Reichtum. Zur Geschichte einer umstrittenen Sozialfigur

JOCHEN JOHRENDT (Wuppertal)
Reichtum als legitimes Distinktionsmittel? Möglichkeiten und Grenzen im Hochmittelalter

ARNE KARSTEN (Wuppertal)
Venedigs Reichtum im Urteil von Zeitgenossen und Nachwelt

WINFRIED SÜSS (Potsdam)
Das „große Zauberwort der Zeit“. Reichtumskonflikte im 19. Jahrhundert

EVA MARIA GAJEK (Gießen)
Zeigen und Verbergen. Inszenierungen von Reichtum in Medien und Öffentlichkeit im 20. Jahrhundert

BERTHOLD VOGEL (Hamburg/Göttingen)
Kommentar

Abstract:
In den Debatten der Gegenwart ist das Thema Reichtum nahezu allgegenwärtig. Während Reichtum in der Populärkultur als Leitbild der Lebensorientierung geradezu Züge einer Ersatzreligion annimmt, wird die Reichtumsentwicklung als Element zunehmender sozialer Polarisierungen kontrovers diskutiert. Die Sektion möchte einen eigenen Akzent in der Debatte um Gewinner und Verlierer sozialer Polarisierungen setzen, indem sie Reichtum als sozial konstruierte und kulturell kontextualisierte Kategorie historisiert. Dazu wählt sie einen epochenübergreifenden Ansatz.
Die öffentliche Aufmerksamkeit für das Thema Reichtum steht im deutlichen Gegensatz zur Intensität seiner wissenschaftlichen Bearbeitung. Als Gegenstand sozial- und kulturwissenschaftlicher Forschungen ist Reichtum kaum erschlossen. Bis heute gilt er als „sozialstrukturelle Grauzone“ (Imbusch). Dies lässt sich in noch stärkerem Maß für historische Untersuchungen konstatieren, in denen Reichtum lediglich als Randthema präsent ist. Armut als Extremform materieller Ungleichheit am unteren Rand des Verteilungsspektrums wird seit jeher als soziales Problem ersten Ranges wahrgenommen und zum Gegenstand historischen Fra-gens gemacht. Entsprechende Studien, die Reichtum ins Zentrum stellen, fehlen hingegen weitgehend.
Es gibt indes gute Gründe, sich mit Reichtum in historischer Perspektive zu befassen:
Die Geschichte des Reichtums verweist auf grundlegende Muster der Sozialordnung, auf gesellschaftliche Basiskompromisse und die ihnen zugrunde liegenden Gerechtigkeitsvorstellungen. Die Fragen, wie Reichtum wahrgenommen wurde, welche Formen des Reichtums als legitim galten, wo die Grenzen seines aktiven Einsatzes lagen, welche Begrenzungen als angemessen empfunden wurden und wo Kompensationsmechanismen für soziale Ungleichheitsverhältnisse gefunden werden mussten, waren stets umstritten und wurden in verschiedenen Epochen ganz unterschiedlich beantwortet. In einer übergreifenden Perspektive lässt sich daher fragen, inwiefern veränderte Einstellungen zum Reichtum auf grundlegende sozio-ökonomische und kulturelle Wandlungsprozesse verweisen.
Zweitens stellt die Geschichte des Reichtums eine wichtige Leerstelle in der Geschichte sozialer Ungleichheit und sozialer Ordnungssysteme dar. Sozial- und kulturhistorische Studien richten ihren Blick bisher vor allem auf das untere Ende des materiellen Verteilungsspektrums. Es ist allerdings fraglich, ob z.B. eine Geschichte der Armut ohne Analyse des Reichtums als Komplementärphänomen angemessen geschrieben werden kann, denn Vorstellungen über das gesellschaftlich akzeptierte Ausmaß an Armut waren und sind eng (und v. a. im epochenübergreifenden Vergleich keineswegs immer reziprok) mit den Vorstellungen über Form und Höhe des legitimen/illegitimen Reichtums verknüpft. Die Geschichte des Reichtums kann daher auch einen Beitrag zu einer integrierten Geschichte sozialer Ungleichheit leisten.
Folgende Fragen sollen im Mittelpunkt der geplanten Sektion stehen:
1. Wissensordnungen: Wer galt als reich und was waren die Maßstäbe dafür? Welche Projektionen und kulturellen Repräsentationen verbanden sich mit dem Thema Reichtum? Welche wissenschaftlichen und medialen Konstruktionen bestimmten seine öffentliche und politische Wahrnehmung?
2. Reichtum und soziale Ordnungsideen: Welche Erwartungen richteten sich an Reiche? Welche Formen und Größen von Reichtum galten als legitim und respektabel? Inwiefern wirkten kulturelle Deutungsmuster und soziale Institutionen (wie z.B. das Erbrecht) reichtumsfördernd, reichtumsbegrenzend und reichtumslegitimierend? Welche sozialen Regeln bestimmen die Entstehung, Nutzung und Weitergabe großer Vermögen? In welchem Verhältnis stand Gewinnstreben zu anderen Normsystemen, z.B. religiösen Werten?
3. Reichtum als Handlungsvermögen: Reichtum schafft epochenübergreifend Handlungschancen, die weit über die materielle Dimension hinausreichen. Welcher Zusammenhang bestand in unterschiedlichen historischen Konstellationen zwischen Reichtum und politischer Herrschaft? Unter welchen Bedingungen ließ sich Reichtum in politischen Einfluss ummünzen? Welche Beziehungen bestanden zwischen Reichtum und Sozialstatus, und wann ermöglichten große Vermögen den Beitritt zur politischen Machtelite? Umgekehrt wird auch danach zu fragen sein, wo Politik die Bedingungen für die Akkumulation und Weitergabe großer Vermögen prägte.

English Version:
In current debates the theme of wealth is virtually omnipresent. Whereas in popular culture wealth serves as a leading influence in framing conceptions of life’s purpose and personal fulfilment, the distribution of wealth as an element of increasing social polarization is the subject of heated debate and controversy. This panel wants to present its own take on the debate concerning ‘winners’ and ‘losers’ of social polarizations, by historicizing wealth as a socially constructed and culturally contextualized category. In order to do so, it pursues analysis that cuts across individual historical periods.
Public awareness of the topic ‘wealth’ stands in stark contrast to its position within scholarly investigation and debate. Wealth has barely been examined as a research topic within social and cultural history. Until today, it is counted as a “socio-structural grey-zone” (Imbusch). This tendency is even more discernable in contemporary historiography, in which wealth appears merely as a peripheral topic. Poverty as an extreme form of material inequality within the bottom brackets of income distributions has been made a core element of historical examination. Equivalent studies which place wealth at the centre, are, by contrast, largely lacking.
There are accordingly good reasons to analyse wealth in a historical perspective: The history of wealth points out the key patterns of social order, societal compromises, and contemporary conceptions of justice in individual periods. Questions concerning how wealth was perceived, which forms of wealth were considered legitimate, where the borders of its active deployment lay, which limiting measures on its influence were deemed appropriate and where redistributive mechanisms had to be found for conditions of social inequality, were contested and were answered differently in various periods. In a long-term historical perspective one can analyse how far diverging attitudes to wealth highlight fundamental socio-economic and cultural transformations.
Secondly, the history of wealth fills an important gap in the history of social inequality and of social orders. Works of social and cultural history overwhelmingly direct their attention towards the lower end of the distributive spectrum. It is however questionable, whether a history of poverty can be adequately written, without analysis of wealth as a complimentary phenomenon, for conceptions of socially acceptable degrees of poverty are connected to conceptions concerning the form and extent of legitimate and illegitimate wealth. The history of wealth can therefore also make a contribution to an integrated history of social inequality.
The following questions will form the core of the proposed panel:
1. Orders of Knowledge. Who counted as rich and what were its indicators? Which projections and cultural representations were connected to wealth? Which scholarly and cultural constructions determined public and political attitudes to wealth?
2. Wealth and ideas of social order: Which expectations were made of the wealthy? Which forms and amounts of wealth were considered legitimate and respectable? To what extent did cultural understandings and social institutions (inheritance, for example) serve to increase, restrict or legitimate wealth? Which social rules determined the emergence, use and passing on of great fortunes? In which relationship to other value systems did the pursuit of financial gain stand?
3. Wealth as a creator of opportunities: Wealth creates a range of opportunities for actors across historical periods, which extend beyond purely material contexts. Which relationship existed between wealth and political rule in various historic constellations? Under what circumstances did wealth allow itself to be converted into political influence? Which relationships existed between wealth and social status, and when did great fortunes facilitate entrance into the political elite? It will also, by contrast, be necessary to question where politics formed the preconditions for the accumulation of, and passing on, of great wealth.