Clan-Strukturen und Policy-Akteure. Die Machtzentralen der staatssozialistischen Parteien zwischen Poststalinismus und Perestroika

(01. Oktober 2010 - 9.15 bis 13 Uhr - HS 1.601)

Leitung: Dr. Jens Gieseke, Potsdam / Dr. Rüdiger Bergien, Potsdam



1. Einführung und Moderation

Referent/in: Dr. Jens Gieseke, Potsdam


2. Dnpropetrovsk an der Macht. Clanstrukturen im ZK von Breschnjew bis Gorbatschow

Referent/in: Prof. Dr. Susanne Schattenberg, Bremen


3. Die ZK-Abteilung für internationale Verbindungen der SED und der Eurokommunismus der PCI und PCF. Akteure, Funktionsweise, Probleme

Referent/in: Dr. Francesco Di Palma, Berlin


4. Minderheitenpolitik im Kommunismus. Steuerungsprobleme und institutionelle Konflikte der ungarischen und rumänischen KP-Zentralen in den achtziger Jahren

Referent/in: Dr. Petru Weber, Szeged


5. Policy-Akteure im „Großen Haus“. Der ZK-Apparat der SED und die Performativität kommunistischer Herrschaft

Referent/in: Dr. Rüdiger Bergien, Potsdam


6. Kommentar

Prof. Dr. Christoph Boyer, Salzburg



Abstract

1. Thema

Das Panel widmet sich den Machtzentralen der kommunistischen Parteien in Mittel- und Osteuropa; der betrachtete Zeitraum umfasst die Jahrzehnte zwischen 1956 und 1989/90. Die kommunistischen Machtzentralen – die Zentralkomitees, die Politbüros und deren bürokratische „Apparate“ – sind in der westlichen Politik- und Geschichtswissenschaft lange als strikt hierarchische, homogene und nach außen abgeschottete Organisationen interpretiert worden. Dabei galten (und gelten) Hierarchie, Homogenität und Abschottung als Prämisse der staatssozialistischen Herrschafts- und Repressionsfähigkeit. 

Demgegenüber ist es das Ziel dieses Panels, Komplexität, Heterogenität und die inneren Konfliktlinien der Parteizentralen zu beleuchten und in einen Zusammenhang mit Herrschaftsfähigkeit und Herrschaftserosion des Staatssozialismus zu stellen. Ausgehend von Methoden wie der Netzwerk-, der Politikfeld- und der Transferanalyse fragen die Referentinnen und Referenten, inwiefern der politische Einfluss etwa eines Angehörigen des Politbüros der KPdSU stärker von sozialen Beziehungsgefügen als von formalen Hierarchien bestimmt sein konnte. Sie untersuchen ferner, in welchem Maß die Politik der kommunistischen Parteien von den formal nachgeordneten Parteiapparaten formuliert und gestaltet wurde, das Eigengewicht der Apparate zu Dauerkonflikten mit anderen institutionellen Akteuren führte und schließlich personale Netzwerke die Tendenz der Parteizentralen zur Abschottung überlagerten. Systematisiert und vertieft werden sollen diese Befunde anhand von drei Leitfragestellungen.

2. Fragestellungen

Erstens soll nach den Funktionsmechanismen der kommunistischen Machtzentralen gefragt werden. Ausgangspunkt ist hier die These, dass diese Funktionsmechanismen durch die personalen Beziehungsgefüge bedingt sind. Ob in Gestalt von Clan-Strukturen auf der vertikale oder als soziale Netzwerke auf der horizontalen Ebene: politische Macht speiste sich in den Führungsgremien wie in den bürokratischen Apparaten der sozialistischen Staatsparteien aus dem Einfluss eines Proteges, aus der Stärke der eigenen Hausmacht und schließlich aus jenen sozialen Beziehungen, die den Austausch von Informationen und Ressourcen ermöglichten. Diese Leitfrage zielt damit darauf ab, die noch immer institutionenorientierte Sichtweise auf die Zentren der kommunistischen  Staatsparteien durch einen personenorientierte Sichtweise zu ergänzen, wenn nicht abzulösen.

Zweitens gilt es um die Rolle der zentralen Parteiapparate. Es wird zu klären sein, wie weitgehend die sich aus den beachtlichen Handlungsspielräumen der Apparate ergebenden strukturellen Konflikte – etwa, im Falle der DDR, zwischen der ZK-Abteilung für internationale Verbindungen und dem Außenministerium – die Parteiherrschaft stärkten oder beeinträchtigten, allgemeiner formuliert: inwieweit die Apparate als bürokratische Herrschaftsinstrumente und -akteure die entdifferenzierten Systeme stabilisierten oder destabilisierten. Für beide Effekte gibt es Indizien: So kompensierten Angehörige der Apparate zeitweise systemimmanente Steuerungsdefizite, etwa indem sie durch Eingriffe in den Wirtschaftskreislauf Versorgungsengpässe entschärften. Andererseits waren es nicht zuletzt die Abteilungsleiter der Apparate, die auf einem konservativen, status-quo-orientierten „Realsozialismus“ beharrten und so Reformern innerhalb der Parteien oder oppositionellen Bewegungen in den Gesellschaften Auftrieb verliehen.

Drittens sollen Beziehungen und Transfers zwischen den Machtzentralen unterschiedlicher Länder analysiert werden. Auch wenn die Tendenz zur Abschottung nach außen eine strukturelle Gemeinsamkeit der kommunistischen Parteien zu sein scheint: es gab personale Beziehungen zwischen einzelnen Parteien und es gab Transferprozesse, deren Gegenstand etwa institutionelle Modelle und soziale Praktiken waren und die durchaus nicht einseitig vom Moskauer Zentrum in die ostmitteleuropäische Peripherie verlaufen mussten und die auch westeuropäische kommunistische Parteien einbezogen. Damit zielt diese Frage einerseits darauf ab, das Bild einer einseitigen Unterordnung der sozialistischen Parteien unter die KPdSU zu überprüfen. Andererseits soll geklärt werden, ob und inwiefern die aufgrund ihrer zentralistischen Struktur tendenziell transfer- und verflechtungsresistenten Staatsparteien Praktiken und Problemlösungsstrategien der „Bruderparteien“ in- und außerhalb des „Ostblocks“ übernahmen und insofern tatsächlich als jene internationalistischen Akteure auftraten, die zu sein sie vorgaben.  

Vorträge Epoche
Dnpropetrovsk an der Macht. Clanstrukturen im ZK von Breschnjew bis Gorbatschow Neuere/Neueste Geschichte
Die ZK-Abteilung für internationale Verbindungen der SED und der Eurokommunismus der PCI und PCF Neuere/Neueste Geschichte
Minderheitenpolitik im Kommunismus Neuere/Neueste Geschichte
Policy-Akteure im „Großen Haus“ Neuere/Neueste Geschichte