Die Große Depression der 1930er Jahre hat nicht nur in vielen Ländern Demokratie und Wohlstand zerstört, sondern auch zu einem Zusammenbruch der internationalen Ordnung geführt. Zugleich war die Erfahrung der Weltwirtschaftskrise ein wichtiger Faktor für die Entstehung des Bretton-Woods-Systems nach dem Zweiten Weltkrieg. Dieser Befund macht deutlich, dass ökonomische Krisen ein transformatives Potential besitzen, das weit über den nationalen Raum hinausgeht. Die Podiumsdiskussion thematisiert den Zusammenhang von Wirtschaftskrisen und internationalem Ordnungswandel im 20. Jahrhundert. In einem interdisziplinären Gespräch werden historische, ökonomische und politikwissenschaftliche Perspektiven zusammengeführt.
Als Ausgangspunkt dienen die Überlegungen von Hansjörg Siegenthaler, der wirtschaftliche Krisen, institutionellen Wandel und soziales Lernen aufeinander bezogen hat. Siegenthaler beschreibt moderne wirtschaftliche Entwicklung als eine Abfolge von Perioden struktureller Stabilität, in denen es zwar wirtschaftliche Schwankungen gibt, die gesellschaftlichen Normen und Regelsysteme aber unverändert bleiben, und Krisenperioden, die durch einen elementaren Verlust von Steuerungsvertrauen gekennzeichnet sind. Krisenphasen sind damit stets Phasen »fundamentalen Lernens«, in denen sich neue kognitive und institutionelle Regelsysteme herausbilden.
Ein derart erweiterter Krisenbegriff eröffnet Interpretationsspielräume, die von der Wirtschafts- wie auch der internationalen Politikgeschichte bislang kaum genutzt worden sind. Schon Reinhart Koselleck hat darauf hingewiesen, dass der Krisenbegriff als Reflexionsbegriff zu fassen ist, der historische Entwicklungen und Brüche nicht nur wiedergibt, sondern sie in übergreifende Sinnzusammenhänge einordnet. Krisen sind somit stets Ausdruck einer bestimmten Zeiterfahrung, d. h. »Faktor und Indikator eines epochalen Umbruchs«. Zugleich geht jede Krise mit einem Auseinanderfallen von »Erfahrungsräumen« und »Erwartungshorizonten« einher, wodurch die Gegenwart als Moment historischer Kontingenz und zeitlicher Beschleunigung interpretiert wird. Jede Krise beinhaltet somit auch eine prognostische Dimension, welche den Ausweg aus einer als prekär wahrgenommenen Gegenwart weist.
Diese Überlegungen sollen im Rahmen der Podiumsdiskussion erstmals auf die internationale Wirtschafts- und Politikgeschichte des 20. Jahrhunderts angewendet werden. Auch wenn die historische Perspektive im Vordergrund steht, sind Vergleiche zur Gegenwart ausdrücklich erwünscht. Für die Podiumsdiskussion sind international renommierte Experten aus unterschiedlichen Disziplinen (Politikwissenschaften, Geschichte, Ökonomie) vorgesehen. Bei der Auswahl wurde darauf geachtet, dass verschiedene Perspektiven und inhaltliche Standpunkte vertreten sind, um eine möglichst lebendige und kontroverse Diskussion zu gewährleisten.