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Vortragstitel:
Europa in der zweiten Globalisierungswelle: Entterritorialisierung und Grenzziehung 1970–2010
Tag:
01.10.2010
Epoche:
Neuere/Neueste Geschichte
Sektion:
Territoriale Grenzziehungen und Grenzüberschreitungen: Eine transnationale Geschichte Europas

Abstract:

Europa in der zweiten Globalisierungswelle: Entterritorialisierung und Grenzziehung 1970–2010

Referent/in: Michael Geyer, Chicago


Abstract

Eines lässt sich mit Sicherheit konstatieren: die überbordenden Erwartungen der achtziger Jahre, dass Globalisierung zu einer Welt ohne Grenzen führen würde, hat sich nicht erfüllt. Doch kann man Charles Maier zustimmen, dass das territoriale Regime des kurzen zwanzigsten Jahrhunderts mit seinen harten Staatsgrenzen und seinen vielleicht noch härteren ethnischen und rassischen Grenzen ebenfalls nicht mehr existiert. Wie die neuen Grenzziehungen, die gleichermaßen porös und hart sind, und die sich daraus ableitende territoriale Ordnung in der Gegenwart gestaltet hat, ist Gegenstand einer ausufernden Diskussion in allen Sozial- und Geisteswissenschaften.

Die Aufgabe dieses Beitrages wird es sein, als erstes diese diffuse, in vielen Disziplinen geführte Diskussion auf einen Nenner zu bringen. Das Ziel besteht darin, eine Begrifflichkeit zu finden, die der Komplexität intersektioneller Räumlichkeiten gerecht wird. Dazu bedarf es dann aber zweitens einer empirischen Grundlage, für die die sich verändernde Gestalt von europäischen Politik- (Macht-oder Herrschafts-) Räumen seit den siebziger Jahren herangezogen wird. Dabei interessieren insbesondere die Bereiche der Sicherheit, der Wirtschaft/Finanzen, und der Staatsbürgerschaft als zentrale Politikbereiche des Nationalstaates. Man kann nicht sagen, dass die nationale Politik hier drastisch an Bedeutung verloren hat. Ganz im Gegenteil, sie hat etwa in Fragen der Sicherheit eher an Bedeutung gewonnen. Aber gleichzeitig gibt es keine nationale Entscheidung in diesen drei Politikfeldern, die nicht in einen Komplex internationaler Entscheidungsbildung eingebettet wäre, bzw. von ihr abhängig ist, oder in denen nationale Entscheidung nicht über internationale oder transnationale Einflussnahme getroffen würde. Und dennoch ist dieser erweiterte Raum der Politik keineswegs diffus. Er hat seine äußeren und inneren Grenzen. Er betrifft nicht gleichermaßen alle, sondern immer nur Teile. Er setzt sich mehr oder minder deutlich ab von dem Rest der Welt. Es gibt also durchaus eine territoriale Ordnung der Politik, die zwar über den Nationalstaat hinausreicht, aber auch wiederum nicht grenzenlos in die Welt hinein diffundiert. Die zweite Aufgabe dieses Beitrages ist es, die wichtigsten Elemente dieser im Entstehen begriffenen, territorialen Ordnung Europas zu umreißen.