Beyond Hybridity? Members of Minorities as Brokers in Global Cultural Encounters in the Late Ottoman Empire

GUDRUN KRÄMER (Berlin)
Chair and Comment

CHRISTINE LINDNER (Beirut)
Decentering the Mission. Examining the Impact of Two Arab-Armenian Women on the American Mission in Ottoman Syria

UTA ZEUGE (Berlin/Wien)
Identities in Conflict? Syrian Protestant Lives

JULIA HAUSER (Göttingen)
From Villager to Vali. Local Patrons of Two Foreign Schools for Girls in Late Ottoman Beirut

CHRISTIAN SASSMANNSHAUSEN (Berlin)
„Les mauvais sujets de Tripoli“: Extraterritorial Greek-Orthodox Families and the Representation of Conflicting Identities and Loyalties

NORA LAFI (Berlin)
Between Local Roots and Global Changes. The Evolving Identity of the Jews of Tunis during the Late Ottoman Period

Abstract:
Seit dem Aufkommen der new imperial historyhaben Historiker das epistemologische Potential erkannt, das in der Untersuchung transnationaler Lebensläufe liegt. Bisweilen allerdings werden biographische Studien miteinander in Bezug gesetzt, ohne dabei ihre geographischen Kontexte zu berücksichtigen. In diesem Panel hingegen wird argumentiert, dass transnationale Biographien nur dann sinnvoll analysiert werden können, wenn man Akteure in einem gemeinsamen Kontext vergleicht. Einerseits handelten diese meist in bestimmten imperialen Konstellationen, deren rechtliche und politische Strukturen nicht außer Acht gelassen werden können. Andererseits machten sich westliche Kolonialfantasien an bestimmten Räumen fest. Beide Parameter waren konstitutiv für die Bedingungen, unter denen culturalbrokers agierten.
Im Osmanischen Reich spielten Angehörige religiöser Minderheiten eine zentrale Rolle im Kontakt mit Europa und zunehmend auch den USA. Ihre multiplen Identitäten, ihr besonderer Status in der osmanischen Gesellschaft und vielfach auch ihr Wohlstand begünstigten diese Funktion. Gleichzeitig erscheint ihr sozialer Status auf den ersten Blick als widersprüchlich, da viele von ihnen die Protektion europäischer Staaten genossen und doch kulturell, ökonomisch und sozial in lokale Kontexte integriert waren.
Eine wachsende Forschung untersucht die Rolle nicht-muslimischer Minderheiten im “langen” 19. Jahrhundert. Einige Thesen der bisherigen Forschung bedürfen jedoch einer kritischen Überprüfung. So sind Angehörige nichtmuslimischer Minderheiten oft aufgrund ihrer vermeintlichen Nähe zu Europa als Modernisierer dargestellt worden. Auch wurden sie häufig als Wegbereiter von Säkularismus und Nationalismus gesehen, die die osmanische Herrschaft in Frage stellten.
Schließlich wurden sie meist isoliert anstatt in ihren lokalen kulturellen Verflechtungen betrachtet. Angesichts neuerer Forschungen zur spätosmanischen Gesellschaft, die den Aspekt religiöser Koexistenz und gegenseitigen Austauschs betonen, erscheint es angebracht, bisherige Forschungsmeinungen zur Rolle nichtmuslimischer Minderheiten auf den Prüfstand zu stellen.
Darüber hinaus eröffnen sich neue Perspektiven, wenn man über die üblichen dramatis personae hinausgeht. Denn kulturelle Übersetzung beschränkte sich nicht nur auf Handel und Diplomatie. Die literarische Öffentlichkeit und das Bildungswesen waren wichtige Felder, auf denen Angehörige von Minderheiten mit Europäern und Amerikanern interagierten. Zweitens sollten auch Geschlecht und sozialer Status als Faktoren in die Analyse stärker eingeblendetwerden. Weibliche Angehörige von Minderheiten übernahmen, etwa als Lehrerinnen, wesentliche kulturelle Übersetzungsleistungen, agierten dabei jedoch unter ganz anderen Vorzeichen als ihre männlichen Pendants. Oft von niederer sozialer Herkunft, genossen sie seltener das Privileg der Extraterritorialität. Sowohl sozialer Status als auch Geschlechtbeeinflussten daher die Handlungsspielräume kultureller Mittler: Differenzen, die es zu untersuchen gilt.
Dieses Panel verfolgt daher eine Reihe von Fragen. Welche Rolle spielten culturalbrokers in Kontakten zwischen dem Osmanischen Reich, Europa und den USA?Wann erschienen sie als ambigue Figuren, wann artikulierte sich ihre Identität auf scheinbar eindeutige Art? Und mehr noch: ist das so oft gebrauchte Konzept der Hybridität überhaupt geeignet, um jene “jeuxd’identité” (Smyrnelis) zu beschreiben, die sich im Handeln kultureller Mittler im späten Osmanischen Reich beobachten lassen? Denn während der Begriff des Hybriden in der Lage ist, ihre oft multiplen Bindungen zu erfassen, suggeriert er doch, dass diese Bindungen stets im selben Maß präsent gewesen seien − eine Annahme, zu der die oft wechselnden Strategien dieser Akteure im Widerspruch stehen. Letztlich soll es in diesem Panel also darum gehen, eine Terminologie zu finden, die der erstaunlichen Flexibilität im Umgang mit Loyalitäten, die sich bei Angehörigen von Minderheiten in kultureller Mittlerfunktion beobachten lässt, besser gerecht wird – sich also auch begrifflich jenseits des Hybriden zu bewegen, ohne dabei den Aspekt der Grenzüberschreitung aus dem Blick zu verlieren.
Nicht nur culturalbrokers im späten Osmanischen Reich waren Grenzgänger. Grenzen müssen auch Forschende überwinden, die sich ihrer Untersuchung widmen. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass osmanische Geschichte bislang kaum zum Kanon der Geschichtswissenschaft in Deutschland gehört. Anders als etwa in den USA hat der enge Zusammenhang von entstehender Geschichtswissenschaft und nationbuilding lang die Arbeitsweise der Geschichtswissenschaft geprägt, während transnationale und Globalgeschichte erst neuere Entwicklungen sind. Die Geschichte des Osmanischen Reichs wird daher immer noch vorwiegend in der Islamwissenschaft, Turkologieoder Arabistik untersucht. Historiker und Historikerinnen sollten daher weiter, wie dies bereits verstärkt seit dem letzten Jahrzehnt geschehen ist,den Dialog mit den areastudies intensivieren. In diesem Sinne ist das geplante Panel in seiner Zusammensetzung sowohl interdisziplinär als auch international.
Aus dem Blickwinkel der interkulturellen Theologie fragt Uta Zeuge in ihrem Vortrag danach, welchen Einfluss kulturelle Mittlertätigkeit auf das self-fashioning männlicher christlicher Angehörige der neuen Mittelschicht hatten. Christine Lindner, Historikerin, untersucht die Handlungsspielräume weiblicher Angehöriger religiöser Minderheiten. Julia Hauser, ebenfalls Historikerin,untersucht die Unterstützerkreise zweier ausländischer Mädchenschulen im spätosmanischen Beirut, wobei sie zeigt, dass kulturelle Vermittlung nicht ausschließlich von wohlhabenden christlichen und jüdischen Familien geleistet wurde.Christian Saßmannshausen, Islamwissenschaftler und Nahosthistoriker,beleuchtet am Beispiel einer griechisch-orthodoxen Familie mit extraterritorialem Status aus Tripoli das Navigieren privilegierter Akteure zwischen widerstreitenden Loyalitäten. Nora Lafi, ebenfalls auf die Geschichte des Osmanischen Reichs spezialisiert, untersucht die Frage, wie Juden im spätosmanischen Tunis ihre Identität zwischen lokalen Wurzeln und globalem Wandel verhandelten. Das Panel beginnt mit einer Einführung durch die Organisatoren. Es folgen fünfVorträge à 20 Minuten, unterbrochen durch eine halbstündige Pause nach den ersten drei Vorträgen, nach denen jeweils 10 Minuten Diskussion vorgesehen sind. Ein Abschlusskommentar führt in die allgemeine Diskussion. Da diese Sprache einigen Teilnehmern des Panels näher liegt, finden die Vorträge nach einer deutschsprachigen Einführung in die Thematik des Panels in englischer Sprache statt. Diskussionssprachen sind Deutsch und Englisch.

English Version:
Beyond Hybridity? Members of Minorities as Brokers in Global Cultural Encounters in the late Ottoman Empire

With the emergence of a new imperial history, scholars have become aware of the epistemological potential offered by the exploration of transnational biographies. Often, however, studies of relevant characters are presented irrespective of their geographical fields of action, as if these were interchangeable sceneries on the transnational stage. This panel, by contrast, argues that transnational biographies can only be examined fruitfully by comparing actors within a given geographical context. On the one hand, cultural brokers acted within [or between] imperial frameworks whose legal and political structures cannot be disregarded in historical analysis. On the other, Western colonial fantasies tended to attach themselves to definite areas. These parameters shaped the conditions under which cultural intermediaries were able to act.
In the Ottoman Empire, certain members of religious minorities were crucial to various kinds of interactions with Europe as well as, increasingly, with the United States of America. Their multiple identities, their liminalstatus in Ottoman society and, in many cases, their affluence, disposed them for this function. At the same time, their status was often an ambivalent one, since many of them enjoyed a status of extraterritoriality while at the same time being embedded culturally, economically and socially into local contexts. A growing literature continues to examine the crucial (and often ambiguous) role of non-Muslim minorities in cultural exchange during the late Ottoman Empire., Certain arguments to be found in research, however, are in need of revision, as they reproduce a myth of sectarianism at odds with recent historical research on Ottoman society. First, non-Muslim members of minorities, on account of their alleged proximity to Europe, have been cast in the role of modernizers. They have also been referred to pathbreakers of secularization and of nationalism who challenged Ottoman rule. Finally, they have been regarded in isolation rather than in their local contexts. Beyond these general critical interventions, it seems worthwhile to expand the usual cast of characters. Cultural brokership, after all, was not just restricted to trade and diplomacy. The literary public as well as education were important fields where members of minorities interacted with Europeans and Americans. Secondly, and in this very context, social status and gender must be brought within the fold. Female members of religious minorities, some of whom taught in missionary and other schools, were important cultural intermediaries, yet acted under conditions significantly different from those of their male peers. Often of lower social status than male cultural intermediaries with a minority background, they were less likely to enjoy the costly privilege of extraterritoriality. Both class and gender, therefore, made for differences impacting the agency of cultural intermediaries: differences in need of investigating.
This panel, therefore, addresses a number of questions. Which role(s) did members of minorities play in cultural contacts between Europe, America, and the Middle East?How did they avail themselves of the “jeuxd’identité”Marie-Carmen Smyrnelis observed in her study of nineteenth-century Izmir in these contacts? On which occasions did they assert hybrid identities? When, on the other hand, did they play the card of fixed identities? A closer look the  biographies of members of minorities who acted as cultural intermediaries opens up the chance of rewriting the story of imperial encounters from its very foundations.More particularly, it invites scholars to rethink the oft-employed concept of hybridity. While this term is able to accommodate the multiple allegiances characterizing transcultural subjects in the Ottoman Empire, it suggests a degree of continuous intermixedness belied by the often shifting strategies employed by cultural intermediaries. Ultimately, this panel hopes to arrive at a more satisfying terminology apt to characterize the striking playfulness resorted to by members of minorities in cultural exchange; to develop a terminology beyond the comfortable vagueness of the hybrid without losing sight of the transgression of boundaries central to cultural brokership.
Crossing boundaries is not just the raison d’être of cultural intermediaries. It is also a necessity for historians analyzing their biographies. Other than in the US, the notion of historiography as the handmaiden of nation building has long shaped academic historiography, with transnational and global history being but recent developments. In Germany, as a consequence, Ottoman history has long been the subject of Arabic and Islamic studies exclusively. In an age of growing global entanglements, German historians ought to enter dialogue with area studies and other disciplines (and vice versa) dedicated to the study of the world beyond Europe, while area studies ought to intensify their dialogue with historians.
This panel, therefore, is both interdisciplinary and international in composition. From the vantage point of intercultural theology, Uta Zeuge (Berlin / Wien) investigates the influence of cultural brokership on the self-fashioning of male Christian members of the emerging middle stratum in Ottoman society. Christine Lindner (Beirut), historian by training, examines the agency of female members of religious minorities in interactions with Protestant missions in Mount Lebanon and Beirut. Julia Hauser (Göttingen), trained in history as well, takes a closer look at the local supporters of two foreign schools in late Ottoman Beirut, emphasizing the heterogeneity of cultural brokers’ social and religious profile.Christian Saßmannshausen, on the other hand, whose background is in Islamic studies/Ottoman history, sheds light on how privileged extraterritorial actors navigated between conflicting identities by drawing on the example of a Greek Orthodox notable family from Tripoli. While deeply embedded into local society, they acted as cultural brokers with transregional ties and mobile lifestyles. Nora Lafi, likewise an Ottomanist, examines how Jews in late Ottoman Tunis negotiated their identity between local roots and global changes. The panel starts with an introduction by the organizers. It is followed by five 20-minute presentations and 10-minute intervals for discussion. A concluding comment by Gudrun Krämer leads into the final discussion. The panel is scheduled for four hours.Since some panelists are less familiar with German, papers will be presented in English, while both English and German contributions are welcome in the ensuing discussion.