Grenzmissverständnisse in der Globalgeschichtsschreibung (ca. 1500–1900)

(29. September 2010 - 9.15 bis 13 Uhr - HS 1.601)

Leitung: Prof. Dr. Susanne Rau, Erfurt / Dr. Benjamin Steiner, Frankfurt/M.

 


1. Einleitende Bemerkungen: Grenztheorie-Diskurse und Grenzmissverständnisse in der Praxis der Globalgeschichts­schreibung

Referent/in: Prof. Dr. Susanne Rau, Erfurt / Dr. Benjamin Steiner, Frankfurt/M.


2. Grenzenlos eingrenzen – koloniale Raumstrukturen der Frühen Neuzeit in den Konfliktfeldern zwischen Asien und Europa

Referent/in: Dr. Alexander Drost, Jena / Greifswald


3. Schwarze deutsche Kolonialsoldaten und die Ambivalenz der kolonialen frontier

Referent/in: Dr. Stefanie Michels, Frankfurt/M.

4. Siedlerimperialismus in Australien: Frontier, Landnahme und So­zio-Ökologische Systeme

Referent/in: Prof. Dr. Norbert Finzsch, Köln


5. Wissen als Träger und Bedingung imperialer Grenzvor­stellungen im Verhältnis von Europa und Afrika in der Frühen Neuzeit

Referent/in: Dr. Benjamin Steiner, Frankfurt/M.


6. Kommentar: Raumfiguren und Grenz-Sprachen

Referent/in: Prof. Dr. Susanne Rau, Erfurt

 

Abstract

Die Sektion beabsichtigt Grenzmissverständnisse aufzuweisen, die in der Geschichtswissenschaft dann entstehen, wenn man die eurozentrisch bedingten historiographischen Kategorien auf das Feld der Globalgeschichte anzuwenden versucht. Das ist einerseits so zu verstehen, dass nicht nur die Kategorie Grenze selbst als Missverständnis aufzufassen ist, andererseits auch so, dass in historischen Situationen tatsächliche Grenzmissverständnisse – wie Streitigkeiten, Konflikte, Nicht-Beachtung bzw. Nicht-Anerkennung des Anderen bis hin zu kriegerischen Auseinandersetzungen – die Geltung des Kategorienproblems evident werden lassen. Gefragt wird danach, ob nicht die in der europäischen Geistesgeschichte tief wurzelnden Vorstellungen von Grenzen dafür verantwortlich gezeichnet werden können, dass es im Umgang mit der Geschichte des sogenannten Anderen in anderen Weltteilen häufig zu Miss-, ja sogar Unverständnissen zwischen dualistisch aufgefassten Kulturen kommt. Es scheint den bisherigen Debatten über die Geschichte des „Kulturkontakts“, des „clash of cultures“, der kulturellen „Hybridität“, „Osmose“ oder „métissage“ die Annahme einer prinzipiellen Dualität zugrunde zu liegen, die als eigene analytische Kategorie kaum hinterfragbar erscheint. Der Wahl solch geometrischer wie auch biologischer Metaphern für die Umschreibung historischer Phänomene geht dabei nicht immer die reflexive Bewusstheit über die dabei schon gezogene Grenze einher. Auch die Rede von der histoire croisée oder den entangled histories widerspricht nicht dem generellen Eindruck, dass derartige historische Analysebegriffe den Regeln einer geometrischen Rasterordnung folgen. Doch gerade im Zusammenhang mit der Beschreibung globalgeschichtlicher Phänomene scheint dieses Erzähldispositiv an seine eigenen (europäischen) Grenzen zu stoßen. Anstatt der fein abgegrenzten Ordnung der großen Meistererzählungen zeigt sich Geschichte aus einer globalen Perspektive offen und verflüssigt, als „shattered past“ (Michael Geyer / Konrad H. Jarausch), die sich nur mit einem neuen, von seinen vermeintlich selbstverständlichen Grundannahmen befreiten, transnationalen und transdisziplinär ausgestatteten Begriffsapparat angemessen verstehen lässt.

Ausgehend von diesen kritischen Überlegungen sollen die Redebeiträge dieser Sektion an Beispielen aus der Geschichte von drei Weltteilen – Afrika, Asien und Australien – im Zeitraum von etwa 1500 bis um 1900 zeigen, wie europäische Vereinnahmung nicht nur im Sinne territorialer, sondern im weiteren Sinne der sprachlich-begrifflichen und wissenssoziologischen Grenzziehung stattfand und die Anerkennung alternativer Hermeneutiken schon im Ansatz verhinderte. Es zeichnet sich ab, dass insbesondere in kolonialen Kontexten Grenzen gesetzt bzw. auf Karten gezeichnet wurden und dabei vornehmlich ein europäisches/westliches Verständnis von Grenzen exportiert wurde. Die Frage ist jedoch, ob diese Grenzen auch Geltung erlangten, ob sie – und wenn ja, von wem sie – anerkannt wurden. Unterschiedliche Grenzpraktiken und -wahrnehmungen verschiedener Akteure in Bezug auf eine wie auch immer geartete Grenze verweisen nicht nur auf die Fragilität des Konzepts, sondern auf die potentielle Gestaltungskraft aller an dem Prozess der Konstitution dieser Raumfigur beteiligten Akteure.

Die Präsentationsform der Sektion ist so angelegt, dass das Problem der Grenzmissverständnisse in einer Einleitung konzentrisch so einzukreisen ist, in dem die bisherigen Theoriedebatten zu Grenzen rekapituliert und hinsichtlich ihrer inhärenten Bedingtheit und Abhängigkeit vom europäischen Denkrahmen untersucht werden (Territorialität, Linearität). Nach den einzelnen Vorträgen, die Fälle solch in doppeltem Sinne verstandenen Grenzmissverständnisse in verschiedenen kulturellen Kontexten vorstellen, finden Diskussionen statt und zum Schluss soll ein Kommentar die Ergebnisse des Panels unter den erkenntnisleitenden Gesichtspunkten „Sprache und Grenze“ (Wie sprechen wir über Grenzen? Wie könnten sich Grenzphänomene in der Geschichte beschreiben lassen?) resümieren.

Vorträge Epoche
Grenztheorie-Diskurse und Grenzmissverständnisse in der Praxis der Globalgeschichtsschreibung Frühe Neuzeit
Grenzenlos eingrenzen Frühe Neuzeit
Schwarze deutsche Kolonialsoldaten und die Ambivalenz der kolonialen frontier Frühe Neuzeit
Siedlerimperialismus in Australien. Frontier, Landnahme und Sozio-Ökologische Systeme Frühe Neuzeit
Wissen als Träger und Bedingung imperialer Grenzvorstellungen im Verhältnis von Europa und Afrika Frühe Neuzeit
Kommentar: Raumfiguren und Grenz-Sprachen Frühe Neuzeit