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Vortragstitel:
Zonierungen von Krieg und Massengewalt im Unabhängigen Staat Kroatien, 1941–1945
Tag:
01.10.2010
Epoche:
Neuere/Neueste Geschichte
Sektion:
Entgrenzung und Begrenzung der Gewalt

Abstract:

Zonierungen von Krieg und Massengewalt im Unabhängigen Staat Kroatien, 1941–1945

Referent/in: Alexander Korb, Berlin


Abstract

Um einen Gewaltraum analytisch erfassen zu können, ist es wichtig, seine Zonierungen zu kennen. Der Balkan galt und gilt vielen zeitgenössischen Beobachtern als Gewaltraum par excellence, der nach der simplen Regel „Alle gegen alle“ strukturiert war und ist. Dagegen wird am Beispiel von Krieg und Massengewalt im Unabhängigen Staat Kroatien (USK) 1941-1945 exemplarisch gezeigt, dass sich die Gewalt nicht als blindes und unkontrolliertes Wüten abspielte, sondern sich in einem komplexen sozio-politischen Gesamtzusammenhang bewegte. Im Vortrag wird die Frage im Vordergrund stehen, wie der untersuchte Gewaltraum strukturiert war, wie einzelne Zonen der Gewalt voneinander abgrenzt waren, und welche Auswirkungen das auf die sich im Gewaltraum befindlichen Menschen und ihr Handeln hatte.

Der Unabhängige Staat Kroatien war 1941 durch das Deutsche Reich und Italien auf den Trümmern Jugoslawiens gegründeten worden. Regiert von der faschistischen Ustaša-Bewegung, war der USK in eine deutsche und in eine italienische Okkupationszone zerteilt war. Die Bevölkerung des USK war äußerst heterogen, und das designierte kroatische Staatsvolk stellte gerade einmal die Hälfte der Gesamtbevölkerung. Das Ziel der Ustaša vom großkroatischen Nationalstaat lag in weiter Ferne. Der fragile Staat versank bald nach seiner Errichtung in Massengewalt. Die Ustaša war die treibende Kraft hinter der Massengewalt im USK. Ihre Milizen verübten Vertreibungen und Massaker, die sich gegen ethnische Minderheiten in Kroatien richteten, namentlich gegen Serben, Juden und Roma. Daraus resultierend, und damit verbunden, waren weitere Ebenen der Gewalt: Die serbische Bevölkerung erhob sich in einem gewaltigen Aufstand gegen den kroatischen Staat. Ihre Spaltung in kommunistische Partisanen und in nationalserbische Četnici führte indes in einen erbitterten Bürgerkrieg, in dem die Zivilbevölkerung vielfach das primäre Angriffsziel bildete. Reziproke ethnische Säuberungen, Partisanenkrieg, Sezessionskrieg und Bürgerkrieg sind die wichtigsten Gewaltebenen, in denen sich die größten Akteursgruppen im USK begegneten und bekämpften. Abhängig von der jeweils dominierenden Akteursgruppe und ihren Kriegszielen bildeten sich verschiedene Gewaltzonen heraus, die von Einflussgrenzen, geographischen und demographischen Faktoren abhingen. Diese Gemengelage ergibt eine Vielzahl von sich verändernden Zonierungen, die sowohl für das Überleben oder Sterben der Verfolgten wie auch für die Handlungsspielräume der Tätergruppen von entscheidender Bedeutung waren. Während Juden sowie Roma aus dem einen Gebiet deportiert wurden, standen ihnen in anderen Gebieten frei, sich zu bewaffnen oder sich auf andere Weise zu schützen. Wurden die Ustaša-Milizen in bestimmten Räumen entwaffnet, waren sie in anderen die einzige bewaffnete Macht. Gewalt bedeutete eine Chance, seine Ziele zu verwirklichen. Doch beinhaltete das komplexen Akteursgeflecht ein hohes Konfliktpotential auch zwischen verbündeten Gruppen bezüglich der Frage, welches Ausmaß von Gewalt zu welchem Zeitpunkt und gegen wen gerichtet sinnvoll sei.

Durch das Zusammenziehen der politisch-militärischen Gegebenheiten mit räumlichen Faktoren soll im Vortrag eine Morphologie der Gewaltzonen vorgestellt werden, und nach dem Wandel ihrer Grenzen im Laufe der Zeit gefragt werden. Dabei interessiert, wie Gewalt Grenzen zu überwinden und zu ändern vermochte, aber auch, wo bestimmte Formen der Gewalt an bestimmte Räume gebunden waren. Im Bezug auf die deutschen, italienischen und jugoslawischen Gewaltakteure wird gefragt, was diese unternahmen, um ihre Vorstellungen von einer gewaltsamen Ordnung durchzusetzen, und was sie aus welchen Gründen unternahmen, um Gewalt zu entgrenzen bzw. zu begrenzen.