche Ermittlungstechniken beweisen ließ. Der Herzog versuchte umgekehrt, die massiv ehrenrührigen Anklagen mit Hilfe von Juristen wie Gregor Heimburg, in ihren Evidenzen auch satirisch zu delegitimieren. Der europaweit ausstrahlende Konflikt zog sich in Streittexten bis 1464 fort. Wie aus Gerüchten Wahrheit oder Unwahrheit wird – das dargebotene Exempel ist für den Umgangs mit Gerüchten, fake news und Evidenzansprüchen im Spätmittelalter wohl singulär.

Paula Pico Estrada (Buenos Aires)
De Beryllo: Nicholas of Cusa on contradiction and its relation to his theological idea of truth

My presentation focuses on Cusanus’s philosophical treatment of the principle of contradiction in De beryllo (written in Andraz castle in 1458) and its relation to his theological idea of truth. In order to do so, first I will summarize Cusanus’ theological notion of truth, which involves not only infinity but also triunity. Second, I will briefly describe Cusanus’ all-too-human situation in 1458. Third, I will attempt to argue that his philosophical treatment of the principle of non-contradiction in De Beryllo is Cusanus’ effort to show that there is a way for us to mediate between the unattainable divine truth and the fragile factual world in which we live.

Georg Strack (Marburg)
Resümee
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