Debatten

Der Historikertag ist das Forum der Geschichtswissenschaft und als größte geisteswissenschaftliche Konferenz an einer deutschen Universität weit mehr als ein Ort des fachwissenschaftlichen Austauschs. Traditionell findet hier auch eine Auseinandersetzung mit wissenschaftspolitischen Entwicklungen statt. Es werden Impulse gesetzt, die über das Fach hinaus relevant sind. Auf dem Historikertag in Bonn wird diesen Diskussionen erstmals eine eigene Bühne geboten.

In den als „Debatte“ ausgewiesenen Veranstaltungen finden Podiumsdiskussionen statt, die brennende Themen des Wissenschaftsbetriebs aufgreifen, aus der Perspektive von „Dynamiken der Macht“ beleuchten und neue Perspektiven entwickeln. Insgesamt sechs dieser Debatten widmen sich in Bonn aktuellen Kontroversen – vom Schutz vor Machtmissbrauch und den prekären Arbeitsverhältnissen im akademischen Betrieb über Antisemitismus und die Machtverhältnisse im Publikationswesen bis hin zu Fragen des Forschungsdatenmanagements und den Einflüssen von Künstlicher Intelligenz auf die Wissenschaft.

Der Besuch der „Debatten“ ist in den Konferenz- und Tagestickets enthalten.

Alle Debatten auf einen Blick

Der Besuch der „Debatten“ ist in den Konferenz- und Tagestickets enthalten.Mittwoch, 17. September, 8:30-10:10 Uhr, Hörsaal 1

Machtmissbrauch und zwischenmenschliches Fehlverhalten machen auch vor der Geschichtswissenschaft nicht halt. Die Anfang 2025 durch den Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands (VHD) durchgeführte anonyme Onlineumfrage gibt einen systematischen Einblick in die Arbeitsrealität von Historiker:innen: der Blick ins Dekolleté, die bei Veranstaltungen öffentlich vor allen angeschriene Mitarbeiterin, der am Ende dann doch nicht verlängerte Vertrag, mit dem ein Kollege lange zu unbezahlter Mehrarbeit verlockt wurde, das Ausgeben fremder Arbeitsergebnisse als eigene, … Vier von fünf Teilnehmer:innen der Umfrage gaben an, Machtmissbrauch und zwischenmenschliches Fehlverhalten im geschichtswissenschaftlichen Arbeitsalltag an Universitäten und außeruniversitären Forschungs- und Vermittlungseinrichtungen erlebt oder beobachtet haben.
Dabei ist Machtmissbrauch und zwischenmenschliches Fehlverhalten nicht als „Ausfall“ Einzelner zu verstehen, sondern der Blick muss auf strukturelle Bedingungen gelenkt werden, die diese Fälle nicht verhindern, wenn nicht sogar begünstigen. Hier muss ein Kulturwandel im Fach ansetzen, damit Orte, an denen Geschichte gelehrt, erforscht oder vermittelt wird, keinen Raum für Machtmissbrauch bieten. Der VHD hat im Mai 2025 ein Leitbild veröffentlicht, das die Spannungsfelder in hierarchischen Organisationsformen sowie die Abhängigkeiten einzelner Gruppen (Promovierende, Postdocs, Privatdozent:innen, wissenschaftliche Mitarbeiter:innen auf Projekt- und Haushaltsstellen) benennt. Es geht darin auch um Maßnahmen, die wir als Geschichtswissenschaft als Ganzes und auch als einzelne Historiker:innen umsetzen können, um gemeinsam Machtmissbrauch in Betreuungsverhältnissen, in wissenschaftlichen Arbeitskontexten, bei Begutachtungsverfahren und bei Begehungen sowie bei der Publikation jeglicher Arbeitsergebnisse zu verhindern.
Die Podiumsdiskussion auf dem Historikertag schließt an vor zwei Jahren in Leipzig aufgeworfene Schilderungen von Machtmissbrauch an, greift die Umfrageergebnisse auf und stellt das VHD-Leitbild zur Diskussion. Die lösungsorientierte Sicht auf den Status Quo in der Geschichtswissenschaft und an historischen Einrichtungen ist dabei entscheidend. Von einer transdisziplinären Perspektive durch Bettina Böhm (Generalsekretärin der Leibniz Gemeinschaft) und einer infrastrukturellen Perspektive kommend (angefragt ist Susanne Menzel-Riel, Hochschulrektorenkonferenz), liegt der Fokus dann auf der Geschichtswissenschaft: Welche Maßnahmen an verschiedenen geschichtswissenschaftlichen Einrichtungen wurden bereits ausprobiert, welche haben sich bewährt, welche nicht? Die Diskutant:innen Antje Flüchter, Helene Henze und Lutz Raphael haben als Mitglieder der AG Fachethische Fragen an Umfrage und Leitbild maßgeblich mitgearbeitet. Mit Henze sitzt die Vertreterin der Promovierende im VHD auf dem Podium, einer vulnerablen Gruppe, die von Machtasymmetrien während der Promotionsphase besonders betroffen ist. Flüchter und Raphael bringen Erfahrungen aus der professoralen Perspektive ein. Für die Mitglieder des VHD-Vorstands bzw. Ausschuss steht auch die Frage im Raum, wie ein Verband wie der VHD mit 3200 Mitgliedern den Kulturwandel mittragen kann.
Alle relevanten Unterlagen (Umfrageergebnisse sowie Leitbild) und Hintergründe zum Engagement des VHD beim Thema Machtmissbrauch sind unter https://www.historikerverband.de/machtmissbrauch/ zusammengestellt.

Mittwoch, 17. September 2025, 10:30–12:10 Uhr, Hörsaal 10

In welchem Machtgefüge (ent-)stehen geschichtswissenschaftliche Fachzeitschriften? Welche Dynamiken gibt es zwischen Autor:innen, Leser:innen, Herausgeber:innen, Redaktionen, Verlagen und weiteren Akteur:innen im Wissenschaftssystem? Das Panel richtet sich an alle, die Zeitschriften mitgestalten, besonders auch an Forscher:innen, die dort publizieren möchten. Was können und sollen Zeitschriften für die Fachkommunikation der Geschichtswissenschaft leisten?
Als Ausgangspunkt der Diskussion dienen die Ergebnisse einer fächerübergreifenden Umfrage zu den Arbeitsformen und Ressourcen in den Redaktionen sozial- und geisteswissenschaftlicher Zeitschriften. Die personelle und materielle Ausstattung divergiert stark; teilweise stehen die prekären Bedingungen in einem Missverhältnis zum breiten Spektrum der Aufgaben. Gleichwohl ist die Motivation der Redaktionen sehr hoch.
Vor diesem Hintergrund wird das dynamische Machtgeflecht in und um Fachzeitschriften genauer betrachtet. Zentral ist dabei die Frage nach Transparenz und guter Forschungspraxis: Wie lässt sich dem Eindruck der Willkür bei der Annahme oder Ablehnung von Manuskripten entgegenwirken? Welches Maß an Gatekeeping ist notwendig und sinnvoll? Kann (Double-Blind) Peer Review die Diversität von Autor:innen und Themen in Zeitschriften erhöhen, oder reproduzieren Begutachtungsverfahren eher bestehende Ungleichheiten? Welche Leistungen dürfen Autor:innen von Redaktionen erwarten, welche Anforderungen stellen aber auch Redaktionen an Autor:innen?
Vielen Autor:innen erscheinen die Arbeitsabläufe in Zeitschriftenredaktionen als Black Box. Deshalb soll auch die Diskussion mit dem Publikum im Panel genügend Raum erhalten. Es setzt Diskussionen fort, die bereits bei den Deutschen Historikertagen 2021 und 2023 geführt wurden. Dort lag der Fokus auf der Sicht der Herausgeber:innen und der Verlage. Dieses Jahr wird die Perspektive der Redaktionen stärker in den Blick gerückt.

Mittwoch, den 17. September 2025, 14:00–15:40 Uhr, Hörsaal 10

Die globalen Auseinandersetzungen in der Folge des Massakers der Hamas im israelischen Süden am 7. Oktober 2023 und des darauffolgenden Krieges in Gaza haben den Begriff des Antisemitismus in den Fokus vieler, oft aufgeheizter Kontroversen gerückt. Der polemische Holocaustvergleich sowie die Diskreditierung des jeweiligen Gegenübers als „Nazi“ oder „Antisemit“ sind nicht erst durch diesen Konflikt in öffentliche Debatten eingeführt worden, sie erleben seither aber eine außerordentliche Konjunktur – die durch das unterdessen breit vorhandene Wissen über antisemitische Gewalt in der Vergangenheit kaum noch versachlicht wird. Vielmehr wird die Historizität des Antisemitismus zunehmend ausgeblendet, zugunsten einer scheinbar überhistorischen Macht. Gerade in Deutschland drehen sich diese Kontroversen stark um die Definition „des“ Antisemitismus, wobei der Vorschlag der IHRA und jener der Jerusalemer Erklärung konkurrierend im Raum stehen und immer stärker mit politischen Positionierungen in Bezug auf die Gewalt in Israel/Palästina korrelieren.
Doch wie hat der Versuch, Formen des Antisemitismus nicht nur im politischen Leben, sondern auch in der Forschung in binär codierten „Arbeitsdefinitionen“ zu begreifen, derartige Dominanz erlangt? Welche Erfahrungen von Gewalt, Diskriminierung, Ausgrenzung oder Bedrohung lassen sich durch derartige Definitionen historisch wie gegenwärtig noch erfassen, und welche nicht? Und welche anderen Begriffe, Konzepte und Ansätze wären verfügbar und angemessen, um derartige Erfahrungen zu beschreiben? Vor allem: Welche Rolle kann der Verwissenschaftlichung öffentlicher Konflikte noch zukommen, wenn die begrifflichen Grundlagen des Denkens bereits machtvoll politisiert werden, bevor empirische Ergebnisse überhaupt vorliegen? Diesen Fragen widmet sich die Veranstaltung.
Auf dem Podium diskutieren Vertreter/innen verschiedener Perspektiven und Positionen miteinander, die zudem unterschiedliche geographische wie epochale Schwerpunkte der Antisemitismusforschung einbringen. Die Gesprächsteilnehmer/innen werden erstens die Begriffsgeschichte des Antisemitismus in längeren zeitlichen Horizonten abschreiten und nach Kontinuitäten oder Brüchen fragen, zweitens die Spezifik antisemitischer Gewalt im Vergleich zu und in der Verflechtung mit anderen Gewaltkomplexen thematisieren sowie drittens die Verwendung des Begriffs in der Gegenwart und die Rolle der Geschichtswissenschaft in diesem Rahmen beleuchten. Das Gespräch beginnt mit Impulsen der Podiumsteilnehmer/innen, darauf folgt ein moderiertes Panelgespräch sowie anschließend der Austausch mit dem Publikum.

Mittwoch, 17. September 2025, 16:00–17:40 Uhr, Schlosskirche

Die Personalstrukturen im deutschen Wissenschaftssystem sind durch eine starke Hierarchisierung, eine Vielzahl befristeter Stellen und einen Fokus auf die Professur als zentrale Dauerposition geprägt. Die wichtigsten Merkmale und aktuellen Entwicklungen sind eine starke hierarchische Gliederung und Stellenkategorien. Das wissenschaftliche Personal an deutschen Hochschulen umfasst Professor:innen, wissenschaftliche Mitarbeiter:innen (inkl. Postdocs und Promovierende), Dozent:innen, Assistent:innen sowie Lehrkräfte für besondere Aufgaben, wobei wissenschaftliche Mitarbeiter:innen den größten Anteil des hauptberuflichen wissenschaftlichen Personals darstellen. Die klassische Karriere führt über Promotion, Postdoc-Phase und ggf. Juniorprofessur zur Lebenszeitprofessur (W2/W3).
Ein Großteil der wissenschaftlichen Stellen – insbesondere vor der Professur – ist befristet und bietet wenig Planungssicherheit. Die Karrierewege gelten als unsicher, langwierig und intransparent, was die Attraktivität des Systems für nationale und internationale Talente beeinträchtigt.
Reformen wie die Einführung der Tenure-Track-Professur oder Juniorprofessuren haben sich mit dauerhaften Perspektiven vor allem in der Naturwissenschaft oder Medizin etabliert. In den Geisteswissenschaften werden die geringe Zahl an Dauerstellen neben der Professur, unklare Personalkategorien und fehlende individuelle Entwicklungsmöglichkeiten kritisiert. Es gibt Forderungen nach einer Abkehr vom traditionellen Lehrstuhlprinzip hin zu Department-Strukturen mit mehr Teamorientierung und einer Ausweitung unbefristeter Stellen.
Der Wissenschaftsrat und betont in einem neuen Papier zu Personalstrukturen die Notwendigkeit eines Kulturwandels, um die Wissenschaft als attraktiven Arbeitsmarkt zu gestalten und international anschlussfähig zu bleiben.
Das deutsche Wissenschaftssystem befindet sich in einem Wandel: Während die Professur weiterhin die zentrale Dauerposition darstellt, werden durch Programme wie Tenure Track und die Diskussion um Department-Strukturen neue Impulse für eine diversifizierte und nachhaltigere Personalstruktur gesetzt. Die Herausforderungen liegen insbesondere in der Schaffung attraktiver, planbarer Karrierewege und der Erhöhung des Anteils unbefristeter Stellen.
Über diese Aspekte soll bei dieser Podiumsdiskussion debattiert werden. Dabei geht es um die Beschreibung des Status Quo und um Forderungen.

Donnerstag, 18. September 2025, 10:30–12:10 Uhr, Hörsaal 10

Maschinen, die denken wie Menschen? Was in Science-Fiction-Filmen längst Realität ist, bleibt in der Praxis eine Illusion – zumindest vorerst. Der Deutsche Ethikrat stellte 2023 klar: Systeme der Künstlichen Intelligenz (KI) mögen menschliche Fähigkeiten in vielen Bereichen übertreffen, doch ein echtes Pendant zur menschlichen Intelligenz sind sie nicht.
Und doch ist klar: Die Beziehung zwischen Mensch und Maschine ist eine lange und enge – historisch gewachsen, gesellschaftlich verwoben. Maschinen haben Menschen nie vollständig ersetzt, aber sie haben unser Denken, Arbeiten und Leben grundlegend verändert. Gerade deshalb bleibt die Frage spannend: Was ist wirklich neu an der KI von heute?
Die rasanten Fortschritte im Bereich generativer KI, wie sie etwa in Sprachmodellen oder autonomen Systemen sichtbar werden, schüren Erwartungen – und Ängste. Können Maschinen den Menschen überflügeln? Und wenn ja: Was bedeutet das für unser Selbstverständnis? Der Ethikrat warnte einst davor, KI personale Eigenschaften zuzuschreiben – eine Mahnung, die angesichts aktueller Entwicklungen erneut auf den Prüfstand gehört.
Auf dem Historikertag diskutieren führende Köpfe aus Geschichtswissenschaft, Medienforschung, Digital Humanities und Philosophie über genau diese Fragen: Wolfgang Ernst, Andreas Fickers, Martina Heßler, Sebastian Kubon, Catrin Misselhorn und Matteo Valleriani beleuchten das Mensch-Maschine-Verhältnis aus interdisziplinärer Perspektive. Sie fragen: Wie hat sich das Zusammenspiel von Technik und Gesellschaft historisch entwickelt? Wo verlaufen die Grenzen – damals wie heute?
Die Antworten versprechen nicht nur Rückblicke, sondern neue Einsichten in eine der drängendsten Fragen unserer Zeit.

Donnerstag, 18. September 2025, 16:00–17:40 Uhr, Schlosskirche

Forschungsdaten sind in den Arbeitsprozessen der Geschichtswissenschaften angekommen. Quellensammlungen werden als Retrodigitalisierung, Transkription, Übersetzung, in Verzeichnissen, Registern und Datenbanken und mit computergestützten Verfahren digital verarbeitet. Öffentlich sichtbar werden diese Daten jedoch äußerst selten, denn publizierte Daten sind in der historischen Forschung weiterhin eine Ausnahmeerscheinung.
Forschende, die ihre Daten veröffentlichen möchten, blicken zuvor auf eine oft aufwändige Aufbereitung und einen schwer bis unsicher einzuschätzen Gewinn dieser Mühen. Wie ließe sich der Publikationsprozess erleichtern und welche Erträge sind erwartbar? Soll überhaupt jede:r die eigenen Forschungsdaten veröffentlichen oder besser nur in einem Umfeld mit zusätzlichen Ressourcen? Wie lassen sich Barrieren aus der eigenen Fachkultur heraus überwinden und welche gesellschaftliche Relevanz kann die Veröffentlichung von geschichtswissenschaftlichen Forschungsdaten entfalten?
In der Paneldiskussion möchten wir die Potentiale und Herausforderungen einer Datenpublikation aus Sicht von Forschenden in der Geschichtswissenschaft herausarbeiten. Gemeinsam mit dem Publikum sollen explizit auch die Gründe beleuchtet werden, die für und gegen eine Veröffentlichung von Daten sprechen.

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