Antiliberales Europa

(01. Oktober 2010 - 15.15 bis 18 Uhr - HS 2.301)

Leitung: Prof. Dr. Dieter Gosewinkel, Berlin / Prof. Dr. Peter Schöttler, Paris



1. Einführung

Referent/in: Prof. Dr. Dieter Gosewinkel, Berlin / Prof. Dr. Peter Schöttler, Paris


2. Europäisierung durch Gewalt? Kriegserfahrungen und die Entstehung Europas im 20. Jahrhundert

Referent/in: Dr. Robert Gerwarth, Dublin / Dr. Stephan Malinowski, Dublin


3. Der Zukunft rückwärts zugewandt: „Europa“ im Katholizismus der Zwischenkriegszeit

Referent/in: Dr. Vanessa Conze, Gießen


4. Antiliberales Europa oder Anti-Europa? Europakonzeptionen in der französischen Rechten 1940 – 1990

Referent/in: Prof. Dr. Dieter Gosewinkel, Berlin


5. Dreierlei Kollaboration? Europa-Konzepte und „deutsch-französische Verständigung“ zwischen Versailles und Elysée-Vertrag

Referent/in: Prof. Dr. Peter Schöttler, Paris


6. Kommentar

Referent/in: Prof. Dr. Henry Rousso, Paris


Abstract

Die Historiographie zur Entwicklung des heutigen Europa wird ganz überwiegend vom – vorläufigen – Ende her bestimmt: einem demokratischen, rechtsstaatlich geordneten, auf wirtschaftlichen Freiheiten, wachsendem Wohlstand, freiwilliger Mitgliedschaft und Expansion beruhenden politischen Integrationsgebilde, das von gemeinsamen Werten im Kanon klassischer Freiheitsgrundsätze und der Verpflichtung zum Frieden bestimmt ist. Darin spiegelt sich die Entgegensetzung des europäischen Integrationsprozesses nach 1945 zu der extremen Gewaltsamkeit, dem scharfen Nationalismus und der freiheitsvernichtenden staatlichen Lenkungspolitik während der ersten Jahrhunderthälfte. In den Motiven aller Protagonisten des europäischen Einigungsprozesses ist dieses Motiv der Abkehr von einer historischen Fehlentwicklung fassbar, vielfach verstärkt durch die Anknüpfung an demokratische Europakonzeptionen der Zwischenkriegszeit und die Europapläne des Widerstands gegen Nationalismus, Okkupation und Totalitarismus. Zusammengehalten werden diese Konzeptionen von einem liberalen, in der Sicherung von Freiheit und Frieden bestehenden Kern. Davon abweichende, gar entgegengesetzte Konzeptionen Europas werden nicht selten als ‚Anti-Europa’ behandelt oder schlicht übergangen 

Ein genauerer Blick auf die historischen Quellen irritiert jedoch dieses Bild. Es gibt zahlreiche Belege für einen anderen Strang von Konzeptionen europäischer Einigung und Erfahrungen mit Europäisierung, die auf andere Ursprünge verweisen. Vielfach erzwungene Grenzüberschreitungen zwischen den Staaten Europas im Zuge der Weltkriege, gewaltsame Bevölkerungsverschiebungen und Okkupationen erzeugten millionenfach – und vielfach ungewollt – Erfahrungen mit transnationalen, europäischen Zusammenhängen. Vormodern, vielfach antimodern ausgerichtete religiöse Europakonzeptionen der Zeit vor und nach dem Zweiten Weltkrieg bekämpften den europäischen Nationalismus im Dienste einer zeitlosen abendländischen Ordnung, die gegen Demokratie und weltanschaulichen Pluralismus gerichtet war. Die europäische Zwangsordnung der nationalsozialistischen Okkupation stützte sich nicht nur auf Waffengewalt, sondern auf Ideen der transnationalen Kollaboration in einem „Neuen Europa“, die insbesondere in Frankreich, aber auch in anderen europäischen Staaten vielfach bereits vor 1939 entwickelt wurden und nach 1945 Wirkung bewahrten. 

Die Sektion setzt sich zum Ziel, diese in ihrem Kern antiliberalen Konzepte von und mit Europa zu erfassen und ihre Bedeutung nicht nur für den historischen, sondern auch für den gegenwärtigen „Diskurs“ um die Integration Europas zu bestimmen. Es geht um die „dunkle“, antiliberale Seite moderner Europakonzeptionen und die nicht-intendierten Effekte zwangsweiser Europäisierung, die auf ambivalente Weise zum Prozess europäischer Integration beitrugen – und möglicherweise sogar eine der Bedingungen seines breiten Erfolges wurden.

Vorträge Epoche
Europäisierung durch Gewalt? Kriegserfahrungen und die Entstehung Europas im 20. Jahrhundert Neuere/Neueste Geschichte
Der Zukunft rückwärts zugewandt: „Europa“ im Katholizismus der Zwischenkriegszeit Neuere/Neueste Geschichte
Antiliberales Europa oder Anti-Europa? Europakonzeptionen in der französischen Rechten 1940 – 1990 Neuere/Neueste Geschichte
Dreierlei Kollaboration? Europa-Konzepte und „deutsch-französische Verständigung“ Neuere/Neueste Geschichte