Christoph Nübel (Sektionsleitung)

The Contentious Leviathan. Statehood and Armed Forces in the Federal Republic of Germany

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Abstract

Numerous studies have impressively shown that statehood and armed forces were inseparably linked in modern times. However, this connection is hardly taken into account in German contemporary history, which has long followed guiding perspectives such as liberalization or civilization. This is where the section comes in and shows that the military during the Cold War was a formative factor in the politics, society and culture of the Federal Republic. The military was particularly controversial because it was associated with the Nazi past and its existence ran counter to the ideal of renouncing violence. At the same time, political decision-makers did not want to do without armed forces, as they still embodied sovereignty, which was long limited in West Germany.

 

This topic discusses central problems of German contemporary history. It is viewed in trans- and international contexts to broaden the national perspective. Using five case studies, the section shows that hegemonic notions of ideas and practices "of the state" gradually eroded. Its claims to legitimacy and tasks became the subject of a discourse that moved between two poles: armed force was perceived on the one hand as a sign of state sovereignty and security and on the other hand as a threat to peace and democracy. Overall, the section makes it clear that research on statehood should include the armed forces: first, because their controversy significantly shaped democratic culture; and second, because potential for violence remained part of statehood even after 1945. This opens up a perspective that does not continue the history of the Federal Republic along entrenched paths, but further pluralizes it.

 

Moderation: Heike Wieters (Berlin)

Christoph Nübel (Potsdam)
Staatlichkeit und Streitkräfte als Forschungsproblem

Die einführenden Bemerkungen verdeutlichen, dass das Militärische die deutsche Zeitgeschichte entscheidend mitgeprägt hat. Mit einem Blick auf die aktuelle Forschung wird gezeigt, wo es Desiderate gibt. Mit einem Fokus auf den Konnex von Staatlichkeit und Streitkräften lassen sich zentrale Probleme der deutschen Geschichte im internationalen Kontext untersuchen.

Thorsten Loch (Potsdam)
Staatsverständnis der Generalität von Bundesrepublik und DDR

Mit ihrer Rekrutierung der militärischen Elite schuf sich die DDR ein Offizierkorps, in dem die politische Haltung gegenüber dem Einparteienstaat die Herausbildung eines komplexen Staatsverständnisses ersetzte. In der Bundesrepublik hingegen ließ die bedingte Elitenkontinuität die Generale an ein frühromantisches Staatsverständnis anknüpfen, in dem „der Staat“ zu einer Letztinstanz geworden war, dem auch der Herrscher unterworfen blieb. Insofern folgten sie Adenauers Westpolitik und der damit verbundenen Annahme der parlamentarischen Demokratie letztlich aus der Überzeugung, dass eine zwar integrierte, aber souveräne deutsche Staatlichkeit nur durch die Anlehnung an die USA möglich sein würde.

Beatrice de Graaf (Utrecht)
Zwischen Polizeistaat und Panzerschlacht. Wechselseitige Wahrnehmungen von Militäreinsätzen im Innern in der niederländischen und westdeutschen Öffentlichkeit

Thema sind die wechselseitigen Wahrnehmungen in der niederländischen und westdeutschen Gesellschaft und Öffentlichkeit im Hinblick auf die „Straßenschlachten“ in den 1970er Jahren. Proteste forderten in beiden Staaten das staatliche Gewaltmonopol unmittelbar heraus. Die Amsterdamer Polizei zog die niederländischen Streitkräfte zur Unterstützung hinzu, und setzte sogar Panzerfahrzeuge gegen Demonstranten ein. Westdeutsche und niederländische Beobachter zogen dabei neue Grenzen zwischen Staat und Opposition, wobei die Protestbewegung in den beiden Ländern zu unterschiedlichen politischen und parlamentarischen Rückschlüssen hinsichtlich der Bedeutung der Staatsgewalt führten.

Christoph Nübel (Potsdam)
Staatsskepsis, Demokratisierungswelle, Revolution. Das Bundesministerium der Verteidigung und „1968“ in Europa

Der Beitrag untersucht die Sicht des Bonner Verteidigungsministeriums (BMVg) auf „1968“. Er fragt, inwiefern Proteste und Störaktionen gegen die Bundeswehr als (il-)legitim wahrgenommen und welche Gegenmaßnahmen ergriffen wurden. Als besonders gefährlich galten kommunistische Einflüsse aus der DDR sowie westeuropäische Kriegsdienstverweigerer-Netzwerke, die die Wehrbereitschaft der Soldaten zu untergraben drohten. Der Vortrag zeigt exemplarisch, wie sich „1968“ das Staats- und Demokratieverständnis in einer obersten Bundesbehörde wandelte.

Holger Nehring (Stirling)
Für eine andere Sicherheit: Frieden, Militär und Staatsvorstellungen in den britischen und bundesdeutschen Friedensbewegungen seit den 1950er Jahren

Mein Referat blickt in einem asymmetrischen Vergleich mit den britischen Bewegungen gegen Nuklearwaffen (Campaign for Nuclear Disarmament, CND) auf die Vorstellungen von Staatlichkeit und Militär in Westdeutschland seit den 1950er Jahren. Es zeigt auf, wie sich in den Debatten der westdeutschen Friedensbewegungen eine viel größere Staatsskepsis als in Großbritannien offenbarte. Dieses „verletzte Staatsbürgertum“ (Michael Geyer) speiste sich aus den Erfahrungen und Erinnerungen an die Gewalt des Zweiten Weltkriegs. Anders als in Großbritannien implizierte das Sprechen über Staatsgewalt damit immer auch ein Sprechen über die von Deutschen verübte genozidale Gewalt des Zweiten Weltkriegs.

Christine G. Krüger (Bonn)
Die Bedeutung des Militärs in der Staatskritik westdeutscher und britischer Hausbesetzer:innen

Dass das Militär für Hausbesetzer:innen der 1970/80er Jahre – in unterschiedlichster Weise – einen wichtigen Referenzpunkt darstellte, mag überraschen, richtete sich ihr Aktivismus doch vor allem gegen die staatliche Wohnungsmarktpolitik. Westdeutsche Hausbesetzer:innen rechtfertigten ihre Gewaltbereitschaft, indem sie ihren Protest als Widerstand gegen einen der NS-Vergangenheit verhafteten Militärstaat deuteten. Londoner Squatter indes stellten sich gern in die Tradition britischer Veteranen, definierten sich so als Teil der nationalen Gemeinschaft und appellierten an die staatliche Fürsorgepflicht. Hier zeigt sich, wie stark hier wie dort Staatlichkeit und Militär zusammengedacht wurden.

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