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Vortragstitel:
Territorialisierung und Entterritorialisierung in Europa im Zeitalter der Französischen Revolution
Tag:
01.10.2010
Epoche:
Neuere/Neueste Geschichte
Sektion:
Territoriale Grenzziehungen und Grenzüberschreitungen: Eine transnationale Geschichte Europas

Abstract:

Territorialisierung und Entterritorialisierung in Europa im Zeitalter der Französischen Revolution

Referent/in: Matthias Middell, Leipzig


Abstract

Zum Ausbruch der Revolution von 1789 trug bekanntlich die Weigerung der französischen Eliten bei, dem Staat die nötigen Ressourcen verfügbar zu machen, um weiter in einem globalen Wettstreit mit dem englischen Konkurrenten mithalten zu können. Hier schürzte sich der Knoten einer seit Mitte des Jh. zu beobachtenden Stärkung des Staates und der Rationalisierung seiner Strukturen, der in eine komplette Reorganisation des Hexagon sowie seiner Beziehungen zu den Kolonien in Indik und Karibik mündete. Ein neues Muster der Territorialisierung wurde in kürzester Zeit durchgesetzt und bildete eine Herausforderung vor allem für die Anrainerstaaten in Zentral- und Südeuropa, aber auch für die Unabhängigkeitsbewegungen in den Amerikas. Trotzdem setzte sich das französische Muster der Neubegründung von Souveränität durch straffe Territorialisierung nicht universell durch. Parallel bemühten sich das spanische und das portugiesische Empire um eine Neuordnung der Beziehungen zu den Kolonialgebieten in Mittel- und Südamerika, ebenso wie Großbritannien seine Beziehungen zu den nun unabhängigen USA überarbeitete und Russland wiederum eine koloniale Expansion nach Osten sowie teilweise auch nach Süden und Westen startete. Am Ende einer extrem verdichteten Serie von Revolutionen und Kriegen hatten die meisten europäischen Gesellschaften ihre Selbstorganisationsmuster grundlegend neu gestaltet, aber von der Durchsetzung eines einzigen Territorialisierungsmusters, das die ältere Historiographie im Nationalstaat französischen Formates vermutet hatte, war der Kontinent weit entfernt.

Der Beitrag betrachtet diese Phase unter zwei Gesichtspunkten:

Einerseits interessiert die Verursachung der Mobilisierung von Selbstorganisationskräften aus einer globalen Krise, die sich eben nicht auf Europa beschränkte. Andererseits geht es um den spezifischen Platz dieser Periode in einer Globalgeschichte, der zahlreiche Autoren ab der Mitte des 19. JH. aufgrund der dann beschleunigten Kommunikationsmöglichkeiten und der einsetzenden Industrialisierung eine neue Qualität zumessen. Dagegen scheint, so die Hypothese, die Phase zwischen 1770 und 1830 diejenige gewesen zu sein, in der eine Debatte um geeignete Muster der Neukonstituierung von Souveränität angesichts einer zwar noch langsamen, aber doch unvermeidlich erscheinenden globalen Vernetzung geführt und mit verschiedenen Mustern experimentiert wurde. In dieser Suchbewegung, in der sich zugleich der Gedanke Bahn brach, in einer Welt zu leben, ähnelt die Periode derjenigen, die wir seit den 1970er Jahren beobachten.