Andreea Badea Irene van Renswoude (Sektionsleitung)

Echte Fälschungen? Echtheit, Fälschung und Methoden der Validierung (9.–19. Jahrhundert)

Download iCal

Abstract

Was betrachten wir heute als „authentisches“ historisches Wissen und auf welche Fakten baut dieses Wissen auf? Wie wurden solche Fakten überhaupt generiert und wie validiert?

Fakten sind mediale Erzeugnisse, die in der Regel über Texte oder Artefakte kommuniziert wurden. Doch wie wurden sie gesichert? Welcher Strategien bediente man sich in der Vormoderne, um sie zu validieren, um ihnen die Fragilität zu nehmen und um sie zu authentifizieren?

Über Jahrhunderte war die Validierung von Texten oder Objekten Aufgabe diverser Experten. Sie entwickelten Prüfverfahren, um ihre Untersuchungsgegenstände als authentisch zu deklarieren und ihnen oblag es, Echtes von Fälschungen zu unterscheiden. Aber wie viel Gewicht wurde den Experten zu- und der Bedeutung ihrer Person (Steven Shapin) beigemessen und welche Rolle spielten spezifische gelehrte Praktiken und Methoden? Die fünf Beiträge nehmen beides in den Blick, sowohl die Akteure als auch die Praktiken der Verifizierung, Authentifizierung und Validierung zwischen Frühmittelalter und dem 19. Jahrhundert.

Wer entscheidet in diesen Fällen, was authentisch ist und was nicht? Aus welcher gesellschaftlichen Position heraus handeln die Entscheidungstragenden bzw. wie legitimieren sie ihre Autorität? Und welche Rolle spielten der Verdacht der Täuschung bzw. Falschaussage oder gar die bewusste Täuschung?

Fälschungen hatten in der Regel eine sehr klare Aufgabe; sie sollten Fakten schaffen, von denen bestimmte Akteure auf wirtschaftlicher, politischer bzw. religionspolitischer oder gesellschaftlicher Ebene profitierten. Zugleich spielten sie aber eine zentrale Rolle bei der Entwicklung kritischer Methoden und Prozeduren der Validierung (Anthony Grafton)?

Die Beiträge dieses Panels konzentrieren sich auf umstrittene Texte und Artefakte, die von den Bleibüchern von Granada, über frühmittelalterliche anonyme Traktate und Zeugnisse mystischer Erfahrungen bis hin zur Datierung und Prüfung von Reliquien und Dinosaurierskeletten reichen.

Andreea Badea (Frankfurt am Main)
Einleitung
Irene van Renswoude (Amsterdam)
‘Anonymity is authenticity?’ Anonymous, pseudonymous and false texts in the early middle ages

Im frühen Mittelalter wurden viele medizinische, astronomische, liturgische und theologische Texte anonym oder pseudonym überliefert. Zwar verfügten diese Texte gerade deshalb über weniger Autorität als Texte derer Autoren bekannt waren, dennoch wurden sie weiterhin kopiert und in Umlauf gebracht. Doch wie konnte ihr fragiler Status definiert werden? Welcher Methoden bedienten sich Experten, um solches anonym oder pseudonym verfasstes Wissen zu validieren bzw. zu authentifizieren? Und inwiefern wurde das Fehlen des Autors als Bedrohung für die erkenntnistheoretische Ordnung betrachtet? Oder eröffnete die Anonymität nicht vielmehr einen Raum für die Diskussion neuer Ideen?

Isabel Iribarren (Strasbourg)
Late-medieval visionary experiences and the authentification of the “revealed fact”

 

Der Vortrag beschäftigt sich mit rhetorischen und sozialen Strategien der Konstruktion visionärer Zeugnisse so genannter prophetischer Seherinnen. Die schriftliche Übertragung von Offenbarungen in erzählerische Form, also das „virtuelle Zeugnis“ (Shapin; Schaffer) bietet Lesenden die Möglichkeit, „offenbarte Tatsachen“ als authentische Fakten wahrzunehmen. Doch welcher Methoden bedienten sich die Akteure, um solche Offenbarungen und Visionen einzuordnen? Wie prüften sie die Glaubwürdigkeit der Zeugen, ihre Vertrauenswürdigkeit und moralischen Integrität? Und schließlich. Wie gefährdeten solche „virtuellen Zeugnisse“ die Normativität der sozialen und politischen Ordnung mit ihrem Anspruch auf faktische Richtigkeit?

Renée Schilling (Amsterdam)
Seals of approval. Means and methods to authenticate saints’ relics (9th - 18th c)

Am Beispiel des Kultes von St. Rombout in Mechelen werden die Methoden diskutiert, die im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit angewandt wurden, um die Authentizität und Verehrungswürdigkeit bestimmter Reliquien zu belegen. Welche Rolle spielten die verschiedenen Echtheitsmerkmale wie die Assoziation der Reliquien mit Wundern, die schriftlichen Belege über den Heiligen sowie die Qualität zuverlässiger Zeugen des Kultes und der Materialität der Verehrung im Laufe der Zeit? Und zuletzt: Wie veränderte sich die allgemeine gesellschaftliche Rolle der Reliquien und die Einstellung zu deren vermeintlichen Echtheit zwischen dem neunten und dem achtzehnten Jahrhundert?

Ilja Nieuwland (Amsterdam)
Die vielen Dimensionen von Albert Kochs Chimären - Formen der Autorität in paläontologischen Exponate des 19. und 20. Jahrhunderts

Der Vortrag beschäftigt sich mit der Chimären-Inszenierungen des Schaustellers Alfred Koch in den 1840er Jahren und erörtert die wissenschaftlichen Debatten, die er mit seinen Konstruktionen aus fossilen Knochen in der zeitgenössischen Biologie und Paläontologie losgetreten hatte. Koch fiel auf, weil er religiöse und wissenschaftliche Quellen verband, um die Authentizität seiner Gebilde zu belegen. Damit schuf er unwidersprochen Fakten und überzeugte in spektakulären, theatralischen Inszenierungen ein großes Publikum. Seine Strategie provozierte die akademische Welt, die seine Objekte und seine Thesen dekonstruierte und so einen wichtigen Impuls zur Verwissenschaftlichung diverser Disziplinen gab.

Ihr Feedback