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Vortragstitel:
Grenzenlose Machbarkeit und unbegrenzte Haltbarkeit?
Tag:
30.09.2010
Epoche:
Neuere/Neueste Geschichte
Sektion:
Die Technisierung der Ernährung und die Grenzen des „Natürlichen“

Abstract:

Grenzenlose Machbarkeit und unbegrenzte Haltbarkeit? Das „friedliche Atom“ im Dienst der Land- und Ernährungswirtschaft

Referent/in: Karin Zachmann, München


Abstract

Als Eisenhower vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 8. Dezember 1953 den Entschluss seiner Administration verkündete, die Entwicklung der Kerntechnik für friedliche Zwecke zu forcieren und dafür Unterstützung zu gewähren, war die Landwirtschaft eines der von ihm herausgehobenen Einsatzfelder. Forschungen auf diesem Gebiet hatten bereits mit der Entdeckung der Radioaktivität begonnen und in den 1930er Jahren formierten sich die Radioisotopentechnik und die Strahlengenetik als attraktive neue Arbeitsfelder in den Biowissenschaften. Nachdem es im Ergebnis der Atombombenentwicklung möglich geworden war, Strahlenquellen in großer Vielfalt und Menge herzustellen, potenzierte sich das Interesse an dem neuen Arbeitsfeld. Die Atoms for Peace Initiative forcierte die Entwicklung nationaler Atomprogramme auf dem Gebiet der Land- und Ernährungswirtschaft. Vor allem aber wurde sie zum Ausgangspunkt für die Institutionalisierung transnationaler Projekte, Programme und Initiativen.

Alle Protagonisten begeisterten sich für den von der Eisenhower Administration mobilisierten Traum vom Atom als Füllhorn für grenzenlosen Wohlstand. Aber dieser Traum hatte sehr unterschiedliche Bedeutungen für die verschiedenen Akteure. Während Kernphysiker in den nationalen und transnationalen Atomenergiebehörden und Forschungszentren die Land- und Ernährungswirtschaft als ein attraktives Arbeitsgebiet entdeckten, das ihnen versprach, die Kernphysik aus einer todbringenden in eine das Leben verbessernde Wissenschaft zu transformieren, strebten Biowissenschaftler und Agrarforscher danach, die Grenzen des Natürlichen zu überwinden. Sie hofften, mit Hilfe der Strahlengenetik die Unbestimmtheit organischer Entwicklung auszuschalten und mit Hilfe von Bestrahlung Verluste durch die Verderblichkeit organischer Produkte zu verringern. Neben den Forschern brachten die Hersteller von Strahlenquellen und die unmittelbaren Nutzer in so verschiedenen Bereichen wie dem Militär, der Nahrungsmittelverarbeitung oder der Entwicklungspolitik weitere Ansprüche an das Problemlösungspotential der Technik ins Spiel.

Die im Kontext des Kalten Krieges überhitzten Erwartungen an die Kerntechnik konnten allerdings nicht die in den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki manifest gewordenen Erfahrungen auslöschen, dass diese Technik bei unmittelbarer Anwendung auf den Menschen tödlich war. Gegen die Bestrebungen, Kernstrahlung zur Verbesserung eines existentiellen, lebenserhaltenden Prozesses wie der Ernährung zu nutzen, begannen noch in den 1950er Jahren zuerst in den USA und bald auch in anderen Ländern kritische Stimmen ihre Ängste zu artikulieren, die Eingang in die nationale Lebensmittelgesetzgebungen fanden. Das zwang die Protagonisten, die Grenze zwischen Sicherheit und Gefahr bei der Anwendung kerntechnischer Verfahren in der Land- und Ernährungswirtschaft zu fixieren. Der Beitrag wird untersuchen, wie nationale und transnationale Akteure im Versuch, diese Grenze zu fixieren, unterschiedliche Sicherheitsvorstellungen zur Geltung brachten und in welchen Kontexten diese Vorstellungen akzeptiert oder abgelehnt wurden.