Joël Glasman Cassandra Mark-Thiesen (Sektionsleitung)

Afroglobale Geschichte der Gegenwart (Beiträge zur Theorie der Globalgeschichte)

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Abstract

Der Großteil der Global History konzentriert sich auf die eurasische und nordamerikanische Erfahrung. In den letzten Jahren haben jedoch neue Werke zunehmend versucht, afrikanische Erfahrungen zu integrieren. Wie wirken diese Arbeiten auf unser Verständnis der Globalgeschichte aus?

Wir diskutieren in dieser Sektion Möglichkeiten und Grenzen einer afroglobalen Geschichte der Gegenwart. Damit meinen wir eine neue Erzählung über die Geschichte des Planetarischen, die sich vom Mainstream der Globalgeschichte und ihrem Fokus auf Integration und Konvergenz löst. Die afroglobale Geschichte ist von kritischen Impulsen geprägt, einschließlich radikaler Geschichte und dekolonialer Studien, bleibt aber einem empirischen Ansatz verpflichtet, der ethnografische und archivarische Forschung in den Vordergrund setzt. Bereits Ende der 2010er Jahre wurde klar, dass Globalgeschichte nicht gut altern würde. Wie führende Globalhistoriker feststellten, wurde das Feld wurde tendenziell "überschätzt" (Roland Wenzlhuemer) und hatte "einen Punkt erreicht, an dem die Erträge abnehmen" (David Bell). Während die erste Salve durch die Rückkehr von Nationalismus und Rassismus an die Spitze der Weltpolitik nach den Präsidentschaftswahlen von Trump ausgelöst wurde, wurde der

Coup de grâce von Covid19 gegeben. Während das Wort "global" in öffentlichen Debatten eher mit Pandemie und Katastrophe als mit Verflechtung und Integration assoziiert wurde, begannen selbst die enthusiastischsten Befürworter der globalen Geschichte, ihre Zweifel zu äußern. Diese kürzlich geäußerten Zweifel hätten schon früher auftreten müssen. Es ist ja nicht so, dass es keine Warnungen gegeben hätte. Eine wichtige und frühe Kritik an der globalen Geschichtsperspektive kam von Historiker:nnen aus dem globalen Süden, die immer wieder ihre Besorgnis darüber zum Ausdruck brachten, dass die Globalgeschichte die nicht-westlichen Erfahrungen nicht berücksichtigt. Toyin Falola bezeichnet die Globalgeschichte als "nicht mehr als eine Übergangserzählung zur Globalisierung" und als "eine Erzählung über die westliche Macht und ihre Expansion". Vor mehr als 20 Jahren kritisierte Frederick Cooper das Konzept der Globalisierung aus dem Blickwinkel der afrikanischen Geschichte. Sein Artikel wurde oft zitiert. Doch obwohl Cooper aufzeigte, dass die afrikanischen Erfahrungen nicht in die Form der "Globalisierung" passen, verwendet ein Großteil der Literatur den Begriff weiterhin als theoretische Grundlage. Globalgeschichtliche Überblickswerke nutzen weiterhin Konzepte von "Integration", "Globalisierung" und "Konvergenz", als ob es postkoloniale und radikale Kritik nie gegeben hätte. Diese Sektion Panel befasst sich mit Perspektiven auf die globale Geschichte, die die afrikanische Geschichte voll berücksichtigen.

Joël Glasman (Bayreuth)
Einführung: Was heißt ‚Afroglobale Geschichtsschreibung‘?
Robert Heinze (Paris)
Globalgeschichte, aus der Peripherie geschrieben: Samir Amin und der Begriff des Eurozentrismus
Der Vorwurf an die Globalgeschichte, sie sei eurozentrisch, begleitet sie seit ihren Anfängen. Dabei wird allerdings übersehen, dass der Begriff des Eurozentrismus zuerst von dem ägyptischen Ökonomen Samir Amin ausgerechnet in einer Kritik an Said entwickelt wurde. Amin zeigte auf, wie ein konzeptioneller Eurozentrismus die Weltgeschichte verzerrte, und entwickelte in der Auseinandersetzung mit Said und den marxistischen Theoretikern im Westen und globalen Süden ein alternatives, multipolares Modell zur Konzeptionalisierung einer solchen, die lokale Besonderheiten und globale Vernetzungen jenseits von Europa berücksichtigte. Der Vortrag stellt Amins Modell in den Kontext seiner wissenschaftlichen und politischen Tätigkeiten und zeigt den Einfluss Amins in den Debatten der Siebziger und Achtziger Jahre um die Relevanz der Weltsystemtheorie und der Geschichte des globalen Kapitalismus auf.
Katharina Oke (Graz)
Global history of Information Infrastructures in Lagos

This contribution seeks to reflect on “global history” against the background of research on print culture in Lagos, ongoing work on artisans and craftspeople in West Africa, as well as efforts to develop an online resource that brings together various voices and perspectives on global history. It is therefore informed by how Lagosians navigated emerging “global” information infrastructures, African perspectives on the “global” history of capitalism, and reflections on working on compiling a resource that seeks to contribute to a multifaceted approach to global history.

Sarah Bellows-Blakely (Berlin)
Erasures, Silencing, and Frictions in Afroglobal Histories
In a 2018 essay for the London Review of Books, Mahmood Mamdani argued for the need to decolonize African universities and the epistemologies underpinning scholarship on Africa. One component of this decolonization, he argued, was for knowledge production “to strike the right balance between the local and the global.” For Mamdani, someone who analytically used a “global” approach was “a scholar who takes no account of boundaries.” Despite this rosy view of “the global” as a boundaryless, ultra–connected space (a common definition from both proponents and critics of global methodologies alike), recent approaches to the global – and, for the purposes of this panel, to global histories – have theorized the processes through which connection and disconnection, circulation and non–circulation, and amplification and silencing have occurred in mutually constitutive ways. These methodologies, such as anthropologist Anna Lowenhaupt Tsing’s nearly twenty–year–old work on frictions, define “the global” as a space not free from boundaries, but one in which various kinds of boundaries are constantly negotiated and chafe against one another in ways that are as productive as they are violent. Building on this scholarship, I argue in this paper for a merger of particular models of global history with African history. Using examples from my own research on the contested rise of girl–focused economic development programming within East Africa and the United Nations, as well as from existing scholarship, I discuss the methodological possibilities, lingering tensions, contradictions, and fraught alliances embedded in the practice of an Afroglobal history that pays as much attention to the maintenance of boundaries as it does to the transgression and erasures of them.
Yacouba Banhoro (Ouagadougou)
Politische Krisen in der ECOWAS und Globalisierung

Mit der Beschleunigung des Globalisierungsprozesses nach dem Fall der Berliner Mauer wurden Historiker dazu ermutigt, sich an der globalen Geschichtsschreibung zu beteiligen (Michel Wieviorka et al., 2015). Der Machtantritt von Donald Trump in den USA scheint den Beginn eines Prozesses der „De-Globalisierung“ eingeläutet zu haben, dessen Geschichte noch geschrieben werden muss. Wir gehen davon aus, dass Afrika, das an die Globalisierung angedockt ist, auch unter den neuen Bedingungen der „De-Globalisierung“ noch angedockt ist. In einigen afrikanischen Ländern etablieren sich zunehmend nationalistische Diskurse und Kräfte, was die Frage nach der Zukunft der Globalisierung und der Hoffnung auf eine globale Geschichte aufwirft. In dieser Arbeit werden wir versuchen, durch eine Analyse der politischen Nachrichten in den Medien zu sehen, wie der Diskurs, der die Probleme einiger ECOWAS-Länder widerspiegelt, eher einer nationalistischen als einer globalistischen Rationalität folgt, indem wir die Interpretation bestimmter Faktoren der Vereinheitlichung oder Konvergenz der Weltgesellschaften wie Demokratie, wirtschaftlicher Liberalismus und globale Gesundheit bewerten.

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