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Vortragstitel:
Die Afrikanisierung eines Spitals. Aus der Praxis medizinischer Entwicklungshilfe
Tag:
29.09.2010
Epoche:
Neuere/Neueste Geschichte
Sektion:
Humanitäre Entwicklung und Rassismus in Afrika südlich der Sahara 1920–1990

Abstract:

Die Afrikanisierung eines Spitals. Aus der Praxis medizinischer Entwicklungshilfe im ländlichen Tansania der 1970er und 80er Jahre

Referent/in: Marcel Dreier, Basel


Abstract

1985 betonte ein ehemaliger Chefarzt des St. Francis Hospital (Ifakara/Tanzania) die Bemühungen, "vom Bild des kolonialistischen, besserwisserischen 'Tropenarztes' wegzukommen." Jedoch: „Mentalitätsunterschiede“ blieben nicht unerwähnt: „Für die Afrikaner gelten wir als Arbeitstiere..."

Die Politik der „Afrikanisierung“ reicht schon in die Kolonialzeit zurück. Bald nach der Unabhängigkeit Tansanias gewann sie Bedeutung als antikolonialer Versuch, Führungspositionen durch Afrikaner zu besetzen. Im Zuge seiner wachsender Integration ins nationalstaatliche Gesundheitssystem diente der Begriff dem grossen ehemaligen Missionsspital St. Francis in den 1970er und 1980er Jahren jedoch als zentraler diskursiver Container, der weit über Personalfragen hinausreichte. Der Begriff thematisierte Personalstruktur, Führungsstrukturen im Spital und die Rolle der internationalen Experten. Darüber hinaus umrahmte er grosse Debatten über angepasste medizinische Technologie, qualitative Standards und ethische Werte in der Medizin. Unterlegt waren diese Debatten von expliziten und unterschwelligen Vorstellungen darüber, welche Konsequenzen aus „Mentalitätsunterschieden“ folgten. Gleichzeitig stieg die Nachfrage von Medizinern nach Wissen über kulturspezifische Faktoren in der Erbringung medizinischer Dienstleistungen. Von besonderer Bedeutung war dabei die Konzeptualisierung der Bevölkerung als ‚Community‘, deren Mitwirkung es vermehrt zu mobilisieren galt. Afrikanisierung stand nun für einen Prozess, der aus ‚Medizin in Entwicklungsländern‘ eigentlich eine Medizin speziell für Entwicklungsländer machte. Darin tauchte die koloniale Geschichte in einem globalen Massstab in ihrer politsch-ökonomischen Dimension exklusiver Gesundheitssysteme wieder auf. Der Fokus auf die  „Community“ leistete auch Tribalisierungstendenzen Vorschub: Das Individuum verschwand in einer zugeschrieben Gruppenangehörigkeit, und die Definition der Gruppen unterlag politischen Prozessen, die gerade in Tansania gerne ausgeblendet wurden.  

Mein Beitrag bestreitet weder Notwendigkeit noch guten Willen, Gesundheitssysteme zu generieren, die unter den lokalen historischen Gegebenheiten zu funktionieren vermögen. Andererseits lohnt ein kritischer Blick, wie hergebrachte rassistische Muster trotz allen Demokratisierungsbemühungen im Zeitalter der Entwicklung transformiert wurden: Sie sicherten den Zugriff auf die Bevölkerung, legitimierten die Abwesenheit medizinischer Dienstleistungen und vokalisierten auch Ängste vor dem Zerfall etablierter Werte der „Ersten Welt“.