(01. Oktober 2010 - 15.15 bis 18 Uhr - HS 1.501)
Leitung: Prof. Dr. Nikolas Jaspert, Bochum / PD Dr. Jan Rüdiger, Frankfurt/M.
1. Einführung
Referent/in: PD Dr. Jan Rüdiger, Frankfurt/M.
2. Wege durch die kalte Welt. Navigation und Kognition in der Wikingerzeit
Referent/in: Daniel Föller M.A., Mainz
3. Das Meer im Selbstverständnis der italienischen Seestädte
Referent/in: Dr. Marc von der Höh, Bochum
4. Wie beherrscht man die „See der Römer“? Seestrategien bei Mamluken und Osmanen im 15. und 16. Jh.
Referent/in: Dr. Albrecht Fuess, Marburg
5. Frust und Rache im 15. Jahrhundert: Gotland schlägt zurück
Referent/in: Prof. Dr. Hain Rebas, Göteborg
6. Zusammenfassung und Perspektiven
Referent/in: Prof. Dr. Nikolas Jaspert, Bochum
Abstract
Zu den Topoi der Europageschichte gehört, daß der Kontinent mit Beginn der Neuzeit über die Meere ausgegriffen habe. Die großen Seereiche (das portugiesische und spanische Kolonialreich, das Britische Empire u. a.) erscheinen charakteristisch für die Zeit nach 1500; das Mittelalter ist in dieser Wahrnehmung und auch im Gegensatz zur Antike (Karthago, der attisch-delische Seebund, die römische Flotte) geradezu per definitionem eine Epoche kontinentaler, landgestützter Herrschaft, charakterisiert durch Befestigungen, Reiterkrieger und Agrarwirtschaft. Daß auch das Mittelalter seeübergreifende Formationen wie Venedig, die Krone Aragon oder das dänisch-englische Reich kannte, tut dieser Perzeption keinen Abbruch.
Mit der Sektion „Mittelalterliche Thalassokratien“ soll erstmals ein systematischer Zugriff auf Formen und Eigenarten wesentlich seegestützter Macht im Mittelalter unternommen werden. Zwar sind die europäischen Binnenmeere (Ostsee, Nordsee/Nordostatlantik, Ärmelkanal/Irische See, die Becken des Mittelmeeres) als Wirtschafts-, Kommunikations-, Kulturräume in der Forschung wohletabliert, doch erscheint ihre politikhistorische Erforschung bislang vor allem auf den Gesichtspunkt des Strebens primär landgestützter Akteure – Reiche, Herrscher, Städte – nach Kontrolle des Raumes ,Meer‘ und der anliegenden Landflächen konzentriert. Dieser passivischen Auffassung von ,Meer‘ soll nunmehr mit dem Begriff der Thalassokratie eine Konzeptualisierung von ,See-Herrschaft‘ als von landbasierter Herrschaft in charakteristischer Weise unterscheidbarer Politikform entgegengesetzt werden. Der antiken Schriftstellern (Thukydides, Polybios u.a.) entlehnte Begriff ist vereinzelt von der Forschung deskriptiv benutzt (A. R. Lewis 1958, B. Crawford 1988), nie aber als Analyseinstrument operationalisiert worden.
Die Frage nach der politischen Organisation von Seeflächen kann aus verschiedenen Richtungen angegangen werden: Handelswege, kulturelle Verbindungen und Strategien, politische und kommerzielle Netzwerke und ihre narrativen Repräsentationen, wobei die Diskussion um die Tragfähigkeit des «Thalassokratie»-Konzeptes, also die Frage nach der Originarität dieser Phänomene im Gegensatz zu ihren landgestützten Vergleichspunkten, den verbindlichen Rahmen bilden soll. Besonderes Augenmerk wird den Seegrenzen zukommen: In welcher Hinsicht sind Meere Grenzen; in welcher Hinsicht haben sie Grenzen? Dazu gehören der Blick auf die Grenzräume/-säume zwischen Land und Meer, auf die Lebenswelt der Menschen, deren Vergesellschaftung maritim geprägt ist, sowie die Frage, inwieweit menschliche Gesellschaft und Politik zur See überhaupt denkbar ist.
Nach zwei Tagungen zu Thalassokratien in den nördlichen Meeren (Nordatlantik, Nord- und Ostsee) in Visby 2005 und Schleswig 2008 soll nun die Thematik gesamteuropäisch erweitert werden. Die Diskussion hat begonnen (zuletzt auf dem Atelier «Construire la Méditerranée» am DHI Paris, Juni 2009) und soll nun auf dem Historikertag den FachkollegInnen und einem breiteren geschichtswissenschaftlich engagierten Publikum vermittelt werden.
Bei dem Vorhaben, ein in der Alten und der Neueren Geschichte wohletabliertes Interpretament für die Mediävistik fruchtbar zu machen, ist die Chance zur Diskussion über die Regionen- und Epochengrenzen hinaus besonders wichtig. Unserem Sektionskonzept liegen daher zwei Überlegungen zugrunde: Es sollen je zur Hälfte Historiker der Mittelmeerregion und der nördlichen Meere (vom Promovenden bis zum Emeritus) miteinander und mit ihrem Publikum ins Gespräch kommen. Es sollen nicht fertige Studien präsentiert, sondern Fragen gestellt und Hypothesen aufgestellt werden, die zur Diskussion auffordern. Die referierenden Teile sind daher vergleichsweise reduziert; die Gelegenheit zur Debatte sowohl zwischen den Sektionsteilnehmern als auch mit dem Plenum möglichst groß gehalten.