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Vortragstitel:
Zwischen Zionismus und Universalismus: Prag und die Entstehung der Nationalismusforschung
Tag:
29.09.2010
Epoche:
Neuere/Neueste Geschichte
Sektion:
Nationalismus, Internationalismus und Transnationalismus im deutschsprachigen Zionismus

Abstract:

Zwischen Zionismus und Universalismus: Prag und die Entstehung der Nationalismusforschung

Referent/in: Lutz Fiedler, Leipzig


Abstract

Als der jüdische Historiker Hans Kohn im Jahre 1944 sein Opus Magnum „The Idea of Nationalism“ vorlegte und damit die Geburtsstunde der modernen Nationalismusforschung einläutete, zeichnete sich sein Nachdenken durch ein besonderes Spezifikum aus, das wie quer zum eigentlichen Gegenstand zu liegen schien. Seine wissenschaftliche Erforschung des Nationalismus rührte gleichsam aus dessen fundamentaler Kritik. Denn er beendete sein Werk mit der Formulierung seiner universalistischen Grundsätzen verschriebenen Hoffnung, dass „das Zeitalter des Nationalismus über sich selbst“ hinaus wachse und „zu einer tiefer empfunden Freiheit und zu höheren Formen der Integration“ führen werde. Vor diesem Hintergrund und ausgehend von Kohns immer wiederkehrendem Verweis auf den Zusammenhang zwischen seiner lebenslangen Auseinandersetzung mit Begriff und Geschichte des Nationalismus einerseits und seiner Prager Herkunft andererseits, wird der Vortrag drei Aspekte dieser Verschränkung von Erfahrung und Erkenntnis bei Hans Kohn in den Blick nehmen.

Erstens soll nach der Genese von Kohns zionistischem Selbstverständnis im Kontext des Prag charakterisierenden deutsch-tschechischen Nationalitätenkonflikts und der zerfallenden Habsburgermonarchie gefragt werden. Im Zentrum steht dabei jenes transnationale und universalistische Element des Prager Zionismus, das mit der Ausbildung eines jüdisch-nationalen Selbstverständnisses zugleich über die ethnisch-partikularistischen Nationalstaatsideen der mittel- und osteuropäischen Moderne hinauswies und nach einer Vermittlung von nationaler Differenz und universeller Versöhnung strebte. Auf dieser Grundlage soll zweitens nach der historiographischen Geltung der Beschreibung von Kohns eigenem jüdisch-nationalen als zionistischem Selbstverständnis gefragt werden. Gerade die angesichts der „Araberfrage“ und insbesondere in Kohns Biographie sich verdichtende Abgrenzung gegenüber der zionistischen Bewegung in Palästina wirft vielmehr die Frage auf, ob dessen jüdisch-nationales Selbstverständnis nicht viel eher dem eines Diasporanationalismus entsprach, der sich in Europa allein wegen der Distanz zur Realität in Palästina als zionistisch beschreiben konnte. In einem dritten Punkt soll schließlich gefragt werden, in welchem Maße sich jene Erfahrung der Kritik ethnischer Nationalstaatlichkeit selbst noch in Kohns methodischen Zugriff seiner Nationalismusforschung verlängert hat. Über dessen Werkbiographie hinaus geraten vor diesem Hintergrund zudem die beiden Nationalismusforscher Ernest Gellner und Karl W. Deutsch in den Blick, die ebenfalls eine Prager sowie eine jüdische Herkunft teilten.