Die Entstehung des modernen Unternehmens: Aufkommen, Form und Grenzen der Institutionalisierung und Diffusion in Europa 1400–1900

(29. September 2010 - 9.15 bis 13. Uhr - HS 1.204)

Leitung: Dr. Ralf Banken, Frankfurt/M.



1. Handelsgesellschaften und Gewerbeunternehmungen im Spätmittelalter

Referent/in: Dr. Michael Rothmann, Gießen

2. Unternehmen vor dem Unternehmen? Wirtschaftliche Organisationsformen im frühneuzeitlichen Europa und ihre Nachwirkungen in die industrielle Moderne

Referent/in: Dr. Alexander Engel, Göttingen

3. Kaufleute – Verleger – Unternehmer. Ökonomische Akteure und Betriebsformen im 18. und frühen 19. Jahrhundert

Referent/in: Dr. Stefan Gorißen, Bielefeld

4. Handlung, Firma, Unternehmen. Zur Institutionalisierung der modernen Unternehmung im 19. Jahrhundert

Referent/in: Dr. Ralf Banken, Frankfurt/M.


5. „Nur durch das Aktiensystem läßt sich die englische Industrie auf deutschen Boden verpflanzen“? Industrialisierung und Unternehmensformen im frühen 19. Jahrhundert

Referent/in: Dr. Alfred Reckendrees, Kopenhagen

6. Kommentar
Referent/in: Prof. Dr. Clemens Wischermann, Konstanz



Abstract

Die die heutige Wirtschaft und Gesellschaft prägende Institution des modernen Unternehmens ist ein vergleichsweise junges Phänomen, versteht man darunter – wie heute allgemein üblich – eine Organisation, in der Güter und Dienstleistungen für einen anonymen Markt im Rahmen einer spezifischen, utilitaristischen Form sozialer Arbeitsteilung produziert wird. Erst ab ca. 1800 entwickelten sich Unternehmen zu derjenigen Institution, mit der seitdem wirtschaftlichen Prozesse weltweit organisiert werden, da sowohl ihre Zahl als auch ihre volkswirtschaftliche Bedeutung zuvor selbst in den am weitesten entwickelten Ländern äußerst begrenzt war. Wenngleich sich die internationale Business History in den letzten Jahren immer weiter geöffnet und vom Marketing bis hin zur Corporate Gouvernance neuere Ansätze einbezogen hat, ist die Frage, wann und warum immer mehr Unternehmen aufkamen bzw. die Institution des Unternehmens zur vorherrschenden Organisationsform für die Produktion von Gütern und Dienstleistungen wurde, bisher seltsam unterbelichtet. Dies gilt auch für die deutsche Unternehmensgeschichte – trotz fruchtbarer Vorarbeiten der Historischen Schule. Untersucht wird daher auch hier zumeist nur, wie Großunternehmen funktionieren und sich entwickeln, nicht aber, warum sie vor 1800 Einzelphänomene blieben und danach zur vorherrschenden Institution im Wirtschaftsleben wurden bzw. welche Bedingungen dieser Siegeszug voraussetzte. 

Ohne Zweifel ist dieses Forschungsdesiderat vor allem auf das lange vorherrschende Bild von Unternehmen als Organisationsform fordistischer Industrieproduktion mit hohem Fixkapitalbedarf und festgefügter Bürokratie zurückzuführen. So wurde der Industriebetrieb lange faktisch mit dem Unternehmen und auch die Unternehmenswerdung mit dem Aufkommen der industriellen Betriebsweise gleichgesetzt: die unternehmerisch organisierte Fabrik bildete hiernach eine technische Zwangsläufigkeit der modernen Wirtschaft, aufgrund der Industrialisierung entstanden eben auch Unternehmen. 

Diese Erklärung und die Gleichsetzung von Unternehmen mit Industrieunternehmen greift aber zu kurz. Zwar erklärt das Aufkommen des Fabrikbetriebes mit dem in Produktionsanlagen gebundenen Fixkapital die ab 1800 aufkommende Verbreitung moderner Unternehmen zweifellos zu einem guten Teil, doch kamen neben den Industrieunternehmen eben seit dem frühen 19. Jahrhundert vermehrt auch Unternehmen im Handel und Dienstleistungsbereich auf, vor allem im Verkehrs- und bei Versicherungssektor, z.B. die Rheinschiffahrts-Assekuranz-Gesellschaft von 1822 oder den Eisenbahngesellschaften ab 1835. Als Unternehmensform wurde hier zumeist die Form der Aktiengesellschaft gewählt; zum einen da die jeweils benötigten Kapitalien nicht mehr von einzelnen Personen aufgebracht werden konnten, zum anderen, weil wie in der Industrie auch hier das Kapital langfristig im Unternehmen gebunden war, unabhängig von den Interessen der Anteilseigner. Eben diese Ursache für das vermehrte Aufkommen von Unternehmen und deren Institutionalisierung hatte bereits Sombart im Sinn, als er die langsame Verselbständigung des Geschäfts vom Wirtschaftsträger bzw. Eigentümer hervorhob und vom Unternehmen als Vermögenseinheit sprach, womit er einen ähnlich wie die moderne Institutionenökonomik das Unternehmen als ein Bündel von Verfügungsrechten ansah. 

In der geplanten Sektion soll diesem Themenkomplex epochenübergreifend näher nachgegangen werden. Zur Beantwortung der Leitfrage, warum sich Unternehmen erst nach 1800 in Deutschland und Europa flächendeckend als Organisationsform durchsetzten, ist es notwendig, genauer zu betrachten, wie in der Vormoderne die kapitalintensive Produktion von Gütern und Dienstleistung erfolgte und warum sich das Beispiel der wenigen Unternehmen nicht früher als das allgemeine Organisationsmodell durchsetzte. Dies bedeutet, daß über Fallbeispiele hinaus auch wirtschaftliche, rechtliche und gesellschaftliche Rahmenbedingungen (Gesellschaftsrecht, zunehmende Rolle von Märkten etc.) stärker in den Blick genommen werden. Ziel der Sektion ist es dabei aber auch, eine Begriffsschärfung der Bezeichnung des Unternehmens voranzutreiben und zu klären, ob mit der Diffusion des modernen Unternehmens im frühen 19. Jahrhundert lediglich eine neue sprachliche Konvention durchsetzte oder ob tatsächlich eine gänzlich neue Institution zur Koordinierung ökonomischer Aktivitäten entstand: Markiert der neue Begriff nach 1800 lediglich eine quantitative Veränderung der Betriebsgröße oder verband sich hiermit etwas qualitativ Neues? 

Konkret wird in der beabsichtigten Sektion aufgrund dieses Fragen- und Themensets daher Michael Rothmann und Alexander Engel frühe europäische Unternehmen und ihre Vorformen in Spätmittelalter und früher Neuzeit näher betrachten, wobei der Schwerpunkt hier nicht nur auf der bereits von der Historischen Schule intensiv verfolgten Frage nach ersten Ursprüngen der einzelnen Unternehmensrechtsformen in der vorindustriellen Zeit steht. Vielmehr wird untersucht, wie Wirtschaftsaktivitäten von Handel und Gewerbe in größerem Maßstab organisiert wurden und warum sich Unternehmen in modernem Sinne vor 1800 in Deutschland – aber auch in Westeuropa oder den USA – nur in geringer Zahl durchsetzten. Stefan Gorissen wiederum widmet sich der Frage, unter welchen ökonomischen Bedingungen die zentralisierte Produktionsstätte sich als effektive Form der Produktion durchsetzte und unter welchen Bedingungen dezentrale Formen (Verlag, Kaufsystem) konkurrenzfähig blieben. Ralf Banken wird dabei die Entstehung und Institutionalisierung der sich nach 1800 schnell verbreitenden Organisationsform des Unternehmens in Deutschland als auch England thematisieren und neben der eigentlichen Entwicklung der Unternehmensrechtsformen und -organisation auch die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen berücksichtigen. Alfred Reckendrees wiederum widmet sich der Durchsetzung der neuen industriellen Produktionsweise im frühen 19. Jahrhundert anhand zahlreicher Unternehmensbeispiele aus der bereits vor 1850 weit entwickelten Aachener Industrieregion. 

Vorträge Epoche
Handelsgesellschaften und Gewerbeunternehmungen im Spätmittelalter Epochenübergreifende Sektion
Unternehmen vor dem Unternehmen? Epochenübergreifende Sektion
Kaufleute - Verleger - Unternehmer. Ökonomische Akteure und Betriebsformen Epochenübergreifende Sektion
Handlung, Firma, Unternehmen. Zur Institutionalisierung der modernen Unternehmung im 19. Jahrhundert Epochenübergreifende Sektion
Industrialisierung und Unternehmensformen im frühen 19. Jahrhundert Epochenübergreifende Sektion