Die Donau – Umweltgeschichte und Grenzüberschreitung

(29. September 2010 - 9.15 bis 13 Uhr - HS 1.406)

Leitung: Prof. Dr. Ing. Vera Winiwarter (Wien)



1. Einführung

Referent/in: Verena Winiwarter, Wien


2. Die Donau als Kriegsschauplatz in der englischen Presse des 17. und 18. Jahrhunderts

Referent/in: Verena Winiwarter, Wien


3. Criss-Crossing the Danube with Marsigli

Referent/in: Dr. Jelena Mrgic, Belgrad


4. Der Fluss in der Stadt und die Stadt in der Flusslandschaft. Abgrenzungsprobleme urbaner Existenz in der geografischen Publizistik zum Donauraum, 16.–18. Jh.

Referent/in: Dr. Martin Knoll, Darmstadt / München


5. Die obere Donau als sozionaturaler Schauplatz: (Grenz)streitigkeiten in fluvialen Umwelten der Frühen Neuzeit

Referent/in: Prof. Dr. Martin Schmid, Wien


6. Kommentar

Referent/in: Prof. Dr. Achim Landwehr, Düsseldorf

7. Commentary

Referent/in: Prof. Dr. Richard C. Hoffmann, Toronto



Abstract

Mit mehr als 2.800 Kilometern Länge ist die Donau nach der Wolga der zweitlängste Fluss Europas. Ihr Einzugsgebiet erstreckt sich über mehr als 817.000 Quadratkilometer, rund 81 Millionen Menschen leben hier. Auf ihrem Lauf, als einziger europäischer Strom in west-östlicher Richtung, durchfließt die Donau heute zehn und entwässert über ihre Zubringer Regionen, die zu etwa zwanzig verschiedenen Staaten gehören. Die Donau bildet damit die Hauptader eines der internationalsten Flusssysteme der Welt. In unterschiedlichen historischen und politischen Konstellationen und abhängig von der ökologischen und morphologischen Verfasstheit des Flusses konnten einzelne Donauabschnitte Räume integrieren oder trennen, bestimmte Nutzungsformen wie den Transport und ökologische Prozesse wie die Laichwanderung von Fischen über teils weite Distanzen ermöglichen oder verhindern.

Eine Umweltgeschichte der Donau muss eine Fülle unterschiedlicher Themen und Ansätze
zueinander in Beziehung setzen: Flussnutzungen wie Handel, Transport und Verkehr in Krieg und Frieden, Entnahme von Trink- und Brauchwasser, Energiegewinnung, Fischerei, Entsorgung von Abfällen; hydromorphologische Eingriffe wie Regulierungen, Bau von Stauwehren und Kanälen, später auch von Kraftwerken und Schleusen; gesellschaftliche Vulnerabilität durch Hochwasser und andere klimatisch-hydrologische Extremereignisse sowie gesellschaftliche Strategien des Risikomanagements; Wahrnehmungen und Konstruktionen der Donau etwa als „natürliche“ Grenze, der Fluss als Argument in der Definition regionaler, territorialer oder nationaler Identitäten („Donaumonarchie“), künstlerische und literarische Konstruktion bzw. Repräsentation von Flusslandschaften. Exemplarisch lässt sich an einem Strom wie der Donau der grenzüberschreitende Charakter von Umweltproblemen und entsprechender Bewältigungsstrategien zeigen. So verlagerten Flussbegradigungen und der Verlust von Retentionsräumen im Oberlauf die Hochwasserproblematik flussabwärts. Flussverschmutzung macht ebenso wenig an nationalen Grenzen halt. Die Vernichtung von Populationen wandernder Fischarten im Unterlauf verändert die Biodiversität auch im Oberlauf. Eine Umweltgeschichte der Donau ist ein europäisches Forschungsdesiderat ersten Ranges. Die vorgeschlagene Sektion führt internationale Beiträge zusammen, die sich mit der Donau aus umwelt- und kulturhistorischer Perspektive auseinandersetzen. Die meisten Umweltgeschichten von Flüssen – sei es Richard Whites "Organic Machine" über den Columbia River, seien es Donald Worsters "Rivers of Empire" oder Marc Ciocs "Eco-Biography" des Rheins – beschreiben, wie Industrialisierungsprozesse ab etwa 1800 Flüsse erfasst und in der Moderne verändert haben. Der Forschungsstand erweckt für die Zeit davor implizit den – nachweislich falschen – Eindruck von weitgehend unberührten, natürlichen Flusslandschaften. Diese Sektion setzt sich mit der Donau in der Vor- und Frühmoderne auseinander und fragt, wie Flusslandschaften von vorindustriellen, solarenergiebasierten Gesellschaften wahrgenommen, genutzt und verändert wurden. Grenzen werden dabei in zweierlei Hinsicht thematisiert.

Anstatt an der Grenzziehung zwischen Natur und Gesellschaft festzuhalten, werden wir die Donau als sozionaturalen Schauplatz in den Blick nehmen. Flusslandschaften sind zugleich biophysische Umwelten, gesellschaftlich genutzte Ressourcen und kulturelle Konstruktionen und Symbole. Schon die Definition, was Donau ist, ist eine kommunikative, mithin kulturelle Entscheidung. Flusslandschaften sind aber auch hochdynamische Umwelten, die sich bis zu einem gewissen Grad gesellschaftlicher und politischer Regulierung und der Verstetigung und Normierung von Nutzungsansprüchen widersetzen. Eine Insel, auf der vor kurzem noch Vieh weidete, kann von einem Hochwasser weggespült werden. Gerade auch am Beispiel frühneuzeitlicher Städte lässt sich der Einfluss fluvialer Dynamik auf soziale und kulturelle Prozesse zeigen. Frühneuzeitliche Städte, ihre Identität, ökonomische Leistungsfähigkeit und die Infrastrukturen, die sie zu ihrer Ver- und Entsorgung aufbauen, sind in vielen Fällen an Flüsse gekoppelt. Flüsse sind letztlich unberechenbare ökologische, hydrologische und morphologische Systeme, die sich ständig verändern. Je ausgedehnter und dichter ihre Infrastrukturen an und in Flüssen werden, desto verletzlicher wird die Stadt. Der Wandel eines Flusses, den wir historisch beschreiben können, erklärt sich erst aus dem komplexen Zusammenspiel von naturaler Dynamik, veränderter Wahrnehmung und neuen Nutzungsformen und Schutzansprüchen, die sich in jeweils ererbten sozionaturalen Arrangements realisieren müssen.

Zweitens ist das Einzugsgebiet der Donau nicht nur heute sondern auch in der Frühen Neuzeit ein von verschiedensten, immer wieder verlagerten territorialen Grenzen durchzogener Raum.
Besondere Aufmerksamkeit verdient in diesem Zusammenhang das Ringen zwischen dem Habsburger Reich und den Osmanen um die Vormachtstellung in Zentral-, Südost- und Osteuropa ab dem späten Mittelalter bis weit ins 18. Jahrhundert. Die Donau war nicht nur von strategischer Bedeutung in dieser Auseinandersetzung, oft bestimmten Hoch- oder Niedrigwasser, Vereisung oder Eisgang unmittelbar den Verlauf militärischer Operationen. Neue Grenzziehungen im Gefolge dieser Kriege, wie die nach dem Frieden von Karlowitz 1699, basierten auf einer intimen Kenntnis der sozionaturalen Verfasstheit des mittleren Donauraums. Die Sektion soll sichtbar machen, wo und warum die Donau als territoriale ("natürliche") Grenze taugte, wo nicht und warum. Die Analyse wissenschaftlicher, künstlerischer und literarischer Repräsentationen der Flusslandschaften verweist
auf die identitätsstiftende (und damit immer auch ein- und ausgrenzende) Funktion von Flüssen. Die Donau als komplexer umwelthistorischer Forschungsgegenstand erfordert wissenschaftspraktisch die Überwindung unterschiedlichster Grenzen, Grenzen zwischen nationalstaatlich oder nationalsprachlich abgegrenzten Wissenschaftsszenen, ebenso Grenzen zwischen Fachdisziplinen.

Daher versteht sich dieser Sektionsvorschlag auch als Einblick in die Arbeit von Mitgliedern der „Danube Environmental History Initiative“ (DEHI), eines von der European Science Foundation geförderten Forschungsnetzwerkes, das Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler geistes-, sozialund naturwissenschaftlicher Disziplinen aus beinahe allen Donauanrainerstaaten und weiteren Ländern miteinander in Kontakt bringt.

Vorträge Epoche
Die Donau als Kriegsschauplatz in der englischen Presse des 17. und 18. Jahrhunderts Frühe Neuzeit
Criss-Crossing the Danube with Marsigli Frühe Neuzeit
Der Fluss in der Stadt und die Stadt in der Flusslandschaft Frühe Neuzeit
Die obere Donau als sozionaturaler Schauplatz Frühe Neuzeit