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Vortragstitel:
Perspektiven auf transkulturelle Verflechtungen im mittelalterlichen Japan
Tag:
29.09.2010
Epoche:
Geschichte des Mittelalters
Sektion:
Migration als transkulturelle Verflechtung im mittelalterlichen Jahrtausend

Abstract:

'Isoliertes Inselland' oder 'Zum Meer hin geöffneter Archipel'? Perspektiven auf transkulturelle Verflechtungen im mittelalterlichen Japan

Referent/in: Klaus Vollmer, München


Abstract

Bis vor kurzem wäre es in der japanischen oder japanologischen Forschung wohl kaum lohnend erschienen, das vormoderne Japan im Kontext einer Geschichte der transkulturellen Verflechtung oder gar von (großflächigen) Migrationsbewegungen zu behandeln. Vielmehr bestand bis auf wenige Ausnahmen ein Konsens darüber, dass sich Japan seit der Genese des um den Tennô („Kaiser“) formierten höfischen Staates im 7. und 8. Jahrhundert als eine zwar von der chinesischen Zivilisation des Festlandes in jeder Hinsicht maßgeblich beeinflusste, aber letztlich dann doch ganz eigenständige Kultur entwickelt hatte. In dieser habe sich - nicht zuletzt aufgrund der kulturellen Dominanz des „Chinesischen“ (Schrift, Religion, Künste, Verwaltungs- und Rechtspraktiken usw.) - ebenfalls sehr früh (seit dem 10. Jahrhundert) ein sehr spezifisches Gespür für das „Eigene“ entfaltet, das im wesentlichen in der für Japan nachhaltig prägenden diskursiven Dialektik „Japanisch/Chinesisch“ (wakan 和漢) zum Ausdruck komme. „Chinesisches“ (hier verstanden als diskursiv erzeugter kultureller Topos) wurde in dieser Dialektik als Hintergrund verstanden, von dem sich „Japanisches“ (als kulturell Eigenes) umso deutlicher absetzen ließ. Der historiographische Diskurs erkannte zwar bestimmte Phasen an, während der zwischen Japan und den ostasiatischen Nachbarländern intensive Austauschbeziehungen bestanden hatten, konstatierte jedoch ex post, dass gerade der Inselcharakter Japans immer wieder dazu geführt habe, dass solchen Phasen der Öffnung stets lange Perioden bewußter Abschließung gefolgt seien, in der zuvor aufgenommene Einflüsse entweder zurückgewiesen (z.B. das Christentum) oder gewissermaßen „indigenisiert“ (kokufûka 国風化) worden seien. Typisch dafür sind etwa die in der japanischen Periodisierung als Frühe Neuzeit bezeichneten Jahrhunderte zwischen etwa 1600 und 1850, die vielfach als Epoche der systematischen „Abschließung“ (sakoku 鎖国) charakterisiert wurden und etwa in der Verlegung der holländischen Faktorei auf die künstliche Insel Dejima vor Nagasaki ihren symbolhaften Ausdruck fand. Der vor allem nach 1945 in Diskursen der Selbstvergewisserung („Japandiskurse“, nihonron 日本論) breit rezepierte Topos von Japan als abgeschlossenem Inselland mit einem praktisch seit dem Altertum ausserordentlich hohen Grad an ethnischer, kultureller und sozialer Homogenität wurde so nicht selten zum impliziten Leitmotiv für historiographische Projektionen auf die vormoderne japanische Gesellschaft.

Diese Perspektive ist allerdings seit den 1980er Jahren von einer zunächst kleinen Gruppe von Historikern massiv in Frage gestellt worden, unter denen insbesondere der Mediävist Amino Yoshihiko (1928-2004) eine anhaltende, die jüngere Generation von HistorikerInnen stark beeinflussende Wirkung entfaltet hat. Amino darf als Spezialist für Epochen des vormodernen Japan bezeichnet werden, die sich in etwa mit dem europäischen „mittelalterlichen Jahrtausend“ (500-1500) decken. In diese Jahrhunderte fällt in politischer Hinsicht die Vorgeschichte und Formierung des japanischen Staatswesens, die klassische Blüte des Höfischen Staates (Nara- und Heian-Zeit, 8.-12. Jh.), der Aufstieg des Schwertadels und die Etablierung seiner Herrschaft (Shôgunat). Nachdem er zunächst materialreiche Studien zur Sozialgeschichte des mittelalterlichen Japan (je nach Periodisierung ca. Mitte 12. - Mitte 16. Jh.) vorgelegt hatte, wurde es zu Aminos Markenzeichen, aufgrund seiner profunden Kenntnis der mittelalterlichen und älteren japanischen Geschichte die von modernen nationalstaatlichen Konstrukten kultureller Homogenität stark beeinflussten Vorannahmen zur mittelalterlichen Geschichte zurückzuweisen. Unter anderem gelang dies durch einen Blick auf und von der Peripherie her. Damit ist zugleich eine stark ausgeprägte, die Grenzen des modernen japanischen Nationalstaats überschreitende Regionalität der japanischen Inselkette in den Mittelpunkt des Interesses gerückt, die nun nicht mehr als „abgeschlossenes Inselland“, sondern - in bewußter Abrenzung gegen diesen in der populären Imagination noch immer sehr produktiven Topos - als „zum Meer hin geöffneter Archipel“ gedeutet wird. Dieser Blickwechsel hat eine große Fülle von Befunden zum transkulturellen und transregionalen Austausch in der Vormoderne zu Tage gefördert, wobei insbesondere die maritimen Beziehungen zwischen südwestlichen Regionen Japans, Teilen der koreanischen Halbinsel und der südostchinesischen Küste erforscht wurden. In Anlehnung an den durch intensive Austauschbeziehungen und transkulturelle Verflechtungen gekennzeichten mediterranen Raum Europas wird hier auch vom „ostchinesischen Mittelmeer“ gesprochen. Auch wenn - im Gegensatz zur Formierungsphase des japanischen Staates - für die Zeit nach dem 8. Jahrhundert von großflächigen Migrationsbewegungen auf und von der japanischen Inselkette wohl kaum sinnvoll gesprochen werden kann, lassen sich Orte und Zonen transkultureller Verflechtungen für das mittelalterliche Japan eruieren. In diesem Beitrag soll zunächst die aktuelle Forschungsgeschichte zum Komplex „transkulturelle Verflechtungen“ für die japanische Vormoderne zwischen 500 und 1500 nachgezeichnet werden, um Parallelen und Anschlüsse zur aktuellen Debatte in und zu Europa aufzuzeigen. Die Skizze einiger Fallbeispiele sollen dann Perspektiven und Möglichkeiten der Forschung zu transkultureller Verflechtung und Migration im mittelalterlichen Japan verdeutlichen.