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Vortragstitel:
Die Transnationalität Europas in der Europa- und in der Weltgeschichtsschreibung der letzten Dekaden
Tag:
01.10.2010
Epoche:
Neuere/Neueste Geschichte
Sektion:
Territoriale Grenzziehungen und Grenzüberschreitungen: Eine transnationale Geschichte Europas

Abstract:

Die Transnationalität Europas in der Europa- und in der Weltgeschichtsschreibung der letzten Dekaden – einige historiographiegeschichtliche Beobachtungen

Referent/in: Katja Naumann, Leipzig / Steffi Marung, Leipzig 


Abstract

Der Vortrag geht der Frage nach, in welcher Form die Transnationalität europäischer Territorialisierungsprozesse in zwei Forschungssträngen der Historiographie thematisiert wird: 1) In der Geschichtsschreibung über die Europäische Union wurden politische Integrationsprozesse innerhalb Europas lange Zeit ohne Referenz auf Verflechtungen mit außereuropäischen Weltregionen historisiert. Europa, insbesondere das EU-Europa erschien dort – stark vereinfachend formuliert – entweder als Resultat regional-kontinentaler Dynamiken (etwa des ‚deutsch-französischen Motors’) oder wesentlich von einzelnen Akteuren wie Robert Schuman oder Jean Monet initiiert. Erst mit dem Ende des Kalten Krieges gerieten diese Interpretationsmuster in Bewegung, wurde der Blick auf außereuropäische Zusammenhänge geweitet und Deutungen formuliert, die die EU-politische Integration nunmehr auch als eine Reaktion auf globale Konstellationen und Vernetzung begreifen. 2) Innerhalb der Welt- und Globalgeschichtsschreibung wurde kulturübergreifenden und transkontinentalen Verflechtungsprozessen, und damit der Verbundenheit europäischer Geschichte mit jener Außereuropas, eine größere Aufmerksamkeit zu Teil. In den letzten zwei Dekaden sind die Rückwirkungen der imperialen und kolonialen Konstellationen auf europäische Gesellschaften näher untersucht worden, ebenso wie jene eurozentrische Sichtweise aufgebrochen wurde, die globale Integration als ein von Europa hervorgebrachtes und vorangetriebenes Projekt beschrieben hatte. Jedoch finden sich in den Bemühungen um eine Provinzialisierung Europas kaum Ansätze, innereuropäische Integrationsprozesse aus globalen Bedingungsgefügen heraus zu deuten.

Die zaghafte Öffnung der EU-Geschichtsschreibung gegenüber transnationalen und globalen Dynamiken einerseits und die Randständigkeit von Europäisierung innerhalb des neuen globalhistorischen Interesses andererseits legt die Vermutung nahe, dass eine Integration beider Perspektiven Anregungen für die Rekonstruktion der Transnationalität von europäischen Territorialisierungsprozessen – in ihrer inneren wie nach außen gerichteten Dimension – zu geben vermag. Jedoch provoziert zugleich die relative Unverbundenheit dieser beiden Debattenstränge die Frage danach, ob sich dahinter Spannungen in den konzeptionellen Anlagen und den theoretischen Annahmen in Bezug auf historische Territorialisierungsprozesse verbergen, die in diesem historiographiegeschichtlich angelegten Beitrag ausgeleuchtet werden sollen.